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Wilhelm Adamy
Sozialklauseln im internationalen Handel aus der Sicht des Deutschen Gewerkschaftsbundes


  1. Das Schlagwort der Globalisierung ist zum zentralen Kampfbegriff der politischen Auseinandersetzung geworden. Zentrale Schlüsselelemente sind insbesondere:

    • ein rasches Wachstum des Welthandels;

    • eine Welle weltweiter Handelsliberalisierung und die Entwicklung regionaler Handelsverbünde;

    • eine starke Zunahme von Direktinvestitionen im Ausland;

    • neue Produktionssysteme, die einen wachsenden Handel innerhalb der Unternehmen und Arbeitsverlagerungen über nationale Grenzen hinweg fördern;

    • die spekulativen Kapitalströme gewinnen mit der Globalisierung der Finanzmärkte an Gewicht;

    • der Wegfall des Ost-West-Konflikts fördert die Internationalisierung der Kapitalstrukturen.

  2. Mit der Globalisierung nimmt die wechselseitige Abhängigkeit zwischen den Staaten zu. Die Internationalisierung macht zugleich die Grenzen der bestehenden wirtschaftlichen und sozialen Regelungsmechanismen der Nationalstaaten deutlich. Einzelstaatliche Handlungsmöglichkeiten werden eingeschränkt, wenn auch nicht aufgehoben; zugleich steigen die Möglichkeiten der Kapitalmärkte, einzelne Regierungen „abzustrafen".

  3. Insbesondere die weltweite Liberalisierung hat zu einer radikalen Änderung der herrschenden Wirtschaftspolitik geführt. Es dominiert der Standpunkt, daß freier Handel, Investitionen und Finanzströme das wirksamste Mittel zur Sicherung autonomen Wohlstands sind. Dieses Politikkonzept droht, einen Kostensenkungswettlauf zu fördern, der per Saldo zu einem Nullsummenspiel führen könnte.

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  4. Zweifelsfrei ist die Liberalisierung des Welthandels eine wichtige Antriebskraft für das Wirtschaftswachstum; die entscheidende Frage ist jedoch, ob Wirtschaftswachstum und offener Welthandel hinreichend sind, um einen fairen internationalen Handelsaustausch und eine gerechte Verteilung der Vorteile des Welthandels sicherzustellen. Das rapide Wachstum von Welthandel und ausländischen Investitionsströmen jedenfalls haben nicht verhindern können, daß die Vorteile zwischen und innerhalb der Länder ungleich verteilt sind und sich eher noch vergrößert haben. Häufig konzentrieren sich die Verluste auf bestimmte Gruppen und Regionen, was sie sichtbarer macht als die Gewinne.

  5. Die realen Globalisierungsgefahren dürfen weder über- noch unterschätzt werden.

    Trotz des schnellen Wachstums sind die Importe von Industriegütern aus Niedriglohnländern relativ gering. 1994 lagen sie im Durchschnitt der Mitgliedstaaten der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bei knapp 4% des Bruttoinlandsprodukts.

    Die direkten Auslandsinvestitionen in Niedriglohnländer sind insgesamt relativ gering. Von den Direktinvestitionen deutscher Unternehmen ins Ausland fließen nahezu 60% in andere westeuropäische Länder.

  6. Produktionsverlagerungen sind vorrangig ein europäisches und weniger ein globales Problem. Deutsche Auslandsinvestitionen in Entwicklungsländern zielen vorrangig auf die Produktion für die dortige Region. Eine lokale Produktion kann nicht zuletzt auch Märkte für weitere Exporte aus Deutschland erschließen.

    Zu Umfang und Struktur von Produktionsverlagerungen gibt es bisher keine gesicherten Erkenntnisse.

    Für Asien wird geschätzt, daß etwa ein Viertel der Beschäftigten von deutschen Auslandstöchtern für den Export nach Deutschland oder Europa arbeiten.

