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Gerd Andres
Neuorientierungen in der europäischen Beschäftigungspolitik aus der Sicht der Bundesregierung


16 Millionen Arbeitslose im Bereich der Europäischen Union und rund 4 Millionen Arbeitslose in Deutschland – diese Zahlen sind eine große Herausforderung an eine europäische und an eine deutsche Beschäftigungspolitik. Die Arbeitslosenquote in der Euro-Zone liegt – trotz eines erfreulichen Rückgangs im vergangenen Jahr – noch immer bei über 10 %, während sie in den USA und Japan weniger als 5 % beträgt.

Es muß uns Europäern gemeinsam gelingen, einen hohen Beschäftigungsstand zu erreichen und die Arbeitslosigkeit deutlich zu senken. Um dieses Ziel zu erreichen, verfügen wir, so wie die Bundesregierung glaubt, in Europa über eine Reihe von ganz ausgezeichneten Aktivposten:

  • Die Gemeinschaft hat Preisstabilität erreicht.

  • Die Gemeinschaft hat die Rentabilität der Investitionen gesteigert und den Anstieg der Staatsdefizite reduziert.

  • Der Binnenmarkt ist vollendet. Die Währungsunion ist seit Beginn des Jahres in Kraft.

Die Menschen erwarten aber mehr von Europa als eine stabile Währung. Im Zeitalter globalen Wettbewerbs kann Europa nur bestehen, wenn die Menschen auch das Gefühl haben, daß ihnen Europa eine gute Zukunft bietet. Marktwirtschaft wird erst akzeptabel durch mehr Beschäftigung auf dem Hintergrund eines zukunftsfähigen und belastbaren Sozialmodells.

Wir haben uns daher von Beginn an dafür eingesetzt, daß der Amsterdamer Vertrag nicht nur das allgemeine Ziel, ein hohes Beschäftigungsniveau anzustreben, formuliert, sondern daß der Vertrag auch ein Beschäftigungskapitel aufnimmt, das Substanz hat und uns zu gemeinsamem Handeln verpflichtet. Dieses Ziel ist erreicht worden.

Gemeinsam mit unseren europäischen Partnern haben wir durchgesetzt, daß neben der Verpflichtung zur finanziellen Stabilität im Rahmen des Sta-

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bilitäts- und Wachstumspaktes jetzt neue Handlungsmöglichkeiten für mehr Arbeitsplätze und soziale Stabilität in Europa geschaffen wurden.

Durch die neuen Beschäftigungstitel, das sind die Artikel 125 bis 130 des EG-Vertrages, wurde die vertragliche Grundlage für die Entwicklung einer koordinierten Beschäftigungsstrategie durch Mitgliedstaaten und Gemeinschaft geschaffen. Sie bestehen aus

  • der Festlegung von Leitlinien durch den Ministerrat,

  • der Erarbeitung nationaler Aktionspläne durch die Mitgliedstaaten,

  • der jährlichen Prüfung der Einhaltung der Leitlinien durch die Mitgliedstaaten sowie

  • der Vorlage eines gemeinsamen Jahresberichtes von Rat und Kommission über die Beschäftigungslage in der Gemeinschaft an den Europäischen Rat.

Damit wird auch auf europäischer Ebene die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ins Zentrum der Politik gerückt. Es geht nicht um bloße und folgenlose Absichtserklärung.

Schon der Europäische Rat in Maastricht ermöglichte 1991 mit dem Sozialabkommen den Erlaß europäischer Mindestvorschriften im Bereich der Arbeitsbedingungen. Außerdem wurde den Sozialpartnern die Möglichkeit eingeräumt, in diesem Bereich selbst Regelungen auf europäischer Ebene zu vereinbaren.

Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben im November 1997 zum ersten Mal einen Sondergipfel zur europäischen Beschäftigungspolitik in Luxemburg abgehalten. Im wesentlichen wurde vereinbart, daß die Beschäftigungspolitik besser koordiniert werden muß und daß die beschäftigungspolitischen Leitlinien in der Europäischen Union festgesetzt werden, die in den nationalen Aktionsplänen umgesetzt werden sollen.

