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TEILDOKUMENT:


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Frank Ulrich Montgomery
Die Bundespflegesatzverordnung - Folgen für die Krankenhäuser und Struktur des ärztlichen Dienstes


Seit dem 1. Januar können die Krankenhäuser freiwillig nach der Bundespflegesatzverordnung (BPflVO) abrechnen. Nach fast zweijähriger Diskussion sind sich Kritiker wie Protagonisten der Reform über eines einig:

Es wird auf der Ebene einzelner Krankenhäuser zu tiefgreifenden Veränderungen, möglicherweise sogar zu Verwerfungen der ganzen Krankenhauslandschaft kommen. Gerade letzteres mag vom einen oder anderen ja sogar so gewollt sein.

Ich will im folgenden versuchen, nicht nur die Auswirkungen auf das Krankenhaus als ganzes aus ärztlicher Sicht darzustellen, sondern mich darüber hinaus auch mit den Auswirkungen auf die Struktur des ärztlichen Dienstes zu befassen.

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Neues Entgeltsystem als Kern

Kernstück der Verordnung ist das neue am Leistungsgeschehen orientierte Entgeltsystem aus Fallpauschalen, Sonderentgelten, Abteilungspflegesätzen und Basispflegesatz. Zum jetzigen Zeitpunkt enthält die Verordnung 105 Sonderentgelte und 40 Fallpauschalen, beide - mit wenigen Ausnahmen - ausschließlich für den operativen Bereich. Eine erste Änderungsverordnung mit weiteren Leistungspositionen ist bereits entscheidungsreif, sie betrifft vor allem die Geburtshilfe, die Thorax- und Herzchirurgie; eine zweite Änderungsverordnung zu Organtransplantationen und neurochirurgischen Leistungen ebenfalls in Vorbereitung.

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Punktzahl und Punktwert

Sowohl bei den Sonderentgelten als auch bei den Fallpauschalen liegt die Vergütung für sämtliche Krankenhäuser eines Bundeslandes bei einem

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einheitlichen Betrag. Die Bundespflegesatzverordnung definiert lediglich eine bestimmte Punktzahl für die jeweilige Leistung und legt damit den relativen Wert einer bestimmten Leistung im Vergleich zu anderen Leistungen fest. Die empirische Ermittlung dieser Punktzahl hat sich an einem Wert von 1,00 DM pro Punkt auf der Basis des Jahres 1993 orientiert. Über den tatsächlich zu zahlenden Betrag für den Punkt wird seit dem vergangenen Sommer zwischen den Krankenkassen und den Krankenhausgesellschaften verhandelt.

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Krankenkassen auf der Bremse

Diese Verhandlungen haben sich als außerordentlich schwierig erwiesen, weil die Krankenkassen mit der Vorstellung völlig unrealistischer Punktwerte von zum Teil weniger als 50 Pfennig in die Verhandlungen gegangen sind. Zwischen Oktober und Dezember 1994 sind die direkten Verhandlungen zwischen Krankenhausgesellschaften und Krankenkassen in allen Bundesländern gescheitert, kurze Zeit danach wurden jeweils Schiedsstellenanträge gestellt. Bis jetzt hat es - nach meiner Kenntnis - keine einzige Entscheidung über die Höhe der landesweiten Punktwerte außerhalb von Schlichtungsverfahren gegeben. In den ergangenen Schlichtungssprüchen wurden Punktwerte zwischen etwa 1,04 DM und 1,06 DM festgelegt (Personalpunktwert in den östlichen Bundesländern bei 0,85 DM). In mindestens sechs Bundesländern (Baden-Württemberg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen) haben die Krankenkassen Klage erhoben. In Nordrhein-Westfalen kam als zusätzliches Problem ein langwieriger Streit über die Frage hinzu, welche der beiden Schiedsstellen (Rheinland oder Westfalen-Lippe) zuständig wäre.

Wer die neuen Entgeltformen und die zusätzlich vorgesehenen Abteilungspflegesätze und den Basispflegesatz bereits 1995 anwendet, konnte damit für sein Krankenhaus die im Gesundheitsstrukturgesetz auf drei Jahre projektierte und immer wieder als Notbremsung bezeichnete Phase starr gedeckelter Budgets vorzeitig beenden. In den anderen Krankenhäusern folgt die Rückkehr zum flexiblen Budget erst mit der für 1996 obligat vorgeschriebenen Anwendung des neuen Entgeltsystems.

