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TEILDOKUMENT:




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Lothar Wittek
Von der Einzelleistung zur Fallpauschale - Strukturwandel in der vertragsärztlichen Gebührenordnung




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1. Strukturreform und Finanzbedarf: Klarstellungen

Das Rahmenthema der heutigen Veranstaltung lautet: Reform ambulant-ärztlicher Honorierung - finanzielle Auswirkungen im Gesundheitswesen. Aus der Sicht der Initiatoren ist diese Fokussierung nachvollziehbar und wohl auch notwendig. Aus der Sicht dessen, der diese EBM-Reform maßgebend begleitet hat, fordert die Themenwahl zu einer Klarstellung heraus: Eine Strukturreform der Gebührenordnung ist auch, aber nicht primär an ihren finanziellen Wirkungen zu messen. Primäres Ziel ist immer die Herstellung oder Verbesserung der inneren Logik eines solchen Systems.

Und deshalb heißt der EBM ja auch Einheitlicher Bewertungs-Maßstab. Maßstab heißt, um ein Bild aus der Fotografie zu gebrauchen: Ich habe auf dem Negativ eines Films ein Rechteck abgebildet, von dem ich dann Abzüge auf irgendeinem Format herstellen kann. Und egal, wie ich das Format wähle, es bleibt immer ein Rechteck, kein Quadrat, kein Dreieck und auch kein Kreis. Nicht mehr und nicht weniger leistet der EBM. Und jetzt wollen wir die Form des Rechtecks ändern.

Doch eben hier liegt das wichtigste Mißverständnis bei der laufenden EBM-Diskussion. Man verwechselt permanent das Negativ mit dem fertigen Abzug, indem man das überkommene Papierformat kritiklos zugrundelegt. Bei der Politik und den Krankenkassen wird dieses Mißverständnis genauso sichtbar, wie innerhalb unserer eigenen Kollegenschaft, wobei die Befürchtungen in der Regel genau gegensätzlich lauten. Innerärztlich besteht die Befürchtung, das eigene Fachgebiet, die eigene Praxis wird durch die Reform benachteiligt. Die Politik dagegen argwöhnt, der Gesetzesauftrag zur Neustrukturierung des EBM werde von der ärztlichen Selbstverwaltung dazu mißbraucht, ungerechtfertigte Honorarwünsche durch die Hintertür durchzusetzen.

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Faktum ist dann auch, daß die im soeben publizierten SPD-Konzept zur Gesundheitsreform enthaltenen Vorschläge zur Lösung der innerärztlichen Finanzprobleme in großen Teilen ungeeignet und aus meiner Sicht, Sie gestatten mir die Deutlichkeit, besorgniserregend sind. Wenn ein Internist heute für eine komplette Magenspiegelung einschließlich Probeexzision usw. ein Honorar von meist unter 100,- DM erhält, dann fehlt mir für die Forderung, die dringend notwendige Aufwertung hausärztlicher Leistungen durch eine noch weitergehende Absenkung von Facharzthonoraren zu finanzieren, jegliches Verständnis.

Doch lassen Sie mich versuchen. Ihnen die konkreten Perspektiven unserer Reform emotionslos und frei von Schönfärberei darzustellen.

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2. Die KBV hat gehandelt

Die gesetzliche Bestimmung, unter der sich diese EBM-Reform vollzog bzw. vollzieht, lautet lapidar:

„Die im einheitlichen Bewertungsmaßstab für die ärztlichen Leistungen aufgeführten Leistungen sind zu Leistungskomplexen zusammenzufassen. Soweit dies medizinisch erforderlich ist, können Einzelleistungen vorgesehen werden." (Fünftes Sozialgesetzbuch, § 87, Abs. 2a/SGB).

Auch zu diesem Kernstück ist die Kritik gegensätzlich. Geht den einen die Pauschalierung zu weit, so stellen die anderen ernüchtert fest, daß fast keine Komplexe eingeführt seien, denn die meisten Einzelleistungen seien ja noch erhalten.

Ich komme auf dieses Thema zurück. Doch lassen Sie mich bereits eingangs eines feststellen. Das Ausmaß, durch das ein EBM von Komplexbildungen bestimmt ist, ermittelt sich nicht dadurch, daß man die Gebüh-renordnungsnummern zählt. Ausschlaggebend ist die Häufigkeit der einzelnen Leistungen und damit der Anteil am gesamten Praxisumfang, der durch die Leistungskomplexe gefunden ist. Bedenken Sie bitte, daß es in jedem Fachgebiet einige wenige Abrechnungspositionen gibt, über welche die Hälfte oder mehr des gesamten Leistungsbedarfs bzw. Umsatzes definiert werden.

Seit Anfang August spreche ich im wesentlichen nicht mehr über Möglichkeiten, sondern über sich abzeichnende Realität. Einzelheiten der

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kommenden EBM-Reform sind inzwischen an vielen Stellen veröffentlicht worden, so daß ich es mir ersparen kann, hierzu allzusehr ins Detail zu gehen. Trotzdem möchte ich Ihnen im Lauf der Darstellung die Eckpunkte soweit nahebringen, wie dies zum Verständnis der Zielrichtung unserer Reform notwendig ist. Ich möchte Ihnen auch schildern, wie es möglich war, daß die Kassenärztliche Bundesvereinigung als Selbstverwaltungsorgan der Kassenärzte an dieser EBM-Reform beinahe zerschellt wäre - zumindest eine Zeitlang schien diese Gefahr nicht von der Hand zu weisen -, während auf der anderen Seite die Krankenkassen die Entwicklung fast teilnahmslos verfolgen konnten. Und dies, obwohl doch die Gebührenordnung am Ende im Rahmen der gemeinsamen Selbstverwaltung von zwei Partnern bestätigt werden muß.

