FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 53 ]


Silvia Besse, Michael Guth
Europäische territoriale Beschäftigungspakte
– Darstellung, Beispiele und erste Ergebnisse


Page Top

1. Was sind territoriale Beschäftigungspakte?

Die Einführung territorialer Beschäftigungspakte geht zurück auf die Vorschläge des ehemaligen EU-Kommissionspräsidenten Jacques Santer zur Bildung eines Vertrauenspaktes für Beschäftigung im Bereich der europäischen Strukturpolitik. Ziel war es, die Arbeitsmarkteffekte der strukturpolitischen Interventionen zu forcieren. Angesichts der in vielen Mitgliedsländern immer noch anhaltend hohen Arbeitslosigkeit einerseits sowie der abnehmenden Wirksamkeit traditioneller struktur- und arbeitsmarktpolitischer Instrumente andererseits wird mit den Pakten erstmals in größerem Umfang ein neues Politikinstrument auf lokaler und regionaler Ebene mit einer eigenständigen europäischen Dimension getestet.

Territoriale Beschäftigungspakte sind Bündnisse auf regionaler beziehungsweise lokaler Ebene, die darauf angelegt sind, Beschäftigung in der jeweiligen Region zu schaffen und zu sichern. Die Pakte stützen sich auf eine breite Partnerschaft:

  1. vor Ort: Vertreter der Privatwirtschaft (große / kleine Unternehmen, Banken), Sozialpartner, Bürgerinitiativen, Handels- und Handwerkskammern, Bildungsträger, Forschungsinstitute, Universitäten / Fachhochschulen, Vereine, Technologiezentren, Vertreter von Gebietskörperschaften,

  2. überregionale Partner: Politiker und Vertreter von Landesregierungen, Begleitausschüsse für Strukturfondsinterventionen der EU, regionale Entwicklungsgesellschaften.

Je nach Region ist die Zusammensetzung der Partnerschaft unterschiedlich gestaltet. Während ein bereits vor der formalen Besiegelung des Paktes bestehender „Verein für Wirtschaft und Arbeit" die Basis für den Pakt in Berlin-Neukölln darstellt, wurden in anderen Regionen völlig neue Partnerschaften aufgebaut, die zum Teil auch formal in einem Bündnisdokument bestätigt wurden.

[Seite der Druckausg.: 54 ]

Wesentlich für den Ansatz der territorialen Beschäftigungspakte ist neben der breiten lokalen Partnerschaft, daß die Initiative für das Bündnis aus der betroffenen Region kommt (= Bottom-up-Ansatz). Darüber hinaus wird angestrebt, daß die im Bündnis vereinbarten Maßnahmen Neuheitscharakter haben, daß sie also auf der Ebene des Bündnisses innovativ sind. Außerdem ist kennzeichnend für die Pakte, daß sie in ihrer Arbeit verschiedene Politikbereiche integrieren, so z.B. Wirtschaft und Arbeit. Die vier Säulen der Paktstruktur werden in der folgenden Abbildung dargestellt:

Territoriale Beschäftigungspakte

Regionale
Partnerschaft

Bottom-up-Ansatz

Innovation

Integration
verschiedener
Politikbereiche



Dennoch folgen die Beschäftigungspakte keinem Einheitsmuster, sondern orientieren sich an den Bedürfnissen der Region und werden individuell an die lokalen Gegebenheiten angepaßt.

Ziel der Pakte ist es, modellhafte, beschäftigungsfördernde Projekte in der Region zu identifizieren und umzusetzen. Im Bündnis sollen daher:

  • die beschäftigungspolitischen Probleme und Ziele aller wichtigen lokalen / regionalen Akteure festgestellt werden,

  • alle verfügbaren Mittel für eine gemeinsame Gesamtstrategie aller beteiligten Partner eingesetzt werden; die Strategie soll in einem Dokument, dem Aktionsplan, festgeschrieben werden,

  • beschäftigungswirksame Maßnahmen besser gebündelt und abgestimmt werden,

  • beschäftigungswirksame Modellprojekte durchgeführt werden.

