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[Seite der Druckausg.: 65]


Franz Dormann/Martina Schlebusch *
Die Sprachförderung für Migranten in Deutschland – Systematische Inkonsistenzen bei gleicher Zielsetzung


* [ Im vorliegenden Aufsatz werden wichtige Ergebnisse zweier aktueller Studien zum deutschen Sprachfördersystem für Ausländische Arbeitnehmer und für Spätaussiedler zusammengefaßt dargestellt. Die Verfasser sind Mitarbeiter der Social Consult GmbH, Bonn.]

Ziele der Sprachförderung als Bestandteil der Integrationspolitik

Gemeinsames Ziel der Ausländer- und Aussiedlerpolitik der Bundesregierung ist die Integration von rechtmäßig in Deutschland lebenden Ausländern, insbesondere ausländischen Arbeitnehmern und Spätaussiedlern. Sie sollen entsprechend den Grundsätzen der Integrationspolitik in die hiesige wirtschaftliche, soziale und rechtliche Ordnung eingegliedert werden.

Die Unterstützung der sozialen und beruflichen Integration von in Deutschland lebenden Migranten ist oberstes Ziel aller bundesweit bestehenden und vom Bund geförderten Sprachförderangebote. Der Erwerb deutscher Sprachkenntnisse ist als Schlüsselqualifikation für die erfolgreiche Integration von Migranten unverzichtbar und damit ein wichtiger Baustein für die soziale und berufliche Integration.

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Organisation der Sprachförderung in Deutschland

Entsprechend der unterschiedlichen gesetzlichen und förderrechtlichen Bestimmungen, die für die drei großen in Deutschland lebenden Migrantengruppen Ausländische Arbeitnehmer, Flüchtlinge und Spätaussiedler gelten, erfolgt auch die Sprachförderung gemäß dem rechtlichen Status der Migrantengruppen in zwei voneinander verschiedenen Sprachfördersystemen: Für Ausländische Arbeitnehmer und EU-Bürger besteht die Möglichkeit der Teilnahme an einem Sprachkurs, der vom Bund über das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) gefördert wird. Das BMA fördert den Sprachverband Deutsch für ausländische Arbeitnehmer e.V.

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(Sprachverband DfaA), der bundesweit über verschiedenste Träger drei unterschiedliche Sprachkurstypen, nämlich Intensiv-, Allgemein- und Alphabetisierungskurse umsetzen läßt. Der Stundenumfang der Sprachkurse ist abhängig vom Kurstyp.

Spätaussiedlern, Kontingentflüchtlingen und Asylberechtigten steht ein differenzierteres und vielfältigeres Sprachförderangebot zur Verfügung: Erwachsene Spätaussiedler, Asylberechtigte und Kontingentflüchtlinge können an einem sechsmonatigen Vollzeitsprachkurs teilnehmen, der über die Bundesanstalt für Arbeit (BA) gefördert und bundesweit von verschiedenen Trägern durchgeführt wird. Im Rahmen des Akademikerprogramms können über das Bundesministerium für Bildung, Forschung und Technologie (BMBF) akademisch vorgebildete Spätaussiedler und Kontingentflüchtlinge gefördert werden. Umgesetzt wird das Programm über die Otto-Benecke-Stiftung (OBS), welche die Fördergelder als Individualleistungen an die Teilnehmer weiterleitet.

Für jugendliche Spätaussiedler, Asylberechtigte und Kontingentflüchtlinge bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres bestehen zwei unterschiedliche Fördermöglichkeiten: Über den Garantiefonds Schul- und Berufsbildungsbereich (GF-SB) oder über den Garantiefonds Hochschulbereich (GF-H). Beide Angebote werden vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugendliche (BMFSFJ) gefördert.

Im GF-SB werden drei Maßnahmearten vorgehalten: Intensivsprachkurse ohne qualifizierten Schulabschluß, Integrationssprachkurse mit dem Ziel eines qualifizierten Schulabschlusses, Integrationssprachkurse mit zusätzlichen berufsorientierten Bestandteilen. Länderspezifisch bestehen bei der Durchführung der verschiedenen Maßnahmearten unterschiedliche Präferenzen. So werden beispielsweise in Nordrhein-Westfalen ausschließlich Intensivsprachkurse ohne qualifizierten Schulabschluß vorgehalten, während das Land Sachsen sich auf die Durchführung von Integrationssprachkursen mit dem Ziel eines qualifizierten Schulabschlusses beschränkt.