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3. Kennzeichen der EBM-Reform 96

Stärkung der betriebswirtschaftlichen Kalkulationsbasis: Die betriebswirtschaftliche Kalkulation einer Gebührenordnung setzt zunächst normative Vorgaben voraus. Ist es gewollt, daß eine Praxis, die im Quartal vier Endoskopien durchführt, diese dann kostendeckend erbringen kann - um ein fiktives Extrembeispiel zu nennen. Die Antwort in diesem Fall wäre ein ganz klares Nein. In der Realität sind die Grenzziehungen vielfach schwieriger. Trotzdem ist die Klarstellung von Mindestfrequenzen als Basis einer ökonomischen Analyse ebenso notwendig wie im Einzelfall schmerzlich. Strukturreform der Gebührenordnung bedeutet damit nicht zuletzt, daß Aspekte der Strukturqualität in ökonomische Steuerungsmechanismen umgesetzt werden.

Auf der anderen Seite kann man die Normierung nicht zu weit treiben. Ein vernünftiges Spektrum für die Frequenz bestimmter Leistungen in den einzelnen Praxen muß erhalten bleiben, nach oben ebenso wie nach unten. Wenn dies aber so ist, dann muß eine Gebührenordnung, die auf betriebswirtschaftlichen Vorgaben fußt, auch unterschiedliche Kostensituationen in einzelnen Praxen berücksichtigen, soweit diese durch die unterschiedliche Frequenz bestimmter Leistungen innerhalb der sinnvollen Bandbreite hervorgerufen werden. Einfacher gesagt muß berücksichtigt werden, daß Praxen mit höherer Leistungsfrequenz nicht in allen Bereichen von der gleichen Vergütung profitieren dürfen, die zur Kostendek-

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kung in Praxen mit etwas niedrigerer Frequenz anwendbar sind. Der Weg hierzu sind frequenzabhängige Abstaffelungen.

Vor allem im Bereich der sehr kostenintensiven Großgeräteleistungen haben wir bereits im Vorfeld der EBM-Reform Überlegungen hin zu einer frequenz- und damit kostenabhängigen Honorierung angestellt. Zielsetzung dabei ist, die starke Mengendynamik in diesem Bereich zumindest teilweise aufzufangen, ohne auf die Honorarmittel der übrigen Arztgruppen zurückgreifen zu müssen. Vollständig würde dies ohnehin nicht gelingen, dazu sind die abstaffelbaren Ressourcen zu gering. Allerdings hat die Vorgabe des SGB V, daß die durch solche Abstaffelungen mobilisierten Mittel den Krankenkassen zufließen, diese Überlegungen nicht forciert. Zu Zeiten einer pauschalierten und gedeckelten Gesamtvergütung, bei der umgekehrt auch Leistungsmehrungen durch Umschichtung aus den übrigen Honorarmitteln zu finanzieren sind - vergleiche hausärztliche Vergütung -, macht eine solche Regelung keinen Sinn.

Gemessen am derzeitigen „Besitzstand" der einzelnen Fachgruppen führen diese betriebswirtschaftlich fundierten Bewertungsmaßnahmen zu Effekten, die als „Umverteilung" gesehen werden können. Umverteilung jedoch setzt voraus, daß gewollt und gezielt in diese Besitzstände eingegriffen wird. Dies genau wurde durch den von uns gewählten Ansatz verhindert. Statt dessen wurden für das gesamte Leistungsspektrum des EBM gleichartige betriebswirtschaftliche Kriterien zugrundegelegt und angewandt, mit der Folge, daß zahlreiche Bewertungen sich geändert haben. Soweit sich dadurch bei der späteren Anwendung des EBM Verschiebungen im Vergleich zu den jetzigen Anteilen ergeben, ist dies Folge des gewählten methodischen Vorgehens.

Hausärztliche Leistungen: Wäre es ausschließlich um die Einführung des sogenannten „Hausarztkapitels" in dem EBM gegangen, so hätte es hierzu keiner Strukturreform bedurft. Eine einfache Anpassung des bestehenden EBM wäre ausreichend gewesen. Auf diese Weise war ja bereits die sogenannte hausärztliche Vergütung in den bestehenden EBM eingefügt worden. Diese wurde zunächst aus der Absenkung der Laborbewertungen finanziert. Später mußten wir dann feststellen, daß trotz der ohnehin niedrigen Bewertung dieser Ziffer etwa ein Drittel des Finanzbedarfs durch Umschichtungen aus der übrigen Honorarmasse gedeckt werden mußte!

