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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausg.: 22 (Fortsetzung)] 5. Wie läßt sich Gender Mainstreaming in einer Organisation durchsetzen?
5.1 Bisherige Anwendungsfelder Die internationale Entwicklungszusammenarbeit (EZA) ist wohl das Anwendungsfeld, in dem Gender Mainstreaming am intensivsten und mit der längsten Tradition praktiziert wird. Die Evaluation jahrzehntelanger Entwicklungstätigkeit hatte nämlich ergeben, daß die Differenz in den Lebenschancen zwischen Männern und Frauen im Zuge der Modernisierungsprozesse noch tiefer geworden war und der Zugang zu Ressourcen wie Arbeit, Kredite und Land sich für Frauen trotz der vielen Hilfsprojekte eher verringert hat. Es war deutlich geworden, daß Frauen bei den Projektidentifizierungs- und Planungsprozessen zumeist eine passive Rolle zugeordnet war und daß Frauen überhaupt nicht an den Vorbereitungs- und Durchführungsprozessen beteiligt waren. Die Integration der Geschlechterperspektive in der Entwicklungszusammenarbeit findet nun, nicht zuletzt dank der Lobbyarbeit der Frauen auf internationaler Ebene, seit mehreren Jahren statt. Durchgesetzt wurde dies über Auflagen bei der Mittelvergabe, d.h. es werden nur solche Projektanträge bewilligt, die eine Gender-Perspektive aufweisen. Dieses Instrument, Mittel für Maßnahmen daran zu knüpfen, daß die Gender-Perspektive in die Beantragung der Maßnahme aufgenommen wird, erweist sich als äußerst wirksam. Alle Träger von Projekten werden dadurch angehalten, das Wissen und die Kenntnisse über die Geschlechterverhältnisse zu erweitern und entsprechende Anträge zu formulieren. Dazu gibt es eine Reihe von Hilfestellungen, die von der Ausbildung der Entwicklungsexperten und Entwicklungsexpertinnen, über Checklisten für die Beantragung von Mitteln für Projekte bis hin zu der Etablierung von Gender-Beauftragten bei den Trägern reichen. Auch die Mittel des Europäischen Strukturfonds sind seit 1999 mit der Auflage verbunden worden, die Auswirkungen einer bestimmten beantragten Maßnahme auf die Geschlechterverhältnisse zu formulieren. Es werden dann jene Projekte bevorzugt, die diese Auflage erfüllen. Die Bindung finanzieller Mittel an die Gender Mainstreaming Prozesse der beantragenden Stellen hat sich als sehr effektive Methode erwiesen, die Geschlechtsspezifik von staatlich unterstützten Maßnahmen durchschaubar und steuerbar zu machen. Auch die staatliche Förderung von Aktivitäten auf jeder Ebene kann solche Auflagen implizieren. So hat zum Beispiel im Jahr 1999 das Bundesministerium für Bildung und Forschung seine Förderung eines Kongresses zu Bildungspolitik mit der Auflage verbunden, daß die Geschlechterperspektive bei der Bearbeitung aller Themen integriert wird. Eine andere Form der Durchsetzung von Gender Mainstreaming basiert auf der Selbstverpflichtung von staatlichen Organisationen, die die deklaratorischen Verlautbarungen auf europäischer Ebene ernst nehmen. Auf Bundesebene gibt es seit dem Jahr 2000 einen interministeriellen Arbeitskreis, in dem auf der Fachebene Gender Mainstreaming thematisiert wird. Kabinettsbeschlüsse der Bundesländer Niedersachsen und Sachsen-Anhalt zur Durchsetzung des Gender Mainstreaming Prozesses sollen dazu führen, daß [Seite der Druckausg.: 23] Kabinettsvorlagen ohne eine Genderprüfung in die Ministerien wieder zurückverwiesen werden. Beide Länder arbeiten daran, die Entscheidungsprozesse in den Landesverwaltungen