An der Spitze der Leitlinie stehen konkrete und anspruchsvolle Ziele zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und zur Verhütung von Langzeitarbeitslosigkeit. Sie verlangen von den Mitgliedstaaten, innerhalb von fünf Jahren sicherzustellen, daß

  • allen Jugendlichen eine Ausbildung, eine Umschulung, eine Berufserfahrung, ein Arbeitsplatz oder eine andere, die Beschäftigungschancen för-

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    dernde Maßnahme zu verschaffen ist, ehe sie sechs Monate lang arbeitslos sind, und

  • zweitens den erwachsenen Erwerbslosen geholfen wird, ehe sie zwölf Monate arbeitslos sind.

Das Ziel zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ist besonders ehrgeizig, wie wir finden. Bei einer Jugendarbeitslosigkeit von rund 30 % in Italien und Spanien, 25 % in Frankreich, 20 % in Finnland und rund 18 % im EU-Durchschnitt fällt es vielen Mitgliedstaaten schwer, wirklich allen Jugendlichen einen Neuanfang zu bieten. Auch in der Bundesrepublik Deutschland bleiben große Anstrengungen nötig. Das bisher hervorragend angenommene Sofortprogramm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit trägt erheblich zur Umsetzung dieses ehrgeizigen Zieles bei.

Weitere wichtige Ziele befassen sich mit der Verbesserung der Vermittelbarkeit, der Entwicklung des Unternehmergeistes, der Förderung der Anpassungsfähigkeit der Unternehmen und ihrer Arbeitnehmer und der Stärkung der Maßnahmen für Chancengleichheit. Die Staats- und Regierungschefs haben damit das Beschäftigungskapitel des Amsterdamer Vertrages bereits 1997 faktisch in Kraft gesetzt. Sie wollten nicht warten, bis der Vertrag in allen Mitgliedstaaten ratifiziert ist.

„Kreative Ungeduld" hat im besonderen Maße auch die rot-grüne Bundesregierung bewiesen. Europäisch denken – vor Ort handeln: So hat die Friedrich-Ebert-Stiftung ihre heutige Tagung genannt. Auch dieses Leitmotiv kennzeichnet die Politik der Bundesregierung.

Wir haben neben der nationalen auch die europäische Dimension für mehr Arbeitsplätze erkannt und werden den europäischen Beitrag entsprechend nutzen. Und hier, das sage ich ausdrücklich, unterscheiden wir uns deutlich von unserer Vorgängerregierung.

Bundeskanzler Gerhard Schröder hat am 10. November letzten Jahres in seiner Regierungserklärung einen Europäischen Beschäftigungspakt vorgeschlagen. Dieser Pakt ist von seiner Grundidee ein Bündnis für Arbeit auf europäischer Ebene.

Das Arbeits- und das Finanzministerium haben daraufhin zu Beginn dieses Jahres einen Entwurf für einen Beschäftigungspakt vorgestellt, dessen Struk-

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tur bis zur Verabschiedung durchgehalten wurde. Der Pakt sollte in seinen zentralen Elementen

  • die Beschäftigungsstrategie, insbesondere die beschäftigungspolitischen Leitlinien, im Rahmen des Luxemburg-Prozesses weiterentwickeln und noch besser umsetzen,

  • entsprechend dem Cardiff-Prozeß die Strukturreform zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und des Funktionierens der Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalmärkte verstärken und

  • auf ein möglichst spannungsfreies Zusammenwirken von Lohnentwicklung, Finanz- und Geldentwicklung hinwirken.

Dies gewährleistet nun der Köln-Prozeß mit dem makroökonomischen Dialog. Dadurch soll erreicht werden, daß Finanzpolitik, Geldpolitik und Lohnentwicklung dauerhaft spannungsfrei zusammenwirken, um ein verstärktes Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum bei Preisstabilität zu erreichen.