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Und wenn Herr Kirschner es jetzt als Ironie des Schicksals bezeichnet, ich beziehe mich dabei auf die Ärztezeitung vom 5.7.1995, daß die Umschichtung im Laborbereich zugunsten der hausärztlichen Grundvergütung zu 40% von den Hausärzten selbst aufgebracht worden sei, dann wirkt dies auf die Betroffenen schon etwas befremdlich. War es nicht der parlamentarische Konsens von Regierung und Opposition, diesen Finanzierungsweg gesetzlich zu verankern?! Und hat man nicht gewußt, wer Laborleistungen erbringt?!

Daß eine gesetzliche Regelung notwendig wurde, um Leistungen im EBM sichtbar zu machen, die im hausärztlichen Bereich schon immer in dieser Form erbracht werden, entbehrt nicht einer gewissen Komik.

So bauen wir nun auf den breiten parlamentarischen Konsens zur schnellen Lösung der derzeit unbefriedigenden Finanzierung hausärztlicher Leistungen. Ich wollte es mir eigentlich ersparen, das Stichwort 600 Millionen für 1995 in den Mund zu nehmen. Wenn aber Herr Dreßler diese Pläne als „hemmungslose Klientelpolitik" bezeichnet (Ärztezeitung vom 5.7.1995), dann muß ich mich doch fragen, welche Klientelpolitik hier gegeißelt wird. Die Klientel der Hausärzte kann es ja wohl nicht sein, denn hier hat ja auch die SPD deutliche Vorstellungen zur Förderung - die ich in weiten Teilen unterstütze, weil sie im Kern berechtigt sind. So besteht die Klientelpolitik also wohl darin, daß diese 600 Millionen nicht von den Fachärzten auf gesetzlichem Weg umverteilt werden. Selbst der Gruppe der Hausärzte zugehörig, frage ich Sie: Was soll ein Facharzt, der das derzeitige SPD-Konzept liest, denken? Absenkung der fachärztlichen Einzelleistungsvergütungen, darüber hinaus Absenkung der Facharztvergütung bei Erstinanspruchnahme, Teilnahme der Krankenhäuser am Sicherstellungsauftrag für die spezialärztliche Versorgung, Erweiterung der vor- und nachstationären Behandlung, Vorbehalte gegen das Belegarztsystem - wo soll sich denn ein niedergelassener Facharzt, dessen berufliche Existenz von solchen Regelungen abhängt, politisch zu Hause fühlen?

Soweit das Ziel in der Steigerung der Effizienz des gesamten Systems und der Zusammenarbeit von ambulantem und stationärem Bereich gesehen wird, und ich vermute, daß dies eine wichtige Rolle gespielt hat, gibt es auch andere und meines Erachtens bessere Lösungen. Hier sehe ich Gesprächsbedarf, und auch Ansatzpunkte zum Gespräch.

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Leistungskomplexe: Ohne Frage stand die Einführung und konkrete Ausgestaltung von Leistungskomplexen in der Diskussion um die EBM-Reform klar im Vordergrund. Dabei wurden die Begriffe „Einzelleistung" und „Leistungskomplex" viel kontrastreicher gegenübergestellt, als man dies bei emotionsloser Lektüre der bestehenden Gebührenordnung sehen muß.

Nehmen Sie als Beispiel die EBM-Position 160 - Untersuchung zur Früherkennung von Krankheiten gemäß Abschnitt B der Gesundheitsuntersuchungsrichtlinie -, auf deutsch Checkup 35. Bisher und auch in Zukunft ist dies eine „Einzelleistung" im EBM, obwohl ihrem Wesen nach ein klassischer Leistungskomplex, der ganz verschiedene Leistungsbereiche und Tätigkeiten beinhaltet, von der körperlichen Untersuchung über Laborparameter bis hin zum EKG.

Doch auch andere Leistungen, beispielsweise viele Operationen, haben schon bisher Ansätze des Leistungskomplexes in sich. Willkürlich gegriffen lese ich Ihnen die Nummer 2261 vor: „Stellungskorrektur oder Hammerzehe mit Sehnenverpflanzung und/oder plastischer Sehnenoperation, ggf. einschließlich Osteotomie und/oder Resektion eines Knochenteils". Welche Spielart auch immer im Einzelfall notwendig war, es sind immer 1.200 Punkte.

Verstehen Sie dies bitte nicht so, als wollte ich mich mit einigen Kunstgriffen um die Einführung von Leistungskomplexen und damit die Umsetzung des gesetzlichen Auftrages herumdrücken. Ich stehe allerdings zu der Aussage, daß der Einrührung von Leistungskomplexen in der Gebührenordnung aus sachlicher Sicht engere Grenzen gezogen sind, als dies häufig vermutet wird.

Ebensowenig möchte ich innerärztlich den Anschein erwecken, als hätte sich durch die erfolgte Einführung von Leistungskomplexen in den EBM nichts geändert.

