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Klaus Kirschner
Qualität und Wirtschaftlichkeit medizinischer Versorgung


Qualitätssicherung ist längst ein Modewort geworden. Qualitätssichernde Maßnahmen sind „in". Und alle reden von Qualitätssicherung oder von Qualitätsmanagement, und gleichzeitig wird es doch sehr unterschiedlich interpretiert.

Qualitätssicherung war auch schon oft Gegenstand von Gutachten. Ich erinnere beispielhaft an das Sachverständigenratsgutachten mit seinen Aussagen zur Zahnmedizin 1989 und 1991. Ebenfalls 1989 haben die Betriebskrankenkassen ein Symposium mit Bestandsaufnahme zur „Qualitätssicherung in der Zahnmedizin" durchgeführt. Diese Liste ließe sich beliebig erweitern.

Mit dem Gesundheitsreformgesetz (GRG) hat der Gesetzgeber die Qualitätssicherung zum ersten Mal im stationären Bereich zur Pflichtaufgabe der Selbstverwaltung gemacht. Danach erstreckt sich die Qualitätssicherung auf den Behandlungsprozeß und dessen Ergebnisse. Schließlich wurde durch die verbindliche Einführung von Fallpauschalen und Sonderentgelten in der Krankenhausversorgung durch das Gesundheitsreformgesetz ein gesteigerter Handlungsbedarf für Qualitätssicherungsmaßnahmen ausgelöst. Ein solcher Paradigmenwechsel von der grundsätzlich garantierten Kostendeckung zum fallorientierten Preissystem kann jedoch Auswirkungen zur Qualität der erbrachten Leistungen auslösen, die wiederum folgende Fragestellungen aufwerfen:

  1. Wie kann Strategien entgegengewirkt werden, daß bevorzugt solche Patienten behandelt werden, deren Behandlung als risikoarm und damit profitabel eingeschätzt wird, während Patienten mit risikobehafteten und damit eventuell teuren Behandlungsverläufen an andere Krankenhäuser verwiesen werden?

  2. Wie kann verhindert werden, daß rein aus Kostenersparnisgründen weitere notwendige Behandlungen unterbleiben und der Patient zu früh entlassen wird?

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  1. Wie kann schließlich verhindert werden, daß medizinisch nicht unbedingt notwendige Behandlungen durchgeführt werden, daß eine große Anreizfunktion durch die Höhe der Fallpauschalen selbst gegeben ist? Ich verweise hier auf einschlägige Literaturhinweise zu Gelenkspiegelungen oder auf eine Studie der Arbeitsgemeinschaft Baden-Württemberg „Qualitätssicherung ärztlicher Leistungen in der Krankenhausbehandlung" zur Frage Entfernung „unschuldiger Blinddärme oder Steinfreier Gallenblasen".

Qualitätssicherung hat deshalb auf den Ebenen der Struktur, des Prozesses sowie des Ergebnisses medizinischer Versorgung anzusetzen.

    Unter Strukturqualität ist zu verstehen: Die Qualität der eingesetzten Ressourcen, beispielsweise das Personal, die technisch-apparative und räumliche Ausstattung der Krankenhäuser.

    Prozeßqualität bezieht sich auf die adäquate Erbringung einer gesundheitlichen Versorgungsmaßnahme selbst mit ihren vielfältigen Komponenten, während

    die Ergebnisqualität die End- bzw. Zielpunkte medizinischer Versorgung im eigentlichen Sinne umfaßt. Damit werden die durch das medizinische Handeln bewirkten Veränderungen des Gesundheitszustandes beschrieben.

Ziel der heutigen Veranstaltung sollte zunächst eine Bestandsaufnahme des Status quo in Sachen Qualitätssicherung sein. Kritisch müssen wir Anspruch und Wirklichkeit hinterfragen. Auf dieser Grundlage basierend können dann Rahmenbedingungen und Anforderungen für ein Qualitätsmanagement in der gesetzlichen Krankenversicherung erarbeitet und diskutiert werden. Ich betone das Wort Qualitätsmanagement. Hiermit verbinde ich den Übergang von einer reinen Sicherung der Qualität hin zu einem umfassenden Management, mit dem die verschiedensten Ebenen befaßt sind und das Qualitätsstandards kontinuierlich verbessert.