Ich will eine kleine Zwischenbemerkung machen: Es war für mich außerordentlich spannend, im November des vergangenen Jahres erstmalig am Europäischen Rat der Arbeits- und Sozialminister teilzunehmen und dort zu erleben, wie die beschäftigungspolitischen Zielsetzungen diskutiert worden sind. Man kann eine so schöne aktive Arbeitsmarktpolitik machen, wie man will. Wenn wir auf der anderen Seite auf nationaler Ebene oder auf europäischer Ebene es nicht schaffen, für entsprechende Wachstumsraten, für eine Dynamik der Märkte und der entsprechenden makroökonomischen Begleitung zu arbeiten, dann bleibt jede aktive Anstrengung bei Arbeitsmarktpolitik oder sonstwas Stückwerk. Und jeder muß verstehen, daß diese Elemente zusammengehören. Wenn ich mir anschaue, wie sich Wachstumsraten bei bestimmten europäischen Ländern entwickelt haben, dann halte ich es schon für sinnvoll, im Rahmen eines makroökonomischen Dialogs die Akteure zusammenzubinden und zusammenzuholen, die ganz wesentlich mitentscheiden darüber, wie sich gesamtökonomische Rahmendaten, wie sich Rahmensetzung hier entwickelt.

Wenn der makroökonomische Dialog den europäischen Arbeitsmärkten wirklich helfen soll, darf die Geldpolitik nicht außen vor bleiben. Sie ist insbesondere dann gefragt, wenn Preisstabilität erreicht und nicht gefährdet ist. Preisstabilität bleibt nach Artikel 105 Abs. 1 des EG-Vertrages das vor-

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rangige Ziel der Geldpolitik, jedoch verlangt der EG-Vertrag auch die Unterstützung der in Artikel 2 festgelegten Ziele der Gemeinschaft, also auch der Förderung eines hohen Beschäftigungsniveaus.

Die Finanzpolitik hat sich an den Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspaktes zu orientieren. Auch die Tarifpolitik soll sich auf einem verläßlichen Pfad bewegen, die Lohnentwicklung sollte mit der Preisstabilität und der Schaffung von Arbeitsplätzen vereinbar sein. In einer Währungsunion dürfte sich hieraus am ehesten eine harmonische Entwicklung ergeben.

Selbstverständlich beobachtet ein makroökonomischer Dialog auf europäischer Ebene nur die Summe der Ergebnisse der unterschiedlichen nationalen, regionalen und branchenspezifischen Entwicklungen. Die tatsächliche Lohnentwicklung vor Ort bleibt Resultat der autonomen Entscheidung der Tarifvertragsparteien.

Wegen der Bedeutung der Lohnentwicklung für die Entwicklung der Beschäftigung hat die deutsche Ratspräsidentschaft zielstrebig auf die volle Einbeziehung der Sozialpartner in den Köln-Prozeß hingearbeitet.

Der Europäische Beschäftigungspakt ist eine simple Idee, aber ich kann sagen, wer an der praktischen Umsetzung solcher simplen Ideen unmittelbar beteiligt ist und wer die Felder hier ein bißchen genauer kennt, der weiß, welche Probleme es gibt auf nationaler Ebene, die Akteure zusammenzubinden, und der hat möglicherweise eine Vorstellung davon, welche Kraftanstrengungen und Schwierigkeiten es bedeutet, auf europäischer Ebene die Akteure zusammenzuholen. Ob das der EGB ist, CEDEFOP, der Unicé oder andere sind, es war ganz schwierig, sie in diesen Prozeß einzubeziehen, und ich will nur einen Querverweis machen: Wer sich die Beschäftigungsleitlinien genauer anschaut, der wird ganz schnell merken, daß die Umsetzung bestimmter beschäftigungspolitischer Ziele eben nur funktioniert, wenn man auch die Tarifvertragsparteien an Bord holt. Und wer sich deren Formulierung anschaut, der weiß, daß beispielsweise bei Qualifikationsfragen oder ähnlichem ohne die Einbeziehung der Akteure hier nur ganz, ganz schwer Fortschritte zu erzielen sind.

Für seine Wirksamkeit ist die Frage von Bedeutung, wie der makroökonomische Dialog institutionalisiert werden kann. Auch hierzu konnte die Präsidentschaft einen Vorschlag machen, der viel Unterstützung fand. Geplant sind zwei Ebenen, die der Fachleute und die der Politiker. Teilnehmer wer-

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den die Regierungen, konkret die ECOFIN- und die Arbeitsminister, die EU-Kommission, die Sozialpartner und die Europäische Zentralbank sein. Die Arbeitsminister werden gleichberechtigt in den makroökonomischen Dialog einbezogen. Was meiner Meinung nach für die Eingeweihten ein wenig sensationell ist, denn vorher war es in der Tat so, daß die Arbeitsminister zuständig sind für die Arbeitsmarktprobleme und für die Sozialpolitik, und andere reden und entscheiden über ökonomische Rahmensetzung, die, wie ich eben schon mal gesagt habe, sehr viel mit Beschäftigung zu tun hat. Also aus meiner Sicht war eine Einbeziehung der Arbeitsminister an gleichberechtigter Stelle unverzichtbar.

