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TEILDOKUMENT:

Podiumsdiskussion: Öko-Steuern - Weg zu mehr und qualifizierter Beschäftigung?


[Seite der Druckausg.: 79 ]


Rainer Mönig
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland/BUND
- Statement -


Ökosteuern als Diener zweier Herren - Umweltschutz und Beschäftigungspolitik aus einem Guß?


Die ökologische Steuerreform mit Umweltsteuern als Lenkungsinstrument zur Internalisierung negativer externer Umwelteffekte und zugleich als Finanzierungsquelle zur Kompensation von Lohnnebenkosten - womöglich noch ohne allokationsverzerrende Folgen - wirkt auf den ersten Blick faszinierend. Scheint doch damit ein Hebel gefunden zu sein, der die beiden brennendsten Probleme der Wirtschaftspolitik unseres Industrielandes Bundesrepublik quasi im Handumdrehen lösen könnte. Unter solchen Umständen mag der archimedische Punkt zum Ansetzen dieses Zauberstabes getrost im Dunkeln bleiben, wenn nur der Marktmechanismus seinen gesellschaftlichen Platz beibehalten kann. Jedenfalls verspricht die ökonomische Lehrformel eine paretoeffiziente Verwendung der knappen Mittel, ohne überkommenes wissenschaftliches und politisches Denken in Frage zu stellen. Die Preise als zentrale Instanz dieses Mechanismus könnten endlich die richtigen Signale für eine effiziente Allokation der knapper werdenden Ressource Natur wie auch der immer reichlicher vorhandenen Ressource Arbeit setzen und damit den volkswirtschaftlich höchsten Nutzen stiften - womöglich noch nahtlos zu einer ökologisch vertretbaren Wirtschaftsweise überleitend.

Festzuhalten bleibt zunächst, daß der ökologisch blinde Marktmechanismus die Problematik der negativen externen Effekte aus Umweltbelastung und -Vernichtung durch Produktion und Konsum nicht hinreichend identifizieren, geschweige denn kalkulieren kann. Da ein operationales Verfahren dafür nicht zur Verfügung steht, sind alle Argumentationen in dieser Sache ersatzweise auf wissenschaftlich vorläufige Wahrnehmungs- und politisch unsichere Gewichtungshilfen angewiesen. Schon deshalb können

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die besagten Effekte nicht einfach unmittelbar und quantifiziert in das Kalkül der tatsächlichen Verursacher einfließen und damit bei Entscheidungen und Verhaltensweisen der Marktpartner ihren Niederschlag finden. Damit der Markt nicht in dieser Art ökologischer Schieflage verbleibt, soll eine Neujustierung für das Kräftespiel von Angebot und Nachfrage erfolgen. Deren Aufgabe bestünde darin, diese Effekte so in das Entscheidungsfeld der Wirtschaftssubjekte zu ziehen, daß ihre Vermeidung ökonomisch belohnt, ihre Mißachtung aber bestraft wird. Aus Einsicht allein ist mit einer entsprechenden Korrektur nicht zu rechnen, da Einzelaktionen von Marktteilnehmern einer Selbstbestrafung gleichkommen und unweigerlich zum Ausscheiden dieses „Vorkämpfers" rühren würden. Insofern verhindert das herkömmliche Marktgeschehen sogar ökologisch einsichtiges Handeln im Vorfeld einer ökologischen Steuermaßnahme.

Die das Thema bislang bestimmende Euphorie - aber auch dessen Ablehnung - kann zunächst als Indiz für eine unpräzise terminologische Abgrenzung wie auch eine unzulängliche Konkretisierung der „Ökosteuer" angesehen werden, die wiederum einer Inflation von Einzelvorschlägen Vorschub geleistet hat. Angesichts dessen soll aus Gründen der Übersicht die Frage nach dem Lenkungs- und dem Finanzierungsinstrument getrennt betrachtet werden.

