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Gabriele Schöttler
Regionale Beschäftigungspolitik in Berlin


Berlin, jetzt Hauptstadt und Regierungssitz der Bundesrepublik Deutschland, ist eine Großstadt mit vielen unterschiedlichen Stadtteilen, auch genannt Kieze, eine europäische Metropole und zugleich ein Bundesland mit weitreichenden Budget- und Regelungskompetenzen. Berlin ist auch das Tor für Zuwanderer aus Ost- und Südosteuropa. Das sind vor allem arme arbeitssuchende Bevölkerungsgruppen. Zugleich wird Berlin wieder Kristallisationspunkt für Diplomaten, in- und ausländische Medien und Wirtschaftsverbände, für Wissenschaft und Kommunikation, die in der Nähe der deutschen Regierung tätig sind.

Berlin hat in seiner Vielgestaltigkeit und Widersprüchlichkeit, auch durch seine schillernde Ausstrahlungskraft schon immer die Phantasien und die Vorstellungswelt der Menschen, gerade auch der Intellektuellen und Planer, angeregt. Und wir erleben auch jetzt – wie schon oft in der deutschen Geschichte – eine Mystifizierung von Entwicklungen, in deren geographischen Mittelpunkt Berlin steht. Die Berliner Medien sind voll von Geschichten über die Erlebnisse der Bundesbeamten aus dem Rheinland an ihrem neuen Arbeitsort Berlin. Der Umzug nach Berlin scheint nicht einfach die Versetzung an einen anderen innerdeutschen Ort zu sein, sondern es wird manchmal der Eindruck vermittelt, als handele es sich um den Aufbruch der Staatsbediensteten in eine fremde Kultur. Dabei handelt es sich ja nur um einen Vorgang, bei dem etwas zum Ausdruck kommen soll, was auch von anderen Arbeitnehmern immer wieder gefordert wird im Zeitalter der Globalisierung – nämlich regionale Mobilität. Im Zusammenhang mit der Aufnahme der Parlaments- und Regierungsarbeit wird von der Berliner Republik gesprochen. Dies ist nicht nur geographisch gemeint. Es schwingen viele Töne der politischen Geschichte der alten Reichshauptstadt mit, sowohl ermutigende als auch bedenkliche. Aber es geht noch weiter. In den Feuilletons der großen Tageszeitungen wird über eine Generation Berlin geschrieben und gerätselt.

Ich sage Ihnen sicherlich nichts Neues: Es ist leichter, seine Vorurteile und Bilder zu pflegen, von einem Ossi und einem Wessi zu reden, von der Gene-

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ration Berlin, den Bonnern, den Berlinern, als sich auf sein Gegenüber einzulassen, sich kennenzulernen.

Was im kleinen, im Zwischenmenschlichen gilt, gilt auch für Städte. Ich bitte Sie, schauen Sie sich um in der Stadt. Nutzen Sie Ihre Zeit in Berlin auch zum Flanieren, zum Erkunden. Lernen Sie Berlin auch außerhalb der Klischees und des Kongresses kennen – mit eigenen Augen und aus eigener Anschauung.

Ich bin aus verschiedenen Gründen zu Anfang auf die vielschichtige Realität Berlins und den Hang eingegangen, statt hinzugucken zu mystifizieren.

Auch wir Politiker und Politikerinnen haben manchmal die Neigung, neue Etiketten aufzukleben statt genau zu analysieren und Handlungsspielräume und Erfolgschancen realistisch auszuloten. So ein neues Etikett kann auch das Hervorheben der regionalisierten und lokalen Beschäftigungsstrategien sein, wenn wir uns nicht präzise darüber verständigen, welche realen Erfolgschancen und Handlungsspielräume diese Schwerpunktsetzung eröffnet, worin sich diese Strategien von anderen unterscheiden.

Zunächst möchte ich Ihnen einige Erfahrungen der Berliner Arbeitsmarktpolitik seit Öffnung der Mauer vermitteln:

Berlin betreibt seit zehn Jahren als wiedervereinigter Stadtstaat eine regionalisierte, auf die lokalen Bedarfe bezogene Arbeitsmarktpolitik. In Berlin werden staatliche und kommunale Tätigkeiten nicht getrennt. Die Berliner Verwaltung wird vom Senat und den Bezirksämtern wahrgenommen.

