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[Seite der Druckausg.: 19 (Fortsetzung)]


4. Wie verhält sich Gender Mainstreaming zu anderen geschlechterpolitischen Strategien?

Gender Mainstreaming ist ein Instrument, mit dem das Ziel der Geschlechterdemokratie oder Chancengleichheit erreicht werden soll. Es ist jedoch nur ein Instrument, das die bisherigen Instrumente ergänzt und nicht ersetzt. Eine Organisation, die Geschlechterdemokratie und Chancengleichheit herstellen will, wird Gender Mainstreaming nutzen, um dieses Ziel noch besser zu erreichen als vorher. Konzeptionell bietet das Instrument des Gender Mainstreaming also eine Ergänzung, aber auch eine Verlagerung der Problemsicht.

Das politische Problem wird nicht mehr als reine Frauenfrage definiert, um die sich insbesondere die Frauen aufgrund der individuellen Betroffenheit über ihre Geschlechtsrolle zu kümmern haben. Vielmehr wird das Problem in der gesellschaftlichen Gestaltung des Geschlechterverhältnisses gesehen. Die diskriminierende Funktion struktureller Bedingungen wird anerkannt. Nach wie vor werden die Frauen, die aufgrund der Verhältnisse diskriminiert sind, zur Zielgruppe von Maßnahmen werden, darüber hinaus werden aber auch die Rahmenbedingungen analysiert und verändert, die zu diesen Diskriminierungen führen. Eine Organisation, die sich der Geschlechterdemokratie verpflichtet fühlt, wird dies einerseits nach innen tun wollen, indem sie die Beschäftigten innerhalb der Organisation nicht wegen ihres Geschlechts und ihrer Geschlechterrolle

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unterschiedlichen Behandlungen unterzieht: sie wird also konsequente Frauenförderung betreiben, und zwar so lange, bis das Geschlecht für die Besetzung von Positionen, für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen und für die Entlohnung keine Rolle mehr spielt. Sie wird es auch nach außen wollen, indem sie ihr politisches Handeln an dem Ziel der Geschlechterdemokratie mißt und ständig verbessert.

Frauenförderpläne können damit als Ergebnisse der Anwendung des Gender Mainstreaming Prinzips in der Personalentwicklung betrachtet werden. Quotenregelungen und Frauenförderung dienen dem Ziel, Frauen und Männer innerhalb der Organisation gleichzustellen. Wenn ein Frauenförderplan aufgestellt worden ist, dann sind personalpolitische Entscheidungsprozesse nach dem Gender Mainstreaming Prinzip analysiert worden. Der Frauenförderplan ist nichts anderes als das Ergebnis eines solchen Prozesses. Quotierungen und Frauenfördermaßnahmen sind also Strategien, die bisherigen Diskriminierungen von Frauen wegen ihres Geschlechts und ihrer Geschlechterrolle rückgängig zu machen. Die gegenwärtigen Positionierungen von Frauen in der Erwerbsarbeit sind Ausdruck dessen, daß über das Geschlecht Ausschlüsse passieren. Diese Ausschlüsse müssen durch eine geschlechtsbezogene Bevorzugung rückgängig gemacht werden, - das ist die Begründung für die Frauenförderung bzw. die Bevorzugung aufgrund des Geschlechtes so lange, bis eine Gleichstellung erfolgt ist. Wenn die traditionelle Form der Frauenförderung als Gender Mainstreaming Prozeß in der Personalpolitik interpretiert wird, so zeigt sich nicht nur die Vereinbarkeit dieser beiden Strategien, sondern ihr innerer Zusammenhang. Gender Mainstreaming ist damit das allgemeine Instrument, das die Entscheidungsprozesse steuert, Frauenförderung ist die Konkretisierung im Bereich der Personalpolitik. Die direkte Förderung eines Geschlechts kann demnach die Konsequenz eines Gender Mainstreaming Prozesses sein: Wenn die Gender-Analyse nämlich ergibt, daß Frauen nicht dieselben Zugänge und Chancen aufgrund ihres Geschlechtes und ihrer Geschlechterrolle haben, dann muß ihnen eine besondere Unterstützung zukommen. Dasselbe gilt auch für Männer, denn auch Männern ist in bestimmten Bereichen der Zugang aufgrund ihres Geschlechts und der Geschlechterrolle versperrt, so etwa im Bereich der privaten Betreuungsarbeit. Deswegen könnte im Rahmen des Gender Mainstreaming Prozesses in der Personalpolitik langfristig eine Männerförderung entstehen, die den Männern den Zugang zur privaten Betreuungsarbeit erleichtert und eröffnet.

Politische Maßnahmen von Organisationen beziehen sich häufig auf die Rahmenbedingungen, unter denen sich konkrete Geschlechterverhältnisse gestalten. Dort, wo solche Rahmenbedingungen politisch gestaltet werden, bedeutet Gender Mainstreaming, daß sie so gestaltet werden, daß sich die Geschlechterverhältnisse verändern. An diesen Stellen geht es nicht um eine konkrete Förderung einer Gruppe von Frauen oder Männern, sondern um die Bereitstellung von Chancen, die von beiden Geschlechtern gleichmäßig in Anspruch genommen werden können. Die Veränderung solcher Rahmenbedingungen ist sozusagen die Prävention, die verhindert, daß langfristig hierarchische und differente Geschlechterverhältnisse weiter bestehen.