  7. Die Gefahr ist relativ groß, daß die Globalisierung instrumentalisiert wird. Dies würde weltweit den Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen verschärfen und die Wettbewerbschancen der Entwicklungsländer insbesondere verschlechtern. Defensive Strategien, wie Abwertungswettlauf, verändern gleichermaßen die Wettbewerbsverhältnisse zwischen Nord und Süd.

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    Zugleich wird die Verhandlungsposition der Gewerkschaften geschwächt. Oftmals reicht die Drohung aus, die Produktion ins Ausland zu verlagern, um Zugeständnisse zu erpressen. Transnationale Unternehmen lösen sich immer mehr von einzelnen Staaten, was den Wettbewerb um steuerliche Vergünstigungen und öffentliche Förderung verschärft.

    Trickreich entziehen sich weltweit tätige Unternehmen dem Zugriff der nationalen Finanzminister. Konjunkturorientierte Finanz- und Geldpolitik muß weit stärker die globalen Finanzmärkte einbeziehen. Der Außenbeitrag eines Landes wird zu einem wichtigen Faktor.

  8. Verdrängungswettbewerb findet weniger zwischen Nord und Süd statt als vielmehr zwischen Produktionsstandorten mit ähnlichen Produktionstechniken. Die Schärfe des Konkurrenzkampfes im Süden weist folgende Besonderheiten auf:

    • geringe Spezialisierungstiefe, die den Markteintritt neuer Konkurrenten erleichtert;

    • stark wachsendes Arbeitskräftepotential;

    • arbeitsintensive Arbeitsweise.

    Die Mißachtung von Arbeitnehmerrechten ermöglicht insbesondere hier kurzfristige Konkurrenzvorteile.

  9. Den Industrieländern kommt eine besondere Verantwortung hinsichtlich des weltweiten Wirtschaftswachstums und der Förderung der Beschäftigung zu. Hierzu zählen ebenso internationale Vorkehrungen, damit das weltweit vagabundierende spekulative Geld nicht Wirtschaftswachstum und Beschäftigung destabilisiert und finanzielle Krisen begünstigt.

  10. Sozialklauseln werden den Welthandel nicht revolutionieren. Sie werden vorrangig den Handel zwischen den Ländern des Südens tangieren als den Handel zwischen Nord und Süd.

    Weltproduktion und Welthandel sind nach wie vor auf die Industrieländer konzentriert. Auf sie entfallen rund 80% der Weltproduktion und zwei Drittel bei einem Anteil von knapp 16% der Weltbevölkerung.

    Sozialklauseln würden nur in geringem Umfang Auswirkungen auf die Arbeitsplätze in Industrieländern haben. Sie sind insbesondere für jene

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    Entwicklungsländer von zentraler Bedeutung, die sich um eine sozialverträglichere Entwicklung bemühen. Sozialklauseln widersprechen auch keinesfalls dem von Entwicklungsländern geforderten „Recht auf Entwicklung", sondern können elementare Bestandteile eines solchen Konzepts sein.

  11. Eine OECD-Studie kommt zu dem Schluß, „daß grundlegende Arbeitsnormen nur begrenzte wirtschaftliche Folgen haben". Die Entwicklungsländer müßten nicht befürchten, daß sich die Anwendung der grundlegenden Arbeitsnormen nachteilig auf ihre Wirtschaftsleistung oder ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit auswirken wird. Die OECD-Studie kommt gleichfalls zu der Feststellung, daß es langfristig eine positive Beziehung zwischen erfolgreich durchgeführten Handelsreformen und der Verbesserung der Arbeitsnormen gibt. Bezüglich der ausländischen Direktinvestitionen kommt die Studie zu dem Ergebnis, daß die grundlegenden Arbeitsnormen zwar eine gewisse, aber in den meisten Fällen keine entscheidende Rolle bei den Standortentscheidungen von OECD-Investoren zugunsten von Nicht-OECD-Ländern spielen. Dies heißt aber auch umgekehrt, daß die Entwicklungsländer die grundlegenden Arbeitsnormen durchsetzen können, ohne negative Auswirkungen auf die ausländischen Direktinvestitionen befürchten zu müssen.