Es steht außer Frage, daß die Zusammenfassung der bisherigen Grundleistungen und vieler therapeutischer Basisleistungen zu einer sogenannten „Ordinationsgebühr" für einzelne Kassenärzte zu spürbaren Veränderungen ihrer Abrechnungsergebnisse führen können, je nach dem, mit welcher Frequenz welche Grundleistungen bisher erbracht wurden. Trotzdem sehen wir in dieser Maßnahme einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur

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Versachlichung der Diskussion um ärztliche Leistungserbringung im Bereich der Basisleistungen. Griffig gesagt führt dieser Leistungskomplex dazu, daß der bekannten Mengenentwicklung im Bereich einzelner Basisleistungen ab dem kommenden Jahr der Boden entzogen ist. Weniger griffig, aber zumindest genau so richtig muß man feststellen, daß die Versuche des bisherigen EBM, beispielsweise den Leistungsinhalt der Nummer 10 von der einfachen Beratung abzugrenzen, der Natur der Sache nach immer rudimentär und im Einzelfall insuffizient bleiben mußten. Versuchen Sie einmal, der Leistungslegende für die berühmte Nummer 10 unvoreingenommen und emotionslos zuzuhören: „Erörterung, Planung und Koordination gezielter therapeutischer Maßnahmen zur Beeinflussung systemischer Erkrankungen oder chronischer Erkrankungen mehrerer Organsysteme, insbesondere mit dem Ziel sparsamer Arzneitherapie, durch den Arzt, der die kontinuierliche hausärztliche Betreuung durchführt, ggf. unter Einbeziehung von Bezugspersonen, ggf. einschließlich schriftlicher ärztlicher Empfehlungen."

Wem ist es in dieser Situation zu verübeln, wenn sich die Beurteilungskriterien bei der täglichen Abrechnung allmählich verändern, indem man sich an dem orientiert, was man unter dieser Leistungslegende auch oder vielleicht gerade noch verstehen könnte. Der Kassenärztlichen Vereinigung ist dies nicht zum Vorwurf zu machen, ebensowenig dem einzelnen Kassenarzt. Durch die Einführung der Globalbudgetierung wurde diese Entwicklung in den letzten Jahren ohnehin zum innerärztlichen Problem degradiert - wobei es bekanntermaßen keinem einzigen Kollegen Freude bereitet hat, in dem dadurch induzierten Hamsterrad mitrennen zu müssen. Die Ordinationsgebühr schafft hier Abhilfe. Die gesetzliche Vorgabe deckt sich somit mit den Wünschen der meisten Betroffenen.

Dem Gegenargument, daß Arztpraxen mit einem hohen Rentneranteil einen höheren Betreuungsaufwand hinzunehmen haben, wurde durch unterschiedliche Honorierung für Mitglieder und Rentner Rechnung getragen. Und schließlich ist in dem Zusammenhang auch die Einführung einer zusätzlichen Konsultationsgebühr zu nennen, durch die eine Praxis dafür entschädigt wird, wenn bei vielen Patienten viele Einzelkontakte im Quartal stattfinden müssen. Durch diese Mechanismen wurden mögliche Ungerechtigkeiten der Konzeption entschärft.

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Zur Pauschale grenzt sich die Ordinationsgebühr dadurch ab, daß sie nur dann abgerechnet werden kann, wenn Leistungsbestandteile hieraus konkret erbracht wurden. Wird für einen Patienten im Quartal dagegen nur ein Wiederholungsrezept ausgestellt, so entsteht kein Honoraranspruch für diesen Leistungskomplex. In diesem Fall wird lediglich eine niedrigere Verwaltungsgebühr gezahlt.

Ambulantes Operieren: Durch Neukalkulation vieler Operationsleistungen und vor allem eine viel stärkere Differenzierung bei den Zuschlagsziffern für ambulante Operationen wurden in diesem Bereich strukturelle Verbesserungen erreicht. Unter der Voraussetzung, daß entsprechend der vom Gesetzgeber gewollten Förderungen dieses Bereichs die entsprechenden Finanzmittel zur Verfügung stehen, wird dies die betriebswirtschaftliche Basis des ambulanten Operierens in Zukunft wiederherstellen. Wäre diese Reform unterblieben, so wäre der Zug für viele der betroffenen Praxen in nächster Zeit an die Wand gefahren.

In Zusammenhang mit der Durchführung ambulanter Operationen wird weiterhin über ablaufbezogene Leistungskomplexe nachzudenken sein. Die spezifische Problematik besteht dabei in der Tatsache, daß Leistungen teilweise fachübergreifend erbracht werden, so daß auch die Leistungsinhalte solcher Komplexe fachübergreifend gesplittet werden müssen.

Prävention und weitere Einzelleistungen: Für einen großen Teil der bisherigen EBM-Positionen ist die Leistungslegende unverändert geblieben. Lediglich die Bewertungen in Punkten haben sich aufgrund der betriebswirtschaftlichen Basiserhebungen stellenweise erhöht oder auch erniedrigt.

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4. „Weitestmögliche Einführung von Leistungskomplexen" - wann ist das erreicht?

Kritiker dieser Reform gibt es, ich erwähnte es, aus zwei Richtungen. Was aus der Sicht vieler Kollegen schon viel zu viel ist, ist manchen Politikern viel zu wenig. Gerade aus den Reihen der SPD gibt es deutliche Vorbehalte gegen den vermeintlich zu geringen Pauschalierungsgrad der neuen Gebührenordnung. Ich habe bereits vorher darauf hingewiesen, daß das pure Abzählen von EBM-Positionen die falsche Beurteilungsgrundlage wäre. Die Optik täuscht hier gewaltig, man weiß, daß manche Leistun-

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gen im ganzen Quartal weniger als 100-, manchmal sogar weniger als zehnmal von einer Arztgruppe abgerechnet werden.