Dafür sollten wir uns genügend Zeit nehmen, denn so Muphy's Law: „Wir haben nie die Zeit, etwas gleich richtig zu machen, wir haben aber immer die Zeit, es noch einmal zu machen." Also, lassen Sie uns heute den daraus folgenden Grundsatz umsetzen: Machen wir es gleich richtig.

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Die Bestandsaufnahme der Qualitätssicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung bringt zunächst einmal eine Vielzahl von Normen hervor, die sich mit dem Thema beschäftigen. Beispiele hierfür sind das SGB V, berufsrechtliche oder auch vertragsrechtliche Normen.

Die Vielzahl von Normen erschwert nicht nur den Überblick, sondern bringt in der Konsequenz eine Vielfalt von Akteuren ins Geschehen mit ein, die alle berufen sind, sich dem Thema zu widmen. Erschwerend kommt hinzu, daß einhergehend mit der Berufung häufig eine Konkurrenz zwischen den Berufenen entsteht. So konkurrieren auf dem Feld der Qualitätssicherung Krankenkassen, Ärzte- und Zahnärztekammern, Kassen- und Kassenzahnärztliche Vereinigungen oder auch der Medizinische Dienst der Krankenversicherung.

So vielfältig die Akteure und damit die Standpunkte der einzelnen Akteure sind, so vielfältig sind dann auch die Begriffe, Ansatzpunkte und Methoden: z.B. Lean Management im Krankenhaus als organisatorisches Basiskonzept für Qualitätssteigerung und Kostensenkung oder das aus der japanischen dynamischen Vorstellung von Qualitätsbeherrschung entwickelte „Total Quality Management". Es gibt ein „Null-Fehler-Programm" mit der Philosophie des vorausschauenden Handeln. Fehler sollen danach erst gar nicht entstehen.

Methodisch wird heute Qualitätssicherung bzw. -management mit z.B. Audits, Zertifizierungen, der Analyse von Routinedaten, mit Qualitätszirkeln oder auch mit Stichprobenprüfungen Qualitätssicherung betrieben.

Meine Bestandsaufnahme zum Thema Qualitätssicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung verbinde ich zudem mit weiteren kritischen Fragen:

Reicht das heutige Informationsmanagement aus, um Qualität festzusetzen und zu standardisieren?

Kann durch die Instrumentalisierung des Wettbewerbes ein Qualitätsniveau sichergestellt oder gar verbessert werden?

Wie muß gegebenenfalls ein qualitätsfördernder Wettbewerb organisiert werden?

Muß das Gesundheitswesen in Zukunft nicht gute Qualität belohnen und schlechte Qualität konsequenterweise dann bestrafen?

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Kann es überhaupt eine umfassende Qualitätssicherung in der Medizin geben, für die die Ärzte, die Zahnärzte, das Pflegepersonal die Verantwortung tragen?

Das sind nur einige wenige Fragen, die sich über Grundvoraussetzungen und Steuerungswirkungen an das Thema vortasten.

Brennend müssen wir aber auch an Antworten zu sehr spezifizierten Fragen interessiert sein. Zum Beispiel: Welche Voraussetzungen sind für ein erfolgreiches Qualitätsmanagement erforderlich, damit Fehlbelegungen in den Krankenhäusern reduziert werden? Ein Beispiel hierzu: Für Hamburger Kliniken geht eine Studie von einer Fehlbelegungsquote von ca. 24% aus.

Ein weiteres Beispiel: Eine Erhebung unter Krankenhäusern in Baden-Württemberg hat eine unterschiedliche Verweildauer bei Blinddarm-Operationen zwischen ca. 3,6 und 14,6 Tagen hervorgebracht. Handlungsbedarf besteht jedoch nicht nur im Krankenhausbereich, alle Leistungsbereiche sind betroffen. So hat der stellvertretende Vorsitzende der Arzneimittelkommission der Ärzteschaft festgestellt, daß „jedes Jahr Milliarden-Summen für zweifelhafte Arzneimittel ausgegeben werden". Sie sehen, kein Leistungsbereich ist hier auszuklammern.

