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Martin Pfaff
Finanzielle Steuerung im Gesundheitswesen - Das Beispiel der Bundespflegesatzverordnung 1995


Die Themenstellung der heutigen Veranstaltung ist nicht nur von grundsätzlicher Bedeutung, sie ist auch von höchster Aktualität:

  • Sie ist von grundsätzlicher Bedeutung, weil sie Fragen insbesondere nach der finanziellen Steuerung im Gesundheitswesen stellt. Ihre Beantwortung ist von Relevanz für die laufende Diskussion, auch um die sogenannte Reformstufe des Gesundheitswesens.

  • Die Themenstellung ist auch von höchster aktueller Bedeutung: Denn am Beispiel der Bundespflegesatzverordnung 1995 kann man sowohl Erwartungen an eine leistungsorientierte Vergütung formulieren, als auch die notwendige Kritik an der Art ihrer Realisierung äußern.

Um es gleich vorwegzuschicken: Diese Kritik soll konstruktiv sein. Es geht mir also nicht um die Kritik der Ziele, sondern um die Kritik der Wege zu diesen Zielen.

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Zur Definition der Steuerung bzw. Regelung im Gesundheitswesen

Ich möchte Ihnen lange Definitionen ersparen. Aber wenn wir schon den anspruchsvollen Titel „Steuerung" in der Überschrift gesetzt haben, dann ist es vielleicht auch sinnvoll, vorweg zu sagen, was man genau unter Steuerung und Regelung versteht.

Unter Steuerung eines Prozesses verstehe ich die bewußte Beeinflussung von Ausgangsgrößen oder Istwerten durch die Eingangsgrößen unter Bezugnahme auf Sollwerte, die von den Steuerungszielen abgeleitet werden. Bei der finanziellen Steuerung handelt es sich um eine ganz besondere Form. Hier geht es nicht um die realen Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital, die unmittelbar eingesetzt werden. Auch nicht um Information. Es geht schlicht und einfach um Geld, also um den Ressourcenzustrom,

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insbesondere um Finanzzuweisungen, Entgelte und andere monetäre Finanzierungsformen. Dies stellt eine besondere Form der Steuerung dar, nämlich eine Steuerung auf der Inputseite.

Im Unterschied zur Steuerung spricht man von „Regelung" dann, wenn bei einem Vorgang eine zu regelnde Größe fortlaufend erfaßt wird und mit einer anderen Größe - der Führungsgröße - verglichen wird; abhängig vom Ergebnis dieses Vergleichs erfolgt eine Anpassung an die Führungsgröße. Zur Verdeutlichung: Man denke an einen Heizkörper mit einem Thermostaten, der eine Referenztemperatur vorgibt. Hier vergleicht ein Meßsystem ständig die tatsächliche Raumtemperatur mit der vorgegebenen Temperatur. Und die Information über den Unterschied zwischen der Soll- und der Ist-Temperatur wird genutzt, um den Wärmezufluß in den Raum kontinuierlich zu beeinflussen.

Wir wissen aber auch, daß die finanzielle Steuerung nicht nur über den Zustrom an Ressourcen erfolgen kann: Sie kann auch als Prozeßsteuerung - d.h. zur Beeinflussung der Nutzung von Ressourcen im Gesundheitswesen - eingesetzt werden. Die Steuerung kann entweder auf der „Nachfrageseite", d.h. bei den Versicherten oder den Kranken (beispielsweise über die Zuzahlungen im Krankheitsfall) oder auf der „Angebotsseite", d.h. bei den Leistungserbringern (beispielsweise bei der Vergütung im Krankenhaus) eingesetzt werden.

Auch wenn im folgenden viel über Kosten und Finanzen im stationären Sektor die Rede sein wird, möchte ich gleich zu Anfang eindeutig feststellen, daß das primäre Ziel für diesen Bereich die bedarfsgerechte, hochwertige Versorgung von Menschen im Falle eines notwendigen Krankenhausaufenthalts ist. Des weiteren geht es hier insbesondere auch um die Auswirkungen auf die Menschen, die im Krankenhaus als Ärzte, Pflegemitarbeiterinnen und -mitarbeiter oder als Personal in der Verwaltung arbeiten.

