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TEILDOKUMENT:

Beispiele für kommunale Beschäftigungspolitik


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Günter Klemm
Umsetzung der regionalisierten Struktur- und Arbeitsmarktpolitik des Landes NRW am Beispiel einer ländlich geprägten Region


1. Vorbemerkung

Bereits seit Anfang der neunziger Jahre vollzieht sich ein nicht unerheblicher Teil beschäftigungs- und qualifizierungspolitischer Aktivitäten im Land NRW aufgrund des Vorhandenseins spezifischer Landesprogramme. Wie deren regionale Nutzbarmachung sich in der Praxis darstellt, soll am Beispiel einer ländlich strukturierten Region - dem Kreis Borken - zur näheren Erläuterung gelangen. Hierbei bezieht sich der Verfasser auf seine Kenntnisse und Erfahrungen, die er als Leiter des Regionalsekretariates für den Kreis Borken von Anfang 1990 bis Ende April 1996 gesammelt hat.

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2. Land NRW und die Europäische Union (EU) fordern Qualifizierung und Beschäftigung

Ausgehend von der Reform der Strukturfonds der Europäischen Gemeinschaft im Jahr 1988 sowie als landesweit greifende Fortschreibung der Ansätze ZIM (Zukunftsinitiative Montanregionen) und ZIN (Zukunftsinitiative für die Regionen Nordrhein-Westfalens) beschloß die nordrhein-westfälische Landesregierung Ende der achtziger Jahre, den Politikansatz „Regionalisierung der Struktur- und Arbeitsmarktpolitik" als Leitgedanken zu verankern. In Verbindung damit wurden durch die Ministerien für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS) bzw. Wirtschaft, Mittelstand und Technologie (MWMT) in den Jahren 1990/91 verschiedene neue Förderprogramme aufgelegt bzw. in späteren Jahren modifiziert und erweitert.

Insbesondere waren bzw. sind dies:

  • Ziel-2-/5b-Programm (seit 1994 Programm Pro Regio),

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  • Rechar-Programm,

  • Resider-Programm,

  • Konver-Programm,

  • arbeitsmarktpolitisches Sonderprogramm/Programm Arbeit und Qualifizierung (AQUA),

  • Globalzuschuß-Programm/Programm Qualifizierung für besondere Zielgruppen (Quazi),

  • Wiedereingliederungsprogramm für Berufsrückkehrerinnen/Frauenförderungsprogramm (FFP),

  • Gemeinschaftsinitiativen Beschäftigung (Aktionsbereiche NOW, HO-RIZON, YOUTHSTART) und Adapt.

Finanziell speisen sich diese Förderansätze zu etwa je 50% aus Landes- und EU-Mitteln.

Im Kreis Borken waren bzw. sind außer den Programmen Rechar, Resider und Konver sämtliche anderen Förderstränge zur finanziellen Unterstützung der Qualifizierung bzw. Beschäftigung arbeitsmarktpolitischer Problem- und Zielgruppen nutzbar. Ausgangspunkt hierfür ist allerdings das Vorhandensein entsprechender regionaler Infrastrukturen in Form sogenannter Regionalkonferenzen bzw. -sekretariate. Deren Institutionalisierung im Rahmen des o.g. Politikansatzes erfolgte mittlerweile flächendeckend im ganzen Land.

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3. Umsetzung im Kreis Borken

Strukturdaten des Kreises Borken

Der Kreis Borken gehört zusammen mit dem Kreis Coesfeld zum Arbeitsamtsbezirk Coesfeld und umfaßt 17 Städte bzw. Gemeinden mit ca. 341.000 Einwohnern auf rund 1.500 km2. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten liegt bei etwa 106.000.

Über die vier Arbeitsamts-Nebenstellen im Kreisgebiet hinweg gesehen beläuft sich die Arbeitslosenquote auf rund 8,5%. Hierbei stellt die Stadt

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Gronau einen besonderen Problemschwerpunkt dar; die knapp 2.500 registrierten Arbeitslosen ergeben eine Quote von ungefähr 15%.

hl Kreisgebiet haben ein überregional bedeutender und mehrere mit ihren Aktivitäten auf die Region konzentrierte Qualifizierungsträger ihren Sitz. Das abgedeckte Projektspektrum reicht von Maßnahmen zugunsten der von Arbeitslosigkeit bedrohten Beschäftigten bis zu Angeboten für besondere arbeitsmarktpolitische Zielgruppen (z.B. Langzeitarbeitslose).