Nach der Bildung der Partnerschaft folgen alle Pakte der von der EU-Kommission festgelegten Methodik: In einem Abstimmungsprozeß legen die Bündnispartner gemeinsam Projekte fest, die im Rahmen des Paktes umgesetzt werden sollen. Diese Projekte werden mit hohem Detaillierungsgrad im sogenannten Aktionsplan festgeschrieben. Die Projektbeschreibung im

[Seite der Druckausg.: 55 ]

Aktionsplan umfaßt nicht nur Angaben über Inhalte und Verantwortliche, sondern auch über die erwarteten Arbeitsmarkteffekte sowie die Finanzierung. Die Genehmigung dieses verbindlichen Aktionsplans durch die Europäische Kommission war die Voraussetzung für die Auszahlung eines Teils der Anschubfinanzierung in Höhe von 200.000 EUR pro Pakt. Dieser Zuschuß aus kommissionseigenen Strukturfondsmitteln für innovative Maßnahmen unter Beteiligung vom Europäischen Regionalfonds, Europäischen Sozialfonds oder dem Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft gewährleistet eine Förderung von 80 % für zwei Jahre, die restlichen 20 % sind vom Antragsteller als Ko-Finanzierung darzustellen. Die meisten Pakte haben diese finanzielle Unterstützung zum Aufbau eines Kontaktbüros vor Ort verwendet, das den Paktprozeß steuert und die Akteure koordiniert.

Weitere Unterstützung der Pakte leistet die Europäische Kommission, indem sie in allen EU-Staaten Experten zur Betreuung der Pakte im Rahmen von technischer Hilfe ausgewählt hat. In Deutschland hat die ZENIT GmbH in Mülheim diese Aufgabe übernommen. Darüber hinaus wird die Bildung eines Netzwerkes zwischen den Pakten in den 15 EU-Mitgliedstaaten durch thematische Seminare, Konferenzen und Börsen zum internationalen Erfahrungsaustausch sowie die Einrichtung einer gemeinsamen Internet-Präsentation unter http://europa.eu.int/comm/pacts gefördert.

Für die Finanzierung der Projekte der Aktionspläne steht dagegen kein zusätzliches Geld zur Verfügung, hier sind die Pakte aufgefordert, die jeweilige Projektfinanzierung selbst zu finden. Dabei sind sowohl die Strukturfonds als auch Mittel auf Landes-, Bundesebene sowie aus lokalen und privaten Quellen genutzt worden.

Wesentlich für den weiteren Erfolg der Pakte nach der Unterstützung der Europäischen Kommission ist nun die Überführung der darin entwickelten neuen Methoden und Projekte in die Hauptförderstränge der EU-Strukturpolitik der Förderperiode 2000–2006.

Page Top

2. Beispiele für territoriale Beschäftigungspakte

In den 15 Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind 89 Pakte gefördert worden. Sie befinden sich überwiegend in Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit und erfassen ca. 36 Millionen Einwohner, d.h. etwa 10 % der Bevölke-

[Seite der Druckausg.: 56 ]

rung der EU. In Deutschland sind insgesamt neun Beschäftigungspakte von der Europäischen Kommission akzeptiert worden und seit dem Frühjahr 1997 aktiv. Drei Pakte (Berlin, Hamburg, Bremen) sind in Großstädten angesiedelt, der Pakt in Mecklenburg-Vorpommern in einer eher ländlichen Region. Die anderen Pakte sind in Regionen mit gemischter ländlich-urbaner Struktur tätig: Amberg-Sulzbach, Landkreis Peine, Chemnitz / Erzgebirge, Ruhrgebiet und Zeitz.

In den Aktionsprogrammen und der Auswahl von Projekten wird in besonderer Weise der jeweiligen sozio-ökonomischen und regionalen Situation Rechnung getragen. So steht am Anfang des Prozesses zum Aufbau eines territorialen Beschäftigungspaktes immer eine Analyse und Diagnose der jeweiligen Stärken und Schwächen der Region.