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Die fehlende Bereitschaft der Krankenkassen zum frühzeitigen Abschluß solider Vereinbarungen auf Grundlage realistischer Punktwerte hat die Bereitschaft der Krankenhäuser sehr gedämpft, das neue Entgeltsystem bereits optional am 1.1.1995 einzuführen. Bei realistischer Betrachtung werden letztlich weniger als 10% der Krankenhäuser schon 1995 nach dem neuen Vergütungssystem abrechnen. Gegenwärtig sollen es sogar nur 72 bundesweit sein. Die Verantwortung dafür liegt eindeutig bei den Krankenkassen und nicht bei den Krankenhäusern. So haben sich z.B. in Nordrhein-Westfalen sowohl das Klinikum der RWTH Aachen als auch die Universitätskliniken Bonn interessiert gezeigt, das neue Vergütungssystem bereits zum frühestmöglichen Zeitpunkt anzuwenden. Durch die fehlende Festlegung des Punktwertes auf Landesebene wurden die entsprechenden Vereinbarungen allerdings hier wie andernorts blockiert.

Hinzu kommt, daß Zu- und Abschläge nur in sehr eng umgrenzten Situationen gestattet sind. Bislang läßt sich die praktische Handhabung dieses Instruments der Zu- und Abschläge noch nicht einschätzen. Vor allem Schwerpunktkrankenhäuser und Häuser der Maximalversorgung dürften dringend auf derartige Vereinbarungen angewiesen sein, wenn sie ihr Leistungsspektrum uneingeschränkt aufrechterhalten sollen.

Ein ganz besonders wichtiges Argument liegt aber auch in einer allgemeinen Lebenserfahrung, die sich in unserem Gesundheitswesen ausgebreitet hat. Gerade die Budgetierungszeiträume 1993 - 1995 haben nämlich deutlich bewiesen, daß vor allem diejenigen bestraft wurden, die sich schon immer kostenbewußt und sparsam verhalten haben. Sie hatten sich selbst ihrer Reserven unter dem starren Deckel beraubt, während diejenigen, die auch schon vorher gewohnt waren, „aus dem Vollen zu schöpfen" dies, wenn auch in Grenzen, weiter tun durften. Sparsamkeit und Verantwortung sind also bestraft worden, laissez-faire wurde belohnt, wer will es da noch gerade kreativen, kompetenten und verantwortungsbewußten Krankenhausmanagern verdenken, daß sie die Heilsbotschaften der neuen BPflVO eher zurückhaltend betrachten.

Das bremsende Verhalten der Krankenkassen ist hingegen nur aus finanziellen Erwägungen heraus zu begreifen. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat die für die Steigerungen gedeckelter Krankenhausbudgets ausschlaggebende Steigerung der Grundlohnsumme auf 1,7% geschätzt. Das ist eher niedrig. Jedes Krankenhaus, das sich durch Ein-

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führung des neuen Entgeltsystems bereits jetzt aus dem gedeckelten Budget befreien würde, stellt aus Sicht der Kassen-Ökonomen daher ein schwieriger zu kalkulierendes Risiko dar.

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Abteilungspflegesätze und Basispflegesatz

Alle medizinischen und pflegerischen Leistungen, die nicht über die pauschalierten Entgelte abgerechnet werden, gehen in von Abteilung zu Abteilung separat zu kalkulierende Abteilungspflegesätze ein. Abteilungspflegesätze sind auch für besondere Einrichtungen des Krankenhauses zu vereinbaren, die zumindest überwiegend der Behandlung von Querschnittsgelähmten, Schwerbrandverletzten, AIDS-Patienten, krebskranken Patienten, Dialysepatienten oder der neonatologischen Intensivbehandlung von Säuglingen dienen. Alle übrigen Leistungen (Verwaltung, nicht-medizinische Technik, Unterkunft, Verpflegung etc.) werden über einen Basispflegesatz mit landesweiter „Hotelpauschale" vergütet.