in diesem Sinne zu verbessern. Die Verknüpfung mit Organisationsentwicklungsprozessen bewährt sich dabei. In diesen Prozessen geht es nämlich genau um die Verbesserung von Entscheidungsverläufen und Entscheidungsprozessen, und an diesen Stellen kann das Gender Mainstreaming Prinzip eingeführt werden. In Niedersachsen werden erste Projekte der einzelnen Ressorts mit einem längerfristigen Bildungsprogramm für die Akteure und Akteurinnen begleitet. In beiden Bundesländern gibt es Gendertrainings für die Beschäftigten. Es zeigt sich, daß die Sensibilisierung für die Fragen des Geschlechterverhältnisses in der Regel von den weiblichen Beschäftigten schneller erfolgt, daß jedoch nach einer gewissen Anlaufphase auch viele der männlichen Beschäftigten die Einsicht gewinnen, daß die Anwendung des Gender Mainstreaming Prozesses ihre politischen Maßnahmen verbessert. Schon seit längerer Zeit hat die Heinrich-Böll-Stiftung als eine der politischen Stiftungen die Geschlechterdemokratie als Organisationsziel verankert und gemäß dem Gender Mainstreaming Prinzip sowohl die inneren Strukturen als auch die Produkte der Organisation auf dieses Ziel hin gestaltet. Dort werden die Beschäftigten bereits im Arbeitsvertrag verpflichtet, geschlechtersensibel zu arbeiten, Gender-Beauftragte schulen und unterstützen die einzelnen Arbeitseinheiten bei ihrer Arbeit, und es gibt jährliche obligatorische Gendertrainings für alle Beschäftigten. Das Gender Mainstreaming Prinzip läßt sich auch in Verwaltungsreformprozesse integrieren. Bei diesen Prozessen werden häufig Kosten- und Effizienzbeurteilungen nach unten verlagert. Damit werden mehr Handlungsspielräume für die Beschäftigten geschaffen, und die Beschäftigten werden befähigt, selbständige Entscheidungen zu treffen. Hier bietet es sich an, die Prüfung entsprechend der Geschlechterperspektive als parallel laufendes Verfahren zu integrieren. Wenn Entscheidungsprozesse einem ständigen Verbesserungsprozeß unterworfen werden, bedeutet das auch, daß Expertisen aus verschiedenen Bereichen hinzugefügt werden und damit zur Optimierung beitragen. Dies gilt auch für die Gender-Expertise. Die kritische Beleuchtung von Verwaltungsroutinen kann ebenfalls genutzt werden, um die Gender-Perspektive hineinzunehmen. Auch die Teamarbeit, die in vielen Verwaltungsreformprozessen favorisiert wird, basiert auf dem Zusammenarbeiten beider Geschlechter, und zwar in gleichgestellter Form. Hierzu hat beispielhaft die Hansestadt Lübeck und die Stadt Norderstedt in einem Projekt bewiesen, wie die Steuerung von Querschnittszielen am Beispiel der Gleichstellung von Frauen und Männern realisiert werden kann. In der dezentralisierten Verwaltung wurde die kommunale Querschnittsaufgabe Gleichstellung von Frauen und Männern zielorientiert, transparent und mit einer hohen Qualität bearbeitet. Die Projektergebnisse zeigen, welchen Konkretisierungsgrad gleichstellungspolitische Ziele haben können und wie der Gender Mainstreaming Prozeß bis in die operativen Ziele, die Bezeichnungen von Kennzahlen, die Benennung von Verantwortlichen, Adressaten, Formeln und Meßeinheiten sowie Erhebungsgrößen hinein wirken kann (Hansestadt Lübeck und Stadt Norderstedt 1999). [Seite der Druckausg.: 24]