Bei der Berechnung der Fallpauschalen und Sonderentgelte, die in die Bundespflegesatzverordnung 1995 eingegangen sind, handelt es sich zunächst um den Versuch einer Steuerung. Denn die Art und Weise, wie die Fallpauschalen und Sonderentgelte eingeführt werden, läßt einen Regelungsprozeß nicht zu. Dabei wäre gerade in der Einführungsphase ein solcher Regelungs- oder Lernprozeß besonders sinnvoll gewesen: Wenn zunächst „falsche" Preissignale vorgegeben werden - was höchst wahr-

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scheinlich ist - könnten diese möglichst schnell im Lichte der Mengenentwicklung angepaßt werden.

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Relevanz der Ausgabensteuerung und der Beitragssatzstabilität

Auch wenn die Ausgabensteuerung und die Beitragssatzstabilität nicht originäre Ziele der Gesundheitspolitik darstellen, so sind sie aber doch wichtige Nebenbedingungen für die Zielerreichung und deshalb durchaus von Relevanz für die praktische Krankenhauspolitik: Wenn nämlich die Ausgabensteuerung im Krankenhaus versagt, dann ist die Wirkung des Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) 1993 zumindest in Frage gestellt. Das Krankenhaus ist mit Ausgaben von über 74 Mrd. DM im Jahr 1994 der größte Sektor des Gesundheitswesens. Das Krankenhaus ist darüber hinaus ein zentraler, wichtiger Bereich in unserer Gesellschaft: Denn es ist ein Auffangbecken für viele ungelöste Probleme dieser Gesellschaft.

Trotz Budgetierung sind die Krankenhausausgaben 1994 je Mitglied um 6,7% in den alten und über 15% in den neuen Bundesländern gestiegen. Die Grundlöhne wuchsen hingegen nur um 2,5% in den alten und nur um 9% in den neuen Bundesländern an. Die Zuwachsraten haben bei den Ausgaben im Jahr 1994 von Quartal zu Quartal zugenommen. Es ist also absehbar, daß eine Finanzierungslücke erheblichen Ausmaßes schon im Jahr 1995 entsteht. Wenn die finanziellen Reserven aufgebraucht sind und keine weiteren Reformen durchgerührt werden, wird sich das klassische Muster der vergangenen Kostendämpfungsgesetze auch beim GSG 1993 wiederholen.

Wenn die Weichenstellung in der Ära der Fallpauschalen und Sonderentgelte - also nach der Budgetierungsphase - nicht korrekt vorgenommen wird, so wird der Krankenhausbereich auch in Zukunft Anlaß zur Sorge geben. Zudem werden die Ausgabenzuwächse, die sich bereits in der Budgetierungsphase abzeichnen, die Umsetzung weiter strukturgestaltender Maßnahmen am Ende dieser Budgetierungsphase im politischen Umfeld erschweren.

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Ansatzpunkte für die Krankenhausreform

Das deutsche Krankenhaus hat im internationalen Vergleich eine Spitzenstellung inne, insbesondere gemessen an der medizinisch-technischen Ausstattung. Gemessen an der Personalausstattung (v.a. im Pflegebereich) zählt es jedoch im internationalen Vergleich mit zu den Schlußlichtern in Europa. Gemessen an den Krankenhausausgaben pro Kopf oder am Anteil der Krankenhausausgaben am Volkseinkommen wiederum liegt der volkswirtschaftliche Ressourcenverbrauch auch nicht ungebührlich hoch. Allein aus internationalen Vergleichen ist der Reformbedarf der Vergangenheit somit sicher nicht zu begründen.

Der Reformbedarf begründet sich vielmehr aus strukturellen Problemen. Hierzu zählt einmal die mangelnde Transparenz des Leistungsgeschehens:

Die wenigsten Krankenhäuser kennen ihre wahre Kostenstruktur nach Krankheitsarten oder die Kosten je behandelten Patienten.