Anfang der neunziger Jahre hat der Senat aus Anlaß des Bundesprogramms Aufschwung Ost und der großzügigen Hilfe durch den Europäischen Sozialfonds seine Arbeitsmarktpolitik völlig neu strukturiert. Mit der Umsetzung der Programme und Finanzmittel wurden ausdrücklich arbeitsmarktlich und stadtpolitisch erfahrene Dienstleister beauftragt, die Servicegesellschaften. Sie bekamen den Auftrag, die Bezirke bei der Rekonstruktion der Infrastruktur und der Entwicklung von Betrieben und Existenzgründungen zu unterstützen. Diese zunächst aus der Not geborene Strategie beim Transformationsprozeß in den östliche Bezirken war so erfolgreich, daß auch die westlichen Bezirke die Beschäftigungsförderung für infrastrukturelle Aufgaben verstärkt nutzten.

Heute sind wir dabei, in allen Bezirken entsprechende Netzwerke, Ausbildungsverbünde und Beschäftigungspakte zu verankern. Ich will nicht ver-

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schweigen, daß diese Strategie viele Mütter und Väter hat. Es waren oftmals NGOs – nichtstaatliche Organisationen, kommunale Foren oder auch Einzelpersonen, wie z.B. der sehr beharrliche und kreative Herr Dr. Birkhölzer, die unermüdlich für diese lokalen Strategien geworben haben und so viele Landes- und Bezirkspolitiker erst für diese beschäftigungsorientierte Form der Kommunalpolitik sensibilisiert haben.

Die strategische Ausrichtung, die wir in Berlin der Umsetzung des Programms Aufbau Ost zugrunde gelegt haben, gilt auch heute noch und ich will sie kurz umreißen: Soll der Wirtschaftsstandort verbessert werden, dann braucht man eine attraktive Stadt, gepflegte Grünanlagen, Integrationsangebote an Migranten, Unterstützung und Hilfsangebote für Familien und ältere Menschen, Freizeitgestaltung für Jugendliche und die Verhinderung einer innerstädtischen Aufspaltung in schicke Viertel und sogenannte Schmuddelkieze.

Nachhaltigkeit ist ein wesentliches Ziel unserer Politik. Die Förderung muß in langfristig angelegte Strategien eingebunden sein, damit Erfahrungswissen und die Trägerstrukturen für die Aufgabenbewältigung ökonomisch genutzt werden. Die Regionalisierung der Arbeitsämter und die Bezirksreform sind gute Voraussetzungen für einen effektiven Abstimmungsprozeß.

Als weitere Konkretisierung der regional orientierten Arbeitsmarktpolitik sehe ich den Beitrag meiner Verwaltung zur Entwicklung und Verbesserung der lokalen Entwicklungspotentiale.

Hierbei hat die Europäische Union Pate gestanden: Der von der Europäischen Union initiierte Territoriale Beschäftigungspakt Neukölln hat im Bezirk eine große Resonanz und einen Innovationsschub erzeugt, der dem Selbstwertgefühl dieses hochbelasteten Bezirks, der Wirtschaft und seinen Bewohnern zugute kommt und dazu führt, daß auch andere Bezirke an der Nutzung dieses Instrumentariums Interesse entwickelt haben.

Wir sind mit den Bezirksbürgermeistern und den Stadträten in einen Diskussions- und Abstimmungsprozeß über eine Strategie Bezirklicher Beschäftigungsbündnisse eingetreten. Die Bündnisse können integraler Bestandteil einer kommunalen Entwicklungsplanung werden. Sie sind auf die Lösung von ökonomischen, ökologischen, sozialen und beschäftigungspolitischen Problemlagen in dem Bezirk, seinen Kiezen und Quartieren kleinräumig ausgerichtet. Sie bringen lokale Akteure aus Wirtschaft, Staat und Gesellschaft bei

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der Entwicklung und Umsetzung von Konzepten zusammen und beziehen dabei die ortsansässigen Betriebe, Entscheidungsträger, Initiativen etc. mit ein. Die Aktionspläne gestalten die Bezirke frei in eigener Verantwortung.