Auf dieser Basis haben die einzelnen deutschen Pakte sehr unterschiedliche Themen gewählt:

  • Die Pakte in Berlin und Bayern, beide durch den Europäischen Sozialfonds gefördert, haben in ihrer Region einen Mangel an Existenzgründern festgestellt. Im Rahmen des Projektes „Neue GründerZEIT" in Berlin-Neukölln werden junge Menschen zwischen 18 und 35 Jahren zur Existenzgründung ermutigt und auch in der Wachstums- und Festigungsphase unterstützt. Im Pakt in Amberg-Sulzbach haben hingegen Unternehmer Patenschaften für Gründer übernommen und bieten z.T. sogar zeitlich begrenzte Rückkehrgarantien für Gründer aus dem eigenen Unternehmen an. In beiden Pakten wurden so in vorbildlicher Weise Unternehmen in den Paktprozeß eingebunden.

  • Ein Beispiel für die Arbeit des Beschäftigungspaktes in Bremen ist ein Projekt zur Förderung von neuen Dienstleistungen durch eine „Dienstleistungsagentur für hauswirtschaftliche Tätigkeiten" („Q-Rage"). In diesem Projekt werden praktische Tätigkeiten mit Qualifizierungsmaßnahmen kombiniert, die Finanzierung erfolgt sowohl aus Landes- und Bundesmitteln als auch durch Europäische Sozialfonds-Gelder und private Beiträge. Das Projekt ist so erfolgreich, daß es mittlerweile auf zwei weitere Standorte in Bremen und Bremerhaven ausgeweitet wurde. In einem weiteren Projekt werden neue Arbeitszeitmodelle dokumentiert und unterstützt.

  • Der Beschäftigungspakt in Nordrhein-Westfalen leistet mit dem Projekt „ChemSite" einen Beitrag zur Sicherung bestehender und zur Schaffung

    [Seite der Druckausg.: 57 ]

    neuer Arbeitsplätze durch die Umgestaltung von Industrieflächen, auf denen neue Investoren und Existenzgründer angesiedelt werden. Dieses Projekt wird aus Landes- und Regionalmitteln finanziert.

  • Das Projekt „Europact" aus Zeitz in Sachsen-Anhalt ist als transnationales Projekt mit Projektpartnern aus fünf europäischen Ländern angelegt mit der Zielsetzung, Modellösungen zur Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen sowie der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit von kleinen und mittleren Unternehmen zu finden. Der Beitrag des Beschäftigungspaktes in Zeitz besteht dabei in der Entwicklung eines Kompetenzzentrums für die Unternehmen der Region. Die Finanzierung des Projektes wurde im Rahmen des Programms RECITE II beantragt.

  • Der Pakt in Chemnitz hat sich die Verbesserung der regionalen Wirtschaftskraft zum Ziel gestellt. So werden in seinen Projekten z.B. regionale Wertschöpfungsketten aufgezeigt, zusätzlich bietet ein regionales Informationsforum mit elektronischem Marktplatz im Internet den Unternehmen die Möglichkeit, nach dem Zusammenbruch alter und dem Aufbau neuer Unternehmen neue Kooperationen in der Region aufzubauen.

  • Die „Hamburger Initiative für Arbeit und Ausbildung" kümmert sich in ihren Projekten z.B. um die Qualifizierung Jugendlicher sowie die Unterstützung von Existenzgründungen im Team. [Fn.1: Die Broschüre der Europäischen Kommission: Priorität Arbeit – Beschäftigungsbündnisse in Deutschland – eine Übersicht, Luxemburg 1999 stellt die deutschen Beschäftigungspakte ausführlich vor. Weitere Informationen auch unter http://www.pakte.de.]

Auch aus den anderen EU-Mitgliedstaaten gibt es vielfältige regional sehr individuelle Beispiele für innovative Projekte der Pakte:

  • Der finnische Pakt in Tampere fördert im Projekt Monet / Integra die Qualifizierung Arbeitsloser für Dienstleistungen im städtischen Umfeld.

  • Das Projekt FAST des Wiener Paktes unterstützt Frauen bei der Rückkehr in den Beruf nach einer Kindererziehungspause.

