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Eckart Fiedler
Auswirkungen der Bundespflegesatzverordnung aus der Sicht der Krankenkassen

1. Die Kostenentwicklung im Krankenhaussektor

Die Ausgaben der Krankenkassen für die Krankenhausbehandlung sind auch im Jahr 1994 wieder überproportional angestiegen. Gegenüber 1993 stiegen sie je Mitglied um 6,74% in den alten und um 15,67% in den neuen Bundesländern. Dem steht eine Grundlohnentwicklung von lediglich 2,5% in den alten und 9% in den neuen Bundesländern gegenüber.

Bei den Ersatzkassen lagen die Steigerungsraten des größten Ausgabenbereichs im ersten Halbjahr 1994 noch bei 3,3%, während diese im dritten Quartal mit 8,21% und im vierten Quartal mit 10,16% geradezu „explodiert" sind.

Die Entwicklung im Krankenhaussektor kann in erster Linie auf die vielfältigen Budgetausnahmen zurückgeführt werden. Die „durchlöcherte" Budgetierung ist vorrangig für den weit über der Grundlohnentwicklung verlaufenden Zuwachs der Leistungsausgaben verantwortlich.

Neben dem Anspruch des Krankenhauses auf den geschätzten Grundlohnzuwachs von 3,2% für 1994 und auf die aus der Unterschätzung von 1993 resultierenden Nachzahlung in Höhe von 0,9% ergeben sich weitere Belastungen. Dazu gehören die Mehrausgaben für zusätzliches Personal aufgrund der Pflege-Personalregelung, der Psychiatrie-Personalverordnung sowie der Hebammen-Empfehlung.

Mit rund einem Drittel sind die Anteile der Ausgaben für die stationäre Behandlung an den gesamten Leistungsausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nach wie vor der umfangreichste Kostenfaktor. Konkret beliefen sich die Ausgaben für den Krankenhausbereich in 1994 auf 74,2 Mrd. DM. Das Krankenhaus bleibt wegen des überproportionalen Ausgabenanstiegs „primäres Sorgenkind der GKV".

Auch wenn sich im Jahr 1995 die Ausgabenentwicklung insgesamt abschwächen dürfte, ist u.a. wegen der geringen Grundlohnentwicklung

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(vom Bundesministerium für Gesundheit prognostizierter Grundlohnanstieg in Höhe von 1,7% West und 3,5% Ost) im Krankenhaussektor mit einem erneut überproportionalen Anstieg der Leistungsausgaben zu rechnen.

Die aktuelle und erwartete Finanzentwicklung im Krankenhausbereich unterstreicht die Notwendigkeit weiterer Reformanstrengungen, um zweifellos vorhandene Wirtschaftlichkeitsreserven zu erschließen. Der Bereich Krankenhaus sollte im Mittelpunkt der 3. Stufe der Gesundheitsreform stehen.

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2. Abkehr vom Selbstkostendeckungsprinzip

Die seit langem überproportional steigenden Kosten im Krankenhausbereich versuchte der Gesetzgeber in der Vergangenheit durch ständig neue Verordnungen und Regelungen zu begrenzen. Ein dauerhafter Erfolg blieb bislang jedoch verwehrt.

Das hohe Leistungsniveau der deutschen Krankenhäuser geht einher mit strukturellen Problemen wie

  • mangelnde Anreize zur Ausnutzung von Wirtschaftlichkeitsreserven,

  • mangelnde Transparenz der Leistungen und Kosten,

  • fehlsteuernde Wirkungen der Leistungsvergütung (Selbstkostendekkung, pauschalierte Pflegesätze),

  • fehlende Vernetzung des ambulanten und stationären Sektors.

Erst die Einrichtung von selbststeuernden Elementen durch das Gesundheitsstrukturgesetz, das Besinnen auf Grundprinzipien unserer Gesellschaftsordnung verspricht für die Zukunft ein leistungs- und wettbewerbsorientiertes System, mit höherer Wirtschaftlichkeit. Die Einführung marktwirtschaftlicher Elemente in die Krankenhausfinanzierung wie Wettbewerb, Gewinn- und Verlustmöglichkeiten werden stärkeres wirtschaftliches Handeln im Krankenhaus bewirken.