Institutioneller Rahmen

Hinsichtlich der Umsetzung der neuen Struktur- und arbeitsmarktpolitischen Programme kann der Kreis Borken insofern eine Vorreiterrolle für sich in Anspruch nehmen, als bereits 1989 unter Federführung der Kreisverwaltung eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe tätig wurde, die inhaltliche und organisatorische Vorarbeiten für die Programmabwicklung ab 1990 leistete. Die vorgesehenen Institutionen in Form der Regionalkonferenz bzw. des Regionalsekretariates waren u.a. auf Basis der Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe ohne größere Anlaufprobleme arbeitsfähig.

Im Sinne des Politikansatzes der Regionalisierung der Arbeitsmarkt- und Strukturpolitik muß die Förderwürdigkeit Struktur- und arbeitsmarktpolitischer Projekte in den einzelnen Regionen eine Befürwortung erfahren (regionaler Konsens). Nur dann kann eine Förderung aus den aufgeführten Programmen erfolgen. Dessen Herbeiführung obliegt der Regionalkonferenz, in der möglichst alle regionalen arbeitsmarkt- und strukturpolitisch relevanten Akteure vertreten sein sollen. Entsprechende Förderanträge können - nach Erteilung des regionalen Konsenses - über das jeweilige Regionalsekretariat an die Bewilligungsbehörden weitergeleitet werden.

Das Aufgabenspektrum der Regionalkonferenz umfaßt vornehmlich:

  • Beratung/Festlegung der grundsätzlichen Ziele bzw. Schwerpunkte ihrer Arbeit,

  • Beratung/Festlegung eines abgestimmten regionalen Entwicklungskonzeptes und daraus folgend Benennung von Maßnahmeprioritäten,

  • Kooperationsförderung der beteiligten Institutionen,

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  • Beratung und Konsensfindung zu konkreten Projekten bzw. Förderanträgen,

  • Fixierung einer regionalen Förderrangfolge für die mit Konsens versehenen Projekte,

  • Festlegung der Arbeitsschwerpunkte und Tätigkeitsfelder des Regionalsekretariates im Rahmen der programmgegebenen „Förderphilosophie" (Konferenz als „materieller Arbeitgeber" des Sekretariates).

Die Regionalkonferenz für den Kreis Borken nahm am 15.2.1990 ihre Arbeit auf; bis Ende April 1996 haben 28 Sitzungen dieses Gremiums stattgefunden.

Als „operative Einheit" bzw. Beratungs- und Umsetzungsinstanz (und somit „Unterbau" der Regionalkonferenz) sehen die Förderprogramme die Einrichtung sogenannter Regionalsekretariate vor. Ihre Aufgaben bestehen vor allem in:

  • Sekretariatsfunktion für die Konferenz (u.a. Vor- und Nachbereitung der Sitzungen, Protokollführung, Ausführung der Arbeitsaufträge der Konferenz, Berichterstattung über die geleistete Arbeit),

  • Beratung potentieller Antragsteller hinsichtlich der Inanspruchnahme von Fördermitteln aus den diversen Programmen,

  • Prüfung/Beurteilung der Anträge auf formale und inhaltliche Stimmigkeit sowie deren Weitergabe an die Bewilligungsbehörden,

  • Begleitung/Beratung der Antragsteller während des Bewilligungsverfahrens (vor allem Kontaktpflege mit den zuständigen Behörden),

  • Nachbetreuung der Antragsteller (z.B. korrekte Erbringung von Verwendungsnachweisen),

  • Erstellung eines regionalen Entwicklungsprogramms als Orientierungsrahmen für die Förderwürdigkeit spezifischer Vorhaben (Strukturrelevanz),

  • Öffentlichkeitsarbeit über Zielsetzung, Inhalte und Zugangsmöglichkeiten der in Frage kommenden Programme,

  • Beobachtung/Beurteilung der sich wandelnden Förderlandschaft, um bereits frühzeitig präventiv die Gewinnung und Sicherung entsprechender Finanzmittel für die Region anzubahnen.

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Mit Blick auf die regionale Arbeitsmarktsituation und Problemschwerpunkte wurde das Regionalsekretariat für den Kreis Borken am Standort Gronau - und zwar im hier ansässigen Wirtschaftszentrum - untergebracht.