Der während der deutschen Präsidentschaft reformierte Ständige Ausschuß für Beschäftigungsfragen, der sich aus den Sozialpartnern, der Kommission und den Regierungen zusammensetzt, wird die Paktthemen ebenfalls behandeln und damit die volle Einbeziehung der Sozialpartner auf der politischen Ebene unterstützen. Der effizienter gestaltete Ständige Ausschuß dürfte dabei helfen, die Ergebnisse von Luxemburg-, Cardiff- und Köln-Prozeß besser miteinander zu verzahnen, Synergieeffekte zu identifizieren und zu nutzen.

Der Europäische Beschäftigungspakt von Köln hat alle Chancen, ein Eckstein beim Bau des gemeinsamen Hauses Europa zu werden. Der Erfolg des Paktes ist für die Öffentlichkeit einfach zu messen. Zentrales Motiv ist der Kampf für mehr Beschäftigung. Ein Europäischer Beschäftigungspakt hätte diesen Namen nicht verdient, wenn er nicht helfen würde, die Arbeitsmarktlage in den kommenden Jahren nachhaltig zu verbessern und immer mehr Arbeitssuchenden in der EU eine echte europäische Perspektive zu vermitteln.

„Europäisch denken – vor Ort handeln": Das kennzeichnet auch unsere Politik für mehr Chancen für junge Leute. Mit seinem Memorandum „Jugend und Europa – Unsere Zukunft" konnte das Bundesarbeitsministerium die deutsche Ratspräsidentschaft für ein deutliches Zeichen nutzen, um künftig vielen jungen Menschen eine europäische Perspektive zu geben. Das Memorandum fand große Zustimmung. Über die Grenzen hinweg sollen Jugendbegegnung, Praktika, Ausbildungs- und Arbeitsplätze nach dem Willen der Staats- und Regierungschefs verstärkt vermittelt werden, um die Jugend auf den zusammenwachsenden Arbeitsmarkt Europa vorzubereiten. Wir sind dabei, dieses Memorandum entsprechend umzusetzen.

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Ein weiteres wichtiges Thema für den Luxemburg-Prozeß: Behinderte Menschen sind in der Gemeinschaft weit überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen. Sie leisten fast immer weit mehr, also Vorurteile dies nahelegen. Zu ihrer beruflichen Eingliederung benötigen sie aber auch differenziertere Hilfen. Die Konferenz der Präsidentschaft zur europäischen Politik zur Beschäftigung behinderter Menschen Ende Februar 1999 in Dresden hat gezeigt, daß diese Haltung inzwischen europaweit geteilt wird. Deshalb hat der Rat auf Vorschlag der deutschen Präsidentschaft beschlossen, daß die Kommission ein Rechtsinstrument über Hilfen zur Arbeitsmarktintegration vorlegen soll. Auch dies war ein früher Erfolg der Arbeiten am Europäischen Beschäftigungspakt.

Neuorientierung in der europäischen Beschäftigungspolitik heißt auch, von seinen europäischen Nachbarn zu lernen. Im Rahmen der Umsetzung der beschäftigungspolitischen Leitlinien des Luxemburg-Prozesses durch die einzelnen Mitgliedstaaten kommt dem Lernen anhand von guten Beispielen daher auch besondere Bedeutung zu. Wir wissen das auch aus eigener Erfahrung.