Mit der Teilnahme an einem Deutschsprachkurs über den GF-H sollen die geförderten Jugendlichen dazu befähigt werden, an einer Maßnahme teilzunehmen, die zum Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung führt. Die Fördergelder für den GF-H werden vom Bund als Zuschüsse an die Otto-

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Benecke-Stiftung (OBS) gewährt, die diese an Träger und Teilnehmer weiterleitet.

In Ergänzung zu den vorstehenden Ausführungen gibt das folgende Schaubild einen groben Überblick über die Komplexität der Verwaltungsstrukturen und der Zugangsbestimmungen, die für die Sprachförderung von Migranten gelten:






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Inkonsistenzen im Sprachfördersystem

Das mit der Sprachförderung für alle genannten Migrantengruppen gemeinsam angestrebte Ziel, die soziale und berufliche Integration maßgeblich zu unterstützen, erfolgt damit auf Basis sehr unterschiedlicher Förderstrukturen. Die Entscheidung darüber, welche Sprachförderung zur Errei-
chung der Integrationsanforderungen durch die Aufnahmegesellschaft und zur Erreichung des persönlichen Integrationsziels der Migranten notwendig

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und sinnvoll ist, richtet sich aufgrund dieser Förderstruktur nur zum Teil am tatsächlich gegebenen Bedarf.

Wichtigster Faktor hierfür ist die Tatsache, daß die Zugangsberechtigung zu unterschiedlich ausgestatteten Sprachkursangeboten durch den rechtlichen Status der Zielgruppen bestimmt wird. Dies gilt nicht nur in Bezug auf den Zugang zu den zwei großen Sprachkurssystemen, in denen auf der einen Seite Ausländische Arbeitnehmer und EU-Angehörige und auf der anderen Seite Spätaussiedler, Kontingentflüchtlinge und Asylberechtigte gefördert werden. Die förderrechtlichen Verästelungen, die durch das Aufenthaltsrecht bestimmt werden, setzen sich auch innerhalb der Sprachfördersysteme fort: So dürfen Asylberechtigte zwar an den Angeboten des GF-H, jedoch nicht am Akademikerprogramm teilnehmen. Für Zuwanderer, die über § 8 Abs. 2 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) legal nach Deutschland einreisen, hierbei handelt es sich meist um Angehörige von Spätaussiedlern, ist weder die Teilnahme an einer sechsmonatigen Sprachfördermaßnahme über das Sozialgesetzbuch III (SGB III) noch über die vom Sprachverband geförderten Kurse möglich. Allerdings dürfen sie, sofern sie das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, an den Maßnahmen des Garantiefonds teilnehmen.

Zwar ist das Sprachfördersystem für Spätaussiedler auf Personen mit verschiedenem Bildungsbedarf (Akademiker, Erwachsene, Jugendliche mit und ohne Hochschulzugangsberechtigung) und das für Ausländische Arbeitnehmer auf Personen mit unterschiedlichem Zeitbudget (Frauen mit Kindern, Erwerbstätige usw.) zugeschnitten, doch steht die Auswahl aus der Bandbreite des Angebotsspektrums auch innerhalb des zuständigen Sprachfördersystems nicht ohne weiteres frei. Dies liegt nicht nur daran, daß der Zugang zur Sprachförderung durch den rechtlichen Status bestimmt wird, sondern begründet sich auch in der Tatsache, daß die Auslastung von Trägerkapazitäten für die Zuweisung eines bestimmten Sprachförderangebotes entscheidend sein kann. So besuchen verschiedene Lernergruppen gemeinsam einen Kurs, damit dieser überhaupt zustande kommen kann. Denn der Mangel an Teilnehmern aus dem förderfähigen Personenkreis besteht mittlerweile bei einem großen Teil der Träger. Demgegenüber müssen am Sprachkurs interessierte Personen häufig abgewiesen werden, weil sie aufgrund ihres aufenthaltsrechtlichen Status nicht als förderfähig anerkannt werden.