Träger des Regionalsekretariates ist die Wirtschaftsförderungsgesellschaft für den Kreis Borken mbH; deren Geschäftsführer übt die Dienstaufsicht aus. Es hat seine Tätigkeit am 1.4.1990 aufgenommen.

Ergebnisse der bisherigen Aktivitäten

In den 28 Sitzungen der Regionalkonferenz bis Ende April 1996 konnte der erforderliche Konsens zu einer Vielzahl von Anträgen mit einem erheblichen Kosten- und Fördervolumen erzielt werden. Damit verbunden gelang die Einwerbung von ca. 27,2 Mio. DM für 98 Projekte und einem finanziellen Gesamtrahmen von rund 70 Mio. DM. Das zur Durchführung gekommene Maßnahmespektrum reichte von Existenzgründungs- und Einstellungsbeihilfen für Arbeitslose bzw. von Arbeitslosigkeit Bedrohte über präventive Qualifizierungsmaßnahmen in einem von Rüstungskonversion betroffenen Unternehmen und der Entwicklung neuer Curricula im Bereich technologieorientierter Qualifizierung bis zu - im Schwerpunkt - Qualifizierungs- und Beschäftigungsmaßnahmen für Langzeitarbeitslose, Jugendliche und Berufsrückkehrerinnen.

Während die Ausschöpfung des bis Ende 1994 nutzbaren Ziel-2-Programms - bezogen auf die festgelegten Regionalquoten - bei rund 97% lag, partizipierte der Kreis Borken weit über das ursprünglich vorgesehene Maß hinaus von den zielgruppenorientierten Programmen. Einer Auswertung des IAT/der GIB [Fn.1: Frick, F./Richter, G./Stackelbeck, M./Reisch, R./Büssenschütt, E.: Aktive Arbeitsmarktpolitik verstärken, o.O. Abschlußbericht April 1994.] über Arbeitsmarktpolitik in NRW zufolge (Stand: April 1994) rangiert der Kreis Borken bei der Nutzung der genannten Programme unter den 54 Kreisen bzw. kreisfreien Städten Nordrhein-Westfalens mit einer Quote von ca. 257% an fünfter Stelle.

Da bis Ende 1995 in den Kreisen Coesfeld und Steinfurt sowie der Stadt Münster keine vergleichbare Institution existierte, haben sowohl diese Ge-

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bietskörperschaften als auch dort ansässige Weiterbildungsträger das Regionalsekretariat seit 1991 (und verstärkt in den Folgejahren) um Hilfestellung im Zusammenhang mit Anträgen aus den EU-kofinanzierten Landesprogrammen gebeten. Dank dieser kompetenten Unterstützung konnten Anträge mit einem Fördervolumen von rund 15 Mio. DM (bei Gesamtkosten von knapp 30 Mio. DM) zur Bewilligung gebracht werden.

Für den Kreis Warendorf existiert seit Anfang 1992 ein eigenes Regionalsekretariat. Sowohl bei den Vorbereitungsarbeiten zur Einrichtung dieser Beratungsinfrastruktur als auch hinsichtlich der Überbrückung bestehender Anlaufschwierigkeiten und im „laufenden Tagesgeschäft" leistete das Gronauer Sekretariat in vielfältiger Weise Hilfestellung.

Um die Arbeit des Regionalsekretariates konkreter erfaß- und nachvollziehbar zu machen, soll nachstehend ein „typischer" Projektablauf zur Darstellung gelangen:

  • Ein potentieller „Kunde"/Antragsteller nimmt mit dem Regionalsekretariat telefonisch Kontakt auf. Er wünscht Auskünfte über Fördermöglichkeiten einer Qualifizierungs- und Beschäftigungsmaßnahme für 15 Personen im Bereich sozialer Dienstleistungen. Zur weiteren Erörterung wird ein Beratungstermin im Regionalsekretariat vereinbart.

  • Im Rahmen dieses ersten Beratungsgespräches stellt sich heraus, daß sich der Träger noch in konzeptionellen Überlegungen befindet und bislang keine weiteren Klärungen erfolgt sind. Dabei wird seitens des Regionalsekretariates zunächst geraten, das Qualifizierungs- und Beschäftigungsfeld konkret abzugrenzen, eine aussagefähige Projektskizze zu erstellen und - zur Gewährleistung einer „Grundfinanzierung" - Kontakte mit dem Arbeitsamt aufzunehmen.