Ein Beispiel:

Im Bereich der Arbeitsförderung dienen viele Maßnahmen dem verbesserten Zugang zu Arbeitsplätzen. Die Analyse der Geschlechterverhältnisse zeigt, daß Frauen aufgrund der traditionellen Geschlechterrolle eine besondere Lebenssituation haben, nämlich dann, wenn sie aufgrund der unbezahlten Erziehungsarbeit aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind und wieder zurückkehren möchten. Maßnahmen für sog. Berufsrückkehrerinnen sind demnach konkrete Maßnahmen zur Herstellung der Geschlechtergerech-

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tigkeit. Andererseits ist auch im Rahmen der Arbeitsförderung darüber nachzudenken, wie die Rahmenbedingungen, die dazu führen, daß Frauen überhaupt in diese Situation geraten, verändert werden können: Maßnahmen zur Arbeitszeitflexibilisierung und zur materiellen Absicherung während der privaten Erziehungsarbeit gehören dann genauso in den Gender Mainstreaming Prozeß wie die Anreize zur Beschäftigung sogenannter rückkehrwilliger Frauen.

Allgemein kann man sagen, daß spezielle Maßnahmen für Frauen in bestimmten Lebenssituationen solange nötig sind, wie die differenten und hierarchischen Geschlechterverhältnisse noch so durchschlagend sind. Erst wenn Männer und Frauen dieselben Probleme mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie haben, erübrigt sich ein Gender Mainstreaming Prozeß in diesem Bereich.

Geschlechterpolitik hat mindestens vier verschiedene Säulen (vgl. Stiegler 1998):

  1. die Normierung der Ziele (Gesetzgebung, Leitbilder, Programme),
  2. die Quotierung als Umkehrprozeß des Ausschlusses,
  3. das Gender Mainstreaming Prinzip als Verbesserung politischer Entscheidungen,
  4. die autonomen Strukturen und die autonome Praxis der Frauen.

Keine der vier Säulen sollte durch eine der anderen ausgehebelt werden. Vielmehr stärken sie sich gegenseitig. Gerade die autonome Praxis und die eigenständigen Strukturen von Frauen in politischen Organisationen sind so lange erforderlich, bis die Geschlechterverhältnisse nicht mehr diskriminierend gestaltet sind. Auch für Gender Mainstreaming Prozesse sind eigenständige Strukturen von Frauen erforderlich: Für die konkrete Gestaltung einer geschlechtergerechten Politik kann nicht nur auf Analysen und Erkenntnisse zurückgegriffen werden, die in Büchern niedergeschrieben sind, vielmehr müssen sie auch die konkreten Erfahrungen der Frauen in den einzelnen Organisationen aufnehmen. Die Frauen haben den meisten Männern eine höhere Sensibilität in Geschlechterfragen voraus, deswegen brauchen sie weiterhin Orte, sich darüber auszutauschen, und die Macht, ihre formulierten Interessen in die Organisation einzubringen. Nur sie sind in der Lage, ganz konkrete geschlechtspezifische Diskriminierungen, aber auch geschlechtsspezifische Stärken zu formulieren und in Politik umzusetzen. Wie die Frauenbewegung gezeigt hat, werden Frauen es sich auch gar nicht nehmen lassen, auf bestimmte unterdrückende Strukturen mit autonomer Praxis zu reagieren.

Ein Beispiel für die Verschränkung der Strategien:

Die Förderung einer Frauenuniversität, also autonomer Strukturen, kann als Ergebnis eines Gender Mainstreaming Prozesses in der Hochschulpolitik verstanden werden. Wenn Frauen sich mit Gründung dieser Universität gegen männliche Definitionsmacht im Wissenschaftsbetrieb wehren, den Frauenausschluß im herrschenden Wissenschaftsbetrieb aufheben und neue, bisher nicht realisierte wissenschaftliche Formen entwickeln wollen, dann produziert eine solche Frauenuniversität ein Paradigma für durchgesetzte Geschlechtergerechtigkeit. Viele feministische Wissenschaftlerinnen haben die Erfahrung gemacht, daß der Kampf um die Anerkennung feministischer Lehrinhalte als studien- und prüfungsrelevant extrem viel Energie und Aufwand bedeutet. Diese Energie wollen sie lieber in ein eigenes Projekt stecken. Damit wollen sie praktisch belegen, daß Wissen auch lebensorientiert sein kann, daß Theorie und Praxis verknüpft werden können und

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eine neue Definition der Wissenskompetenz realisierbar ist. Bezogen auf die politische Administration wäre die Förderung einer Frauenuniversität eine Maßnahme, die aus dem Gender Mainstreaming der hochschulpolitischen Entscheidungen erwachsen könnte: Wer festgestellt hat, daß die meisten Mittel in Hochschulen fließen, in denen vom männlichen Blick geprägte Wissensinhalte produziert werden, kann zu der Schlußfolgerung kommen, daß als Gegenkraft eine Frauenuniversität zu unterstützen ist.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 2000

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