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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 41 ]


Hartmut Siemon
Eine neue Rolle für die Städte in Europa?


Vorbemerkung

Sie werden es sicher bemerkt haben – die anderen Autorinnen und Autoren haben in ihrem Titel kein Fragezeichen am Ende stehen – im Gegensatz zu meinem Beitrag.

Das Fragezeichen im Titel, der mir von den Veranstaltern der Tagung vorgegeben wurde, ist aber sicher berechtigt – sowohl aus europäischer wie aus städtischer Sicht – warum?

Aus europäischer Sicht, weil die bedeutende Rolle der Städte, insbesondere der Großstädte, die sowohl historisch wie aktuell zu den kulturellen Kennzeichen Europas gehören, und in denen rund 80 % der europäischen Bevölkerung leben, bisher in der europäischen Politik (sei es durch die Kommission, den Rat oder das Parlament) eher unzureichend berücksichtigt wird.

Aus städtischer Sicht, weil sich in den Städten, insbesondere den Großstädten Chancen wie Risiken des europäischen Gesellschaftsmodells wie in einem Brennglas bündeln und die Vertretung der Städte im europäischen Verfassungs- und Machtgefüge aber eher unzureichend ist.

Drittens schließlich deshalb, weil sich in den letzten Jahren zumindest einige Ansätze auf europäischer Ebene gezeigt haben, diese Situation zu verändern, ohne daß es jedoch zu einer grundsätzlichen Wandlung gekommen ist. Darauf wird noch zurückzukommen sein.

Im folgenden soll im wesentlichen auf drei Punkte in diesem Zusammenhang eingegangen werden:

  1. Welche wichtigen Initiativen auf europäischer Ebene gibt es im Zusammenhang mit (europäischer) Stadtpolitik?

  2. Was sind aus kommunaler Sicht Schwachpunkte dieser Initiativen und – daraus abgeleitete – Handlungsnotwendigkeiten und -möglichkeiten?

  3. m Beispiel der Stadt Leipzig sollen dann mögliche (neue und alte) Handlungsfelder für die Städte in Europa deutlich werden.

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1. Welche wichtigen Initiativen auf europäischer Ebene gibt es?

a) Urban Forum und Aktionsplan für nachhaltige Stadtentwicklung

Im Jahre 1998 hat die Europäische Kommission einen „Aktionsplan für nachhaltige Stadtentwicklung" [Fn.1: Nähere Einzelheiten zu den Inhalten und der Begründung der über 20 vorgeschlagenen Aktionen sind in der Veröffentlichung der Berliner Senatsverwaltung enthalten, in der auch der vollständige Text abgedruckt nachlesbar ist. Senatsverwaltung für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen (Hrsg.): Europäische Städtepolitik. Genese – Status quo. Optionen für Berlin, September 1999, Bestelladresse: Senatsverwaltung für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen – Infostelle, Storkower Straße 134, 10407 Berlin, Tel. 030 / 9022–2302, Fax: 030 / 9022–2040, eMail: Ursula.Kreenn@SenABF.Verwalt-Berlin.de.] verabschiedet und diesen auf dem Urban Forum in Wien vorgestellt und mit vielen Vertretern der kommunalen Ebene diskutiert. Mitgewirkt hat hieran ein Expertengremium, das sich über einen längeren Zeitraum mit der Frage der nachhaltigen Stadtentwicklung beschäftigt hat – in diesem Gremium war allerdings die kommunale Ebene nur schwach vertreten.

Der Aktionsplan und auch das Urban Forum in Wien sind aus kommunaler Sicht ausdrücklich zu begrüßen, weil hier zum ersten Mal relativ umfassend die Probleme der Städte aus europäischer Perspektive thematisiert und mit konkreten Vorschlägen für Aktionen verbunden werden.

b) Urbane (Nachhaltigkeits-)Indikatoren

Verschiedene Pilotprojekte (u.a. von der DG XVI initiiert) haben sich in der Vergangenheit mit der Entwicklung von (meßbaren) Indikatoren für eine nachhaltige Stadtentwicklung und dem hierauf fußenden Vergleich verschiedener urbaner Konglomerationen beschäftigt. Aus unserer Sicht handelt es sich hierbei um ein grundsätzlich interessantes und wichtiges Instrument für die Selbstevaluierung in den Städten, aber auch für einen gemeinsamen Benchmarking- und Vergleichsprozeß.

c) Europäische Beschäftigungspolitik, insbesondere Leitlinie 12

Schon in den ersten Entwürfen zur europäischen Beschäftigungspolitik wurde neben der nationalen Ebene die kommunale / lokale und regionale Ebene als entscheidendes Glied in der Umsetzung der Nationalen Aktionspläne an-

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gesprochen. Grundsätzlich ist aus kommunaler Sicht die Behandlung und der Vergleich der nationalen politischen Initiativen aus europäischer Perspektive zu begrüßen.