In der Diskussion um Qualitätsverbesserungen wird das Ziel der Effizienzsteigerung in einem Zuge genannt. Monetäre Erwartungen werden mit Qualitätssicherung verknüpft. Je angespannter die finanzielle Situation, um so stärker die Verknüpfung. Insbesondere wurden und werden hier in der Politik Hoffnungen wach.

Allerdings stelle ich selbstkritisch fest: Bei exakter Betrachtung gegenwärtiger Entwicklungen ist die Konkretisierung von Modellen und Maßnahmen zur Kostensenkung erheblich weiter vorangeschritten als solche zur Qualitätssteigerung.

Ich warne davor, daß sich dieser Zustand manifestiert. Werden Sparziele auf der einen Seite konkret formuliert, auf der anderen Seite aber keine konkreten Vorgaben zur Qualitätssicherung gegeben, drohen am Ende Leistungsverschlechterungen bzw. Rationierung von notwendigen medizinischen Leistungen. Soweit darf und muß es nicht kommen: Wir müssen die Leitziele und Ziele eines aktiven Gesundheitsmanagements formulieren. Wir müssen davon abgeleitet die gesetzlichen Vorgaben zu Art und

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Umfang, zu der Beschaffenheit oder auch zu Prozeßmerkmalen auf den Weg bringen.

Eine patientenzentrierte Versorgungsstruktur hat dabei oberste gesundheitspolitische Priorität. Einen Ansatz hierzu sieht die SPD im bereits vorgelegten Gesetzentwurf GSG II. So haben wir hier z.B. die Förderung kooperativer Praxisformen vorgesehen. Nach unserer Überzeugung muß in der Zukunft die kooperative Versorgungsform in den Mittelpunkt rücken, um dem erweiterten Spektrum medizinischen Fachwissens gerecht zu werden, um den Anforderungen an das veränderte Krankheitspanorama der Patienten standhalten zu können und schließlich, um den Erfordernissen der Qualitätssicherung besser Rechnung tragen zu können.

Dazu gehört auch die Öffnung der Vertragsseite, um neue Vertragsmodelle zwischen Krankenkassen und Ärzten zu erproben. Ich nenne als Stichworte: Hausarzt-Abo, kombinierte Budgets oder das, was man heute unter dem Begriff „Management-Care" diskutiert.

Der Wettbewerb der Kassen jedenfalls darf nicht um gute Versichertenrisiken geführt werden, er muß vor allem Effizienzsteigerungen und Qualitätsmanagement mit sich bringen. So, wie ich die Kassen kenne und einschätze, werden sie sehr schnell mit entsprechenden Angeboten und Leistungspaketen auf dem Markt sein und dieses den Versicherten und Leistungserbringern anbieten, sobald die dafür notwendigen gesetzlichen Grundlagen geschaffen sind.

Ein Anspruch an Qualitätssicherung oder besser Qualitätsmanagement ist mir besonders wichtig. Dieser Anspruch darf bei all diesen Überlegungen nicht unter den Tisch fallen:

Es muß auf die Vertrauens- und Schutzfunktion für Patienten ausgerichtet sein.

Forderungen, Bestandsaufnahmen, Fragen und Definitionen zum Thema Qualitätssicherung oder besser Qualitätsmanagement und Wirtschaftlichkeit habe ich punktuell angesprochen.

Die alles entscheidende Frage für mich ist und bleibt die Frage nach dem „Wie". „Wie" kann ich politisch Leistungsziele für ein Qualitätsmanagement programmieren? „Wie" kann ich sicherstellen, daß die gesetzlichen

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Rahmenbedingungen und Vorgaben in der Praxis in Qualitätsprodukte tatsächlich umgesetzt werden können?

Man spricht ja heute von lernenden Unternehmen oder lernenden Organisationen. Die hierfür entscheidende Voraussetzung lautet:

    Permanentes Verbessern setzt engagiertes Lernen voraus.

Ich bin nun gespannt, welche Antworten wir zu meinen Fragen nach dem „Wie" erhalten.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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