Die Aufhebung des Selbstkostendeckungsprinzips, die Einführung von leistungsbezogenen Entgelten (Fallpauschalen und Sonderentgelte) und stär-

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kere Verzahnung ambulanter und stationärer Leistungen sind die Fundamente des neuen Systems.

Während in der Vergangenheit dem Krankenhaus die entstandenen Kosten für die Behandlung der Patienten erstattet wurden, werden bei zukünftigen Budget- und Pflegesatzverhandlungen ausschließlich die Leistungen des Krankenhauses im Vordergrund stehen.

Das Krankenhaus wird in Zukunft entsprechend seiner Leistung und nicht wie bisher entsprechend seiner entstandenen Kosten von den Krankenkassen finanziert werden.

Diese Leistung muß das Krankenhaus in verschlüsselter Form u.a. mit der Art und Anzahl der erbrachten Operationen und in den konservativen Fächern mit der Art und Anzahl der Diagnosen darlegen.

Da aber das neue Finanzierungssystem auch nach dem Gesundheitsstrukturgesetz nicht sofort vollständig und ohne Übergangszeit etabliert werden kann, werden die beharrenden Prinzipien der Vergangenheit einen bremsenden Einfluß auf das neue System ausüben können.

In dieser Zeit des „Interregnums", in der das alte fehlsteuernde Prinzip der Kostenerstattung noch wirksam ist, werden Kritiker und Gegner des neuen Systems berechtigte Kritik anbringen können. Besitzstandswahrer werden für das alte System kämpfen. Bei der Ausformung der Bundespflegeversicherung 1995 haben sie schon Erfolg gehabt.

Für die Kostenträger muß es deshalb vordringlich sein, das System von Fallpauschalen und Sonderentgelten zügig auszubauen, weiterzuentwikkeln und die Möglichkeiten des Mißbrauchs und der Fehlentwicklung zu begrenzen.

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3. Wesentliche Steuerungselemente einer Neuordnung der Krankenhausfinanzierung

3.1 Fallpauschalen und Sonderentgelte

Im Rahmen der Fallpauschalen werden die gesamten Leistungen eines Krankenhauses für einen bestimmten Behandlungsfall, unabhängig von

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der Behandlungsdauer, pauschal vergütet. Demgegenüber enthalten die Sonderentgelte die im Operationssaal entstehenden Kosten, einschließlich der Kosten von Implantaten und Transplantaten sowie die Labor- und Medikamentenkosten, soweit diese für die jeweilige Leistung typisch sind. Fallpauschalen und Sonderentgelte können somit als „Quasi-Preise" für Leistungskomplexe angesehen werden.

Das zentrale Argument für die Einführung von Fallpauschalen und Sonderentgelten sind deren erwartete positive Auswirkungen auf die Mobilisierung von Wirtschaftlichkeitsreserven im Krankenhaus. Diese leistungsbezogenen Entgelte werden jedoch ihre Steuerungsfunktion erst dann übernehmen, wenn Gewinne und Verluste aus diesem Abrechnungssystem in naher Zukunft voll zugunsten bzw. zu Lasten der einzelnen Abteilungen des Krankenhauses gehen werden und es keine Möglichkeit des Ausgleichs gibt.

Zur Realisierung von Wirtschaftlichkeitsreserven müssen die Arbeitsabläufe optimiert und unnötige Wartezeiten und unproduktive Pausen möglichst verringert werden. Der Qualifikation des Personals wird in Zukunft hohe Bedeutung zukommen, denn qualifiziertes Personal arbeitet schnell, ohne Komplikationen und mit hoher Qualität. Patienten, die so behandelt werden, könnten schneller entlassen werden und die Verweildauer wird sich auf das medizinisch Notwendige reduzieren. Ein starker Bettenabbau in den operativen Fächern könnte die Folge sein. Dies käme einerseits dem Patienten entgegen und würde andererseits die Kosten der Abteilungen absenken. Die Inanspruchnahme anderer Abteilungen des eigenen Krankenhauses würde auf das medizinisch Notwendige begrenzt werden, um das eigene Budget zu schonen.

