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TEILDOKUMENT:

Reform der Arbeitsmarktpolitik und Perspektiven für lokales Handeln


[Seite der Druckausg.: 99 ]


Josef Siegers
Reform der Arbeitsmarktpolitik und Perspektiven für lokales Handeln – Statement


Meine erste These heißt: Oberziel, Hauptziel aller politischen Anstrengungen, auch der Tarifvertragsparteien, muß es sein, mehr Beschäftigung, mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Wir Deutschen neigen dazu, anders als die Engländer und Amerikaner, nicht so sehr die Schaffung von Arbeitsplätzen, das Ziel, mehr Beschäftigung zu schaffen, zu betonen. Vielmehr sind wir mit einem schnellen Sprung sofort bei der Vokabel „Bekämpfung der Arbeitslosigkeit". Wenn man sich mal das deutsche Statistikwesen anschaut, zeigt sich: Wir haben Tausende von Daten über Arbeitslosigkeit. Aber in der Statistik der Bundesanstalt gibt es jeweils nur eine einzige Zeile, die davon handelt, wieviel Beschäftigung wir mehr oder weniger jeweils im Monatsfortschritt erzielt haben. Die Engländer, Amerikaner, die reden nur von Beschäftigung: Jobs, jobs, jobs. Wir haben in Deutschland nur eine Beschäftigungsquote von 60 %. Die Amerikaner, um die zu nennen, haben eine Quote von 75 % bezogen auf die erwerbsfähige Bevölkerung. Vor diesem Hintergrund muß es ja noch mal mehr verwundern, daß wir bei 60 % Beschäftigungsquote vier Millionen Arbeitslose haben, die Amerikaner aber 75 % der erwerbsfähigen Bevölkerung im Beschäftigungssystem haben und dann entsprechend weniger Arbeitslose. Also, die Perspektive muß sein: mehr Jobs schaffen, mehr Beschäftigung schaffen.

Die Frage lautet nun: Wo und wann und unter welchen Umständen entstehen mehr Arbeitsplätze? Wo werden mehr Arbeitsplätze geschaffen? Doch nicht in ABM. Doch nicht im öffentlichen Sektor. Der muß nach Meinung aller Parteien eher Arbeitsplätze abbauen. Also kann es nur im privaten Sektor passieren. Deshalb muß die ganze Anstrengung der Politik darauf gerichtet sein – und das ist der konkrete Inhalt meiner ersten These –, private Arbeitgeber dazu zu bringen, Arbeitsplätze in Deutschland neu zu schaffen oder die Zahl bestehender Arbeitsplätze zu erweitern. Arbeitgeber dazu zu bringen, tagtäglich die Entscheidung für mehr Arbeitsplätze zu vollziehen: Das ist die Hauptaufgabe der Politik.

Zweite These: Wir mühen uns an dieser Aufgabe im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit ab. Wenn ich mir überlege, mit

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welchem Anspruch dieses Bündnis angetreten ist, nämlich mehr für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit zu tun in Deutschland, und wenn ich mir jetzt anschaue, an welchen Themen wir uns da kontrovers und an vielen Ecken festgefahren abmühen, dann muß ich eine Riesendifferenz zwischen Anspruch und augenblicklicher Realisierungslage sehen. Woran arbeiten wir uns ab? Wir arbeiten uns ab am Thema Überstunden. Wir haben uns mit kleinen Erfolgen mit dem Thema Altersteilzeit beschäftigt. Dabei haben wir eine kleine Reform geschafft. Wir sind kontrovers in der Frage: Rente mit 60. Wir sind kontrovers in der Frage der Steuerreform. Dabei haben uns andere Länder vorgemacht, an welchen Punkten wir arbeiten müssen. Nämlich in der Tat an den drei großen Themen, die auch in unserem SYSIFO-Modell, das die Bundesanstalt erarbeitet hat, sichtbar werden: nämlich erstens eine Neuverteilung der Arbeitszeit, das sind noch die geringsten Probleme zwischen den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden; zweitens in einer moderaten Lohnpolitik, und moderat heißt, wie Klaus Zwickel richtig gesagt hat, auch niedrig, und das über viele Jahre, und wie Gerd Andres heute gesagt hat, mit langem Atem. Und drittens: in einer Neuordnung der öffentlichen Abgaben und Ausgaben. Das hat immer am Anfang in Holland, in Dänemark gestanden. Wir sind im Augenblick – wie gesagt – eher bei randseitigen Themen, und die kriegen wir noch nicht mal richtig über den Berg.