  • In Spanien fördert das Projekt Valles Export des Paktes Valles Occidental in Katalonien die Exportfähigkeit und -bereitschaft der ansässigen Unternehmen.

[Seite der Druckausg.: 58 ]

  • Das Interesse von Jugendlichen an den handwerklichen Techniken der Region zu wecken und somit einem zukünftigen Mangel an Facharbeitern vorzubeugen ist das Ziel eines Projektes des Paktes der Region Alentejo in Portugal.

  • Der französische Pakt aus der Region Hérault hat durch sein Programm „100 Absolventen / 100 Unternehmen" bereits erreicht, daß nach einem Praktikumsaufenthalt über 60 % der jungen Absolventen eine Stelle gefunden haben.

  • Der Pakt East-Midlands im Vereinigten Königreich, der die Städte Derby, Leicester und Nottingham umfaßt, gibt arbeitslosen Jugendlichen die Möglichkeit, nach einer Qualifizierung im Bausektor ihre eigene Unterkunft zu bauen.

Insgesamt ist zu beobachten, daß sich die Projekte der 89 europäischen Pakte im wesentlichen auf die Bereiche Qualifizierung und Beschäftigung, Verbesserung des wirtschaftlichen Umfeldes von Unternehmen, Ausbau von regionalen Infrastrukturen, Erschließung neuer Beschäftigungsfelder sowie die Eingliederung bestimmter Zielgruppen beziehen.

Page Top

3. Territoriale Beschäftigungspakte und Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik auf nationaler und europäischer Ebene

Die nationalen Regierungen sind unterschiedlich mit dem Ansatz der Beschäftigungspakte umgegangen: Während die deutschen Bundesregierungen die territorialen Beschäftigungspakte weitgehend nicht beachtet haben, hat z.B. Frankreich eine zentrale Koordination der französischen Pakte im Arbeitsministerium eingerichtet. Italien und Spanien haben nationale Programme zur Finanzierung der Paktprojekte aufgelegt, und Österreich unterstützt aus nationalen Mitteln die Einrichtung und Gestaltung weiterer Pakte.

Der Hintergrund für die unterschiedliche Bewertung der Aktivitäten der Europäischen Kommission im Bereich der Arbeitsmarktpolitik in den europäischen Hauptstädten und insbesondere für den latenten Konflikt in dieser Frage zwischen Bonn und Paris ist in der unterschiedlichen Einschätzung bezüglich der politischen Verantwortlichkeit für die Beschäftigungspolitik zu

[Seite der Druckausg.: 59 ]

sehen. Während Deutschland die Verantwortung für die Beschäftigungslage primär bei den Mitgliedstaaten angesiedelt sieht und eine Kompetenzausweitung für die Europäische Kommission ablehnte, war Frankreich bestrebt, das Problem Arbeitslosigkeit zu europäisieren und mithin der Europäischen Kommission eine Mitverantwortung bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu übertragen. Offensichtlich wäre ein solcher Schritt nur mit zusätzlichen Mitteln für den EU-Haushalt zu bewerkstelligen. [Fn.2: Vgl. dazu und zum folgenden: M. Guth (1997): Regionale Beschäftigungspakte im Rahmen der EU-Strukturpolitik: Hintergrund und Einordnung, Diskussionspapier Nr. 41, Europäisches Institut für internationale Wirtschaftsbeziehungen (EIIW), Potsdam, November 1997.]

  • Aus französischer Interessenlage ist der von Paris in die Diskussion gebrachte Vorschlag verständlich. Zum einen wurde die Arbeitslosenquote in Frankreich im Jahre 1996 innerhalb der EU nur von Spanien übertroffen und auch 1998 befand sich Frankreich mit einer Arbeitslosenquote von 12% mit Finnland und Italien an zweiter Stelle hinter Spanien. Zum anderen würde sich auch eine nur teilweise Übertragung der Verantwortlichkeit für das wirtschaftspolitische Stabilitätsziel „Vollbeschäftigung" auf die EU beziehungsweise auf die Europäische Kommission für Länder mit einer vergleichsweise günstigen Nettobeitragsposition – dazu zählt auch Frankreich – als vorteilhaft erweisen. Beschäftigungsprogramme würden dann zumindest in Teilen aus Brüssel und damit – bei geringen eigenen Nettobeiträgen zum Haushalt der EU – weitgehend von den anderen Mitgliedstaaten finanziert.

