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TEILDOKUMENT:


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Herbert Kötter
Statement zur Gesprächsrunde:
Was können wir tun, um Beschäftigung zu erhalten und zu fördern?


Die Antwort auf die Frage, ob ein Bündnis für Arbeit Chance oder Utopie ist, lautet aus meiner Sicht: Allgemein ist es eher eine Chance, sofern die Bereitschaft besteht, ehrlich über die Ursachen der Arbeitslosigkeit zu sprechen und daraus Schlußfolgerungen zu ziehen.

Da es sich um Probleme unserer internationalen Wettbewerbsfähigkeit und nicht um Schwierigkeiten handelt, die auf der kommunalen Ebene verursacht werden, liegen auch die Ansatzpunkte zur Lösung nicht vorrangig bei der Kommune.

Am Beispiel der Bayer AG möchte ich verdeutlichen, worin die Probleme bestehen.

Zum einen befinden wir uns bei Bayer in einem Wettbewerb mit international tätigen Unternehmen. Mit unserer Umsatzrendite von 10% bleiben wir deutlich hinter dem Ergebnisniveau der führenden internationalen Wettbewerber zurück, die Umsatzrenditen von 15% erzielen. Dies ist ein Ansporn, noch besser zu werden. Nur wenn Bayer in der Wettbewerbsfähigkeit und damit auch im Ergebnis in der Spitzengruppe der Branche liegt, wird das Unternehmen in der Lage sein, seine Marktposition auf Dauer zu behaupten und noch weiter auszubauen.

Zum anderen zeigen zwar Prognosen für den Chemieverbrauch, daß die Chemie auch weiterhin eine Wachstumsbranche bleiben wird. In den nächsten Jahren wird der Chemiebedarf jährlich um mehr als 4% zunehmen. Entscheidend ist dabei allerdings, wo dieses Wachstum stattfinden wird.

Der Chemieverbrauch wird in den kommenden Jahren in allen Regionen, Europa, USA und Fernost, weiter zunehmen. Die großen Steigerungen finden aber in Fernost statt. Das bedeutet, daß das Chemiewachstum sich zunehmend von den jetzigen Industrieländern in den asiatisch-pazifischen Raum verlagert.

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Wir werden daher dort investieren müssen, wo unsere künftigen Wachstumsmärkte sind. Neue Kapazitäten müssen vornehmlich in unseren Überseemärkten entstehen. Hinzu kommt, daß wir uns nur durch eine stärkere Produktion in diesen Märkten von exportbedingten Währungsrisiken unabhängiger machen können.

Trotz dieser Grundtendenz wird Europa für Bayer in absoluten Zahlen nach wie vor die Nummer 1 in Umsatz und Ergebnis bleiben. Dies läßt sich durch die Investitionen belegen: Der Anteil der Bayer-Investitionen in Europa am Gesamtvolumen liegt immer noch bei über 60%.

Um diese Position weiter zu halten, ist es notwendig. Synergiepotentiale zu nutzen, uns stärker auf das Kerngeschäft zu konzentrieren und mit den Kosten wettbewerbsfähig zu bleiben.

Dies betrifft die gesamten Kosten, die sich aus den Rahmenbedingungen eines Standortes ergeben. Dazu gehören Steuern, Energiekosten etc. Die Personalkosten sind ein wesentlicher Bestandteil.

Eine wesentliche Schwierigkeit besteht darin, daß diese Problemlage der Gesamtgesellschaft und auch vielen Mitarbeitern und Betriebsräten nicht genügend bewußt ist. Und ebenso wenig bewußt ist vielen in unserer Gesellschaft, daß ein Umdenken erforderlich ist.

Dazu gehört zum Beispiel eine verbesserte Kundenorientierung. Wir werden unsere Wettbewerbsfähigkeit nur verbessern können, wenn wir dafür sorgen, daß die Kunden mit unseren Produkten und unserem Service so zufrieden sind, daß sie sie kaufen. Unsere Zukunft wird von den Kunden bestimmt, und damit bestimmen unsere Kunden ebenso über unsere Arbeitsplätze.

Ein anderer Punkt ist die Rolle der Arbeitnehmerseite. Es entsteht oftmals der Eindruck, daß sie nicht bei den Ursachen - insbesondere nicht rechtzeitig - ansetzen will. Sind dann Strukturmaßnahmen unvermeidlich, wird die Lösung im möglichst weitgehenden Abmildern der sozialen Risiken gesehen. Dies trägt jedoch nicht zur Beseitigung der Probleme bei.

Die Gesellschaft insgesamt wird sich nach meiner Einschätzung darauf einrichten müssen, daß die vorhandene Arbeit auf mehr Schultern verteilt wird, ohne die Arbeitskosten zu erhöhen. Der, der Arbeit hat, soll einen Teil seiner Arbeit abgeben an den, der keine hat. Das bedeutet: Arbeit ab-

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geben und weniger verdienen. Auch die Automatik von Einkommenszuwächsen ist in Frage zu stellen, und dies ist sicher ein Einschnitt, der ebenfalls Umdenken erfordert, und dies um so mehr, als der soziale Konsens auf der Verteilung des Zuwachses, auf dem Prinzip des „Immer mehr" beruht.

Eines wird nicht helfen: die Folgen des weltweiten Wettbewerbs verhindern zu wollen. Der wirtschaftliche Wandel läßt sich nicht durch Worte oder Demos bremsen oder vermeiden. Erforderlich ist, das Problem im Konsens zu lösen und nicht in Konfrontation. Hierzu müssen alle ihren Beitrag leisten, Arbeitgeber, Gewerkschaften, die öffentliche Hand und die Arbeitnehmer.