Aufgrund der Gesetzes- und Verordnungslage ist die - krankenhausindividuelle - Bildung von Abteilungspflegesätzen ab 1.1.1996 unvermeidlich. Vor der Verabschiedung des Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) hat es viele Hinweise gegeben auf die Konsequenz eines erheblichen Bürokratisierungs- und dadurch veranlaßten Kostenschubes sowie die Zunahme des krankenhausinternen Konfliktpotentials auf allen Ebenen. Vielerorts fehlt es nach wie vor an den notwendigen betriebsinternen Informationssystemen zur Umsetzung der Differenzierung der Pflegesätze, insbesondere im Rechnungswesen.

Gestatten Sie mir ein paar eher persönlich gefärbte Worte zu den Erfahrungen an einer großen Universitätsklinik. Ich bin „Budgetverantwortlicher" meiner Klinik. Eine aus mehreren Gründen „reizvolle" Aufgabe:

  • In der Regel erfahre ich gegen Ende des Jahres, wie weit ich unser Budget im April ausgeschöpft hatte. Das läßt schon terminlich wenig bis gar keinen Steuerungsspielraum. Der Grund ist einfach benannt:
    Uns fehlen in diesem Riesenkrankenhaus, das 1.800 Betten über einen Quadratkilometer verteilt, die Informationssysteme und Nachrichtenstränge zur Gewinnung und Verarbeitung der komplexen Informationen, derer es aber bedarf, um das zu tun, was doch eigentlich Sinn und

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    Zweck des ganzen Erkenntnisgewinns kaufmännischer Buchführung sein sollte: Nämlich rechtzeitig bei Fehlentwicklungen gegenzusteuern. Berechnungen einer unabhängigen Prüfüngsgesellschaft haben einen Investitionsbedarf in der Dimension von 330 Mio. DM ergeben, nur um unser Krankenhaus mit der erforderlichen Kommunikationstechnologie auszustatten! Das ist natürlich angesichts des Zustandes öffentlicher Kassen in absehbarer Zeit nicht leistbar.

  • Die Verwaltung kann zwar Hilfsinstrumente anbieten, die Grundfragen der Zuordnung zu den einzelnen Abrechnungsformen, die Verschlüsselung nach ICD und ICPM jedoch - mit den zum Teil erheblich unterschätzten - Steuerungsmöglichkeiten, sind allein ärztliche Aufgabe. Hierfür aber ist kaum jemand geschult, geschweige denn dafür ausgebildet und mit dem traditionellen Arztbild hat diese interessante Tätigkeit auch nicht so schrecklich viel zu tun. Gleichwohl geht man frohgemut an die Arbeit und strickt sich seine kleinen lCD-Unterkataloge (besonders interessant die Nummer ?324.8? „nicht näher bezeichneter Schwachsinn"), interpretiert freischwebend den ICPM und gewinnt somit „hochvalide" Daten! Die Weiterverarbeitung geschieht dann in verwaltungsnahen Rechnereinheiten, das Phänomen der „Black Box" ist perfekt, da der Datenerheber seine Daten anonym abliefert und mit seinen Resultaten oft gar nicht, oder erst sehr viel später oder aber in einer Form konfrontiert wird, bei der es ihm schwer fällt, den Verarbeitungsmodus der Daten nachzuvollziehen.

Um in einem Bild zu sprechen: Man kommt sich vor, als bekäme man eine tolle Landkarte zum Navigieren, aber weder Kompaß, Zirkel oder Marschstiefel um auch in der Wirklichkeit vorwärtsmarschieren zu können.