Ein Beispiel möge dies erläutern:

Die Leistungen, die für einen Patienten mit einer Schenkelhalsfraktur erforderlich sind, werden über eine Fallpauschale mit 11.960,00 DM (Stand 1993) abgerechnet. In diesem Betrag ist die postoperative Betreuung auf der Intensivstation enthalten. Die durchschnittlichen Kosten der Intensivbehandlung für diese Fallpauschale schwanken bei den 15 an den Kostenerhebungen teilgenommenen Krankenhäusern zwischen 362,00 DM und 2.556,00 DM. Das bedeutet, daß das kostengünstigste Krankenhaus den Patienten nach etwa einem halben Tag, das kostenintensivste Krankenhaus den Patienten durchschnittlich nach drei Tagen von der Intensiv-

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station verlegt. In Zukunft wird sich der chirurgische Chefarzt überlegen, ob er von dem Gesamterlös von 11.960,00 DM für die Schenkelhalsfraktur rund 2.500,00 DM an den Intensivmediziner abgeben soll oder ob es nicht sinnvoller und für den Patienten angenehmer ist, den Patienten schon nach einem Tag von der Intensivstation zu nehmen und statt 2.500,00 DM nur 850,00 DM aus dem eigenen Erlös der Intensivstation zu überschreiben. Der Chirurg hätte einen höheren Überschuß und die vielleicht zu großzügig dimensionierte Intensivstation könnte verkleinert werden.

Am Beispiel der Hüftendoprothesen kann ein weiteres Problem in der Finanzierung verdeutlicht werden. Bei der Kalkulation der Fallpauschale - Coxarthrose - Hüfttotalendoprothese schwanken die Durchschnittskosten bei Implantaten der befragten Krankenhäuser von 1.580,00 DM bis 3.450,00 DM. Wenn die Krankenhäuser sehen, daß sie durch günstigen Einkauf der Implantate ihre Überschüsse vergrößern können, werden die Preisverhandlungen mit den Implantatanbietern härter. Dieser Steuerungsmechanismus in Richtung Preissenkung wird sich letztlich auf alle Medizinprodukte erstrecken.

Zur Zeit versucht eine Arbeitsgruppe beim Medizinischen Dienst der Spitzenverbände Transparenz in den Markt der Medizinprodukte zu bringen. Diese Arbeitsgruppe wird im Sinne eines Dienstleisters für die Krankenkassen schwerpunktmäßig über Angebot und Anbieterstrukturen, den Einsatz von Medizinprodukten bei den Anwendern und über Qualitätssicherungsmaßnahmen in diesem Bereich berichten.

Die Ersatzkassen erwarten aufgrund der Tätigkeit dieser Arbeitsgruppe eine deutliche Kostenreduktion der Medizinprodukte sowie eine bessere Transparenz über alle in Frage kommenden Anbieter. Dies wird sich letztendlich auch auf die Preise für Fallpauschalen und Sonderentgelte auswirken.

3.2 Abteilungspflegesätze

Die Einrichtung von Abteilungspflegesätzen wird die Krankenhäuser zwingen, für die interne Kostenrechnung Abteilungsbudgets einzurichten.

Das Gesamtbudget des Krankenhauses wird also in interne Abteilungsbudgets zerteilt werden. In die Verantwortung für die einzelnen Abtei-

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lungsbudgets werden zunehmend die einzelnen Abteilungsleiter, also die Chefärzte, mit einbezogen werden. Die Chefärzte werden ein hohes Interesse daran haben, ihre Abteilungsbudgets von unnötigen Kosten freizuhalten.