  • Die deutsche Interessenlage stellt sich bezogen auf die Finanzierung zusätzlicher „europäischer" Beschäftigungsprogramme spiegelbildlich zur französischen Situation dar. Auch wenn die Berechnungen zur Nettobeitragsleistung der Mitgliedstaaten methodisch nicht eindeutig gelöst sind, ist unumstritten, daß Deutschland zu über 40 % zur Finanzierung des EU-Haushalts beiträgt. [Fn.3: Vgl. z.B. o.V. (1997): We want our pfennigs back, in: The Economist, 9. August 1997, S. 22.]
    Zusätzliche Initiativen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit auf europäischer Ebene, die mit additiven Mitteln (d.h. mit Finanzbeiträgen, die über die bestehende indikative Finanzausstattung der EU hinausgehen) ausgestattet gewesen wären, wären demnach fast zur Hälfte aus deutschen Steuergeldern zu finanzieren. Ange-

    [Seite der Druckausg.: 60 ]

    sichts der angespannten Haushaltssituation des Bundes und dem Druck, Steuern zu senken, war die Ablehnung einer neuen europäischen Dimension der Arbeitsmarktpolitik aus Bonn verständlich. Dies gilt zumal, weil sich die hohe deutsche Nettobeitragszahlerposition weiter akzentuieren würde.

  • Die Europäische Kommission ihrerseits hat keine originäre vertragliche Grundlage, im Bereich der Arbeitsmarktpolitik politisch initiativ zu werden. Auch die im Rahmen des Beschäftigungs-Sondergipfels in Luxemburg 1997 getroffenen Vereinbarungen weisen der Kommission kein Initiativrecht auf diesem Gebiet zu. Allenfalls eine Koordinierung der Abstimmungsprozesse der Mitgliedstaaten ist die Aufgabe der Kommission. Allerdings würde die ökonomische Theorie der Politik die Hypothese unterstützen, die Europäische Kommission wäre als Institution an einer Ausweitung ihrer Kompetenz interessiert, weil dadurch die Verlängerung der eigenen Existenz gefördert sowie Prestige-, Einkommens- und Machtinteressen der Kommissionsmitglieder und der EU-Beamten unterstützt würden. [Fn.4: Vgl. z.B. J.M. Gowdy (1994): Coevolutionary Economics: The Economy, Society and the Environment, Boston 1994, hier S. 127.]
    In diesem Spannungsverhältnis des inhärenten, institutionell begründbaren Strebens nach mehr Politikverantwortung auf der einen Seite und dem engen Korsett der rechtlichen Möglichkeiten auf der anderen Seite wird die rechtliche Beschränkung de facto dominieren, so daß die Kommission aus sich heraus keine zusätzlichen Aufgaben in der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik übernehmen kann. Das Delors-Weißbuch hat jedoch schon auf die Wichtigkeit der EU-Strukturpolitik beim Kampf gegen die Arbeitslosigkeit hingewiesen. Aufgrund der strategischen Rolle der Europäischen Kommission bei der Planung und Umsetzung der Strukturpolitik kommt der Kommission damit implizit eine Verantwortlichkeit bei der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik zu. Man muß jedoch darauf hinweisen, daß die empirisch meßbaren Ergebnisse im Bereich der Mainstream-Strukturförderung im Vergleich zu den eingesetzten Mitteln eher bescheiden sind, daß aber andererseits auch eine europäische Dimension der Beschäftigungspolitik innerhalb der EU-Strukturpolitik – verstanden als aktive, konkrete Maßnahmen der Europäischen Kommission – bislang nicht zu beobachten war.