  12. Soweit soziale Leistungen im engen Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Landes stehen, dürfen sie keinesfalls zum Gegenstand von Sozialklauseln gemacht werden.

    Dies gilt sowohl für soziale Leistungen wie die der Renten-, Kranken- oder Arbeitslosenversicherung. Dies gilt gleichfalls hinsichtlich der Löhne. In den DGB-Positionen zu Sozialklauseln heißt es ausdrücklich: „Die mit niedrigen Löhnen einhergehenden Wettbewerbsvorteile dürfen keinesfalls zum Gegenstand von Sozialklauseln gemacht werden, wenn sie von freien Gewerkschaften in freien Verhandlungen bestimmt werden." Die Gewerkschaften der Industrieländer wollen keinen direkten Einfluß auf das Lohnniveau in Entwicklungsländern ausüben, sondern sicherstellen, daß freie Gewerkschaften dort selbst die Verteilungsregeln ihres Landes autonom beeinflussen können.

    Die Gewerkschaften wollen keinesfalls die relativen Kostenvorteile der Entwicklungsländer untergraben. Sie bekennen sich ausdrücklich dazu,

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    daß die komparativen Vorteile der Entwicklungsländer über Sozialklauseln nicht angetastet werden.

  13. Im Unterschied zu sozialen Mindestnormen sind soziale Grundrechte der Arbeitswelt keinesfalls abhängig vom Produktivitätsniveau eines Landes. Wie z.B. die Produktionsergebnisse eines Landes auf Löhne, Gewinne, soziale Leistungen usw. aufgeteilt werden, liegt in der Autonomie der einzelnen Staaten. Grundrechte sollen Voraussetzungen dazu schaffen.

  14. Auch wenn eine Wechselbeziehung von ökonomischer und sozialer Entwicklung generell nicht zu übersehen ist, so sind Sozialnormen keine eindimensionale Funktion der ökonomischen Entwicklung. Aber selbst dann, wenn die Betrachtung auf eine Marktlogik reduziert wird, muß das Prinzip der Verhandlungs- und Vertragsfreiheit auch auf den Arbeitsmarkt übertragen werden. Aufgabe freier Gewerkschaften ist es dabei, den Inhalt des sozialen Schutzes nach Vorstellungen zu formulieren, die den Verhältnissen ihres Landes am besten gerecht werden. Ein offenes und faires Handelssystem setzt die Bedingung voraus, daß den Arbeitskräften die Möglichkeit eröffnet wird, ihre Arbeitsbedingungen auf individueller und kollektiver Ebene frei auszuhandeln.

  15. Die Notwendigkeit einer Verankerung von Sozialklauseln stellt sich auch dann, wenn man der Logik der Liberalisierungsregeln und der Marktmechanismen folgt. Nach den Regeln des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) liegt Dumping beispielsweise dann vor, wenn ein Produkt „zu einem Preis unter seinem normalen Wert" in den Handel eines anderen Landes eingebracht wird.

  16. Wie unterschiedlich die Bewertungsmaßstäbe angelegt werden, zeigt der Schutz des geistigen Eigentums. So wird den Mitgliedern der Welthandelsorganisation (WTO) ein wirksames Vorgehen gegen jede Handlung gestattet, die die Rechte am geistigen Eigentum beeinträchtigen würde, einschließlich rascher Abhilfemaßnahmen, die jeder Beeinträchtigung vorbeugen sollen, sowie Maßnahmen, die Abschreckungsmittel gegen jede spätere Beeinträchtigung darstellen.