Es fehlen zweitens im stationären Sektor die Anreize zur Ausnutzung von Wirtschaftlichkeitsreserven. Durch diese Mängel kommt es zu fehlsteuernden Wirkungen der bisherigen Leistungsvergütung, also der pauschalierten Pflegesätze, auf die Verweildauern und Fallzahlen. Es läßt sich beispielsweise nicht wegdiskutieren, daß wir bei gleichen Krankheitsbildern eine sehr viel höhere Verweildauer haben als andere Industrienationen. Dies hat zwar nicht nur negative Effekte. Aber ein Krankenhausaufenthalt über das medizinisch notwendige Maß hinaus ist für den Patienten sicherlich nicht sinnvoll, wie die zu große Bedeutung von Hospitalinfektionen plastisch belegt.

Die mangelnde Verzahnung des Krankenhauses mit dem ambulanten Gesundheitssektor, den sozialen Diensten, mit Reha-Einrichtungen u.a.m. stellt ein weiteres Problemfeld dar.

Der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen hat bereits in seinem Jahresgutachten 1992 angemahnt, daß die Ziele einer Reform über eine Erhöhung der Kosten- und Leistungstransparenz, eine Reform des Vergütungssystems und auch über einen Abbau der scharfen organisatorischen Trennung der ambulanten, kassenärztlichen Versorgung von der stationären Versorgung zu erreichen wären. Dies könne dann die Grundlage für Betriebsvergleiche und Wirtschaftlichkeits-

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prüfungen darstellen. Eine solche leistungsorientierte Vergütung würde auch die Leistungsmotivation der Beschäftigten fördern. Zusammen sollten diese Reformen eigenverantwortlich gezielte Leistungs- und Kostensteuerungen ermöglichen.

Der Gesetzgeber hat nichts anderes getan als die meisten dieser Forderungen im Gesundheitsstrukturgesetz 1993 aufzugreifen: Das Ziel des GSG 1993 in diesem Bereich ist nichts anderes als die Umorientierung der Krankenhäuser hin zu einem stärker leistungs- und wettbewerbsorientierten System, das wirksamere Anreize in Richtung Qualität und Wirtschaftlichkeit beinhaltet.

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Maßnahmen des GSG 1993

Die einzelnen Maßnahmen des GSG 1993 können im Sinne der eingangs dargestellten Taxonomie oder Definition betrachtet werden. Dabei wird ersichtlich, daß beispielsweise die Bereitstellung von finanziellen Mitteln zur Ausweitung der Personalstellen eine finanzielle Steuerung im Sinne des Zuflusses von Ressourcen darstellt. Auch die allgemeine Budgetierung verfolgt eine solche Zielstellung. Bei der Abführung der Einnahmen der Chefärzte handelt es sich sowohl um die Steuerung des Ressourcenflusses als auch um deren Nutzung. Auch bei der Aufhebung des Selbstkostendeckungsprinzips geht es einmal um die Steuerung des Ressourcenzuflusses und zum anderen um die Nutzung der zur Verfügung stehenden Mittel. Die Zuzahlungen zielen auf die Steuerung der Nutzung auf der Nachfrageseite ab. Die Anpassung des Leistungsniveaus und der Angebotsstrukturen vor allem in den neuen Ländern stellt eine Steuerung des Ressourcenzuflusses dar. Regelautomatismen im engeren Sinne, die fortlaufend vergleichen, haben wir wenige in diesem Gesetz. Man könnte beispielsweise argumentieren, daß die Auswirkungen auf die Ärzte einer Überschreitung des Budgets bei den Arzneimitteln zumindest für einige Zeit einem solchen Konzept nahekommen.

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Auswirkungen auf das Leistungsgeschehen

Wie sind die Instrumente des Gesundheitsstrukturgesetzes in ihrer Auswirkung auf das Leistungsgeschehen zu beurteilen? Ich unterscheide hier-

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bei zwischen der Budgetierungsphase und der Phase der Fallpauschalen und Sonderentgelte.

Die Budgetierungsphase hat einerseits die Zielsetzung, Beitragssatzsteigerungen innerhalb der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu vermeiden. Andererseits sollen auch in den Krankenhäusern Anreize zu wirtschaftlichen Verhaltensweisen geschaffen werden, indem ein Druck verursacht wird, der zu Anpassungsaktionen und Veränderungen im Leistungsgeschehen führen soll. Grundsätzlich sind hierbei eine Vielzahl von möglichen Anpassungsreaktionen denkbar: Zu nennen sind z.B. die Verkürzung der Verweildauer, Veränderungen der Fehlbelegung, aber auch Veränderungen im Leistungsspektrum wie beispielsweise eine Spezialisierung auf einige Leistungen bzw. die Unterlassung oder das Zurückfahren oder die zeitliche Streckung anderer Leistungen. Solche Anpassungen sind nur dann zu tolerieren, wenn keine Mangelsituation besteht, und wenn nicht Unter-, sondern Überversorgung vorliegt. Wenn hingegen die notwendige Versorgung in einer Region unterbleibt oder gar notwendige Kapazitäten vernichtet werden, dann ist eine solche Reaktion zu kritisieren.