[Seite der Druckausg.: 25] Auch innerhalb gewerkschaftlicher Organisationen gibt es die Verankerung des Gender Mainstreaming Prinzips. Bereits 1995 hat der Europäische Gewerkschaftsbund beschlossen, die Frauen- und Männerinteressen in die gewerkschaftlichen Handlungsfelder einzubeziehen. 1998 hat der geschäftsführende Hauptvorstand der Gewerkschaft ÖTV beschlossen, das Gender Mainstreaming Prinzip zunächst in der Tarifarbeit anzuwenden. Es wurde eine Gender Mainstreaming Beauftragte berufen und damit ein erster Schritt zur strukturellen Veränderung für das Ziel der Herstellung tatsächlicher Chancengleichheit durch die Tarifpolitik getan. Frauen aus den fünf Gewerkschaften des Dienstleistungsbereiches, die sich in der neuen Gewerkschaft ver.di zusammenschließen wollen, entwickeln zur Zeit Konzepte, um das Gender Mainstreaming Prinzip in den Strukturen der neuen gewerkschaftlichen Organisation zu verankern: Sie fordern neben der Geschlechterquote in allen Ebenen auch die Einführung des Gender Mainstreaming Prozesses in der fachlichen Arbeit der gewerkschaftlichen Organisation. Auf jeder Ebene der Organisation soll die Position von Gender-Beauftragten eingeführt werden. Auf der obersten Ebene der Organisation soll es ein gut besetztes Fachsekretariat geben, das die konzeptionelle Arbeit und die Beratungskoordinierung leisten kann. Darüber hinaus soll die Frauenförderung weiterhin als Anwendung des Gender Mainstreaming Prinzips Bestandteil der Personalplanung und Personalpolitik bleiben, damit auch langfristig die Gleichstellung der Beschäftigten in der neuen gewerkschaftlichen Organisation sichergestellt ist. Gendertrainings, also Veranstaltungen, in denen der Blick auf die Geschlechterverhältnisse geöffnet und trainiert wird und in denen die Beteiligten motiviert und befähigt werden sollen, dies in ihrer Arbeit auch zu tun, gab es bereits in einigen Gewerkschaften. In der Deutschen Postgewerkschaft wurden z. B. die Hauptvorstandsmitglieder in einem Gendertraining qualifiziert.
5.2 Durchsetzungsmittel Das Beispiel der Internationalen Entwicklungszusammenarbeit zeigt, daß die Bindung von Mitteln an Gender Mainstreaming Prozesse in der Antragsstellung sehr wirksam ist. Diese Mittelbindung kann überall, wo Mittel für die Gestaltung von Verhältnissen ausgegeben werden, genutzt werden. Um das Gender Mainstreaming Prinzip in einer einzelnen Organisation zu verwirklichen, ist es zunächst notwendig, daß in der Organisation eine Zielsetzung für die Geschlechterpolitik formuliert wird. Eine solche Selbstverpflichtung der Organisation ist dann ein Anker, an dem sich die Forderungen zur Umsetzung des Gender Mainstreaming Prinzips in allen Bereichen festmachen kann. Mit einer juristisch einklagbaren Position ist jedoch bislang das Prinzip des Gender Mainstreaming nicht durchzusetzen, wenn auch das Grundgesetz die Gleichstellung von Mann und Frau verankert hat und die EU-Richtlinien und der Amsterdamer Vertrag als Grundlage politischen Handelns anzusehen ist. Diese Rechtsgrundlagen stützen Bestrebungen, sie können sie jedoch nicht erzwingen. In der Praxis werden es wiederum zunächst die Frauen sein, seien es Frauenvertreterinnen oder Frauenbeauftragte, die dafür sorgen, daß die Idee des Gender Mainstreaming bekannt wird und daß sich die einzelnen Organisationen von sich aus zu diesem Prinzip bekennen. [Seite der Druckausg.: 26]