    Handelspolitische Bestimmungen ermöglichen es den Vertragsstaaten darüber hinaus, restriktive handelspolitische Maßnahmen zu ergreifen, soweit sie für den Schutz des Lebens oder die Gesundheit von Personen und Tieren erforderlich sind. Warum, so ist zu fragen, wird diese Liste

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    auf die Gesundheit von Tieren ausgedehnt, nicht hingegen auf elementare Grundrechte der Arbeitnehmer, die unmittelbar die menschliche Würde berühren?

  17. Die schlimmsten Formen der Ausbeutung geschehen zweifelsohne im informellen Sektor und den binnenmarktorientierten Sektoren. Sollen Sozialklauseln jedoch protektionistische Elemente vermeiden, müßten sie weitgehend produktbezogen sein und sich auf den Exportsektor konzentrieren. In Relation zu den Gesamtexporten kommt ihnen aber eine eher untergeordnete Bedeutung zu. In den Exportzonen vieler Länder sind gesetzlich verbriefte Gewerkschaftsrechte zum Teil außer Kraft gesetzt und Kinderarbeit in diesen exportorientierten Industrien nimmt zu. Nach Schätzungen des US-Arbeitsministeriums arbeiten z.B. allein in den Exportzonen Chinas bis zu fünf Millionen Kinder und minderjährige Jugendliche. Sozialklauseln sind daher nur ein Element, aber keinesfalls ausschließliches Mittel, um sozialen Fortschritt generell garantieren zu können. Die Forderung nach Sozialklauseln muß daher eingebettet werden in ein umfassenderes Gesamtkonzept.

  18. Die Kritiker der gewerkschaftlichen Forderungen nach Sozialklauseln setzen sich bisher nicht mit den konkreten Vorschlägen der Gewerkschaften auseinander, die auf die Verhinderung eines protektionistischen Mißbrauchs abzielen. Die Diskussion sollte sich konkreter mit der Frage befassen, wie Protektionismus verhindert werden kann.

  19. Die derzeitige unilaterale Praxis ist zweifelsohne anfällig für eine ungleiche Behandlung bei Nichteinhaltung völkerrechtlicher Sozialnormen. Solange Arbeitnehmerrechte nicht multilateral verankert sind, besteht die große Versuchung für starke Länder, unilateral gegen schwächere Länder vorzugehen.

  20. Das gewerkschaftliche Konzept der Sozialklausen will soweit wie möglich über internationalen Dialog und aktive Hilfen sozialen Fortschritt hinsichtlich sozialer Menschenrechte erzielen. Handelssanktionen sollen lediglich ein letztes Instrument sein, wenn trotz Hilfen und mehrmaliger internationaler Verwarnung kein ernster Wille zur Akzeptanz völkerrechtlicher Normen besteht. Die Internationale Arbeitsorganisation (IAO/ILO) soll dabei nach ihren Mechanismen die Einhaltung der IAO-Normen prüfen Soweit die Verletzung sozialer Menschenrechte Auswirkungen auf den

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    Handel hat, sollen IAO und WTO gemeinsam einen Aktionsplan aufstellen und die Umsetzung überwachen.

  21. Die IAO hat ganz konkrete Verfahren entwickelt, um eklatante Verletzungen zu prüfen. Mit Sozialklauseln soll z.B. Kinderarbeit nicht generell erfaßt werden. Die IAO erarbeitet aktuell eine spezielle Norm, die sich lediglich mit eklatanten Verletzungen wie Schuldknechtschaft befaßt.

  22. Sozialklauseln sollen und können lediglich Teilelement eines umfassenderen Konzeptes zur sozialverträglichen Entwicklung sein. Gütesiegel können z.B. positiv unterstützend wirken. Bisher ist jedoch nicht auszuschließen, daß ohne internationale Überwachung Gütesiegel instrumentalisiert oder zur Produktdifferenzierung mißbraucht werden und Verbraucher meist stärker auf Preissignale als auf moralische Werte reagieren.

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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