  • Nachdem der Träger sich entschlossen hat, die Maßnahme im Bereich der Qualifizierung von Altenpflegehelferinnen mit einer Laufzeit von 24 Monaten durchzuführen, erstellt er unter Zuhilfenahme einschlägiger Kosten- und Finanzierungsbögen des Regionalsekretariates eine Projektkalkulation. Gleichzeit klärt er mit dem Arbeitsamt sowie dem bzw. den zuständigen Sozialämtern eventuelle finanzielle Beteiligungsmöglichkeiten ab. Aus Sicht des Regionalsekretariates kommt für die Kofinanzierung des Projektes das Programm „Arbeit und Qualifizierung" (AQUA) in Betracht.

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  • Das ins Auge gefaßte Projekt wird der Regionalkonferenz für den Kreis Borken zur Konsenserteilung vorgelegt; diese spricht sich für die Förderwürdigkeit des Vorhabens aus und erteilt demzufolge den regionalen Konsens.

  • Im Verlauf des weiteren Konkretisierungsprozesses ergeben sich - u.a. aufgrund neuer Sichtweisen des Programms durch die Bewilligungsbehörde - erhebliche fördertechnische Unsicherheiten; diese können im Rahmen eines Gesprächstermins mit dem zuständigen Ministerium weitgehend ausgeräumt werden.

  • Der formale Förderantrag wird seitens der Kreisverwaltung (die hier als Antragsteller auftreten muß) ins Bewilligungsverfahren eingesteuert. Mit Blick auf die Klärung weiterer Details erfolgt ein Schriftwechsel zwischen Bewilligungsbehörde und Kreis. Bestimmte Fragen können erst im Verlauf eines Gespräches bei der Bewilligungsbehörde unter moderierender Mitwirkung des Regionalsekretariates zur Lösung gelangen.

  • Nach Erteilung des Bewilligungsbescheides erfolgt die Auszahlung der benötigten Mittel regelmäßig durch die Bewilligungsbehörde an den Kreis. Dieser gibt sie an den Maßnahmeträger weiter. Das Regionalsekretariat wird bei der Erstellung von Zwischen- und Endverwendungsnachweisen beratend hinzugezogen.

  • Im Rahmen einer maßnahmeübergreifenden und programmspezifisch ausgerichteten Evaluierung erhebt das Regionalsekretariat beim Träger bestimmte Daten zum Maßnahmeerfolg. Diese dienen - im Rahmen einer landesweiten Verdichtung und Auswertung - der künftigen Optimierung des Förderprogrammes.

Mit Blick auf die umfänglichen Vor- und Nachbereitungsarbeiten sowie den erheblichen Beratungsbedarf eines solchen Projektes ist das Regionalsekretariat also in mannigfacher Weise in die verschiedenen Realisierungsschritte eingebunden. Eine solcherart gelagerte Fallgestaltung kann sich vom Zeitrahmen her über mehrere Monate erstrecken.

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4. Perspektiven

Die Politik in Nordrhein-Westfalen wird auch in der laufenden Legislaturperiode dem Leitgedanken einer regionalisierten Struktur- und Arbeitsmarktpolitik und den damit verbundenen Aspekten der Dezentralisierung und Beteiligungsorientierung weiter verbunden bleiben. In diesem Zusammenhang will man sich um eine noch stärkere Verzahnung von Wirtschafts-, Struktur- und Beschäftigungspolitik bemühen und die zielgruppenorientierten sowie strukturorientierten Arbeitsmarktprogramme auf hohem Niveau fortführen. Hierbei sollen die finanziellen Voraussetzungen der Inanspruchnahme der europäischen Unterstützungsmöglichkeiten dauerhaft sichergestellt werden. Gleichzeitig ist die in diesem Kontext erforderliche flächendeckende Einrichtung von Regionalkonferenzen und -sekretariaten erklärter Bestandteil der Politik in NRW. Unter Berücksichtigung der mittlerweile verstetigten Rahmenbedingungen dürfte somit die regionalisierte Struktur- und Arbeitsmarktpolitik auch in der beschriebenen Region weiterhin erfolgreich fortgeführt werden können.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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