[Seite der Druckausg.: 61 ]

Diese unterschiedliche Sichtweise sowie die unterschiedlichen Interessen der einzelnen Akteure haben sich seit dem Start der Pakte kaum oder gar nicht verändert. Vor diesem Hintergrund ist auch verständlich, warum die einzelnen Mitgliedsländer so überaus unterschiedlich mit dem neuen Instrument umgehen. Wie bereits angedeutet, haben die beiden Bundesregierungen, also sowohl die alte bürgerliche Koalition als auch die neue rot-grüne Regierung das Pilotprojekt „Territoriale Beschäftigungsbündnisse" kaum beziehungsweise gar nicht beachtet. Trotz einiger Versuche seitens der Europäischen Kommission und der Pakte selbst ist es dem Netzwerk der deutschen Pakte kaum gelungen, im Bündnis für Arbeit beim deutschen Bundeskanzler Gehör zu finden.

Anders ist die Situation in Österreich. Die Alpenrepublik, die eine Arbeitslosenquote von nur etwa gut 4 % und eine seit Mitte der neunziger Jahre wieder ansteigende Erwerbstätigkeit aufweist, hat die von der Europäischen Kommission geförderten Beschäftigungsbündnisse in Salzburg, Tirol, Vorarlberg und Wien von Beginn an durch das Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (BMAGS) begleitet. Darüber hinaus hat Österreich in allen anderen Bundesländern ebenfalls Paktprozesse initiiert und mit den
Erfahrungen der EU-Pakte zusammengeführt. Institutionell abgesichert wurde diese Vorgehensweise durch die Schaffung eines österreichischen Büros der Technischen Hilfe, das – mit Sitz in Wien – sowohl die EU-Pakte als auch die anderen österreichischen Pakte betreut und das Netzwerk moderiert. Darüber hinaus werden die Beschäftigungsbündnisse von der Bundesregierung in Wien auch im „Rahmen des Nationalen Aktionsplans für Beschäftigung als Instrument zur aktiven Gestaltung des Arbeitsmarktes eingesetzt." [Fn.5: Stellungnahme des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, Herrn Dr. Hannes Farnleitner, zu den Beschäftigungsbündnissen.]

Eine ähnliche Situation findet sich auch in Frankreich, wo ebenfalls der Zentralstaat eine koordinierende Stelle, die beim Arbeitsministerium angesiedelt ist, mit der Betreuung der Pakte beauftragt hat. In Frankreich waren lokale Initiativen zur Förderung von Beschäftigung allerdings schon vor der Europäischen Initiative der Beschäftigungsbündnisse entstanden, so daß die zehn Europäischen Pakte auf eine bestehende Struktur aufgesetzt werden konnten.

[Seite der Druckausg.: 62 ]

Finanziell sehr weitgehende paktspezifische Programme im Rahmen der Ziel-1-Politik wurden in Italien und Spanien aufgelegt. Durch diese Vorgehensweise konnten den dortigen Pakten, die als Pilotprojekte keinen eigenen direkten Zugang zu den Mainstream-Strukturfondsmitteln haben, eigene finanzielle Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.

Page Top

4. Erste Ergebnisse der Beschäftigungspakte

Seit der Erstellung der Aktionspläne 1997 haben die 89 Pakte ihre Strukturen aufgebaut und für die Umsetzung ihrer Projekte insgesamt Finanzmittel in Höhe von ca. 1,6 Mrd. Euro mobilisieren können. Die Strukturfondsmittel machen etwa 500 Mio. Euro von der Gesamtsumme aus. [Fn.6: D. Bouteiller: Pactes Territoriaux et nouvelle programmation des Fonds structurels, in: Pacte Info No. 16, page 1, CLCBE (Hrsg.), Paris 1999.]
Dieses mag darüber hinwegtäuschen, daß aufgrund der sehr unterschiedlichen Handhabung des Modellansatzes „Territorialer Beschäftigungspakt" in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten viele Pakte erhebliche Schwierigkeiten hatten, Zugang zu Finanzierungsquellen zu bekommen und die Finanzierung ihrer Projekte sicherzustellen.