Es gibt aber auch andere Gründe. Wenn ich mich dazu etwas kürzer fasse, so verstehen Sie dies bitte nicht als mangelnde Auskunftsbereitschaft. Es würde Sie, das Auditorium, ebenso überfordern wie die Organisatoren der Tagung, wenn ich Ihnen neben der durchgeführten Reform noch sämtliche nicht durchgeführten Optionen in gleicher Breite schildern würde. Einige Stichpunkte möchte ich jedoch in Kürze ansprechen.

Unterschiedliche Ausstattungsstandards: Eine bestimmte Art von Leistungen in einen Komplex einzubinden, macht nur dann Sinn, wenn diese Leistung von den Mitgliedern der betroffenen Arztgruppe einigermaßen homogen erbracht werden kann. Wird sie es nicht, so schließt man alle Kollegen, die diese spezielle Technik selbst nicht betreiben, auch von den übrigen Elementen dieses Leistungskomplexes aus. Und die scheinbare Lösung, je einen Leistungskomplex mit dieser Technik und einen ohne sie zu definieren, ist nichts anderes als die Beibehaltung dieser Technik als Einzelleistung. Falsch definierte Leistungskomplexe können mit anderen Worten bestehende oder im Aufbau begriffene Kooperationsstrukturen unter Ärzten durch Überweisungsverbote usw. zerstören.

Gleichbehandlung von Fachgruppen: In dem Moment, wo eine bestimmte Leistung für eine Fachgruppe in einem Leistungskomplex „versenkt" wird, muß sie auch für andere Fachgruppen Teil eines Leistungskomplexes werden. Eine Gebührenordnung, bei der beispielsweise die Ultraschalluntersuchung für Internisten im Leistungskomplex verschwindet, für HNO-Ärzte dagegen als Einzelleistung weiter verfügbar bleibt, wäre sachlich nicht begründbar und politisch ein Sprengsatz ersten Grades. So etwas kann niemand wollen, und so etwas wird niemand beschließen - von den Optimierungsstrategien, die auf dem Sumpf einer solchen Gebührenordnung gedeihen könnten, ganz zu schweigen.

Diagnosenbezug: Der Versuch, die im Krankenhaus weithin akzeptierte ICD9-Verschlüsselung auf den ambulanten Bereich zu übertragen, war das Lehrbeispiel. Fachleute haben gewußt, und auch die Politik hat sich am Ende davon überzeugen lassen, daß die Begriffswelt dieses Diagnoseschlüssels für die Probleme in der ambulanten Versorgung nicht ausreicht. Den gleichen Fehler begeht, wer der Illusion nachhängt, man könne für die gesamte ambulante ärztliche Versorgung Symptom- oder diagnosenbezo-

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gene Leistungskomplexe entwickeln. Ich schließe nicht aus, daß dies jetzt oder zukünftig für einige Spezialfächer möglich sein könnte. Für die gesamte Bandbreite der ambulanten Versorgung sehe ich aus fachlicher Sicht eine solche Möglichkeit nicht. Mit etwas Sarkasmus möchte ich hinzufügen: Dies bedeutet nicht, daß solche Leistungskomplexe nicht eingeführt werden könnten, wenn die Politik dies beschließt. Nur ist schon jetzt vorhersehbar, daß dadurch Anreize und Steuerungswirkungen ausgelöst werden, deren deletäre wirtschaftliche Folgen von den gleichen Politikern, die dies beschließen könnten, in einigen Jahren vielleicht wiederum als „Ironie des Schicksals" angesehen werden.

Damit ist nicht in Abrede gestellt, daß unter der Überschrift „ablaufbezogene Leistungskomplexe" noch Ergänzungen der bisherigen Struktur möglich sind, die allerdings wohl überlegt und nach fachlichen Kriterien plausibel sein müssen.

Die Diskussion um Formen ärztlicher Honorierung wird häufig grundsätzlicher geführt, als ich dies heute getan habe. Dies wird auch nach dieser Reform nicht enden, und ich halte dies für das gute Recht aller Beteiligten und Außenstehenden. Von meiner Seite möchte ich über das bisher gesagte hinaus nur einige wenige Anmerkungen zum Grundsätzlichen ergänzen.

Zunächst muß man klar sehen, daß jede, aber auch jede Vergütungsform Steuerungswirkungen entfaltet, die in keinem Fall ausnahmslos positiv sind. Und wenn dann zum Beispiel Stundenlöhne als neutralste und sachbezogenste Form der Honorierung gepriesen werden, dann muß man doch sehen, daß dies ganz präzise bedeutet: Geld auch ohne Patienten. Die analoge Kritik am Leistungskomplex oder auch der Pauschale oder Teilpauschale wäre der Vorwurf: Geld auch ohne Leistungen. Soweit so gut. Nur: Geld ohne Leistungen, das regelt der Markt. Patienten, die sich nicht gut versorgt fühlen, bleiben eben weg. Um die Ecke wartet ja schon der nächste Kollege! Aber Geld ohne Patienten: Mehr als wegbleiben können sie ja nicht. Stundenlöhne sind aus meiner Sicht das ideale Modell, um Arzthonorare auf Dauer proportional zur Arztzahl zu heben, bei dann auch grenzenlosem „Bedarf" - ich kann die Anführungszeichen hier gar nicht so deutlich mitsprechen, wie ich sie meine.

