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Richard Stöss
Die „neue Rechte" in der Bundesrepublik




1. Vorbemerkung

Über die „neue Rechte" wird heute viel geschrieben und diskutiert. Gerade ihr wird, wie es im Rahmenthema dieser Veranstaltung heißt, die Wiedergeburt des nationalistischen Denkens zugetraut. Ob sie dies zu leisten versteht und ob sie insofern eine Gefahr für die Demokratie darstellt, ist sicherlich eine politisch relevante Frage. Aus der Sicht des Wissenschaftlers, der ich nun einmal auch bin, stellt sich jedoch zuallererst die Frage, von wem überhaupt die Rede ist. Wer ist die „neue Rechte"? Gibt's die überhaupt?

Vielfach wird die „neue Rechte" ideologisch-programmatisch zwischen Konservatismus und Rechtsextremismus angesiedelt, als „Grenzgängerphänomen" (Jaschke) als „Zwischenstück" oder „Scharnier" (Gessenharter) oder als „Brückenbereich" bzw. „Brückenspektrum" (Pfahl-Traughber) bezeichnet. Dieses Brückenspektrum wird oft sehr weit gefaßt: Neben der „Jungen Freiheit" werden dazu auch die Zeitschriften „Criticon", „Staatsbriefe", „Nation (und) Europa", sowie die Reihe „Ullstein-Report", der Thule-Kreis, der Bund freier Bürger (BfB) und andere Institutionen gerechnet. Als hervorragende Autoren der „neuen Rechten" werden unter anderem genannt: Arnulf Baring, Alain de Benoist, Henning Eichberg, Hans-Magnus Enzensberger, Robert Hepp, Klaus Hornung, Gerd-Klaus Kaltenbrunner, Pierre Krebs, Heinrich Lummer, Armin Mohler, Klaus Motschmann, Ernst Nolte, Günter Rohrmoser, Caspar von Schrenck-Notzing, Karl Steinbuch, Botho Strauß, Wolfgang Strauss, Karlheinz Weißmann, Kurt Ziesel und Rainer Zitelmann.

Der Begriff „neue Rechte" wird gelegentlich noch breiter und unpräziser gebraucht. So schreibt z.B. Jaschke (1994, S. 43):

„Der Begriff der 'Neuen Rechten' wird in den öffentlichen Debatten durchweg unpräzise verwendet: Er dient zur Kennzeichnung der neueren, erfolgreichen großen rechtsaußen-Parteien

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(Republikaner, DVU) oder aber der jüngeren intellektuellen Rechten etwa um die Zeitschrift 'Junge Freiheit'. "

Bedenkt man, daß die DVU bereits 1971 gegründet wurde und daß auch die NPD eine erfolgreiche „rechtsaußen Partei" darstellt, dann deckt das avisierte Spektrum mehr oder weniger den gesamten Rechtsextremismus ab, und die Unterscheidung von „neuer Rechter" und „alter Rechter" (die es ja auch geben muß, wenn der Begriff „neue Rechte" einen Sinn machen soll) verschwimmt vollends. Angesichts dieser Begriffsverwirrung stellt sich die Frage mit Nachdruck, ob die „neue Rechte" ein Mythos oder Realität ist.

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2. Begriffsgeschichte

Der Begriff „neue Rechte" ist Ende der achtziger Jahre wieder im Zusammenhang mit den Republikanern aufgetaucht. Und zwar nicht etwa als diese gegründet wurden (1983), sondern als sie ihren ersten spektakulären Wahlerfolg zu verzeichnen hatten (1989 in Berlin). So nannte Leggewie (1989) sein REP-Buch „Die Republikaner - Phantombild der Neuen Rechten". Der Begriff „neue Rechte" ist zwar Bestandteil des Buchtitels, wird in dem Buch selbst aber nicht analytisch präzisiert. Vage formuliert Leggewie:

Die 'große Volkspartei der Mitte' schaffte es, als 'Union' zugleich die unangefochtene Heimat der 'Rechten' zu bleiben... Eine noch so eloquente, überwiegend aber weinerliche, langweilige und sektiererische Kritik rechtsintellektueller Publizisten am 'Demuts-' oder 'Gärtnerkonservatismus' (Armin Mohler) und am 'Elend der Christdemokraten' (Gerd-Klaus Kaltenbrunner) konnte ... die Renaissance der nationalen Rechten (irgendwo zwischen Union und neonazistischen Splittern) auch nicht mehr herbeipolemisieren. Das 'Elend' dieser heimatlosen Rechten war ..., daß ihre Autoren in aller Regel - d.h. solange sie nicht den 'Rubicon' zur 'Neuen Rechten' überschritten - in der Tat nur 'authentische' CDU-Positionen reklamieren... "