Um so erfreulicher ist es, daß die erste Analyse der Arbeitsmarkteffekte zeigt, daß nach Angaben der Pakte durch ihre Aktivitäten die direkte Schaffung von etwa 55.000 Arbeitsplätzen zu erwarten ist. Weitere positive Effekte durch die Erhaltung von Arbeitsplätzen oder Qualifizierungsmaßnahmen sind dabei nicht berücksichtigt. Der bewußt regional begrenzte Ansatz der Pakte hat dazu geführt, daß viele Potentiale auf lokaler Ebene erschlossen und genutzt werden konnten, die Zusammenarbeit verschiedenster Partner im Pakt trägt erste Früchte. Es hat sich gezeigt, daß das gemeinsame und miteinander abgestimmte Vorgehen auf lokaler und regionaler Ebene erfolgreicher ist als das Nebeneinander von Akteuren. Als besonders fruchtbar haben sich dabei Partnerschaften erwiesen, in denen sehr verschiedene Akteure im Konsens zusammenarbeiten, z.B. Wohnungsbaugesellschaften und Arbeitsämter in einem Projekt zur Steigerung der Beschäftigungsfähigkeit von Jugendlichen in einem sozialen Brennpunkt in Berlin-Neukölln.

Die bisherigen Erfahrungen belegen, daß vor allem das Management und die fortlaufende Gestaltung der Partnerschaft hohe Anforderungen an die

[Seite der Druckausg.: 63 ]

Paktkoordinatoren stellt. Ein solch komplexer Ansatz wie ein Beschäftigungspakt braucht professionelles Projektmanagement, um auf Dauer erfolgreich sein zu können. Der Aufwand erfordert eine angemessene finanzielle Ausstattung und qualifizierte Paktkoordinatoren, da ein Pakt nicht „nebenbei" aufgebaut und geführt werden kann. Gute Erfahrungen haben einige deutsche Pakte mit der Übertragung der Verantwortung für einzelne Projekte auf Paktpartner gemacht.

Die ersten Ergebnisse der Arbeit der Pakte sind so ermutigend, daß der Ansatz der Beschäftigungsförderung auf lokaler Ebene durch die Bildung von Bündnissen in die Strukturfondsverordnungen 2000–2006 aufgenommen wurde. [Fn.7: Vgl. dazu Europäische Kommission: Priorität Arbeit – Beschäftigungsbündnisse in Deutsch land – eine Übersicht, Luxemburg 1999.]
Einige Mitgliedstaaten sind der Aufforderung der EU-Kommission bereits nachgekommen und haben territoriale und lokale Beschäftigungsbündnisse in ihre Programmplanung dieser Periode integriert. Die Verbreitung der Ansätze, Ergebnisse und Erfahrungen der territorialen Beschäftigungspakte wird weiterhin durch die Europäische Konferenz unterstützt. Denn mittlerweile sind aufgrund der guten Ergebnisse der EU-Pakte auch andere Regionen aufmerksam geworden und wollen nun auch solche Bündnisse schließen. So hat die Berliner Senatsverwaltung für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen die Idee der Beschäftigungspakte aufgegriffen und fördert nun Aufbau und Management neuer Pakte in weiteren Berliner Bezirken.

Nach zwei Jahren Laufzeit ist es jedoch noch zu früh, die Effekte der territorialen Beschäftigungspakte im ganzen Ausmaß erfassen zu können, da die Projekte zumeist langfristige Wirkungen haben. Das Beispiel der Pakte zeigt aber, daß interessante Potentiale zur Verbesserung der Beschäftigungssituation auf lokaler und regionaler Ebene bestehen, die durch gemeinsames und systematisches Vorgehen aller engagierten Akteure in Chancen für die lokale Arbeitsmarktsituation verwandelt werden können. Die Pakte leisten einen wichtigen Beitrag zur Lösung des drängendsten aktuellen Problems der Europäischen Union, ihre volle Wirkung wird sich aber erst durch ein Zusammenwirken von territorialen Beschäftigungspakten auf lokaler und regionaler Ebene und Bündnissen für Arbeit auf Länder- und nationaler Ebene zu einem Europäischen Beschäftigungspakt entfalten.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2000

Previous Page TOC Next Page