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Da die Zuständigkeiten für einzelne Programme im Sprachfördersystem für Spätaussiedler bei unterschiedlichen Ressorts liegen, besteht teilweise eine Ziel-, Zielgruppen- und Zuständigkeitsüberschneidung. Dies führt dazu, daß z.B. jugendliche Spätaussiedler in unterschiedliche Förderangebote geraten können. Ohne Kenntnis über die Existenz und Teilnahmemöglichkeit an
einem umfassenden zehnmonatigen Garantiefonds-Sprachkursangebot besuchen sie nicht selten den für sie weniger günstigen sechsmonatigen SGB III-Sprachkurs. Oder sie besuchen für die erste Förderperiode von sechs Monaten den SGB III-Sprachkurs und für die verbleibende Zeit von vier Monaten den Garantiefonds-Sprachkurs. Fraglich ist hier allerdings, ob unter diesen Umständen so etwas wie Förderkontinuität gewährleistet ist.

Zwar wird dieses Problem von Seiten des BMFSFJ und des BMA erkannt, doch reicht der Ansatz, eine Verzahnung der beiden Angebote zu erwirken, nicht weit genug: Nach Auffassung beider Ressorts sind jugendliche Spätaussiedler, die bei den Arbeitsämtern vorstellig werden, im Einzelfall an die Behörden zu verweisen, die auf der Länderebene für die Durchführung von Deutsch-Sprachlehrgängen nach dem Garantiefonds zuständig sind. Da gemäß der Richtlinien des Garantiefonds (RL-GF) die Förderung nach dem SGB III vorrangig ist, sollen die Kosten der Garantiefonds-Kurse anteilig vom Arbeitsamt übernommen werden. Einschränkend gilt hier jedoch die Regelung, daß die Durchführung von Sprachlehrgängen gemäß SGB III infolge der Verweisung von Jugendlichen auf die Garantiefonds-Sprachkurse nicht beeinträchtigt werden darf. Nach Auffassung des BMA darf es deshalb nicht dazu kommen, daß Deutsch-Sprachlehrgänge gemäß SGB III mangels ausreichender Teilnehmerzahlen nicht oder nicht zeitgemäß zustande kommen. Damit wird die für die Jugendlichen angestrebte Förderkontinuität durch Verzahnung der Angebote nur in Abhängigkeit von einer ausreichenden Teilnehmerzahl in den SGB-III Kursen gewährleistet.

Zusammenfassend ist festzuhalten, daß mit der Segmentierung der Sprachförderung nach Rechtsstatus der Migranten die Organisation eines stringenten und lernzielorientierten Kurssystems erschwert wird, da in Deutschland lebende Migranten mit gleichem Spracherwerbsbedarf (und für sie gleichlautendem Integrationsziel) auf verschiedene Fördersysteme verteilt werden und damit keine optimale Auslastung in den einzelnen Kursen besteht. In der Folge daraus werden z.B. in einem großen Teil der Sprachkurse, die über den Sprachverband gefördert werden, keine Lernziele festgelegt, die

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von den Teilnehmern zum Ende eines Kurses zu erreichen sind. Die Durchführung eines Sprachkurses mit einem für alle gemeinsamen Lernziel ist äußerst schwierig, wenn die Teilnehmer des Kurses sprachlich auf sehr unterschiedlichem Niveau sind. Mit fehlenden Lernzielvorgaben geht die Ver-
bindlichkeit bei der Durchführung der Kurse ebenso verloren wie die Motivation vieler Teilnehmer für den Kursbesuch. Für sie ist das im Sprachkurs Erlernte kaum als Teilziel sozialer und möglicherweise auch beruflicher Integration einzuordnen. So erfolgt die Aushändigung einer Teilnahmebescheinigung nach Abschluß der Kurse vielfach nur auf Wunsch, unabhängig davon, ob jemand den Kurs regelmäßig oder unregelmäßig besucht hat und ob er einen freiwilligen Abschlußtest bestanden oder nicht bestanden hat. Insbesondere für Personen mit beruflichem Integrationswunsch ist diese Organisationsstruktur wenig förderlich, da die Verwertbarkeit des Kursbesuches in hohem Maße davon abhängig ist, daß mittels Zeugnis oder Zertifikat nachgewiesen werden kann, was wann zu welchem Zweck erlernt wurde.