Denn bei sparsamem Umgang mit den Ressourcen werden Überschüsse entstehen, die in der eigenen Abteilung verbleiben. Die finanziellen Möglichkeiten der eigenen Abteilung werden hierdurch verbessert.

Da alle von der Abteilung veranlaßten Leistungen aus dem Budget dieser Abteilungen „finanziert" werden müssen, wird man sich überlegen, ob beispielsweise wirklich alle Blutuntersuchungen erforderlich sind und ob die Zahl der Röntgenuntersuchungen oder der Computertomogramme nicht reduziert werden kann. Denn alle diese Anordnungen schmälern das eigene Budget zugunsten des Budgets des Labors oder der Röntgenabteilung. Auch der großzügige Umgang mit Medikamenten (Antibiotika) wird sich ändern, und die Einkaufsverhandlungen für medizinischen Bedarf werden sich so abspielen, wie es in der Wirtschaft üblich ist. Es wird um den Preis gekämpft werden, denn jede Preisreduktion bedeutet Gewinn für das eigene Budget.

Die Einführung von Abteilungspflegesätzen wird sich nicht nur positiv bei den Verordnungen im Sachmittelbereich, sondern auch im Personalbereich auswirken, denn auch die Personalkosten werden aus den Abteilungsbudgets zu bestreiten sein.

Wenn z.B. die Pausen zwischen den einzelnen Operationen zu lang sind, weil der Operateur (Chefarzt) nicht pünktlich erscheint oder der Patiententransport nicht funktioniert, dann entstehen durch das unproduktive Warten von zwei bis drei Ärzten und drei oder vier Krankenschwestern Verluste, die sich schnell zu hohen Kosten summieren können. Die Chance, diese Verluste zu minimieren und diese Kosten der eigenen Abteilung zu ersparen, wird die Abteilungsleitung wahrnehmen und Disziplin im Umgang mit dem Faktor Zeit fordern.

Durch die Einrichtung von Abteilungspflegesätzen und die interne Budgetierung verspricht sich die GKV ein höheres Kostenbewußtsein bei den Handelnden und damit auch eine deutliche Abkehr von den bisherigen ineffizienten Organisationen.

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3.3 Basispflegesatz

Der Basispflegesatz beinhaltet die „nichtmedizinischen" Kosten, das heißt Kosten der Unterkunft und Verpflegung oder Kosten der Verwaltung und Instandhaltung. Somit werden künftig nicht nur die einzelnen Fachabteilungen des Krankenhauses, sondern auch die Verwaltung zur Kostendisziplin gezwungen.

Bei schlechtem Management im Verwaltungsbereich werden die medizinischen Abteilungen nicht bereit sein, die Verwaltung aus ihren Budgets zu subventionieren. Die Verwaltung wird zeigen müssen, ob die eigene Wäscherei, der Reinigungsdienst oder die eigene Küche genauso gut und kostengünstig arbeitet, wie externe Anbieter.

Die Kosten, die durch den Basispflegesatz abgegolten werden sollen, werden in hohem Maße auch durch die maschinelle Ausstattung und die bauliche Struktur des Krankenhauses beeinflußt. Unwirtschaftliche Pavillonbauweise, schlechte Raumaufteilung und veraltete Bausubstanz bedeuten lange Transportwege und hohe Energiekosten. Der Druck des Krankenhauses auf den Träger, hier seiner Finanzierungspflicht nachzukommen, wird zunehmen. Verluste im Basispflegebereich könnten den Träger zu Investitionen zwingen, andernfalls erwächst ihm aus diesem Bereich eine dauerhafte finanzielle Belastung. Kommt er seinen finanziellen Verpflichtungen nicht nach, werden die ständigen Verluste im Basispflegesatz das Krankenhaus in existentielle Gefahr bringen.

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4. Folgen des neuen Finanzierungssystem

4.1 Positive Aspekte des neuen Finanzierungssystems aus Sicht der Kostenträger

Durch das neue Finanzierungssystem, nach dem die Krankenhäuser in Zukunft entsprechend ihrer Leistung finanziert werden, wird das Krankenhausbett als Maß aller Dinge sehr schnell seine Bedeutung verlieren.