Großbritannien, Frankreich und Dänemark haben umfangreiche Programme zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit aufgelegt. Wir konnten in Deutschland bei der Auflage des Sofortprogramms der Bundesregierung zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit davon lernen, das Programm läuft hervorragend und ist inzwischen weitestgehend ausgeschöpft. Bereits in den ersten acht Monaten haben 178.000 Jugendliche an Maßnahmen des Sofortprogramms teilgenommen. Das sind weit mehr als die ursprünglich angestrebten 100.000 Eintritte für das Gesamtjahr 1999, und wir werden dieses erfolgreiche Programm im Jahr 2000 fortsetzen. Und dies sage ich trotz aller Sparzwänge, denen der Bundeshaushalt für das Jahr 2000 unterliegt. Und wir werden auch alle Anstrengungen unternehmen, auch im Sinne einer eher präventiven Beschäftigungspolitik, das, was wir an Akzenten gesetzt haben in diesem Jahr durch Verstetigung der aktiven Arbeitsmarktpolitik, dies auch bei allen Sparzwängen im nächsten Jahr entsprechend fortzusetzen. Dafür garantiert die Bundesregierung. Deutschland reiht sich damit ein in eine Reihe europäischer Regierungen, die bereits vergleichbare ehrgeizige Projekte gestartet haben.

Unsere Erfahrung ist, der Blick über die Grenzen sollte auch in der nationalen Beschäftigungspolitik zur Regel werden. Dabei wird man feststellen, daß

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es eine Vielzahl von beschäftigungspolitischen Maßnahmen und Weichenstellungen in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union gibt, die es wert sind, näher betrachtet zu werden. Ein Blick über die Grenzen gibt neue Anstöße für die Gestaltung und die notwendigen Weichenstellungen im eigenen Land.

Wenn ich noch einmal Bezug nehmen darf auf die vergleichenden Arbeitsmarktdaten zwischen dem Jahr 1987 und dem Jahr 1998 – dazu eine kleine Anmerkung: Es gab einen dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland. Es ist wahr, wir haben massiv damit zu tun, daß insbesondere die Zahl der Langzeitarbeitslosen zunimmt, aber man muß darauf hinweisen, daß die beiden Vergleichszahlen natürlich auch dadurch geprägt sind, daß wir im Jahre 1989 / 90 die Wende und die deutsche Einheit hatten und damit in einer anderen Art und Weise mit Arbeitsmarktproblemen konfrontiert wurden. Das ändert nichts daran, auch darauf will ich hinweisen, daß wir beispielsweise mit unserer Gesetzesnovelle des SGB III zum 1. August 1999 den Versuch unternommen haben, eine ganze Reihe von Arbeitsmarktinstrumenten noch stärker dahingehend auszurichten, um Langzeitarbeitslosigkeit von vornherein zu vermeiden, indem wir eine ganze Reihe von Förderinstrumenten stärker ausgerichtet haben auf die Zielgruppe älterer und langzeitarbeitsloser Menschen.

Die zweite Anmerkung, die ich machen möchte, ist, wer sich genauer mit entsprechenden Programmen beschäftigt, der kennt die Ursachen für die positive Entwicklung beispielsweise in Großbritannien oder in Dänemark, der kennt auch die Ursachen für die gute Entwicklung beispielsweise in den Niederlanden, und deswegen ist es für uns auch ganz wichtig, an diesem Projekt „Bündnis für Arbeit" festzuhalten, weil alle Länder sind im wesentlichen davon gekennzeichnet, daß sie das, was sie an Maßnahmen auf den Weg gebracht haben, im wesentlichen im gesellschaftlichen Konsens auf den Weg bringen konnten und erreicht haben, daß die Handelnden, die Akteure, die Gewerkschaften, die Wirtschaft, die Politik sozusagen in gleicher Richtung am gleichen Ende des Strangs gezogen und Maßnahmen entwickelt haben. Deswegen halten wir auch fest daran, unser nationales Bündnis für Arbeit entsprechend weiterzuentwickeln. Und als jemand, der auch in diesem Bereich tätig ist, gehe ich davon aus, daß wir es schaffen werden, über die Erfolge, die wir bisher schon erreicht haben, auch in der nächsten Zeit zu größeren Schritten zu kommen.