Schließlich ist auch das Instrumentarium der Steuerungsmechanismen äußerst beschränkt. Da ich nicht in einer „bettenführenden" Abteilung tätig bin, schöpfe ich kein eigenes Geld. Ich bin vielmehr auf die Zuweisungen aus anderen Abteilungen angewiesen. Meine Kosten aber definieren sich zu 70% aus Personal, das mit Ausnahme der jungen Ärzte natürlich über unbefristete Arbeitsverträge verfügt. Mein aus dieser Situation abzuleitender Wunsch nach Vermehrung unserer Patientenzahl - z.B. durch Marketing - scheitert an dem Verbot, ambulante Patienten zu behandeln. Das Dilemma ist komplett: Ich bin vollends auf die Zuweisungen

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aus anderen Abteilungen angewiesen, kann keine weiteren Märkte erschließen und muß mein „Marketing" innerhalb des Oligopols Krankenhaus betreiben. In dieser Situation kann ich mir schon gar nicht leisten, einem Kollegen, der mir einen Patienten schickt, die Untersuchung abzuschlagen, sei die Indikation auch noch so hergeholt und schwachsinnig. Fazit: Ich habe fast keine Steuerungsmechanismen in der Hand und bin von anderen total abhängig. Sie verstehen jetzt vielleicht, warum die ich die Aufgabe des Budgetverantwortlichen vorhin „reizvoll" nannte!

Die GEBERA hat in einem Gutachten zur Entwicklung von Sonderentgelten und Fallpauschalen diese Instrumente mit den amerikanischen Erfahrungen der DRG's verglichen und kommt zu einigen interessanten Ergebnissen:

  • Der Anteil der Verwaltungskosten am Gesamtbudget der Klinik hat sich von 8% auf 25% erhöht.

  • Der Anteil abgeforderter Leistungen in Radiologie, Pathologie und Labor sinkt um etwa 20%.

  • Die Gesamtkosten der stationären Behandlung haben sich weiter erhöht.

  • Daraus schließe ich: Nichts ist dadurch besser geworden - nur alles teurer.

In unserem doppelt gedeckelten System aber kann dieses gewaltige Arbeitsbeschaffungsprogramm für Verwaltungsangestellte, das wir mit der BPflVO in Gang gesetzt haben, sehr negative Effekte entfalten. Dies geschieht dann, wenn wir die zunehmenden Verwaltungskosten aus den gedeckelten Budgets - und ich wage einmal die Prognose, daß die im Grundsatz auch weiter gedeckelt bleiben werden - bestreiten müssen. Dann aber müssen wir die Verwaltung direkt durch Abstriche an der Patientenversorgung finanzieren. Das hielte ich für sehr schädlich.

Um nun gleich einer Fehlinterpretation vorzubeugen, lassen Sie mich an dieser Stelle noch einmal feststellen, daß ich gleichwohl den Ansatz einer leistungsorientierten Vergütung im Krankenhaus nicht nur immer gefordert habe, sondern auch nach wie vor begrüße. Mir scheint es auch selbstverständlich, daß die Kostenträger erfahren, was in den Krankenhäusern mit dem Geld ihrer Versicherten geschieht. Ich habe halt nur gravierende

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Vorbehalte, ob dieser Erkenntnisgewinn wirklich ohne erhebliche Mehrinvestitionen vonstatten geht, sich unter einem Budgetdeckel ohne Beeinträchtigung der Patientenversorgung realisieren läßt und am Ende wirklich zu einer Verbilligung der erbrachten Leistungen führt.

In dieser Einschätzung weiß ich mich im übrigen mit Prof. Arnold, dem ehemaligen Vorsitzenden des Sachverständigenrates der Konzertierten Aktion, einig, der folgende Einschätzung abgegeben hat:

„Die BPßVO wird die unter den günstigen Bedingungen der Vergangenheit erstarrten Verhältnisse in Bewegung setzen. Suchprozesse auslösen, in Grenzen zu neuen Lösungen fuhren, helfen: Licht in die black box des Krankenhauses zu bringen und durch die vorgeschriebenen Qualitätskontrollen die medizinische Versorgung punktuell verbessern. Sie wird hingegen nicht zu nennenswerten Einsparungen führen und auch nicht die Effizienz dauerhaft so verbessern, daß die aus der Budgetierung folgende Knappheit gemildert würde. "

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Offene Fragen müssen gelöst werden

Ich möchte nur kurz und ohne langatmige Begründungen einige aus unserer Sicht in der Zukunft noch ungelöste Probleme aufzählen:

Während die Bewertungsrelationen der Sonderentgelte und Fallpauschalen auf exemplarische Weise den Abstand der Entgelte untereinander festlegen und abschließend in der Bundespflegesatzverordnung bestimmt sind, ist die für die Krankenhäuser maßgebliche Höhe der Entgelte (Punktwert) in dem bereits angesprochenen Verfahren auf Landesebene zwischen Kassen und Krankenhausgesellschaften zu vereinbaren.