Für die Debatte um die Internalisierung negativer externer Effekte kann die Theorie verschiedene Ansätze bereitstellen. Im vorliegenden Zusammenhang ist das Instrument der „Pigou-Steuer" zum zentralen Modellangebot der Ökonomen geworden. Es verlangt theoretisch danach, daß der Verursacher eines externen Effektes mit den „wahren Kosten" seiner Produktions- bzw. Konsumaktivität in Form von Steuern belastet wird, wobei sich deren Höhe nach den volkswirtschaftlichen Opportunitätskosten der den ökologisch relevanten Effekt verursachenden Aktivität im Allokationsoptimum bestimmt - ein Konstrukt, für das praktisch kein abbildungsgetreues und umsetzungsreifes Kalkulationsschema zur Verfügung steht (BMU 1994, S. 75). So muß die Festlegung eines den Schäden entsprechenden Steuersatzes in jedem Einzelfall und insgesamt politisch getroffen werden. Die wissenschaftliche Hilfestellung dazu wird allerdings bislang dürftig ausfallen müssen, haben sich doch die Nationalökonomen im allgemeinen und die Finanzwissenschaftler im besonderen bislang im

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gesellschaftlichen Diskurs zur Ökosteuer - ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit - überaus zurückgehalten.

Zu den wesentlichen Außenständen der Fachwissenschaft bei diesem Thema zählen:

  • Versuche einer exakten Quantifizierung und verursachungsbestimmten Zuordnung stecken noch immer in den Anfängen, ein Durchbruch ist nicht in Sicht.

  • Die bei Fiskalsteuern auftretenden wohlfahrtsmindernden Substitutionseffekte lassen sich kaum erfassen; in der gegenwärtigen Debatte bilden sie nur eine Stütze für Bedenkenträger.

  • Mit Blick auf den Aspekt der Aufkommensneutralität steht dahin, ob ein bestimmtes Steueraufkommen aus einem bestehenden System gegen einen gleichhohen Betrag eines ökologisch ausgerichteten Systems austauschbar ist.

Somit wird deutlich, daß jede Festlegung eines Ökosteuersatzes kaum wirtschaftstheoretisch, vorwiegend aber politisch festgesetzt und begründet werden muß. In dieser mißlichen und hoch erklärungsbedürftigen Situation kommt der Gedanke der Lohnnebenkostenumlage als „Verkaufsargument" gerade recht, zumal der Handlungsdruck am Arbeitsmarkt stetig zunimmt. Das über Lohnnebenkosten getragene Sozialversicherungssystem bedrohen derweil einige in ihrer Art sehr unterschiedliche Phänomene: Da sind zum einen „Überstände" kostentreibender, mitunter widersinniger tarifvertraglicher Regelungen aus Jahren allgemeiner Prosperität, z.B. Sonderzahlungen oder Zuschläge für nicht geleistete Arbeit. Sodann wird schon seit Jahren moniert, daß die Kosten der Einheit zu wesentlichen Teilen aus der Sozialversicherung bestritten werden, womit zugleich ein gewaltiger Umverteilungsmechanismus ins Werk gesetzt ist. Er vertieft die schon bestehende Inkongruenz zwischen Zahler- und Empfängerkreisen. Daneben gibt es einen anwachsenden Trend zu neuen Formen von (Schein-)Selbständigkeit, wo ehemaligen Arbeitnehmern eine rechtlich unabhängige aber auftragsmäßig gebundene Existenz aufgenötigt wird. Die Betroffenen suchen durch Sparen bei den Sozialabgaben ihr Überleben in einer „proletaroiden Kümmerform" zu sichern, ohne private Risiken solide abgedeckt zu haben.