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Noch mal zurück: Ein Denkanstoß ist sicher auch das Abkommen von Wassenaar 1992 in den Niederlanden. Arbeitgeber und Arbeitnehmer kamen – mit etwas Druck der Regierung – darin zu dem gemeinsamen Ergebnis, daß die Förderung der Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen und die Verbesserung der Ertragslage wesentlich sind für eine strukturelle Verbesserung der Beschäftigungslage. Beiden Seiten war klar, daß dieses Ziel eines langen Atems bedarf und daß es auch bei einer Verbesserung des Wirtschaftswachstums mittelfristig nicht möglich sein wird, das Arbeitszeitvolumen so auszudehnen, daß jeder eine Vollzeitarbeit bekommen kann. Deshalb ging es zunächst darum, die vorhandene Arbeit durch verstärkte Teilzeit umzuverteilen. Einher ging damit eine Periode eines langen, anhaltenden Konsenses der Sozialpartner und einer Änderung des gesellschaftlichen Bewußtseins.

Diesen Ansatz haben wir in Deutschland im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit aufgegriffen. Die Bundesregierung sowie Repräsentanten von Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften haben sich unter Vorsitz des Bundeskanzlers darauf verständigt, gemeinsam in einem Bündnis auf einen Abbau der Arbeitslosigkeit hinzuarbeiten und die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft nachhaltig zu verbessern. Das Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit ist, wie in den Niederlanden, als Dialog auf Dauer und als Prozeß der Verständigung angelegt. Auch wir hoffen, daß es erheblich zu einer dauerhaften Besserung auf dem Arbeitsmarkt beitragen wird.

Erste Erfolge haben sich bereits eingestellt. Ich will ein paar aufzählen:

  • Die Senkung der Steuerbelastung von Unternehmen im Rahmen der Unternehmenssteuerreform ist auf den Weg gebracht.

  • Wir haben eine umfangreiche Steuerreform auf den Weg gebracht, die insbesondere für Entlastung im Bereich der Arbeitnehmerinnen und der Familien führt; auch eine Position, die etwas mit Wettbewerbsfähigkeit und ähnlichem zu tun hat.

  • Eine gemeinsame Erklärung vom DBA und DGB zur Beschäftigungs- und Tarifpolitik ist zustande gekommen.

  • Konkrete Ausbildungsplatzzusagen der Wirtschaft im Rahmen des Ausbildungskonsenses sind erreicht worden im Sommer dieses Jahres und harren nun der praktischen Umsetzung und der Überprüfung.

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  • Eine Steigerung der Ausbildungskapazitäten und Volumen in neuen IT-Berufen auf 40.000 in den nächsten drei Jahren ist vereinbart worden sowie

  • eine einvernehmlichere Form oder kleinere Form des Altersteilzeitgesetzes mit der Möglichkeit seiner besseren Anwendung in kleinen und mittleren Unternehmen, der Einbeziehung von Teilzeitkräften und ähnlichem mehr.

Spätestens seit der Einführung der gemeinsamen Währung am 1. Januar 1999 ist klar, daß wir bei der Koordinierung der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik weitere Fortschritte brauchen. Mit der Verabschiedung des Europäischen Beschäftigungspaktes haben wir uns selbst in die Pflicht genommen. Der Pakt soll dazu beitragen, alle Anstrengungen auf das eine Hauptziel auszurichten: den europaweiten Abbau der Arbeitslosigkeit. Die Regierungen, die EU-Kommission, das Europäische Parlament, die Sozialpartner und die Europäische Zentralbank müssen dazu in einen intensiven Dialog eintreten. Rat und Kompetenz der Sozialpartner werden wir nicht nur in unsere Entscheidung einbeziehen. Die Sozialpartner bilden das Rückgrat des Europäischen Beschäftigungspaktes.

Der Europäische Beschäftigungspakt kann sich mittelfristig auf europäischer Ebene entwickeln wie die vergleichbaren Bündnisse auf nationaler Ebene. Dies erfordert Geduld und die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen. Wir brauchen Mut zum vernünftigen Experiment. Wir brauchen gegenseitige Offenheit für jeden ernstgemeinten Vorschlag nach dem Prinzip: Wir machen das, was wirklich hilft.

Die von manchen erhoffte, von anderen befürchtete Harmonisierung der nationalen Arbeitsmarktpolitiken steht erst am Anfang, und am Ende wird kein gleichförmiges „Über-einen-Leisten"-Schlagen stehen, sondern wir müssen nach unseren unterschiedlichen Erfahrungen, nach unseren unterschiedlichen Strukturen viele, viele Wege nutzen, die zu einem einzigen Ziel führen sollten, nämlich mehr Arbeit zu schaffen in Europa.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2000

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