Bei der Bewertung dieser exemplarischen Ergebnisse („vom Ist zum Soll") in den Studienarbeitsgruppen beim BMG hat man drei „prospektive" Korrekturen an den ermittelten Werten vorgenommen:

  • Wegen der Erwartung einer in den nächsten Jahren bevorstehenden Verkürzung der Verweildauer wurde in den Bewertungsrelationen bereits ein Rückgang der Verweildauer von 15% berücksichtigt.

  • Wegen der weitgehenden Kalkulation auf der Basis hauptamtlich geführter Abteilungen wurde darüber hinaus bei etwa der Hälfte der Ent-

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  • gelte eine weitere Verkürzung der Verweildauer um 14% für den belegärztlichen Bereich vorgenommen.

  • Und schließlich hat man wegen der mit dem GSG in Kraft getretenen Pflegepersonal-Regelung die daraus zu erwartenden Steigerungsraten beim Pflegepersonal mit einem ebenfalls pauschalen Korrekturfaktor berücksichtigt. Der zusätzliche Personalbedarf im ärztlichen Dienst der Krankenhäuser, seit vielen Jahren immer wieder angemahnt und angesichts der Berge meist unbezahlter Überstunden fachlich unstrittig, blieb dagegen unberücksichtigt. Das muß in der Zukunft anders werden.

Ebenfalls kontrovers bis zum Schluß blieb die Tatsache, daß die bundesweiten Bewertungsrelationen hinsichtlich der Basiskosten und Vorhaltekosten mit einem in die Fallpauschalen einkalkulierten durchschnittlichen Basispflegesatz operieren. Dieses Instrument führt zu erheblichen Widersprüchen zum tatsächlichen Leistungsgeschehen. Die Basisleistungen und -kosten eines Krankenhauses hängen nämlich in erheblichem Maße vom - jeweils unterschiedlichen - Leistungsspektrum, von der Bauform, vom Alter und vom Zustand des Krankenhausgebäudes (z.B. Instandhaltungskosten) ab. Ein bundeseinheitlicher durchschnittlicher Mittelwert wird diesen Unterschieden in keiner Weise gerecht. Die Festlegung unabhängig von den Versorgungsstrukturen einheitlicher Fallpauschalen für alle Krankenhäuser, mit denen sämtliche Kosten des Krankenhausaufenthaltes abgedeckt werden, läßt eine differenzierte Zuordnung der Basisleistungen nicht zu.

Diese Bedenken der Expertengruppe Entgeltsystem gegen die Einbringung eines bundeseinheitlichen Basispflegesatzes in die Kalkulation der Fallpauschalen wurden auch von den beteiligten Forschungsinstituten geteilt. Im Rahmen des Erlösabzugs sind diese erhöhten tatsächlichen Vorhaltekosten von Krankenhäusern höherer Versorgungsstufen, vor allem natürlich der Krankenhäuser der Maximalversorgung, noch ausgleichbar. Spätestens ab der obligatorischen Kostenausgliederung für 1998 ist dies nicht mehr der Fall. Die Forderung - notfalls durch Änderung des GSG - eine Möglichkeit zu schaffen, die unterschiedlichen Basisleistungen und -kosten verschiedener Krankenhäuser in der Vergütung durch Fallpauschalen zu berücksichtigen, wurde bislang nicht aufgegriffen. Lediglich in einer Arbeitsgruppe der Kultusministerkonferenz ist - auf die Universitätskliniken bezogen - der Gedanke aufgegriffen worden, daß die Krankenhäuser

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der Maximalversorgung eine Infrastruktur vorhalten müssen, die sowohl ihrer „Breite" als auch ihrer „Höhe" nach die Behandlung fast aller Krankheitsfälle erlaubt.

Es bleibt abzuwarten, ob die für eng umgrenzte Tatbestände zugelassene Vereinbarung von Zu- und Abschlägen für einzelne Krankenhäuser dieses Problem mildern kann.