Die Unterstützung des Landes für die Bezirklichen Beschäftigungsbündnisse ist dabei als ein Angebot zu verstehen. Für Beratung und Projektmanagement und technische Hilfe bei der Beantragung und Vergabe von Fördermitteln können die arbeitsmarktlichen Servicegesellschaften als Dienstleister in Anspruch genommen werden.

Für Aufgaben, die landesweit zu lösen sind, wie die Überwindung der Ausbildungsplatzlücke oder die Integration von Sozialhilfeempfangenden ins Erwerbsleben haben wir Programme entwickelt, die die regionalen Ressourcen bündeln und effektiv einsetzen.

Ich habe Ihnen jetzt skizziert, wie wir in Berlin regionale Arbeitsmarktpolitik betreiben. Es würden den Rahmen sprengen, hier alle Stränge und Facetten detailliert darzustellen. Ich habe auch gesagt, daß es wichtig ist, die Handlungsspielräume und Erfolgschancen dieser Strategie realistisch auszuloten, besonders in einem Stadtstaat. Auch dieses Thema kann ich jetzt nur thesenhaft anreißen und bitte Sie, es in Ihren Fachgremien weiter zu beraten.

Bei der regionalisierten Beschäftigungspolitik ist hervorzuheben, daß die Verantwortungsbereitschaft für die lokale Entwicklung wieder vor Ort gestärkt wird. Die Ressource Verantwortungsbereitschaft ist eine unverzichtbare Grundlage unserer Gesellschaft. Sie wird mit dem Konzept der Bündnisse gefördert und herausgefordert. Es gibt keine Garantie, daß sich in allen Bezirken Beschäftigungsbündnisse entwickeln und Erfolge zeitigen. Die Bündnisse und ihre Ausgestaltung liegen in der Verantwortung der Bezirkspolitiker. Wir haben als Landesverwaltung eine Anreizstruktur konzipiert, die die Bezirke auf ihren Wunsch hin dabei unterstützt, ihre Entwicklungspotentiale besser zu nutzen. Beispielhaft erfolgreiche Modelle wie der Territoriale Beschäftigungspakt Neukölln sollen vervielfältigt werden.

Zur Knüpfung von Netzwerken, wie z.B. bei den regionalen Ausbildungsverbünden gibt das Land technische und professionelle Hilfe. Hier wurde ein unausgeschöpftes Potential an Ausbildungsmöglichkeiten erkannt und nach dem Vorbild branchenspezifischer Ausbildungsverbünde ein regional bezogenes Konzept entwickelt. Im Bezirk Kreuzberg fanden sich interessierte Betriebe und eine aufgeschlossene Bezirksverwaltung, so daß diese Stra-

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tegie modellhaft erprobt wurde, bevor sie in den anderen Bezirken angeboten wurde.

Werden Bezirkliche Beschäftigungsbündnisse von dem Bürgermeister und den Stadträten ernsthaft angestrebt, so zeigt die Erfahrung, daß Informations- und Diskussionsprozesse über alle Ämter des Bezirks hinweg in Gang kommen. Beschäftigungsförderung wird als Querschnittsaufgabe begriffen, an der alle mitwirken. Beispielhaft hat sich das bei der Durchführung des landeseigenen Integrationsprogramms für Sozialhilfeempfangende gezeigt, das die Bezirke in eigener Regie durchführen. Ich denke, diese Erfahrung machen derzeit viele Städte und Kommunen.

Auch den fiskalischen Nutzen eines anderen Instruments der Landesarbeitsmarktpolitik, der beschäftigungswirksamen Investitionsvergabe, haben verschiedene bezirkliche Bau- und Gartenbauämter schon erkannt. Arbeitslose werden in Investitionsprojekte der bezirklichen Infrastruktur integriert. Die Bundesanstalt für Arbeit, meine Verwaltung und der Europäische Sozialfonds sind an der Finanzierung beteiligt.

Es gibt auch noch eine ganz andere Art von lokalen Strategien, die ich kurz ansprechen möchte. Es ist sozusagen die lokale Beschäftigungspolitik von unten. Die Anregungen und Konzepte stammen aus den Projekten, die direkt an die Alltagsbedürfnisse der Wohnbevölkerung anknüpfen. Kommunale Foren und Nachbarschaftsheime sind einerseits Begegnungsstätten für Familien, Arbeitslose, Hausfrauen und Rentner. Andererseits sind sie ein Forum für den Sachverstand von engagierten Bürgern und Initiativen zur Verbesserung der lokalen Entwicklung. Sie sind sozusagen ein Frühwarnsystem und Wissenspool.