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Und im Kontext der Betrachtung des REP-Programms schreibt Leggewie:

„Die REPs stehen noch auf der Scheidelinie zwischen deutschnationalem bzw. neonazistischem Anachronismus und Nouvelle Droite; sie wackeln noch auf der Kippe zwischen bravem 'Vierte Partei '-Appendix im antifaschistischen 'arco constituzionale' von 1949 und entschiedener postfaschistischer Revision ohne alle Rück-Sicht. Erst zögernd formt sich auch der 'heidnisch' neurechte und lagerübergreifend populistische Part - unter Zugabe einer Prise verhohlenen Antisemitismus... " (unterstrichene Wörter i.O. hervorgehoben).

Nach Leggewie sind die Republikaner also zwar eine neue Rechtspartei, zählen aber nicht insgesamt zur „neuen Rechten", sondern stehen auf der Kippe (von „Rechtsradikalismus" und „Rechtsextremismus"??). Versucht man, daraus Elemente für eine Definition zu finden, so kämen der „neuen Rechten" folgende Merkmale zu: Sie wäre nicht anachronistisch, sondern zeitgemäß, nicht rückwärts, sondern vorwärts gewandt, weder deutschnational noch neonazistisch und auch nicht verfassungstreu, sondern lagerübergreifend und populistisch, heidnisch und etwas antisemitisch, und sie betriebe entschiedene postfaschistische Revision.

Auf den ersten Blick möchte man meinen, Leggewie weiß auch nicht, wovon er spricht. Richtig ist wohl eher, daß die Diffusität der Definition der Diffusität des Definitionsobjekts entspricht. Klarheit könnte ein Blick in die Geschichte schaffen. Wir brauchen gar nicht weit zurückzugehen, um in der Bundesrepublik auf eine richtige „neue Rechte" zu stoßen, die auch noch über ein Pendant verfügte.

Die Verfassungsschutzberichte des Bundes berichteten zwischen 1971 und 1977 regelmäßig über eine „neue Rechte" und grenzten sie präzise gegenüber der alten Rechten ab. Im Verfassungsschutzbericht des Jahres 1971 war von Gruppen die Rede, die den traditionellen bürgerlichen Konservatismus des rechtsradikalen Lagers (gemeint war die NPD) verurteilten und neue Wege für eine mehr in die Zukunft gerichtete nationalistische Politik aufzuzeigen versuchten. In ihrem Selbstverständnis bezeichneten sich diese Kreise als „Junge Rechte" oder „Neue Rechte" oder als „Progressive Rechte". Weiter hieß es im Verfassungsschutzbericht von 1971: Die „Jungen Rechten" distanzierten sich nachdrücklich von den Veteranen der „Alten Rechten", der sie vorwerfen würden, ihre Arbeit vorwiegend mit Emo-

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tionen und vergangenheitsbezogenen Sehnsüchten zu gestalten. Die „Junge Rechte" dagegen wolle „überflügeln und überwinden". Sie wollten sich nicht mehr als „Aushängeschild" vor den „reaktionären Karren" der „NPD-Clique" spannen lassen. „Mit kernigen Sprüchen und treudeutschem Aussehen" könne man keine nationale Revolution machen.

Die „neue Rechte" lehnte es also ab, wie die „alte Rechte" der Vergangenheit nachzutrauern, über den Untergang des Deutschen Reiches zu klagen und unermüdlich die trotzige Behauptung zu wiederholen, das Deutsche Reich sei völkerrechtlich niemals untergegangen, sondern nach wie vor existent. Die „alte Rechte", die NPD, sei gescheitert, weil sie reaktionär und von der Clique um Adolf von Thadden beherrscht sei. Die „neue Rechte" wollte den Status quo überwinden. Notwendig sei Fortschritt, nationale Revolution. Daher bezeichneten sie sich selbst auch als „Nationalrevolutionäre", kritisierten und bekämpften die „alte Rechte" nicht zuletzt wegen ihrer Nähe zum bürgerlich-demokratischen Lager und grenzten sich überdies in ihrem Habitus und ihrer Diktion von der „alten Rechten" ab. In einem wichtigen Theorieorgan der Nationalrevolutionäre, der „Neuen Zeit" (4/1977), hieß es in deutlicher Anlehnung an die damals gängige APO-Terminologie:

„Die Schilderung der Zustände in den deutschen Teilstaaten zeigt, Deutschland ist eine Kolonie... Deutschland wird in West, Mitte wie Süd in Abhängigkeiten gezwungen, die einen Kolonialismus neuen Stils darstellen... Die Nationalrevolutionäre wollen die nationale, die soziale, ökologische, kulturelle und demokratische Revolution. Nicht von ungefähr steht die nationale an erster Stelle. Denn alle Änderungen haben keinen Sinn, wenn unser Volk keine Unabhängigkeit und keine Selbstbestimmung besitzt. Darum Befreiungsnationalismus gerade auch für Deutschland."

Die „neue Rechte" war in den siebziger Jahren in verschiedenen Gruppierungen organisiert. Einige Beispiele: Partei der Arbeit (PdA), Aktion Neue Rechte (ANR), Nationalrevolutionäre Aufbauorganisationen (NRAO), Sache des Volkes/Nationalrevolutionäre Aufbauorganisation (SdV/ NRAO), Solidaristische Volksbewegung (SVB), Nationalrevolutionärer Koordinationsausschuß (NRKA), Bund Deutscher Solidaristen (BdS), Politische Offensive (PO). Und sie verfügten über eine Reihe von Zeit-

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Schriften: „Nation Europa", „Fragmente", „Junges Forum", „Neue Zeit", „Wir selbst", „laser", „Aufbruch".

Einen ähnlichen Konflikt finden wir auch im Nachkriegsrechtsextremismus der fünfziger Jahre. Damals sprach man weniger von „neuer" und „alter" Rechter, sondern eher von „neuem Nationalismus" und „altem Nationalismus". Die Deutsche Gemeinschaft (DG), die sich als Partei eines „neuen Nationalismus" verstand, grenzte sich scharf gegenüber der 1952 verbotenen Sozialistischen Reichspartei (SRP) und der, gewissermaßen als Nachfolgeorganisation fungierenden. Deutschen Reichspartei (DRP) ab. DG und DRP bekämpften sich zeitweilig bis aufs Messer. Der „neue Nationalismus" der DG sei an zwei Zitaten verdeutlicht. Der DG-Vorsitzende, August Haußleiter, schrieb 1952 im Informationsdienst der DG (Nr. 14):

Wie immer man sonst über den Nationalsozialismus denken mag, eines steht fest, er war Ausdruck und Etappe einer soziologischen Entwicklung, eines evolutionären und revolutionären gesellschaftlichen Prozesses. Er hat die Fragen nicht beantwortet, die unserem Jahrhundert gestellt sind, aber er hat - in einer ungeheueren Krise - diese Fragen sichtbar gemacht... Wir können nicht zu Weimar zurück und wir können nicht zur NSDAP zurück, sondern wir haben die neuen Aufgaben zu erkennen, die uns gestellt sind. Die NSDAP war die grelle Antithese zu Weimar. Nun aber ist die Stunde reif für neue, echte Synthesen. Wer unverbesserlich an Weimar festhält [DRP], wirkt genau so verderblich, wie derjenige, der unverbesserlich an der NSDAP, ihrer äußeren Form, an ihren Fehlern festhält [SRP]. Beides sind Reaktionäre im tiefsten Sinn des Wortes. "

Und der außenpolitische Experte der DG, Peter Bensch, schrieb ebenda 1954 (Nr. 8):

„Heute liegen sich die USA und die UdSSR messerwetzend und sprungbereit gegenüber zum Kampf um die Weltherrschaft, zum Kampf um das Monopol der Ausbeutung der 2.000 Millionen Untertanen, die außerhalb der beiden 'Herrenvölker' die Erde bewohnen. Aber während Inder und Ägypter heute den Mut besitzen, zu erklären, eine 'Schutzmacht' sei für sie so viel wert wie die andere, und sie dächten nicht daran, für Amerika gegen

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Rußland oder für Rußland gegen Amerika zu sterben, ist der Deutsche anscheinend bereit, zu verbluten, weil die Herrschaft des einen leichter als die Herrschaft des anderen zu ertragen ist.