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Qualitätssicherung - Unverzichtbar!

Im § 137 SGB V (Sozialgesetzbuch) wird den Krankenhäusern die Verpflichtung zur Teilnahme an Qualitätssicherungsmaßnahmen auferlegt. Das ist nicht nur gut so, das war überfällig, denn das Bemühen um eine Optimierung der Qualität ist heute unverzichtbar!

Unverständlich ist nur, daß die einzigen, die bisher wirklich funktionierende Qualitätssicherungsprogramme vorweisen können, nämlich die ärztlichen Fachgesellschaften und Ärztekammern, lediglich eine „Katzentischrolle" im SGB V zugewiesen bekommen haben. Diese wird sich aber bald, wenn ich die Gespräche auf dem Petersberg richtig verstanden habe, ändern - und das ist gut so.

Qualitätssicherung - ich meine hier vor allem die sogenannte „externe Qualitätssicherung" - ist ein methodisch äußerst schwieriges Verfahren, bei dem es um die Objektivierung der Ergebnisqualität ärztlichen und pflegerischen Handelns geht. Das Gesamtergebnis aller medizinischen Verrichtungen am Patienten kann aber nur von Fachleuten erhoben und verglichen werden und deswegen steht den Ärzten derselbe Primat in der Qualitätssicherung zu, wie in der Therapieentscheidung. Es ist doch absurd, daß wir explizit die freie Therapieentscheidung und Unabhängigkeit des Arztes von medizinischen Weisungen anderer festschreiben, während wir plötzlich bei der Beurteilung der Ergebnisse andere Nichtfachleute mit ihren oft sehr subjektiven und methodisch nicht abgesicherten Meinungen in den Vordergrund schieben wollen.

Ein gutes Beispiel für diesen Unsinn sind die jüngst geäußerten Überlegungen der DKG und einiger Krankenkassen, durch die Vergabe von Zertifikaten die Teilnahme an Qualitätssicherungsmaßnahmen zu belohnen.

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Das Zertifikat A soll dabei die Teilnahme an Qualitätssicherungsmaßnahmen und die Veröffentlichung eines Qualitätsberichtes belohnen. Ich halte es nun für ausgesprochenen Quatsch, die Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht durch ein Zertifikat belohnen zu wollen. Wichtiger wäre mir statt dessen, an die Tore all derjenigen Krankenhäuser, die sich nicht an ihre gesetzliche Pflicht halten, eine rote Laterne zu hängen, damit der Patient weiß, daß er sich in das Risiko eines nicht qualitätsgesicherten Krankenhauses begibt.

Das Zertifikat B, das wie ein Führer der Krankenhäuser nun Spezialitäten und Besonderheiten aufrühren soll, ist etwa so sinnvoll wie ein Guide Michelin im Handschuhfach bei einer Reifenpanne auf dem platten Land. Es ist nun einmal besonders erfreulich zu wissen, daß das nächste Drei-Sterne-Restaurant unerreichbar weit entfernt vom Ort der eigenen Reifenpanne ist.

Bedenklich aber ist, wie gehen wir mit einem Patienten um, der mit seiner Erkrankung - aus welchen Gründen auch immer - ein Krankenhaus aufsuchen muß, daß bedauerlicherweise nicht in diesem „Guide Fiedler" aufgeführt ist? Wird der nicht extrem und unnötigerweise verängstigt?

Und nach welchen Kriterien erstellt man so einen Katalog? Alle, die sich mit ernsthafter Qualitätssicherung bisher befaßt haben, wissen um die immensen Methodenprobleme allein der ärztlichen Qualitätssicherung. Wie aber wollen sie diese nun rational gewichtet neben die Qualität der Hotellerie, der Freundlichkeit und Effizienz der Pflege (wer mißt die und wie?) und der Qualität des Essens stellen?

Nein, das hat nichts mit ernsthafter Qualitätssicherung zu tun, das sind Marketingspielereien, das ist die Vorankündigung eines Wettbewerbs der Kassen untereinander bei dem sinnvolle Instrumente ärztlichen Handelns zu Reklameinstrumenten verkommen. Das hat die ärztliche Qualitätssicherung nicht verdient!