Meine dritte These heißt: Arbeitsmarktpolitik hat gemessen an dem Oberziel der Beschäftigungspolitik – ich sage es ganz betont – zweitrangige und instrumentelle Bedeutung. Arbeitsmarktpolitik kann nicht Selbstzweck sein, sondern ist nur ein Ziel, um Beschäftigungspolitik zu erleichtern, um Zwischenphasen zu überbrücken, um die Rückkehr für den einzelnen Arbeitslosen, wenn er denn arbeitslos geworden ist, in den ersten Arbeitsmarkt wieder gängig zu machen, um möglicherweise sogar auch das Abbrechen in Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Wir müssen aufpassen, daß wir Arbeitsmarktpolitik nicht zum Selbstzweck werden lassen. In der Fragestellung, mehr tun für Arbeitsmarktpolitik oder mehr tun für Beschäftigungspolitik, muß bei richtigem Hinsehen die Entscheidung dafür fallen, daß wir mehr für Beschäftigungspolitik als für Arbeitsmarktpolitik tun. Das hört sich abstrakt an. Das hat aber ganz konkrete Folgerungen. Zum Beispiel bei der Frage, wieviel wir für ABM in den jährlichen Haushalten der Bundesanstalt für Arbeit einsetzen. Ich habe in den letzten Wochen und Monaten viele Ämter in den neuen Bundesländern besucht. Ich habe den Eindruck: Wir haben dort zu-

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viel Geld für Arbeitsmarktpolitik hingeschoben. Die Direktoren sagen mir, wir sind an einem Punkt angekommen, wo wir eigentlich nicht mehr etwas Sinnvolles mit diesem Geld anfangen. Weil wir das Geld haben, geben wir es auch aus. Das ist ihre verdammte Pflicht. Die können dann gar nicht anders handeln, wenn das Geld da ist. Aber man muß sich wirklich fragen, wo denn das ein Ende haben soll und wie lange das sinnvoll sein soll. Wohlgemerkt: Ich spreche nicht dafür, ABM, sei es in den neuen, sei es in den alten Ländern, komplett zu demontieren. Ich spreche für ein größeres Augenmaß und eine größere Schau danach, ob es nutzt. Wenn ich sage, Arbeitsmarktpolitik und konkret auch ABM-Politik muß sein, dann kann aber diese Politik sich nicht damit begnügen und darin aufgehen, daß man nur einen Arbeitslosen ein Jahr irgendwo mit irgendwas beschäftigt. Das kann nicht das Ziel sein. ABM hat nur dann Berechtigung, wenn ein darüber hinausgehender beschäftigungspolitischer Mehrwert erzeugt wird, sei es, daß im Einzelfall ein Arbeitsplatz hintennach winkt, sei es, daß ich strukturell etwas verbessere, sei es, daß ich eine Qualifizierung damit verbinde, sei es, daß ich über Vergabe-ABM die regionale Wirtschaft stärke. Also: ABM um ihrer selbst willen kann nicht das Thema sein. Wir müssen auf eine etwas moderatere Mittelausstattung in Zukunft bedacht sein.

Wir leiden in Deutschland unter der Not, immer alles gerecht und ausgeglichen zu machen. Ich habe ja auch ein Gespür dafür, daß man sagt, wenn man den Arbeitnehmer hier steuerlich belastet, muß man das bei der Unternehmerseite auch tun. Wenn man hier etwas wegnimmt und belastet, muß man das auch dort tun. Nun, die Frage ist, ob das rational ist unter dem Gesichtspunkt, daß ich in Deutschland mehr Arbeitsplätze haben will. Es geht hier nicht darum, irgendeinem, der reich ist, noch mehr Geld hinten nachzuschieben. Es geht um die Frage, wie veranlasse ich einen ausländischen Investor, nach Deutschland zu kommen und hier Arbeitsplätze zu installieren? Wie veranlasse ich ein Unternehmen, das hier in Deutschland Arbeitsplätze hat, nicht ins Ausland zu gehen, nur, weil dort die Löhne billiger sind? Entscheidend ist, daß hier in Deutschland Arbeitsplätze geschaffen werden. Man muß sich in die Lage eines Mannes, einer Frau versetzen, der / die überlegt, wo er / sie Arbeitsplätze schafft. Auf diese mentale Situation muß der Gesetzgeber abzielen.

Für mich wäre es wichtiger, daß wir, etwa im Bereich der Unternehmenssteuer, die Dinge für arbeitsplatzschaffende Investitionen in Deutschland

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erleichtern über den Punkt hinaus, den wir heute haben. Die Frage, was bringt Ihr Arbeitgeber denn ein, kann am Ende nur darin bestehen, daß sich im Vollzug dieser Mechanismen in Deutschland mehr Arbeitsplätze bilden. Wir haben im Augenblick eine These, die heißt: Sozial ist, was Arbeitsplätze schafft. Die These ist richtig. Sozial ist nicht, was Notlagen irgendwie gleichmäßig über das ganze Volk verteilt. Unsere ganze Sorge, ich wiederhole es immer wieder stupide, muß dahin gehen, alles zu tun, damit hier in Deutschland mehr Arbeitsplätze entstehen, als es bisher der Fall ist. Sonst können wir alle Arbeitsmarktpolitik im Grunde weglassen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2000

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