Beim Abteilungsvergleich werden künftig an erster Stelle die Art, die Schwere und die Anzahl der behandelten Fälle stehen und nicht die Verweildauer der einzelnen Patienten. Eine medizinisch nicht gerechtfertigte

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Verweildauerverlängerung wird das Abteilungsbudget negativ belasten und deshalb vermieden werden. Die Reduktion der Verweildauer und eine höhere Inanspruchnahme der vor- und nachstationären sowie ambulanten Behandlung wird die Folge sein. Die nicht belegten Betten werden, um unnötige Kosten vom eigenen Budget fernzuhalten, gestrichen werden.

Die Krankenhäuser werden, um einen angemessenen „Preis", ein angemessenes Budget für die Summe aller erbrachten Leistungen ermitteln zu können, Vergleiche mit Krankenhausabteilungen gleicher Leistung und Struktur machen müssen. Fachabteilungen werden sich also an vergleichbaren Abteilungen messen lassen müssen und können eine Finanzierung nur in vergleichbarem Rahmen erwarten.

Das Verfahren der Abteilungsvergleiche ist hervorragend geeignet, unwirtschaftlich arbeitende Abteilungen zu kostenbewußtem Handeln zu bewegen, um das Kostenniveau vergleichbarer Abteilungen zu erreichen. Der Abteilungsvergleich wird die Meßlatte sein, um wirtschaftliches oder unwirtschaftliches Handeln darzustellen. Angesichts der Bedeutung dieser Abteilungsvergleiche ist es ärgerlich, daß die Vergleiche vom Bundesrat bis auf 1998 verschoben sind.

Ohne die von Experten geforderten und vom Bundesministerium für Gesundheit gewollten Abteilungsvergleiche wird aber das fehlsteuernde Selbstkostendeckungsprinzip nur wenig von seinem negativen Einfluß verlieren, denn in Ermangelung eines externen Kostenvergleichs werden die Selbstkosten des Krankenhauses wieder zum Maßstab für die Budgetzumessung werden.

Es gehört daher zu den zentralen, unverzichtbaren Forderungen der Kassen, daß sie Krankenhausabteilungen hinsichtlich ihrer erbrachten Leistungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt vergleichen können, denn nur so können sie ein ihren Leistungen angemessenes vergleichbares Budget zugemessen bekommen. Ohne einen funktionierenden Abteilungsvergleich wird die neue Bundespflegesatzverordnung die befürchtete „Kostenexplosion" nicht verhindern können.

Die positiven Steuerungseffekte des neuen Finanzierungssystems werden sich aber erst dann für alle Krankenhausfälle einstellen, wenn auch der Abteilungsvergleich seine steuernde, disziplinierende Wirkung ausüben kann. Für die Fallpauschalen wird dieser Mechanismus sofort greifen,

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denn zur Erlangung des Fallpauschalenentgeltes ist es unerheblich, wie lange der Patient im Krankenhaus verbleibt. Je kürzer die Verweildauer ist, desto höher ist der Überschuß. Für diesen zunächst noch kleinen Bereich erwartet die GKV sofort eine starke Verweildauerkürzung, die zum Bettenabbau führen wird.

Die Folgen der gesetzlichen Änderungen im Krankenhausbereich werden sein, daß Krankenhäuser sehr schnell lernen werden, ökonomisch zu arbeiten und alle Wirtschaftlichkeitsreserven ausschöpfen werden. Die erzielten Überschüsse werden die effizient arbeitenden Krankenhausbetreiber in Personal, Sachmittel und Ausstattung reinvestieren und so ihre Wettbewerbsposition verbessern und das Krankenhaus für Patienten attraktiver machen. Diejenigen Krankenhäuser, die sich den ökonomischen Notwendigkeiten verschließen, werden zunehmend mehr in finanzielle Bedrängnis geraten, wegen mangelnder finanzieller Freiräume für die Patienten unattraktiv werden und auf längere Sicht am Markt nicht bestehen können.