Warum dann aber keine Totalpauschalierung der Arzthonorare, wenn schon der Markt die Leistung reguliert?

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Wenn wir ein System wollen, wo die ambulante Versorgung nur von sogenannten Barfußärzten wahrgenommen wird, dann sind Pauschalen die optimale Versorgungsform. Die Praxisausstattung dieses hypothetischen Barfußarztes wäre homogen, und damit auch seine Leistung. Die Pauschale wäre die angemessenste und einfachste Vergütungsform.

Mit anderen Vorzeichen gilt ähnliches auch für Fachgruppen mit homogener Maximalausstattung wie in einigen Organfächern anzutreffen: Jeder Kollege kann fachgebietsspezifisch alles, jeder hat die gleichen Patientenprobleme zu versorgen. Auch hier ist die pauschalierte Vergütung ein zumindest diskutables Instrument. Dies bedeutet nicht zwingend, daß man sie für diese Arztgruppen auch fordern müßte. Aber es gibt Argumente, die nachdenkenswert sind.

Zwischen den genannten Gruppen aber liegt das breite Band der Querschnittsfächer mit unterschiedlicher Subspezialisierung in einzelnen Praxen, die aus der Teilgebietsbezeichnung hervorgehen kann, aber nicht muß. Auch unter dem Vorzeichen der modifizierten und stärker detaillierten Weiterbildungsordnung wird die fachliche Einzelausrichtung beispielsweise einer internistischen Praxis niemals vollständig am Praxisschild ablesbar sein. Folglich scheidet eine weitgehende oder totale Pauschalierung des Leistungsspektrums für all diese Kollegen aus, wenn man die ambulante Medizin in ihrer heutigen Vielfalt erhalten will. Und ein weiterer Gedanke hierzu: Auftragsleistungen in ihrer Vielfalt sind ebenfalls nicht pauschalierbar.

Und dieser Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, diese Vertreterversammlung, und wohl auch jede zukünftige, stehen bedingungslos für den Erhalt der spezialisierten fachärztlichen ambulanten Versorgung in Wohnortnähe durch freiberufliche Kassenärzte. Und dies setzt, wie ich ausführte, eine Gebührenordnung voraus, in der sich jeder Facharzt mit seinem spezifischen Leistungsspektrum adäquat bedient fühlt - eine Gebührenordnung wie die, die jetzt beschlossen ist.

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5. Unsere Erwartungen

Was erwarten wir uns nun von dieser Strukturreform unserer kassenärztlichen Gebührenordnung? Zunächst wurde durch diese Reform die Chance genutzt, die seit der letzten Reform im Jahre 1987 eingetretenen Veränderungen in den Einkommensrelationen zwischen den einzelnen Fachgruppen etwas anzugleichen, soweit diese Veränderungen auf Disproportionen in der Leistungsbewertung zurückzuführen waren. Dies ist ein Vorgang, der immer wieder erforderlich wurde und werden wird, in dem Umfang, in dem eine statische Gebührenordnung den dynamischen Verhältnissen nicht mehr entspricht. Ich sehe dies verhältnismäßig emotionslos. Daß es möglich wurde, für diese Korrekturen in unserer Vertreterversammlung eine breite Mehrheit zu finden, obwohl es dabei neben relativen Gewinnern notwendigerweise auch relative Verlierer geben muß, spricht für die Einsicht und Handlungsfähigkeit unserer Selbstverwaltung. Ich halte es für einen durchaus nicht selbstverständlichen Vorgang, wenn in einem System von Persönlichkeitswahl - wir haben keinen Fraktionszwang! - ein Parlamentarier gegen die vordergründigen Interessen seiner eigenen Praxis (Beispiel Abstaffelung) und gegen die Wünsche der Gruppe stimmt, die auf ihn ihre besonderen Erwartungen projiziert - auch wenn viele Befürchtungen sich hinterher sowieso als unbegründet erweisen. So schlecht, wie das SPD-Konzept die derzeitige Struktur unserer Selbstverwaltung sieht, kann sie doch wohl nicht sein.

Verteilungsgerechtigkeit war das erste Stichwort, Dämpfung der Mengendynamik ist das zweite. Ich habe das wesentliche hierzu vorhin schon angesprochen. Aus dem Blickwinkel unserer Erwartungen möchte ich ergänzen, daß wir den Wegfall der Mengendynamik im Bereich der Grundleistungen als nicht nur notwendige, sondern auch hinreichende Voraussetzung ansehen, um in den regionalen Vertragsverhandlungen mit den Krankenkassen wieder zu flexibleren Honorarstrukturen zu gelangen, die das Morbiditätsrisiko von den Ärzten wieder dorthin zurückverlagern, wo es hin gehört, nämlich zur Krankenversicherung.