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Ärztliche Hierarchie - gestern und morgen!

Ich bin nicht so illusionär zu glauben, das GSG und die BPflVO habe man verabschiedet, um sich auch solcher Probleme wie der Struktur des

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ärztlichen Dienstes im Krankenhaus anzunehmen. Gleichwohl wird sich hier einiges ändern.

Kaum ein Gebilde kennt ja so straffe hierarchische Strukturen wie ein Krankenhaus. Kaum ein Beruf führt das Wort „Kollege" so oft im Munde und verstößt zugleich so ausdauernd gegen die Prinzipien der Kollegialität, wie die Krankenhausärzte.

Es gibt heute beim ärztlichen Dienst faktisch sieben Stufen der Hierarchie:

  • Arzt im Praktikum

  • Assistenzarzt in der Weiterbildung

  • Assistenzarzt (Facharzt)

  • Funktionsarzt

  • Oberarzt

  • Leitender Oberarzt

  • Chefarzt.

Dabei kann man von der funktionellen Stellung her eigentlich nur drei Ebenen beschreiben:

  • Die, die noch lernen,

  • die, die's schon können und

  • die, die zusätzlich noch administrative Funktionen haben.

Erschreckend ist, daß mit der Hierarchie auch eine gewaltige Machtfülle und aktive Machtausübung verbunden sind. Im Klartext heißt das: Es gibt kaum einen anderen qualifizierten Beruf, in dem man sich bis in die Mitte der vierten Lebensdekade von einem befristeten Vertrag zum nächsten hangeln muß - immer in der Abhängigkeit von anderen Ärzten. Diese nutzen diese Abhängigkeit dann auch gerne im materiellen Sinne aus und lassen sich erheblich zuarbeiten. Oft ist es so, daß in bestimmten Bereichen „nachgeordnete" Ärzte sogar qualifizierter sind als ihre Vorgesetzten, diese aber gleichwohl ihre ganze Macht dazu einsetzen, mindestens den „geldwerten Vorteil" der Höherqualifikation des anderen in die eigene Tasche umzuleiten. Befristete Verträge und Abhängigkeiten in der Weiterbildung oder wissenschaftlichen Qualifikation werden hierzu bedenkenlos ausgenutzt.

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Dieses könnte sich durch das GSG und die BPflVO wenigstens in einigen Teilbereichen ändern. So wird es für ein Krankenhaus nunmehr interessant im Bereich der ambulanten Operationen, der teilstationären Versorgung und der ja auch in der Zukunft geplanten Integration ambulanter und stationärer Versorgungsbereiche mit dem hohen Qualifikations- und Leistungsspektrum des ganzen Hauses zu werben.

Das wird mit Sicherheit die Situation der Fach- und Oberärzte innerhalb der Hierarchie verbessern helfen. Es zeigt im übrigen deutlich, wie unbeweglich und ängstlich Krankenhausträger in der Vergangenheit mit ihrem Personal umgegangen sind. Ihnen ist ein starker „Herr im Haus" wichtiger als der auf allen Managementseminaren gelehrte und auch für die Verwaltung selbst gewünschte „kooperative" Führungsstil. Das ist Ausdruck eines eklatanten politischen Versagens der Krankenhausbesitzer. Erst unter dem Druck ökonomischer Veränderungen bewegt sich hier etwas!

Dies bringt allerdings den darunter stehenden „nachgeordneten" Ärzten nur wenig Erleichterung. Im Gegenteil, ich befürchte für sie wird die Luft noch dünner - sie werden nun noch mehr Herren dienen müssen. Wir kämen damit also von der hierarchischen Pyramide zum Tafelberg, aber ein breiter Sockel wird nach wie vor unter den negativen Effekten von Hierarchie leiden müssen.