Dies betrifft sowohl

  • die jährliche Berichterstattung

  • als auch die Entwicklung vergleichbarer Indikatoren

  • wie die Verabschiedung der Nationalen Aktionspläne

  • und schließlich auch ihre Auswertung.

Im Entwurf der Leitlinien für das Jahr 2000 heißt es in Leitlinie 12 (fett gedruckt dabei die Neuerungen gegenüber dem Text der Leitlinie 1999):

„Die Mitgliedstaaten werden Maßnahmen fördern, die darauf abzielen, die Möglichkeiten für die Schaffung von Arbeitsplätzen auf lokaler Ebene und in der Solidarwirtschaft, insbesondere in neuen Tätigkeitsfeldern, in denen es um die Befriedigung eines vom Markt noch nicht abgedeckten Bedarfs geht, voll auszuschöpfen. Sie werden prüfen, welche Hindernisse dem entgegenstehen und wie diese Hindernisse abgebaut werden können. Hierbei ist der besonderen Rolle und der besonderen Verantwortung der Partner auf regionaler und lokaler Ebene sowie der Sozialpartner in stärkerem Maße Rechnung zu tragen. Außerdem sollte die Rolle der öffentlichen Arbeitsverwaltungen bei der Ermittlung von Beschäftigungsmöglichkeiten auf lokaler Ebene und bei der Gewährleistung eines gut funktionierenden lokalen Arbeitsmarktes in vollem Umfang zum Tragen kommen."

Dies begrüßen wir ausdrücklich. Ebenso begrüßen wir Initiativen wie die Helsinki-Konferenz der „Bürgermeister für Beschäftigung" von Anfang September 1999, in der Allan Larsson, Generaldirektor der DG V, u.a. betonte, welche vier Aspekte der Rolle von Kommunen in der Frage der Beschäftigung aus Sicht der Kommission wichtig sind:

  1. als Arbeitgeber und politisch Verantwortliche für die Implementierung der Beschäftigungsstrategie

  2. als Arbeitgeber, die eine wichtige Rolle als große „Beschäftigter" vor Ort spielen

  3. als Promotoren für die Forcierung des Unternehmens(gründungs)geistes

  4. als politisch gewählte Vertreter, die am nächsten an den Wünschen, Nöten und Bedürfnissen der Menschen sind.

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d) Europäische Strukturfonds und Gemeinschaftsinitiativen,
5. Forschungsrahmenprogramm

Diese drei Instrumente sind das entscheidende finanzielle Rückgrat europäischer Politik. Für den städtischen Raum am wichtigsten sind dabei der Europäische Sozialfonds, der Europäische Regionalfonds und die Gemeinschaftsinitiativen – hierbei insbesondere Equal und Urban.

In letzter wird ausdrücklich auf städtische Problemlagen fokussiert, während in den Strukturfonds nach wie vor eher generell auf die regionale Intervention abgestellt wird und sich der städtische Aktionsplan von 1998 höchstens in Einzelpunkten wiederfinden läßt.

Im 5. Forschungsrahmenprogramm wird erstmalig und ausdrücklich die europäische Städtedimension angesprochen – sowohl im Teil „City of Tomorrow" als auch im Bereich IST – „benutzerfreundliche Informationsgesellschaft".

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2. Was sind Schwachpunkte dieser Initiativen (und Handlungsnotwendigkeiten und -möglichkeiten) aus städtischer Sicht?

a) Urban Forum und städtischer Aktionsplan

Hier sind in erster Linie drei Punkte zu nennen, die aus städtischer Sicht unzureichend sind:

  • Methodisch ist aus demokratietheoretischer Sicht zu bemängeln, daß die Kommission diesen Aktionsplan verabschiedet hat vor dem erwähnten Urban Forum, auf dem es eine breite Diskussion und Vertiefung der Kommissionsvorschläge durch die Vertreter der kommunalen Ebene aus vielen europäischen Städten gegeben hat.