4.2 Gefahren des neuen Finanzierungssystems aus Sicht der Kostenträger

Krankenhäuser, die in ihrer Existenz durch das neue Finanzierungssystem gefährdet sind, könnten durch Einsparungen am falschen Platz durch Unterversorgung zur Gefahr für Patienten werden. Solche Krankenhäuser könnten dem Patienten das medizinisch Erforderliche, was ja im Preis einkalkuliert ist, aus finanziellen Erwägungen heraus vorenthalten, um Kosten zu sparen und das Überleben des Krankenhauses zu sichern. Anhand des folgenden, sicherlich etwas überzeichneten Beispiels soll dies verdeutlicht werden:

Eine ältere Frau erleidet eine Schenkelhalsfraktur, sie muß operiert werden. Bei der Operation (Einsetzen einer totalen Hüftendoprothese) wäre die Transfusion von drei Blutkonserven erforderlich gewesen. Diese Blutübertragungen unterbleiben aus Kostengründen. Die Patientin wird daraufhin am folgenden Tag wegen der Blutarmut so schwach sein, daß sie nicht aus dem Bett kommen und daher auch keine krankengymnastische Übungen in Anspruch nehmen kann. Dies hat zwangsläufig zur Folge, daß die Patientin nach acht Tagen in ein Pflegeheim verlegt werden muß. Das

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Krankenhaus rechnet dennoch die 11.900,00 DM ab, genau denselben Preis, den ein anderes Krankenhaus erhält, das der Patientin die drei Blutkonserven gegeben hat, die krankengymnastischen Übungen hat durchführen lassen und die Patientin nach zwanzig Tagen gehfähig nach Hause entlassen hat.

Eine weitere Gefahr des neuen Finanzierungssystems besteht darin, daß Leistungen erbracht werden, die medizinisch nicht erforderlich sind (Indikationsausweitung), um Überschüsse zu erzielen. Da die Fallpauschalen überwiegend hoch dotiert sind, werden manche Einrichtungen hohe Überschüsse in diesem Bereich erwirtschaften können.

Anhand eines Beispiels aus dem ambulanten Bereich (Zitat von Prof. Dr. med. Harald Bräutigam) soll dies verdeutlicht werden:

„Ein Pathologe, der seinen Namen nicht nennen will, ... Von den vierhundert Eierstockzysten, die ich im Laufe eines Jahres von einem ambulanten Operateur zur feingeweblichen Untersuchung geschickt bekommen habe, waren nur drei krankhaft verändert. Fast alle Eingriffe waren somit überflüssig."

Ferner berichtete Dr. Bruckenberger vom Sozialministerium in Hannover auf einer Arbeitstagung der Medizinischen Hochschule in Hannover am 29.11.1994, daß in Niedersachsen die Zahl der Gallenblaseneingriffe um ca. 50% zugenommen habe.

Übertragen auf das Bundesgebiet - vorsichtig gerechnet - würde das bei einem angenommenen Fallpauschalenentgelt für die Gallenblasenoperation von 4.600 DM eine Mehrbelastung für die GKV von rund 115 Mio. DM bedeuten. Ein solch extremer Anstieg der Fallzahlen würde somit für die Kassen erhebliche Kosten mit sich bringen.

Weitere Beispiele für mögliche Indikationsausweitungen sind z.B. Gebärmutteroperationen, Blinddarmoperationen oder die Ballondilatation der Herzkranzgefäße.

Eine weitere Gefahr stellt die Tendenz zu einer Spezialisierung der Krankenhäuser auf bestimmte Fallgruppen dar. Dabei besteht die Gefahr, daß die Anzahl an Allgemeinkrankenhäusern zugunsten von Spezialkliniken zurückgeht, was dem allgemeinen Versorgungsauftrag und der Patientenorientierung entgegenläuft.