Aus der Kooperation der Kommunalen Foren und der Nachbarschaftsheime mit Sozialwissenschaftlern hat sich ein Erfahrungsaustausch über Kompetenzerhalt und Kompetenzentwicklung von Menschen entwickelt, die nicht mehr oder noch nicht dauerhaft ins Erwerbsleben integriert sind: seien es junge Menschen, Arbeitslose, junge Mütter, Hausfrauen, Rentner etc. Hierbei wurde die provokante These entwickelt: Je mehr der Alltag im lokalen Bereich mit Anforderungen an Kompetenz und Lernen ausgestattet ist, desto weniger direkte berufliche Qualifizierung und Weiterbildung in Institutionen brauchen die Menschen. Es fehlt an Arbeitsmöglichkeiten, nicht an Weiterbildung und Qualifizierung.

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Ich finde diesen Ansatz diskussionswürdig und auch erprobenswert. In der neuen Strukturfondsförderung der Europäischen Union sehe ich Möglichkeiten, solche lokalen Lernkulturen, die beschäftigungsrelevant sind, zu erproben.

Ich habe Ihnen nun den breiten Fächer der regionalisierten Arbeitsmarktpolitik mit groben Strichen skizziert. In welchem Zusammenhang steht die regionalisierte Arbeitsmarktpolitik mit anderen beschäftigungspolitischen Strategien?

In der Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft, in die wir uns hineinentwickeln, braucht jede und jeder von uns das Standbein der lokalen Verankerung und das Spielbein in den modernen Informations- und Kommunikationstechnologien, die alle Lebensbereiche immer stärker durchdringen. Auf die Bewältigung dieser doppelten Lebenswelt müssen wir als politisch Verantwortliche unsere Beschäftigungspolitik und Qualifizierungsstrategien ausrichten.

Vor diesem Hintergrund sehe ich die Aufgaben einer Landespolitik darin, die Fachdiskussion zu führen, Anregungen möglichst unvoreingenommen aufzunehmen und einen Kommunikations- und Vernetzungsrahmen anzubieten, politische Schwerpunkte zu formulieren und eine abgestimmte und möglichst offene Programmplanung zu betreiben. Die Steuerung der lokalen und bezirklichen Arbeitsmarktpolitik sollte vorrangig über die Instrumente

  • Anreize,

  • Rahmenprogramme,

  • Bereitstellung von professionellen Dienstleistern für Vernetzung, für Aktionen sowie

  • Finanzierung

erreicht werden.

Der innovative Gehalt unserer regionalen Arbeitsmarktpolitik in Berlin ist seitens der Europäischen Kommission registriert und mit dem Angebot eines Modellstatus des Landes – gemeinsam mit Brandenburg – als „Modellregion der Europäischen Beschäftigungsstrategie" honoriert worden.

Sicherlich ist es ein ambitioniertes Vorhaben, Berlin als Modellregion zu entwickeln. Auch wenn Modelle keine Erfolgsgarantie abgeben können, bin

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ich sehr zuversichtlich, daß die arbeitsmarktpolitischen Innovationen und Erfahrungen Berlins zu einem Gelingen führen können.

Die Möglichkeiten des Europäischen Sozialfonds werden wir ausschöpfen, wobei uns weitere Unterstützungsleistungen der Kommission willkommen sind. Von besonderem Interesse ist eine Verwaltungsvereinfachung bei der Förderung. Es würde uns freuen, wenn wir die hier in Rede stehende Modellregion mit einem Modellvorhaben zur Verfahrensvereinfachung verbinden könnten.

Abschließend möchte ich ausdrücklich betonen: Berlin hat dem Europäischen Sozialfonds viel zu verdanken. Das gilt einmal für die finanzielle Hilfe. Diese ermöglicht dem Land eine fundierte und weitgespannte Arbeitsmarkt- und Qualifizierungspolitik. Von unschätzbarem Wert sind auch die konzeptionellen Anregungen, der Gedankenaustausch zwischen den Ländern und der Europäischen Union. Dies sehen wir gerade auf dem Feld der regionalen und lokalen Beschäftigungspolitik.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2000

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