  • Inhaltlich ist zu bemerken, daß die vielen einzelnen Aktionsvorschläge (über 20) ein wenig unverbunden nebeneinanderstehen und kein tatsächlich kohärentes Dokument und damit nur bedingt eine integrierte Leitlinie für die gesamte EU-Politik bilden.

  • Dies schließlich läßt sich exemplarisch verdeutlichen an den neuen Richtlinien für die nächste Förderperiode der Strukturfonds, die zwar einzelne

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    Gedanken des Aktionsplans aufgreifen, jedoch keine systematische Umsetzung des städtischen Aktionsplans im Rahmen dieses wichtigsten Finanzinstrumentes der Gemeinschaft darstellen.

Eine der Ursachen könnte aus meiner Sicht darin liegen, daß die ursprüngliche Initiative für eine nachhaltige Stadtentwicklung nicht aus dem Bereich der DG XVI – die für Regionalpolitik verantwortlich ist – kam, sondern aus dem Bereich der DG XI – verantwortlich für die Umweltpolitik der Gemeinschaft.

In seiner Stellungnahme zum städtischen Aktionsplan und zum Urban Forum in Wien hat EUROCITIES u.a. folgende weitergehende Forderungen aufgestellt, die auch heute noch nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben:

  • Ausgehend von den Prinzipien der Subsidiarität, Additionalität und der Partnerschaft werden die europäischen Institutionen aufgefordert, ihre Politiken und Aktionen für eine effektive und effiziente Umsetzung des städtischen Aktionsplanes auf lokaler Ebene zu integrieren.

  • Die Städte sind zu bestärken, lokale Aktionspläne zusammen mit ihren lokalen und regionalen Partnern zu entwickeln, die sich in die Mainstreaming-Aktivitäten der Strukturfonds einordnen.

  • Mindestens 5 % der Strukturfondsmittel sollen gezielt für städtische Maßnahmen budgetiert werden.

  • Eine institutionelle Reform soll in Angriff genommen werden, um die Fähigkeit der Europäischen Union zu stärken, den städtischen Raum und städtische Angelegenheiten integrativ zu behandeln. Dazu werden u.a. folgende Schritte vorgeschlagen:

    • Einer der neuen Kommissare sollte eine ausdrückliche Zuständigkeit und ein Budget für städtische Angelegenheiten erhalten.

    • Erteilung eines formalen Mandates für die Bildung einer „Inter-Service"-Gruppe unter der Verantwortung dieses Kommissars.

    • Einrichtung einer Expertengruppe für städtische Angelegenheiten, in die die Städte direkt eingebunden sind.

    • Sicherstellen, daß städtische Angelegenheiten regelmäßig auf den Ministerratstagungen Tagesordnungspunkte sind.

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  • Nachfolgeveranstaltungen für einen permanenten Dialog sollten geplant werden, u.a. einschließlich eines regelmäßigen Reports zur „Situation der europäischen Städte".

  • Die Erarbeitung eines Weißbuches zur europäischen Städtepolitik wird vorgeschlagen, das mit allen relevanten Partnern erarbeitet und diskutiert werden soll. Ein Weißbuch hat im Rahmen der europäischen Politik immer die Bedeutung eines besonderen Dokuments, das Ausgangspunkt für die gezielte Beschäftigung mit dem jeweiligen Inhalt aus europäischer Perspektive darstellt.

b) Urbane (Nachhaltigkeits-)Indikatoren

Die vorhandenen Ansätze einer aktiven Beteiligung der lokalen Körperschaften sind zu begrüßen und zu verstärken – sie sind systematisch in der weiteren Zukunft, insbesondere bei der Aufstellung von Richtlinien und Modellen, weiterzuentwickeln.

c) Europäische Beschäftigungspolitik, insbesondere Leitlinie 12

Kernpunkt der Handlungsnotwendigkeiten ist hier, daß der Feststellung, daß der „besonderen Verantwortung der Partner auf regionaler und lokaler Ebene … in stärkerem Maße Rechnung zu tragen (ist)", auch Konsequenzen folgen müssen.

Dies bezieht sich auf:

  • eine konsequente Ausrichtung aller (innenpolitischen) Politikinstrumente der Gemeinschaft auf die lokale Ebene, insbesondere was die Beteiligung der Städte bei der Programmierung, Implementierung, Evaluation und Weiterentwicklung europäischer Politik und Programme angeht – auch im jeweiligen nationalen bzw. regionalen Rahmen,

  • eine entsprechende finanzielle Ausstattung der lokalen Ebene mit Ressourcen, ohne die der zugewiesenen Verantwortung nicht entsprochen werden kann – von EUROCITIES wurde u.a. durch die schon erwähnte Forderung nach einer 5 %-Budgetierung der Strukturfonds für die städtische Ebene eine Konkretisierung in bezug auf europäische Mittel vorgenommen.