Aufgrund der Ausnahmebestimmungen des Budgets, die zumindest teilweise sehr wohl begründet werden können, ist es jedoch möglich, daß eine Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben entsteht.

Wie sieht es bei den Auswirkungen in der Ära der Sonderentgelte und Fallpauschalen aus? Was sollen sie eigentlich erreichen? Sie sollen Kosten-Leistungs-Transparenz erzielen. Sie sollen aber auch aus betriebs- und volkswirtschaftlicher Sicht reellere Preise für stationäre Krankenhausleistungen zur Verfügung stellen. Sie sollen einen Vergleich über die Krankenhäuser hinweg ermöglichen. Sie sollen als Preissystem auch Verhalten steuern. Sie sollen als Basis für den Wettbewerb dienen: Er soll als Suchprozeß, als Entdeckungsverfahren und als Weg zu mehr Servicequalität und Innovation verstanden werden. Zwar hat sich der Wettbewerb in der Vergangenheit nicht (oder höchst selten) in dieser Richtung ausgewirkt. Aber unter den neuen Bedingungen ist zu erwarten bzw. sicherzustellen, daß er andere, effizientere Formen annimmt.

Es stellt sich nun die Frage, ob diese Zielsetzungen über die derzeitige Bundespflegesatzverordnung '95 wirklich zu realisieren sind. Ich muß diese Frage leider aus verschiedenen Gründen verneinen. Ich fange an mit der Kritik an der Berechnung von Fallpauschalen und Sonderentgelten.

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Erstens ist die Frage der Auswahl der Referenzpreise zu stellen. Wir befinden uns hier in einem Bereich, in dem es keinen Markt gibt und auch - im strengen Sinne des Wortes - nicht geben kann: Denn nicht die Kaufkraft soll die Nutzung der Leistungen steuern, sondern der Bedarf. Soll hier dennoch Wettbewerb und Wahlfreiheit eingeführt werden, so ist dies über sogenannte Schattenpreise zu erreichen. Schattenpreise sind Preise, die errechnet werden müssen und von denen man erwartet, daß sie Signale setzen, die zu einer effizienten Nutzung der Ressourcen führen. Dieses Problem ist uns hinlänglich aus der Nutzen-Kosten-Analyse bekannt.

Demnach stellen die Fallpauschalen und Sonderentgelte eine Form von Schattenpreisen dar, die nach bestimmten Regeln von den Istkosten hergeleitet werden. Die in der Bundespflegesatzverordnung 1995 enthaltenen Fallpauschalen und Sonderentgelte erfüllen aber diese Kriterien nicht, oder nur unvollständig. Sie wurden vielmehr empirisch ermittelt und führen somit die bereits jetzt im System bestehen Unwirtschaftlichkeiten fort.

Ich nenne einige Beispiele: Wir wissen beispielsweise - und dies soll keine Generalkritik sein -, daß manche Krankenhäuser die Möglichkeit haben, ihre Defizite auf ihre Träger abzuwälzen. Wenn man solche Krankenhäuser bei der Berechnung der Quasi-Preise für Fallpauschalen und Sonderentgelte heranzieht - und es sind in der Regel eher Krankenhäuser im öffentlichen als im privaten Bereich -, dann werden die bestehenden Unwirtschaftlichkeiten de facto fortgeschrieben. Tatsache ist, daß in die empirische Ermittlung Berechnung der Fallpauschalen und Sonderentgelte die Istkosten vor allem von öffentlichen, und hier wiederum von größeren Krankenhäusern (insbesondere der Unikliniken), eingeflossen sind. Die Berichte der verantwortlichen Institute belegen selbst, daß die Auswahl der Krankenhäuser nicht repräsentativ war und damit zu einer sehr einseitigen und nicht repräsentativen Kalkulation der Kosten geführt hat.