Im Rahmen des Akademikerprogramms läßt sich das Problem mangelnder Förderkonsequenz weiter konkretisieren: Die Zahl der Personen, die sich pro Jahr an das Akademikerprogramm wenden, liegt weit über der Zahl derjenigen, die aufgrund des zur Verfügung stehenden Mittelvolumens tatsächlich durch ein Stipendium gefördert werden können. Durch Stipendien wird die Teilnahme an verschiedenen Förderangeboten des Akademikerprogramms ermöglicht. Ein Stipendium erhalten z.B. Personen, die an einem dreimonatigen Fachsprachkurs teilnehmen. Dieser Fachsprachkurs wird dazu genutzt, sich fachsprachlich weiter auf die berufliche Praxis vorzubereiten.

Am Beispiel der Mediziner läßt sich darstellen, daß die Berufsaufnahme nur durch Weiterförderung nach dem Fachsprachkurs wahrscheinlich ist: Für diesen Personenkreis besteht die spezielle Regelung, daß die Aufnahme einer ärztlichen Tätigkeit in Deutschland erst nach Ableistung eines einjährigen Anpassungspraktikums in einem Krankenhaus erfolgen kann. Meist zwingende Voraussetzung zur Aufnahme dieses Praktikums ist der Erhalt eines Stipendiums über die OBS für den Zeitraum des Anpassungspraktikums. Der durch den Fachsprachkurs angestoßene berufliche Integrationsprozeß kann hier nur durch ein weiterführendes Stipendium vollendet werden und würde ohne Weiterförderung auf halber Strecke abgebrochen, so

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daß die fachsprachlichen Kompetenzen, die in diesem Kurs erworben werden, beruflich nicht genutzt werden können.

Ein in sich geschlossenes Fördersystem müßte gewährleisten, daß die Zielerreichung der beruflichen Integration für alle Personen vollständig gewährleistet wird, bei denen bereits eine Teilförderung erfolgt ist.

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Konsequente Sprachförderung in Deutschland

Die mangelnde Konsequenz bei der Sprachförderung von in Deutschland lebenden Migranten bezieht sich demnach nicht nur auf die Frage, wer gefördert und wer nicht gefördert wird. Sie bezieht sich ebenso auf die Systematik der Sprachförderung insgesamt. Viel zu wenig Teilziele sind im Fördersystem erkennbar, die es für den Einzelnen als Meilensteine auf seinem individuellen Integrationsweg zu erreichen gilt und die zum persönlich angestrebten Integrationsziel führen.

Eine Sprachförderung, die für alle auf Dauer in Deutschland lebenden Migranten sinnvoll ist, sollte zweierlei Ansprüchen genügen: Zum einen sollte ihre Zielgruppenspezifik ausschließlich am Spracherwerbsbedarf der Migranten und an den Anforderungen der Aufnahmegesellschaft hinsichtlich der Integrationsanstrengungen von Migranten ausgerichtet sein. Zum anderen sollte für Nutzer und Außenstehende transparent sein, welche konkreten Zielsetzungen wie erreicht werden können. Für den Besucher eines Sprachkurses sollte in etwa klar sein, welche Kenntnisse er nach der Teilnahme an einem Intensivsprachkurs Stufe 3 erworben hat und wie er auf diesen Kenntnissen aufbauen kann, um seinen lang gehegten Berufswunsch zielgerichtet zu verfolgen. Neben der Verzahnung von verschiedenen Sprachkursangeboten setzt dies bundesweit eine weitgehende Vereinheitlichung und Konkretisierung von Lernzielen sowie die langfristige Quali-
tätssicherung des Sprachunterrichtes voraus. Um die Sprachförderung als feste und unverzichtbare Größe im Gesamtprojekt „soziale und berufliche Integration von Migranten" zu installieren, ist ihr Integrationsbeitrag festzulegen und ein entsprechendes Förderkonzept zu erarbeiten.

Sprachförderung steht jedoch nur als ein, wenn auch wesentliches Integrationsinstrument auf der Tagesordnung. Neben ihr gibt es bundesweit und länderspezifisch zahlreiche andere Integrationsangebote für Migranten, die

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alle ohne ein festes Integrationsrahmenkonzept durchgeführt werden. Damit wird die Zielsetzung, auf Dauer in Deutschland lebende Migranten sozial und beruflich zu integrieren, für Nutzer und Außenstehende wenig konkret, sie verliert an Verbindlichkeit und ist der Gefahr ausgesetzt, in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung unterschätzt zu werden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2000

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