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d) Europäische Strukturfonds und Gemeinschaftsinitiativen

Kernpunkte für die Einschätzung der neuen Periode für die europäischen Strukturfonds sind:

  • Es ist eine mangelnde Umsetzung des Aktionsplans von 1998 in den Verordnungen zu den Strukturfonds festzustellen – d.h. kaum eine Fokussierung auf städtische Problemlagen.

  • Nach wie vor müssen wir eine mangelnde Beteiligung der Städte an der Programmierung und der Erstellung der operationellen Programme auf nationaler Ebene feststellen. So sind im gemeinsamen Regionalen Entwicklungskonzept für die neuen Bundesländer die Städte nur unzureichend inhaltlich berücksichtigt und ihre Beteiligung – wenn auch unterschiedlich in den einzelnen Bundesländern – eher marginal. Von einer nationalen oder regionalen Umsetzung des städtischen Aktionsplans der Kommission kann keine Rede sein.

  • Dies ist um so schwerwiegender, als für wichtige Teile der Programme (u.a. wirtschaftsnahe Infrastruktur) eine kommunale Ko-Finanzierung gefordert und Voraussetzung für die Umsetzung der Programme ist.

Hierbei ist festzuhalten, daß die letzten beiden Punkte eher die nationale und regionale Ebene betreffen und nicht die Europäische Kommission.

Auf einen besonderen Punkt sei hier noch hingewiesen: das Instrument der Globalzuschüsse. Dies Instrument – von den Städten auf europäischer Ebene gefordert und unterstützt – scheint nach bisherigem Stand von allen Fondsverwaltern und Landesregierungen, egal welcher politischen Couleur, auf der regionalen Ebene abgelehnt zu werden. Ein aus städtischer Sicht großer Mangel, würde doch dies Instrument der Forderung nach einem integrierten und lokalen Ansatz im Rahmen des Subsidiaritätsprinzips inhaltlich und methodisch am ehesten entsprechen.

Darüber hinaus ist für den neuen Förderzeitraum 2000 bis 2006 noch zu bemerken:

  • Die wichtige Gemeinschaftsinitiative Urban konnte erst noch heftiger Intervention des Europäischen Parlaments erhalten und verlängert werden. Hier sollte die im Jahr 2002 geplante Zwischenrevision der Fonds genutzt werden, um die Aktivitäten in diesem Bereich – wie auch den

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    eigentlichen Strukturfonds – noch einmal zu verstärken, weil auch der bisherige Finanzrahmen von Urban eher gering ist.

  • Im 5. Forschungsrahmenprogramm ist ein eigener Programmpunkt „City of tomorrow" ausgewählten städtischen Problemen gewidmet. Dieser Ansatz ist zu verstärken und die Städte selbst müssen sich hier stärker einbringen, denn erste Ergebnisse des ersten Aufrufs vom Juni 1999 und seiner Auswertung erwecken den Eindruck, daß die bisherigen Anträge eher inhaltlich schwach sind.

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3. Das Beispiel der Stadt Leipzig

Bezogen auf die genannten vier Bereiche soll abschließend noch beschrieben werden, wie die Stadt Leipzig hier agiert (hat).

a) Urban Forum

Die Stadt Leipzig hat sich u.a. durch einen Beitrag des Oberbürgermeisters am Wiener Forum beteiligt. Dies geschah auf der Basis der zuvor im Rahmen von EUROCITIES mit geführten Diskussionen über die Positionen des Netzwerkes und unter Nutzung eigener Erfahrungen eines integrierten Ansatzes der Stadtentwicklung (Beispiel: Urban Projekt „Behutsame Stadterneuerung") und des neuen Leitbildes „Leipzig – Stadt der Unternehmenden".

b) Urbane (Nachhaltigkeits-)Indikatoren

Im Rahmen der Umsetzung und Operationalisierung der vom Stadtrat verabschiedeten Umweltqualitätsziele haben wir zum einen ein eigenes Set von ausgewählten Indikatoren für das Messen einer nachhaltigen Gesamtentwicklung der Stadt entwickelt. Darüber hinaus haben wir uns am Projekt der DG XVI beteiligt und arbeiten jetzt im Netzwerk EUROCITIES und der damit verbundenen Arbeitsgruppe mit der europäischen Kommission aktiv mit.