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Um solche, durch das neue Finanzierungssystem ausgelösten Fehlentwicklungen zu verhindern, hätte der Gesetz- und Verordnungsgeber bessere Regelungen in Richtung Qualitätssicherung finden müssen. Um die genannten Gefahren nun einigermaßen in den Griff zu bekommen, haben die Selbstverwalter unter der Federführung des Verbandes der Angestellten-Krankenkassen (VdAK) und der Deutschen Krankenhaus-Gesellschaft (DKG) die Initiative ergriffen und einen Vertrag über die externe Qualitätssicherung geschlossen. Mit Hilfe von verantwortungsbewußten, renommierten Krankenhausärzten wurde ein Qualitätssicherungsprogramm erarbeitet, das die fehlsteuernden Wirkungen der neuen Ordnung begrenzen soll.

Bei bestimmten dafür anfälligen Fallpauschalen und Sonderentgelten kann die Indikationsausweitung überprüft werden. Fachgebietsbezogene, weisungsunabhängige Arztgruppen werden die Notwendigkeit der Operation und das Ausmaß der medizinischen Leistung im Krankenhaus stichprobenhaft beurteilen können.

Des weiteren soll die Qualitätssicherung künftig durch die Einführung eines Qualitätsberichtes, der zur Zeit strukturiert wird, erfolgen. Ziel ist es, den Krankenhäusern eine umfassende Qualitätsbeurteilung anbieten zu können. Unter der Leitung von DKG und Spitzenverbänden sollen alle Berufsgruppen des Krankenhauses ihre qualitätsrelevanten Problembereiche definieren. Nach Kriterien, die daraus erarbeitet werden, wird schließlich eine unabhängige Institution die Überprüfung des Krankenhauses vornehmen können. Wenn das Krankenhaus bei dieser freiwilligen Prüfung alle definierten Anforderungen erfüllt, soll es sich mit diesem zeitlich begrenzten Zertifikat in der Öffentlichkeit darstellen und werben können.

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5. Übergangsprobleme

Damit die positiv steuernden Elemente der neuen Bundespflegesatzverordnung voll zur Geltung kommen können, müssen die Strukturen der Krankenhausfinanzierung in Richtung Monistik geändert werden.

Die duale Finanzierung verpflichtet die Länder, die Investitionskosten zu übernehmen. Kommen die Länder dieser Verpflichtung nicht nach (wie dies häufig der Fall ist), wird die Versichertengemeinschaft mit hohen

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Folge- und Erhaltungskosten belastet, denen sie sich nicht entziehen kann. Diese volkswirtschaftlich nicht zu verantwortende Fehlentwicklung führt dann zu erhöhten Pflegesätzen ganzer Regionen oder einzelner Krankenhäuser.

Dieser unverschuldete Wettbewerbsnachteil kann auch durch das beste Kostenmanagement des betroffenen Krankenhauses nur selten ausgeglichen werden. In dem zukünftig zu erwartenden Wettbewerb kann daher auch ein von der medizinischen Leistung her gesehenes hervorragendes Krankenhaus in eine existenzbedrohende Finanzsituation kommen.

Diese wettbewerbsverzerrende Fehlsteuerung kann nur verhindert werden, wenn die Übernahme der Investitionskosten und der Folgekosten letztlich durch eine Hand erfolgt. Nur so kann eine bundeseinheitliche gerechte Verteilung der Zuwendungen gewährleistet werden, die allen gleiche Chancen einräumt. Vor und in den Petersberg-Gesprächen haben die Spitzenverbände der Krankenkassen schon Übergangslösungen vorgeschlagen. Während einer Übergangszeit von 10 Jahren erhalten die Krankenkassen von den Bundesländern die Fördermittel in Höhe der Zuweisungen des Jahres 1994. Diese Mittel sollen für eine Angleichung der Wettbewerbschancen der bisher benachteiligten Krankenhäuser eingesetzt werden. Im Gegenzug für die Umstellung auf eine monistische Krankenhausfinanzierung soll, so die Überlegungen, den Ländern die Finanzierung von krankenhausversicherungsfremden familienpolitischen Leistungen übertragen werden.