Wenn die Auswahl der Krankenhäuser verzerrt war, dann müssen auch die Ergebnisse verzerrt sein. Auch dies wird von den Instituten - und übrigens auch von der Deutschen Krankenhausgesellschaft - eingestanden. Die Auswahl der konkreten Fälle wurde nicht von den Instituten selbst durchgeführt, sondern größtenteils den Kliniken selbst überlassen. Ob dadurch eine interessenfreie Auswahl möglich war, darf durchaus bezweifelt werden.

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Für die geplante Einführung der Fallpauschalen und Sonderentgelte als Quasi-Preise benötigt man, wie gesagt, ein Referenzmodell über den Zustand, den man mit einem solchen Preissystem erreichen will. Ein solches Referenzmodell ist hier nicht explizit vorgegeben. Die Vorgehensweise bei der Ermittlung der Preise impliziert allerdings ein solches Referenzmodell. Überspitzt formuliert handelt es sich hier im großen und ganzen um eine leicht modifizierte Fortführung des Bestehenden, obwohl dies sicherlich weder vom Gesetzgeber noch von der Exekutive gewollt war.

Wie sieht es mit dem Verfahren zur Empfehlung der Entgelthöhe durch die Institute aus? Es wurde hier der Mittelwert der festgestellten Ist-Ergebnisse herangezogen. Diese variierten allerdings erheblich zum bis zu drei- oder dreieinhalbfachen der Differenz der Kosten des billigsten, im Verhältnis zum teuersten Krankenhaus. Dies bedeutet konkret, daß über die Hälfte der Kliniken bei dieser Vorgehensweise einen Gewinn „garantiert" bekommt.

In der öffentlichen Wirtschaft wird jedoch - wenn kein Marktpreis, kein Wettbewerbssystem vorhanden ist, bei dem sich die beste Betriebsform über die Gewinne manifestiert - die Einheit (hier also jedes Krankenhaus) als Referenzgröße herangezogen, bei der die effektivste und effizienteste Form der Angebotserbringung vorliegt. Nun wissen wird, daß diese Vorgehensweise im stationären Sektor nicht in letzter Konsequenz anwendbar ist. Aber muß deshalb gleich der Mittelwert als Referenzgröße dienen? Darüber lohnt es sich zu diskutieren.

Ein weiterer Kritikpunkt: Es sind falsche Annahmen über die Verweildauer zugrundegelegt worden. Die Einführung der Fallpauschalen und Sonderentgelte führt bekanntlich zu Verweildauerverkürzungen über das bereits bestehende Maß hinaus. Es wurden aber von den Instituten gegenüber der Jetztsituation Verweildauerverkürzungen um 30%, reduziert auf das rein medizinisch Begründete, zugrundegelegt und vorgeschlagen. Der Bundesminister geht aber weiterhin trotzdem nur von einer 15%igen Verweildauerreduzierung aus. Dies hat Konsequenzen für die Berechnung der Sollkosten.

Darüber hinaus ist zu kritisieren, daß jede Position des Fallpauschalenkatalogs anhand von nur 20 bis 30 Krankenakten, in nur sechs bis acht Krankenhäusern, erhoben worden ist. Dazu die erhebenden Forschungsinstitute: „Dieser Umfang der empirischen Basis stellt eine kritische Un-

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tergrenze dar." Ich meine, daß diese Werte unterhalb der kritischen Grenze liegen.

Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft merkt vier zentrale Kritikpunkte an. In gebotener Kürze: Zu wenig Krankenhäuser, zu große Varianz in den Istkosten, keine Ursachenanalyse, Mittelwertbildung. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft fordert deshalb: Erstens abgrenzbare Leistungsbilder - eine, wie mir scheint, durchaus sinnvolle Voraussetzung für die Festlegung der Fallpauschalen. Zweitens, eine nötige Begleitforschung. Drittens, Korrekturen an den bestehenden Entgelten statt einer Erweiterung der Entgeltkataloge.