Hierbei werden die eigenen Erfahrungen der verschiedenen Fachämter und die aus dem breiten Beteiligungsprozeß der lokalen Agenda 21 (über 400 beteiligte Organisationen, Unternehmen und Einzelakteure) hervorgegangenen Anregungen genutzt, um von unten zukünftige Entwicklungen und Richtlinien auf europäischer Ebene zu beeinflussen.

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c) Europäische Beschäftigungspolitik, insbesondere Leitlinie 12

Zitiert werden soll hier zuerst aus der Antrittsrede des Oberbürgermeisters der Stadt Leipzig zum 1. Juli 1998, in der Wolfgang Tiefensee als der neue Oberbürgermeister zehn Schwerpunkte für seine zukünftige Arbeit formulierte. Dabei waren als Nummer 1 und 2 Arbeitslosigkeit und Wirtschaftsförderung genannt:

„Die Arbeitslosigkeit ist das Schlüsselproblem, auch und gerade für Leipzig. … Städtische Wirtschaftsförderung muß zweispurig fahren: Mit aller Kraft unser industrielles Rückrat erhalten und ausbauen und gleichzeitig das unternehmerische Vermögen fördern. … Die Initiative „Leipzig – Stadt der Unternehmenden" gewinnt … hier ihren strategischen Stellenwert. … Wir wollen neue Wege in der Vermittlung von Know-how, Kapital, Flächen, Immobilien und Geschäftskontakten gehen. Nur so haben wir die Chance, und dies ist (mein) großes Ziel, eine neue Gründerwelle in Leipzig anzuregen."

Neben der Umsetzung verschiedener anderer Elemente der beschäftigungspolitischen Leitlinien, soweit sie in kommunaler Möglichkeit stehen, fokussiert sich damit die Tätigkeit der Kommune auf die Umsetzung des Leitbildes „Leipzig – Stadt der Unternehmenden".

d) Europapolitik, insbesondere Europäische Strukturfonds und Gemeinschaftsinitiativen

Leipzigs Situation ist anders als die Berlins: Wir sind eben nicht gleichzeitig Bundesland und haben damit begrenztere Spielräume in der Gestaltung unserer Beziehungen zur Europäischen Union. Dies betrifft insbesondere die für die neuen Bundesländer nach wie vor wichtigen Förderprogramme Europäischer Sozialfonds, Europäischer Regionalfonds und Europäischer Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft sowie die Gemeinschaftsinitiativen. Um noch einmal unseren Oberbürgermeister zu zitieren:

„Gleichzeitig müssen wir unsere Präsenz in Dresden, Bonn und Brüssel verstärken. Eine effektivere Zusammenarbeit mit unseren Landtags-, Bundestags- und Europaabgeordneten ist dringend geboten, wollen wir als Kommune nicht den Zug in Richtung Europa – und damit Fördergelder in enormer Höhe – verpassen. Leipzig ist bereits jetzt im Konzert der „Euro-Cities" eine treibende Kraft. Diese Anstrengungen müssen wir forcieren: durch einen Ausbau unserer internationalen Kontakte, durch die ständige Präsenz Leipzigs in der Welt. Meine Vision besteht darin, Leipzig die Stellung in Deutschland und Europa wiederzugeben, die unsere Stadt zu

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Beginn des auslaufenden Jahrhunderts besaß. Dieser Anspruch mag unbescheiden klingen. Aber nur er setzt die Maßstäbe, denen wir in Zukunft genügen müssen, wollen wir unsere weitgesteckten Ambitionen verwirklichen."

Neben dem rein pragmatisch-pekuniären Argument – Zugang zu Fördermitteln – wird deutlich, daß die Positionierung Leipzigs als europäische (und internationale) Stadt als Teil der Vision für Leipzig im nächsten Jahrtausend gesehen wird. Nicht zuletzt dies soll Leipzig auch neue Chancen für die Entstehung neuer Unternehmen und Arbeitsplätze eröffnen.

Praktisch bezogen auf die Vorbereitung der nächsten Förderperiode der Europäischen Union wird dies dadurch umgesetzt, daß sich die Stadt – z.T. allein, z.T. im Rahmen des Regionalforums Leipzig / Westsachsen – in die sogenannte Programmierung auf sächsischer Ebene aktiv eingeschaltet hat.