Wenn eingangs und im Rahmenthema der Veranstaltung vom Finanzbedarf durch die Reform die Rede ist, so haben wir natürlich auch hierzu Erwartungen. Wie ich eingangs klarstellte, sind Strukturreform und Fi-

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nanzbedarf primär zwei Paar Schuhe. Der Zusammenhang wird am Ende jedoch dadurch hergestellt, daß einer relativen Besserstellung bestimmter Leistungen im neuen EBM auch eine bessere Honorierung in DM folgen sollte, ohne daß gleichbleibend bewertete Leistungen dadurch in ihrer Honorierung zurückfallen. Deshalb auch meine anfängliche Bewertung, daß die Themenwahl aus der Sicht der Veranstalter nachvollziehbar sei. Verwahren möchte ich mich allerdings gegen die Feststellung, daß solche Kosten durch die Neufassung der Gebührenordnung „induziert" seien. Richtig ist, daß sie aufgrund der betriebswirtschaftlichen Kalkulationsbasis sichtbar gemacht wurden, teilweise erstmals sichtbar gemacht wurden. Konkret bedeutet dies, daß die Früherkennungsuntersuchung beim Kinderarzt nicht „teurer" wird als bisher. Ändern muß sich lediglich die Zuordnung der durch die Untersuchung entstehenden Kosten. Und wenn diese bisher zu einem wesentlichen Teil vom Kinderarzt selbst getragen wurden, so kann dies nicht der Zustand sein, der ökonomisch sinnvoll oder politisch gewollt ist. Insofern beurteilen wir den jetzt mit den Kassen gefundenen Kompromiß zur Finanzierung der Strukturreform nicht mit einem weinenden und einem lachenden Auge, sondern mit einem weinenden und einem blauen Auge. Daß wir dem gefundenen Kompromiß trotzdem zugestimmt haben, erklärt sich aus der überragenden Bedeutung, die wir in der konzipierten Strukturreform insgesamt sehen. Der Kompromiß sieht unter anderem vor, daß die Auswirkungen dieses EBM nach Ablauf des ersten Quartals sehr kurzfristig analysiert werden, so daß gegebenenfalls bereits zu Beginn des 3. Quartals, spätestens des 4. Quartals, erste Korrekturen greifen können. Auf dieser Basis konnten auch Rahmenaussagen über die zukünftige finanzielle Ausstattung getroffen werden.

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6. Warum die KBV am EBM fast zerschellt wäre, die Kassen dagegen fast teilnahmslos dabeistanden

Ein aktuelles Schlagwort in der gesundheitspolitischen Diskussion heißt:

„Vorfahrt für die Selbstverwaltung". Nimmt man dieses ernst, so dürften eigentlich im wesentlichen nur zwei Parteien an der kassenärztlichen Gebührenordnung interessiert sein, nämlich diejenigen, die die Leistung erbringen, und diejenigen, die sie in Anspruch nehmen bzw. über die Soli-dargemeinschaft finanzieren. Konkret interessiert sich dagegen im we-

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sentlichen zwar die erstgenannte Gruppe für dieses Problem (d.h. wir Ärzte), nicht aber die zweite. Stellvertretend für die letztere werden der Staat in seiner Rolle als Gesetzgeber sowie die ihn tragenden Parteien und Verbände tätig. Die Kassen dagegen waren auf Tauchstation. Warum ist dies so?

Das Interesse des Arztes als Individuum sind Existenzsicherung und Leistungsbezug der Gebührenordnung. Gute Leistung soll gut honoriert sein, wie in allen Bereichen des Lebens. Aus der Sicht der Gemeinschaft aller Kassenärzte steht im Vordergrund die Verteilungsgerechtigkeit, Protagonisten sind die Fachgruppen als Vertreter von Gruppen von Individuen. Die Kassenärztliche Vereinigung muß diese Individual- und Gruppeninteressen, soweit sie nicht alle gleichzeitig befriedigt werden können, und dies ist die Regel, unter einen Hut bringen. An dieser Aufgabe wäre sie, wie ich vorhin bereits erwähnte, während der laufenden EBM-Reform fast zerschellt - eine Gefahr, die durch Einsicht und Weitblick inzwischen gebannt wurde.

Ähnlich massive Interessensgegensätze gibt es auch innerhalb der Krankenversicherung - respektive müßte es geben, wenn alles mit rechten Dingen zuginge. Finden wir unter dem Dach der Versicherungen doch einesteils den Kranken, dessen Interesse es ist, alle für seine Genesung erdenklichen Leistungen zu den notwendigen Preisen einkaufen zu können, und andererseits den Beitragszahler, der im Rahmen seiner Verpflichtung in der Solidargemeinschaft für diese Kosten einzustehen hat, einschließlich der Arbeitgeber.

Daneben hängen die Interessen beider Partner wechselseitig voneinander ab. Aus ärztlicher Sicht ist die qualitativ optimale Patientenversorgung eine nicht nur professionelle, sondern auch ethische Verpflichtung gegenüber den Patienten. Aus der Sicht der Krankenversicherung sollte neben kostengünstigem Einkauf von Leistungen auch die langfristige Existenzsicherung des Vertragspartners ein Anliegen sein, nicht zuletzt im Eigeninteresse. Mit anderen Worten: Die Krankenkassen sollten wissen, daß man Arztpraxen nicht behandeln kann wie tropische Regenwälder. Hier wie dort fällt Raubbau früher oder später auf die zurück, die ihn treiben.

Trotzdem gibt es innerhalb der Ärzteschaft die bekannten massiven Probleme, innerhalb der Krankenversicherung dagegen so gut wie keine.