5.3 Mißbrauchsgefahren Obwohl es noch relativ jung ist, sind die Beispiele für den Mißbrauch des Gender Mainstreaming Prinzips schon sehr zahlreich. Die Mißbräuche basieren alle auf dem Ausspielen dieser neuen geschlechterpolitischen Strategie gegen die alten, bewährten Formen. In Unkenntnis oder mit politischer Absicht wird Gender Mainstreaming für die umfassende Strategie erklärt, und damit werden die übrigen Strategien für überflüssig gehalten. Selbst auf EG-Ebene sollten die spezifischen Programme für die Frauenförderung und Frauenprojekte gekürzt werden. Die Begründung lautete, daß alle Fonds dem Gender Mainstreaming Prinzip unterworfen sind. Hier wurde das Prinzip nicht nur mißverstanden, sondern auch mißbraucht. Zum einen schließt die Anwendung des Gender Mainstreaming Prinzips die Etablierung von speziellen Fördertöpfen für Frauen überhaupt nicht aus, sondern kann eine durchaus konsequente Maßnahme in Anwendung des Gender Mainstreaming Prinzips bedeuten. Zum anderen kann auch auf europäischer Ebene nicht davon ausgegangen werden, daß das Gender Mainstreaming Prinzip bereits überall verankert und durchgesetzt wäre. Dieses relativ rasche Kürzen der Mittel für spezielle Frauenprojekte passiert auch auf verschiedenen Ebenen, immer ist es aber als Mißbrauch zu bezeichnen, da es nirgendwo bislang eine konsequente Verankerung des Gender Mainstreaming Prozesses gibt. Auch auf kommunaler Ebene gab es ähnliche Ereignisse, Bürgermeister glaubten, den Gleichstellungsausschuß bereits abschaffen zu können, wenn sie auch nur proklamierten, daß sie demnächst Gender Mainstreaming Prozesse etablieren wollen. Hierbei kann es sich nur um ein bewußtes Mißverständnis handeln, denn die Position der Gleichstellungsausschüsse und der Frauenbeauftragten sind wertvolle Elemente zur Optimierung der Gender Mainstreaming Prozesse, auf sie kann gerade nicht verzichtet werden, wenn Geschlechterfragen in allen Bereichen behandelt werden. In vielen Verwaltungen ist das Gender-Wissen vor allem bei Frauenbeauftragten und in Gleichstellungsausschüssen vorhanden, Frauenbeauftragte sind diejenigen, die die Interessen der dort beschäftigten Frauen am ehesten kennen und die auch in der Lage sind, Experten und Expertinnen für Geschlechterfragen heranzuziehen. Die Abschaffung eigenständiger Frauenministerien ist ambivalent zu beurteilen: Einerseits kann dies zu einem Machtverlust führen, wenn die Frauenministerin eine starke Position innerhalb des Kabinetts inne hat, andererseits kann dies aber auch der erste Schritt zur Gender Mainstreaming Strategie der gesamten Landesverwaltung sein. In diesem Falle bleibt es erforderlich, daß eine Ministerin für die Geschlechterfragen zuständig ist und die Gender Mainstreaming Prozesse vorantreibt. Langfristig kann die Abschaffung eines Frauenministeriums zugunsten von Genderabteilungen in allen anderen Ministerien zu einer erhöhten geschlechterpolitischen Wirksamkeit führen. Immer, wenn Gender Mainstreaming als angeblich neueste und effektivste Strategie hochgelobt und dazu gebraucht wird, sog. alte Strategien zu entfernen, liegt der Verdacht nahe, daß hier ein Machtkampf zwischen den Geschlechtern ausgetragen und zuungunsten der Frauen entschieden werden soll. Das effektivste Mittel, um die Aufrichtigkeit zu prüfen, ist immer noch die Analyse der Anzahl der Personen, des Umfangs der finanziellen Mittel und der Aktivierung der organisatorischen Potentiale, die für die Veränderung der Geschlechterverhältnisse eingesetzt werden. Im Rahmen der Einführung von Gender Mainstreaming Prozessen müssen sich diese erheblich erhöhen, jeder Abbau deutet auf die Absicht, Geschlechterfragen eher zu verschleiern als sie in ihrer wirklichen Bedeutung ernst zu nehmen. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 2000 |