Ausgehend von dem gemeinsamen Regionalen Entwicklungsplan für die neuen Bundesländer – dessen Entwurf zum 15.9.1999 vorgelegt wurde – legen die einzelnen Bundesländern ihre Schwerpunkte in den verschiedenen Strukturfonds individuell fest.

Der Stadt Leipzig geht es hierbei um die Beeinflussung der sächsischen Schwerpunkte insbesondere für den Europäischen Sozialfonds und den Europäischen Regionalfonds sowie deren Umsetzung in die operationellen (Landes-)Programme.

Bezogen auf die von der sächsischen Staatsregierung im Oktober 1998 vorgelegten Schwerpunkte betreffen die Leipziger Ergänzungs- und Veränderungswünsche insbesondere drei Bereiche:

  • Die Förderung „kultureller Infrastrukturen" sollten als ein weiterer Schwerpunkt der nächsten Förderperiode festgelegt werden.

    Aus unserer Sicht ist insbesondere der Erhalt, die Pflege und die Entwicklung des reichen und differenzierten europäischen kulturellen Erbes (einschließlich des industriellen Erbes) sowohl notwendig für das eigene Verständnis („wo kommen wir her") als auch als Element unseres europäischen Gesellschaftsmodells. Dazu gehört auch die prinzipielle Zugänglichkeit der kulturellen Angebote für alle Schichten der Bevölkerung.

    An dieser Stelle treffen sich übrigens städtische Interessen mit denen der zum Teil ländlich geprägten, zum Teil über Jahrzehnte für die Energieer-

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    zeugung verwüsteten Regionen rings um Leipzig, so daß auch diese sich für die Umsetzung der genannten Forderungen ausgesprochen haben.

  • Ebenso sollte die Entwicklung des „Tourismus" ein Schwerpunkt der nächsten Förderperiode werden.

    Für Leipzig spielt schon heute der Städtetourismus eine wichtige ökonomische Rolle. Aber auch wieder gilt, daß unsere gesamte Region Westsachsen hier weitere Entwicklungspotentiale sieht. Generell wird aus unserer Sicht die Bedeutung des Tourismus mit etwa 8 bis 10 % Anteil am Bruttosozialprodukt (je nach Messung) für die ökonomische Situation oft unterschätzt. Darüber hinaus ist auch unter Gesichtspunkten einer nachhaltigen Entwicklung wichtig zu erkennen, daß viele regional erzeugte Produkte gerade in diesem Bereich verwandt werden.

  • Schließlich hat Leipzig vorgeschlagen, daß auch tatsächlich vom neuen Instrument „Globalzuschuß" Gebrauch gemacht wird. Hierzu wurden verschiedene Projekte vorgeschlagen, die sich für die Anwendung dieses Instruments aus städtischer Sicht eignen würden.

    Die Erfahrungen in der vergangenen Förderperiode haben aus Leipziger Sicht gezeigt, daß für die kommunale Ebene die integrative Umsetzung verschiedener Ziele – ökonomische, ökologische, soziale – z.B. in einem Stadtteil oft sehr erschwert wurde durch die unterschiedlichen Programme, aus denen Fördermittel beantragt werden mußten. Dies betraf auch Fragen der finanztechnischen Abwicklung. Hieraus haben wir als eine Konsequenz die genannte Forderung abgeleitet, von der wir uns eine näher an der lokalen Problemlage orientierte Implementation versprechen.

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Zusammenfassung

Fassen wir unsere Erfahrungen zusammen, so läßt sich festhalten:

  • Es gibt aus städtischer Sicht durchaus Fortschritte in der europäischen Politik bezüglich städtischer Problemlagen und damit für eine neue Rolle der Städte in Europa – sie sind allerdings noch nicht Leitbild für alle Politiken und Programme. Um dies zu erreichen, werden wir auch zukünftig arbeiten, unter anderem im Rahmen von EUROCITIES.

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  • Größere Widerstände gegen eine stärkere Berücksichtigung städtischer Problemlagen und Chancen in der Umsetzung europäischer Politiken gibt es nach wie vor von der regionalen (= Landes-)Ebene. Dies betrifft sowohl den inhaltlichen Aspekt als auch die strukturelle Festschreibung einer permanenten Beteiligung der Städte an der Programmierung, Implementierung und Evaluation europäischer Programme auf regionaler und lokaler Ebene.

Und schließlich: Die finanzielle Ausstattung der kommunalen Ebene muß der Problemlage adäquat sein – und das heißt verbessert werden.


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