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Schließlich muß in diesem Zusammenhang auch die Inkongruenz der global wirkenden Externalisierung im Vergleich zur allenfalls national faßbaren Internalisierung in ihrer Beschäftigungswirkung bedacht werden. So können Industriebetriebe - und durch sie die Konsumenten - die Umwelt mit Schadstoffen belasten, indem sie in Ländern mit niedrigen oder ganz fehlenden Umweltstandards produzieren (lassen), ihre Produkte aber in Länder mit hohem Preisniveau verkaufen. Die anfallenden Schadstoffe werden sie an Ort und Stelle los und können so Kosten ignorieren - mit der Folge, die Produktion nicht dem Prinzip einer realen Effizienz unterwerfen zu müssen. Ein unbeschränkter Welthandel erzwingt auf diese Weise allgemein niedrige Umweltstandards und verhindert nachhaltiges Wirtschaften (Daly 1994, S. 43), wodurch Länder mit bereits umgesetzten Umweltauflagen in einem „zerstörerischen Konkurrenzfieber" (F. Hengsbach) zusätzlich unter Druck geraten. Problemverschärfend wirken Transportkosten, wenn sie durch staatliche Subventionierungen verschiedener Machart und Internalisierungsverzicht ihrerseits indirekt jeglichen Handel subventionieren. Über Spezialisierungseffekte in der Produktion sorgen sie zunächst in den „benachteiligten" Volkswirtschaften, aber schließlich global, für einen Abbau von Beschäftigung nach Menge, Art und Vielfalt. Die vermuteten Arbeitsplatzeffekte aus der Verbilligung des Faktors Arbeit durch Lohnnebenkostensenkung stützen sich auf neoklassisch angelegte Überlegungen der Preistheorie. Danach findet eine Änderung im Verhältnis der Faktorpreise ihren Niederschlag in einer Änderung der Steigung der sogenannten Isokostenlinie als Ausdruck dieses Preisverhältnisses - vorausgesetzt es handelt sich um kontinuierlich substituierbare Faktoren. In der Folge führt unter Minimalkostenbedingungen jede noch so kleine Änderung des Verhältnisses der Faktorpreise zu einer Prozeßänderung, ausgedrückt als Isoquantenschar. Aber schon die klassische Lehre weiß, daß in bestimmten Steigungssituationen von Isoquantensegmenten und Isokostenlinie nicht jede Änderung des Verhältnisses der Preise zweier Faktoren zu einer Substitution und damit zum Prozeßwechsel in der Produktion führt. Als Gründe dafür gelten, daß die Grenzrate der Substitution eines Faktors durch den anderen in den Isoquantenecken unstet sein kann oder daß den Unternehmen für Umstellungen nicht genügend Zeit zur Verfügung steht. Über diese theoretische Einschränkung hinaus muß bedacht werden, daß technologisch bedingte Faktoreinsatzverhältnisse nicht beliebig bzw. gar nicht verändert werden können und daß techni-

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scher Fortschritt inzwischen als evolutorischer Prozeß abseits von Beschäftigungszielen abläuft.

Alle hier skizzierten Ursachen und Dimensionen der heimischen Beschäftigungs- und Arbeitsmarktprobleme lassen erkennen, daß dafür Umlagen zur Senkung der Lohnnebenkosten in keinem Fall geeignet sein können. Der schon bestehenden Inkongruenz würde eine weitere hinzugefügt. Die einkommenden Mittel würden praktisch über Kapitalsubventionen dem etablierten Unternehmenssektor zustatten kommen. Viel besser wären sie im Bereich des als „developmental state" beschriebenen Einsatzfeldes mit Perspektive eingesetzt. Im Sinne der skizzierten Analyse geht es ferner darum, regionale Strukturen zu stärken, die bewußt und gezielt vom Weltmarktgeschehen abgekoppelt sind. Mit Blick auf das „Lohnnebenkostenargument" wäre es unter Effizienzgesichtspunkten sinnvoller, Beiträge, Kosten und Leistungen des Sozialversicherungssystems den veränderten ökonomischen Rahmenbedingungen anzupassen, die interne Finanzierungsstruktur für die Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik aber mit Blick auf eine gesamtfiskalische Kostenbetrachtung zu reformieren und damit die Handlungsfähigkeit in beiden Politikfeldern zu sichern. Eine Finanzierung aus dem Aufkommen der Ökosteuer würde nur eine weitere Maßnahme im laufenden Reparaturbetrieb darstellen.

Die Vorstellung, mehrere Ziele über ein Instrument erreichen zu wollen, ist von vordergründiger Attraktivität, scheint doch auf dieser Argumentationsbasis eine politische Umsetzung eher realisierbar zu sein. Weil jedoch damit vermutlich ein Instrument entsteht, das für keines der Ziele paßgenau und problemscharf sein kann, muß mit erheblichen Effizienzverlusten gerechnet werden. Angesichts der hier vorgetragenen Fragwürdigkeiten auf der Verwendungsseite und der weiter bestehenden Defizite auf der Aufkommensseite bleiben für die Umweltschutzverbände nach wie vor (Binswanger u.a. 1990) die originären Umweltziele zur Stoffeinsatz- und Schadstoffreduzierung vorrangig.

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Literatur

Binswanger, H.C., H.G. Nutzinger, A. Zähmt: Umwelt(-)Steuern, BUNDargumente, Bonn 1990.

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.): Umweltorientierte Reform des Steuersystems. Schlußbericht des Finanzwissenschaftlichen Forschungsinstituts an der Universität zu Köln, Bonn 1994.

Daly, H.E.: Die Gefahren des freien Handels, in: Spektrum der Wissenschaft, H. 1,1994, S. 40-46.


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