Für ein Unternehmen der Großindustrie wie z.B. Bayer ist die Kommune nicht der erste Ansprech- und Handlungspartner. Wichtig ist für viele unserer Aktivitäten die nationale Ebene. Dennoch kann auch die Kommune zu den wettbewerbsfähigen Rahmenbedingungen beitragen, z.B. bei der Gewerbesteuer.

Im übrigen gibt es keinen „Königsweg" zur Beschäftigungssicherung. Viele verschiedene Maßnahmen der beteiligten Akteure sind erforderlich.

Aus der Sicht von Bayer gehört als ein Ansatzpunkt die Entgeltpolitik dazu. Sie muß so konzipiert sein, daß einerseits eine stärkere Berücksichtigung der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens, andererseits der persönlichen Leistung der Mitarbeiter möglich ist.

Auch die flexible Gestaltung der Arbeitszeit ist ein wichtiger Beitrag zur besseren Ausrichtung an wirtschaftliche Entwicklungen und betriebliche Erfordernisse und wirkt damit produktivitätssteigernd und indirekt kostensenkend.

Hier ist die neue Gleitzeitvereinbarung zu nennen, aber auch die Förderung von Teilzeitarbeit und (noch) ungewöhnliche Möglichkeiten wie Telearbeit und Jahresarbeitszeitverträge.

Nicht nur das Unternehmen, sondern auch die Tarifpartner der chemischen Industrie haben die Notwendigkeit flexibler Arbeitszeitgestaltungen erkannt und bereits im letzten Jahr festgelegt, daß die tarifliche Arbeitszeit von 37,5 Wochenstunden auf einen Zeitraum von bis zu 12 Monaten verteilt werden kann. Außerdem ist es möglich, für einzelne Arbeitnehmer-

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gruppen oder einzelne Betriebe eine bis zu 2½ Stunden längere oder kürzere Arbeitszeit, einen sogenannten Arbeitszeitkorridor, zu vereinbaren.

Ein weiterer Lösungsansatz zur Sicherung der Beschäftigung ist der Tarifabschluß dieses Jahres. Die Tarifpartner der Chemieindustrie einigten sich bei einer vergleichsweise moderaten Erhöhung der Tarifentgelte auf Maßnahmen zur Sicherung und Förderung der Beschäftigung: Bis Februar 1997 werden Maßnahmen zum Personalabbau in der chemischen Industrie ausgesetzt.

Im Sinne unserer Zielsetzung, Beschäftigung möglichst zu erhalten, denken wir über neue Modelle nach, z.B. über die Einrichtung eines Beschäftigtenpools, aus dem die durch Strukturmaßnahmen freigesetzten Mitarbeiter vorübergehend auf anderen Arbeitsplätzen eingesetzt werden können.

Gute Erfahrungen haben wir bereits mit einem anderen Pool gemacht. Seit Anfang 1994 übernehmen wir alle Ausgebildeten, für die zum Zeitpunkt des Ausbildungsabschlusses kein Bedarf vorhanden ist, in einen sogenannten „Ausgebildetenpool". Diese Mitarbeiter erhalten einen unbefristeten Teilzeit-Arbeitsvertrag und können zu befristeten Arbeitseinsätzen innerhalb oder außerhalb des Unternehmens ausgeliehen werden. Die Mehrheit aller Mitarbeiter aus diesem Pool konnten bereits auf feste Arbeitsstellen vermittelt werden, davon die Hälfte in Vollzeit. Mit Hilfe dieses Pools gelingt es, jungen Menschen, die bei Bayer eine gute berufliche Qualifikation erworben haben, dauerhaft Arbeitsplätze zu vermitteln, die sie direkt nach der Ausbildung zunächst aus Mangel an Bedarf nicht erhalten konnten.

Die globale Ausrichtung der Bayer-Aktivitäten bedeutet nicht, daß wir den Standort Leverkusen vernachlässigen. Eine große Investition betrifft z.B. das neue Leverkusener Logistikzentrum Pharma. Außerdem stellen wir hier Auszubildende ein: Rund 50% der Einstellungen zur Ausbildung bei Bayer erfolgen in Leverkusen, und schließlich werden hier jährlich 100 bis 150 hochqualifizierte Hochschulabsolventen als Nachwuchskräfte eingestellt. In diesem Jahr stellen wir vorrangig am Standort Leverkusen nochmals 50 zusätzliche Ausbildungsplätze zur Verfügung.

Insgesamt sind in Leverkusen rund 27.200 Mitarbeiter beschäftigt, das sind rund 20% aller weltweit im Konzern Beschäftigten. Um ihre Arbeits-

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plätze zu sichern, ist es notwendig, gerade auch in Zeiten, in denen das Unternehmen Gewinn macht, Strukturprobleme zu bereinigen. Die Lösung der Probleme kann nicht aufgeschoben werden, bis die Zeiten wieder schlechter werden, sondern muß vorausschauend bereits jetzt angegangen werden. Darin liegt auch eine der Erklärungen dafür, daß das Unternehmen auch in Zeiten, in denen gute Gewinne erarbeitet werden, bei den Personalkosten ansetzt und Personal abbaut.

Die durch Schließung oder Verlagerung von Betrieben freigewordenen Flächen auf dem Leverkusener Werksgelände werden nach dem „Industriepark"-Konzept externen Firmen zur Ansiedlung angeboten. Wir gehen davon aus, daß dies ebenfalls dazu beiträgt, Arbeitsplätze am hiesigen Standort zu erhalten.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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