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Weiterbildung und Ausbildung werden rar

Die Zahl der Ärzte im Krankenhaus wird nicht mehr in dem Maße zunehmen, wie in der Vergangenheit. Prof. Pfaff führt in seinem für den AOK-Bundesverband hergestellten Auftragsgutachten aus, daß sich durch GSG und BPflVO bis zum Jahr 2006 die zuvor geschätzte Zahl von 140.200 Krankenhausärzten um 26.000 auf 114.000 vermindern wird. Er sagt selber:

„Damit wird auf längere Sicht der Weg in eine dauerhafte Beschäftigung im Krankenhaus zunehmend schwieriger. "

Diese Tatsache tangiert aber eine der wichtigsten „Neben"aufgaben des Krankenhauses: Weiterbildung und Ausbildung.

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Da heute schon etwa 120.000 Ärzte in den Krankenhäusern arbeiten, kommt der Altersfluktuation eine eminente Bedeutung zu. Etwa 20.000 Krankenhausärzte sind 50 Jahre oder älter - ihr Ausscheiden ist ceteris paribus bis zum Jahr 2006 anzunehmen. Eine nennenswerte Fluktuation unter denjenigen, die einen festen, unbefristeten Arbeitsvertrag in der Tasche haben, gibt es nicht mehr, seit die Niederlassungsmöglichkeiten durch die verfassungswidrigen Steuerungseingriffe des GSG versperrt sind.

Im selben Zeitraum benötigen aber über 100.000 Medizinstudenten Weiterbildungsstellen in den Kliniken.

Fazit: Weiterbildung wird wegen fehlender Stellen in den Krankenhäusern nicht mehr stattfinden, arbeitslose Ärzte wird es zuhauf geben, zugleich aber vergreisen die Krankenhäuser! Welche Verschwendung menschlicher Leistungsfähigkeit und Leistungswillens!

Hierin sehe ich eine eminente Gefahr des „Standorts Deutschland", denn unsere Forschung und Lehre, an Universitätskliniken und anderen Krankenhäusern, sind ein Pfund, mit dem man nicht genug wuchern kann.

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Zusammenfassung

Ich begrüße ausdrücklich, daß versucht wird, leistungsgerechte Vergütung in das Krankenhaus einzuführen. Wir wollen nicht mitternachtswarme Betten finanziert bekommen, sondern für unsere hochqualifizierte Leistung, also für das was im Bett - oder, siehe ambulantes Operieren, sogar ohne Bett - geschieht, bezahlt werden.

Die vorgeschlagenen Instrumente lassen jedoch befürchten, daß der unter dem allfälligen Stichwort „Transparenz" gewünschte Erkenntnisgewinn zuerst einen gewaltigen Bürokratie- und EDV-Schub auslösen wird, um dann in die Erkenntnis zu münden, daß zwar nichts besser, aber alles teurer geworden ist. Das ist schon ein Vorteil, denn es gab ja in der Vergangenheit durchaus auch Therapieansätze für das Krankenhauswesen, die mit Sicherheit eine Verschlechterung der Patientenversorgung gebracht hätten.

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Die neuen Instrumente „Sonderentgelt und Fallpauschale" scheinen mir noch nicht so ausgereift und in ihren Auswirkungen stabil zu sein, daß wir nicht dringend auf einer qualifizierten Analyse ihrer Auswirkungen bestehen müßten - die zugesagte Begleitforschung wird von uns begrüßt. Nachbesserungen bei der krankenhausindividuellen Umsetzung und bei der Bemessung des Personalbedarfs erscheinen mir schon vorab unabdingbar.

Die Struktur des ärztlichen Dienstes am Krankenhaus wird sich erheblich ändern. Fachärzte werden davon profitieren, die Situation in der Weiterbildung befindlicher junger Ärztinnen und Ärzte wird sich verschärfen.

Weiterbildung wird zu einem zunehmend rarer werdenden „Abfall"produkt ärztlicher Tätigkeit. Das wird in sehr langen Zeiträumen zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Wissenschafts-Standort Deutschland führen.

Dennoch glaube und wünsche ich mir nicht, daß unsere Politik in absehbarer Zeit ihre Maximen wieder an einem von mir leicht verfremdeten Gedicht von Eugen Roth ausrichten wird:

Der Kranke traut nur widerwillig
dem Arzt der's schmerzlos macht und billig.
Drum, Politik, laß nie den alten Grundsatz rosten:
Es muß a) wehtun, b) was kosten!


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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