Es versteht sich von selbst, daß nach Einführung der monistischen Finanzierung die alleinige Zuständigkeit der Länder für die Krankenhausplanung nicht mehr bestehen bleiben kann und die Selbstverwaltung der Krankenkassen eigenständig die Einbeziehung einzelner Einrichtungen in die stationäre Versorgung entscheiden können muß.

Die Letztverantwortlichkeit der Länder für die Krankenhausversorgung könnte dennoch bestehen bleiben. Sie sollte sich aber ausschließlich auf die Überwachung der Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften beschränken.

Um möglichst schnell zu einer sinnvollen, den Erfordernissen angepaßten Krankenhausstruktur zu kommen, ist es weiterhin erforderlich, das fehlsteuernde anachronistische Element der Krankenhausfinanzierung, näm-

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lich die Bindung von Fördermitteln an die Bettenzahl der Krankenhäuser, zu eliminieren. Hierdurch würde ein Anreiz zum Bettenabbau gegeben bzw. ein Hindernis beseitigt. Krankenhäuser dürfen in Zukunft nicht mehr nach der Zahl der Betten, sondern nur noch nach der Art, der Anzahl und dem Aufwand der einzelnen Leistungen (z.B. Operationen) gefördert werden.

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6. Schlußbemerkungen

Das neue Finanzierungssystem wird den Wettbewerb forcieren. Der Wettbewerb, die Aussicht auf Überschüsse, die Gefahr des nicht ausgleichbaren Verlustes könnte alles Überflüssige aus dem Krankenhaus verbannen, die Verweildauer auf das medizinisch Notwendige reduzieren und unproduktive Bettenberge abbauen helfen.

Unwirtschaftlichkeiten, Mißmanagement und mangelhafte Qualität könnten zur existentiellen Bedrohung für das Krankenhaus, für den eigenen Arbeitsplatz werden. Hohe Qualität und patientenfreundliches Verhalten werden daher Werbefaktoren erster Ordnung werden. Dabei werden nicht nur die Krankenhäuser untereinander in den Wettstreit um den Patienten treten, sondern durch die zunehmende Öffnung der Krankenhäuser für prä- und poststationäre Behandlung sowie ambulantes Operieren würde auch die Konkurrenz mit den Vertragsärzten zu bestehen sein.

Um die nicht zu leugnenden auch negativen Auswirkungen des neuen Finanzierungssystems zu begrenzen, müssen die Krankenkassen sich noch mehr als bisher als Anwalt der Patienten verstehen. Sie werden die Qualität der Krankenhausbehandlung prüfen, die Patienten befragen und die Krankenhäuser beurteilen müssen.

Die ineffizienten, unattraktiven Krankenhäuser werden auf Dauer nicht überleben können. Das ist Krankenhausplanung durch den Markt. Alle noch so berechtigte Kritik darf nicht dazu führen, zum alten Verfahren der Krankenhausfinanzierung, dem Selbstkostendeckungsprinzip zurückzukommen oder Verzögerungen zu akzeptieren.

Wegen der in der Übergangsphase kurzfristig nicht auszuschließenden Kostensteigerung darf das Gesamtsystem nicht in Frage gestellt werden.

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Es ist die einzige Chance, die die Kostenträger haben, langfristig eine qualitativ hochstehende Krankenhausbehandlung bei akzeptablen Kosten zu garantieren.

Der VdAK als federführender Verband im Krankenhausbereich wird sich mit all seiner Kraft für die Weiterentwicklung und das Gelingen dieses neuen marktwirtschaftlichen Krankenhausfinanzierungssystems einsetzen.

Es ist die einzige Chance, die die Kostenträger haben, langfristig eine qualitativ hochstehende Krankenhausbehandlung bei akzeptablen Kosten zu garantieren.

Der VdAK als federführender Verband im Krankenhausbereich wird sich mit all seiner Kraft für die Weiterentwicklung und das Gelingen dieses neuen marktwirtschaftlichen Krankenhausfinanzierungssystems einsetzen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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