Heute schon ist erkennbar, daß die möglichen Einspareffekte der leistungsorientierten Vergütung gering sein werden, solange - in der ersten Phase - nur 20% des Leistungsgeschehens abgedeckt sind. Zudem kann es auch zu negativen Einspareffekten, also zu Kostensteigerungen, kommen, wenn diese Unwirtschaftlichkeiten fortbestehen. Wenn also durch Fallpauschalen und Sonderentgelte nicht nur ein Anreiz zur Verweildauerverkürzung, sondern gleichzeitig auch Anreize zur Fallzahlausweitung entstehen, werden die Gesamtkosten steigen, statt zu sinken. Diese Kostensteigerungen liegen unserer Schätzung nach bei ca. 10%.

In einem solchen Mischsystem, in dem 20% der Kosten über Leistungsentgelte und 80% über das Fortbestehen des pauschalierten Pflegesatzes abgedeckt werden, müssen Ausweichmechanismen und somit Kostenverlagerungen entstehen. Kostenüberschüsse, die bei sonderentgeltfähigen Leistungen anfallen, können und werden auch in Zukunft auf die weiter bestehenden Pflegesätze verlagert werden. Deshalb ist zu fordern, daß die leistungsorientierte Vergütung ausgeweitet werden muß: Nicht 20%, sondern etwa 80% der Leistungen sollten leistungsbezogen vergütet werden. Wenn man diesen Weg geht, dann mit aller Konsequenz!

Langfristiges Ziel muß eine monistische Finanzierung des stationären Sektors sein. Solange die Preise (Quasi-Preise) nicht die echten Kosten reflektieren, führen sie - gemessen an der Effektivität und Effizienz - zu einem verzerrten Verhalten. Langfristig sollten deshalb alle anfallenden Kosten in die leistungsorientierte Vergütung einfließen, um einen „Verschiebebahnhof" der Kosten zu vermeiden.

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Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß die Verweildauer in einer solchen Situation eine wichtige Rolle spielt. Jeder zusätzliche Pflegetag bringt Kosten für das Krankenhaus, dem aber keine zusätzlichen Erlöse aufgrund des fest vereinbarten Entgelts gegenüber stehen. In dem Umfang, in dem die neue Vergütung zu einer Ausweitung der Fallzahlen führt, reduziert sich ihre kostendämpfende Wirkung. Ein Krankenhaus kann unter diesen Bedingungen seine Fixkosten nur decken, wenn die in einer Periode erbrachte Leistungsmenge mindestens das vereinbarte Niveau erreicht. Durch eine übermäßige Mengenausweitung kann das Krankenhaus, auch bei einer solchen Mischkalkulation, zusätzliche Einnahmen erzielen.

Die Anreize, die aus einem solchen System entstehen, sind nicht nur positiv zu bewerten. Die Risiken sind aus der amerikanischen Erfahrung hinlänglich bekannt - die ungebührliche Verkürzung der Verweildauer, die Fehleinstufung der Fälle zwecks Erzielung einer höheren Pauschale; das „Rosinen-Picken", sprich, die Suche nach „attraktiven" Fällen; oder das Abschieben von multimorbiden Menschen etc. Sie führen zu einer Verlagerung der Behandlungslasten auf die Familien und auf den ambulant tätigen Arzt, der oft gar nicht für diese Krankheitsbilder ausgebildet ist. Qualitätssicherungsmaßnahmen sind eine unabdingbare Voraussetzung, wenn ein solches System nicht zu Fehlentwicklungen führen soll.

Fallpauschalen und Sonderentgelte können nicht nur zur Reduzierung der Verweildauer, sondern auch zu Mengenausweitungen sowie zu einer Spezialisierung der Krankenhäuser auf bestimmte Fallgruppen führen. Dadurch besteht die Gefahr, daß die Anzahl der Allgemeinkrankenhäuser zugunsten von Spezialkliniken zurückgeht, was sicherlich dem allgemeinen Versorgungsauftrag und der geforderten Patientenorientierung im Gesundheitswesen entgegenläuft.