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Überraschend ist dies nur auf den ersten Blick. Beim nochmaligen Hinsehen erkennt man zwei Ursachen, die miteinander zusammenhängen.

Zunächst hat sich im öffentlichen Bewußtsein bereits seit Jahren die Fehleinschätzung eingeschlichen, daß aus der Ablehnung einer Zweiklassenmedizin auch zu folgern wäre, daß ärztliche Leistungen keinen definierten Preis mehr haben. Dies hat zu der paradoxen und sinnwidrigen Schlußfolgerung geführt, daß jede Diskussion über kostenbedingte Leistungseinschränkungen im Bereich der ärztlichen Versorgung tabuisiert wurde. In der Ausformulierung heißt dies zum Beispiel, daß Ärzte, wenn sie von einer millionenschweren Budgethaftung bedroht sind, trotzdem und immer noch in der Defensive stehen, wenn ihnen vorgeworfen wird, sie würden ihren Patienten wichtige Verordnungen verweigern. So kann es doch nicht gemeint sein.

Aus der Sicht des erkrankten Patienten führt diese paradoxe Situation dazu, daß er sich nicht mehr mit der für ihn verantwortlichen Krankenversicherung in Dissens begibt, wenn er in Sorge ist, daß seinem Anspruch auf maximale medizinische Hilfeleistung nicht mehr entsprochen werden könnte, sondern diesen Anspruch unmittelbar und ohne Berücksichtigung der Folgen von seinem Arzt einfordert. Damit ist das erste Konfliktfeld aus dem Bereich der Krankenkassen hinausmanövriert.

Und um noch ein übriges zu tun, ist es den Krankenkassen zusätzlich gelungen, auch noch ihre eigene Verantwortung für die Entwicklung der Kosten im Gesundheitswesen ganz oder weitgehend auf die Politik und den Gesetzgeber abzuwälzen. Ohne diesen Gedanken zu vertiefen, möchte ich feststellen, daß ich es als politisches und professionelles Armutszeugnis betrachte, wenn Krankenkassen, die selbst die alleinige Hoheit zum Abschluß oder Nichtabschluß bestimmter Honorarverträge innehaben, jetzt die gesetzliche Verlängerung der Honorarbudgetierung in Bonn einfordern. Solche Politik disqualifiziert sich selbst.

Optimistisch stimmt mich, daß in der Endphase der EBM-Diskussion nun auch mit den Krankenkassen Ansätze für eine konstruktive Diskussion erkennbar wurden. Ich hoffe, wir werden dies gemeinsam ausbauen können.

Ich beschränke mich in meinem Beitrag im wesentlichen auf die Situation beim EBM, also der Gebührenordnung für Kassenärzte. Lediglich an

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dieser Stelle und in diesem Kontext möchte einen minutenkurzen Ausflug in den Bereich der GOÄ, das ist die Gebührenordnung für Privatversicherte, vornehmen. Wenn hier gerüchteweise bereits zu vernehmen war, auch von den Privatversicherern seien Vorstöße beim federführenden Gesundheitsministerium verzeichnet worden, doch möglichst die Anhebung der GOÄ in Grenzen zu halten, so kann ich nur hoffen, daß diese Gerüchte ein Irrtum waren. Wären sie keiner, fiele meine Bewertung nicht weniger rigide aus, als eben bezüglich der GKV. Ich hoffe, daß die jetzt diskutierte, aus ärztlicher Sicht sicher nicht voll befriedigende Novellierung möglichst bald über die parlamentarischen Hürden kommt. Hier in Nordrhein-Westfalen und zumal in diesem Raum muß ich ja wohl nicht allzu laut rufen, um den gemeinten Adressaten auch zu erreichen.

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7. Ausblick

Wenn ich meine Ausführungen in einem Satz zusammenfassen sollte, würde ich sagen: Wir haben jetzt eine Gebührenordnung gefunden, mit der wir in das nächste Jahrzehnt gehen können - ich sage bewußt nicht, in das nächste Jahrtausend, obwohl dies kalendarisch betrachtet zunächst einmal das gleiche ist. Dabei gehe ich davon aus, daß dieses Reformwerk engmaschig fortgeschrieben werden muß. Wir werden es uns nicht leisten können, uns nun nach getaner Arbeit jahrelang zurückzulehnen und zu sagen, wir haben ja unser Jahrhundertwerk abgeschlossen. Und ich setze auf die Kraft und die Einsicht der gemeinsamen Selbstverwaltung, auch die Fortschreibung dieser Strukturreform sachgerecht und ergebnisorientiert zu gewährleisten. Denn was heute noch statistisch richtig ist, ist morgen vielleicht schon dynamisch falsch.

Gleichzeitig setze ich auch auf die Gesprächsbereitschaft und, verzeihen Sie: Einsicht, der Politik. Und wenn ich Ihnen heute mit dieser Ausführlichkeit über die derzeitige Konzeption berichtet habe, so betrachten Sie dies bitte in erster Linie als Ausdruck der Dialogbereitschaft und des Willens, im Dialog zu sachgerechten und konsensfähigen Lösungen zu finden. Und auch ein ins Sommerloch geworfenes Konzept zur Strukturreform muß ja nicht das letzte Wort bleiben.


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