Schließlich stellt sich die Frage, wer die Gesamtverantwortung in einem System trägt, in dem sich das einzelne Krankenhaus korrekt und ökonomisch zwingend auf Preissignale einstellt: Wer trägt z.B. die Verantwortung, wenn sich herausstellt, daß die Zahl der Operationen für ein wirtschaftliches Überleben einer Abteilung nicht ausreicht? Wenn gewisse Mindeststandards nicht erreicht werden? Der Versorgungsauftrag muß gewährleistet sein. Deshalb kann auch in Zukunft die leistungsorientierte Vergütung nie 100% der Einnahmen abdecken. Hier muß die Quadratur

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des Kreises zwischen zwei Prinzipien angestrebt werden - zwischen dem Versorgungsauftrag auf der einen und dem Gebot der effizienten Produktion von Gesundheitsgütern auf der anderen Seite.

Die Vergütungsreform hat auch Auswirkungen auf das Pflegepersonal. Die Verkürzung der Verweildauer führt zur Leistungsintensivierung. Und sie führt, bei gegebenen Rahmenbedingungen, zu einer zunehmenden Belastung des Personals. Über die Auswirkungen auf die Leistungsqualität kann man in diesem Zusammenhang nur spekulieren. Sie sind eher als negativ denn als positiv zu bewerten. Ich meine aber, daß die leistungsorientierte Vergütungsform für das Krankenhaus auch die Chance eröffnen muß, daß die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine leistungsorientierte Bezahlung einfordern dürfen und können. Daß dies auch zu einer Erhöhung der Arbeitszufriedenheit führen kann, belegen die vielen Beispiele, bei denen ein solcher Prozeß schon erfolgreich stattgefunden hat.

Leider enthält die Bundespflegesatzverordnung keine umfassenden Vorschriften zur Qualitätssicherung. Die bestehenden Anreizsysteme zur Beteiligung von Krankenhäusern an Qualitätssicherungsmaßnahmen reichen m. E. keineswegs aus, um die Probleme, die ich angedeutet habe, vermeiden zu helfen.

Generell gilt, daß die Steuerungsmöglichkeiten der Kassen unzureichend sind, was z.B. die Mengensteuerung angeht. Wenn die Fallpauschalen und Sonderentgelte korrekt errechnet wären, dann hätten die Krankenhäuser keinen Anreiz zu einer ungebührlichen Erhöhung oder Minderung der Leistungsmengen.

Wenn die eingangs getroffene Unterscheidung zwischen Steuerung und Regelung ins Gedächtnis gerufen wird, ergibt sich ein weiterer - zentraler - Kritikpunkt. Wir können in der Bundespflegesatzverordnung 1995 keinen Ansatzpunkt erkennen, wie aus den eingangs festgelegten Fallpauschalen und Sonderentgelten schnellstmöglich - anhand der beobachtbaren Mengenentwicklung - ein Weg zu „richtigeren" Preisrelationen gefunden werden kann. Hierfür müssen den Kassen Steuerungsmöglichkeiten in die Hand gegeben werden: Eine direkte Mengensteuer ist erforderlich, bis die Preise bzw. Quasi-Preise zu „rationaleren" Mengenstrukturen führen. Des weiteren ist eine präzisere Kostenerfassung notwendig, weil die Bestimmung der Preisrelationen ein dynamischer Lernprozeß sein muß. Wir stehen allerdings vor einer Situation, in der Krankenhausver-

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gleiche erst ab 1.1.1998 möglich sein werden. Die aus Krankenhausvergleichen entstehenden Informationen werden aber in der ersten Phase nach der Einführung von leistungsbezogenen Entgeltformen noch mehr gebraucht als danach. Denn die Wahrscheinlichkeit ist groß, daß die Eingangswerte der Fallpauschalen und Sonderentgelte nur durch reinen Zufall, wenn überhaupt, korrekt berechnet sein können.

Meine Hauptkritik ist also, daß keine Mechanik, kein Regelmechanismus erkennbar ist, um über Zeit zu sinnvolleren Preis-Relationen zu kommen. Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die fehlende Monistik: Wenn Preise nicht alle Kosten abdecken, steuern sie falsch.

Mein Schluß-Fazit lautet deshalb: Die finanzielle Steuerung des Leistungsgeschehens im Krankenhaus ist ein sinnvoller Weg hin zu mehr Effektivität und Effizienz. Damit diese Wirkungen aber auch tatsächlich realisiert werden können, ist eine Weiterentwicklung der Fallpauschalen und Sonderentgelte, zusammen mit den passenden Regelwerken, dringend erforderlich.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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