Braune, Schwarze und Gelbe haben dem Kolonialsystem, dem Imperialismus, der Weltmachtbildung als solche den Kampf angesagt, sie besitzen den politischen Instinkt, der ihnen sagt, daß es letzten Endes gleich bleibt, ob die Welt unter Hammer und Sichel oder unter dem Sternenbanner geeint wird, weil es in jedem Falle eine Welt der Ungerechtigkeit, der Ausbeutung, der Unfreiheit sein wird... Die Deutschen sind offenbar bereit, nicht nur selbst Kolonialvolk zu bleiben, sondern auch noch dafür zu sterben, daß das Kolonialsystem von dieser und nicht von jener Gattung sei. [Remilitarisierung, NATO] Es gibt keinen schlagenderen Beweis für den Unsinn der Rassentheorie, die einst den Weißen als geborenen Herrn und den Farbigen als geborenen Sklaven stempeln wollte, als diese groteske Situation. "

Es ist unschwer zu erkennen, daß die DG weithin der ideologische Vorläufer der nationalrevolutionären „neuen Rechten" der siebziger Jahre war. Allerdings verfügte sie nur über ein schwach ausgeprägtes Sozialismuskonzept, und Ökologie fehlte als Thema damals noch völlig. So haben wir es von den fünfziger zu den siebziger Jahren zwar mit einer ideologischen, kaum aber mit einer personellen Kontinuität zu tun. Organisationen der „neuen Rechten" in den Fünfzigern waren die Deutsche Gemeinschaft (DG), die Dritte Front, die Deutsch-Soziale Union (DSU), die Deutsche Freiheitspartei (DFP) und die Vereinigung Deutsche Nationalversammlung (VDNV). Als wichtige Zeitschriften seien genannt: „Neue Politik", „Deutsche Gemeinschaft" bzw. „Die Unabhängigen", „Deutsche Freiheit" und „Der Ruf".

Der gerade für die siebziger und fünfziger Jahre geschilderte bzw. angedeutete Konflikt fand sich bereits in der Weimarer Republik. Edgar (Julius) Jung, ein führender Vertreter der „Konservativen Revolution" (auf die sich seither alle „neuen" Rechten berufen und die ihrerseits als Ausweis für neurechtes Denken gilt), von 1932 bis 1934 enger Berater des Generals von Papen, ein Hitlergegner, der im Zusammenhang mit dem

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Röhmputsch 1934 von den Nazis ermordet wurde, schrieb in der Juni-Ausgabe der „Deutschen Rundschau" 1932:

„Die geistigen Voraussetzungen für die deutsche Revolution wurden außerhalb des Nationalsozialismus geschaffen. Der Nationalsozialismus hat gewissermaßen das 'Referat Volksbewegung' in dieser großen Werksgemeinschaft [der antidemokratischen Kräfte, d. Verf.] übernommen. Er hat es grandios ausgebaut und ist zu einer stolzen Macht geworden. Wir freuen uns darüber nicht nur, wir haben das Unsrige zu diesem Wachstum beigetragen. In unsagbarer Kleinarbeit, besonders in den gebildeten Schichten, haben wir die Voraussetzungen für jenen Tag geschaffen, an dem das deutsche Volk den nationalsozialistischen Kandidaten seine Stimme gab. Diese Arbeit war heroisch, weil sie auf den Erfolg, auf die äußere Resonanz verzichtete. Ich habe Achtung vor der Primitivität einer Volksbewegung, vor der Kämpferkraft siegreicher Gauleiter und Sturmführer. Aber ihre Arriviertheit gibt ihnen nicht das Recht, sich als das Salz der Erde zu betrachten und den geistigen Vorkämpfer geringzuachten..."

Es gibt also im deutschen Rechtsextremismus traditionell einen Konflikt zwischen „alter" und „neuer" Rechter, „altem" und „neuem" Nationalismus etc. Die historische Analogie verdeutlicht, daß es dabei nicht um alt oder neu, sondern um einen inhaltlichen Dissens geht. Diesen Dissens wollen wir nun genauer bestimmen, um ihn als Folie für die Analyse der gegenwärtigen Situation zu benutzen.

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3. Konfliktlinien innerhalb des Rechtsextremismus

Wenn wir nun diesen traditionellen Konflikt untersuchen, muß vorab klargestellt werden, daß es sich um einen Dissens in Sachen Nationalismus handelt. Darum geht es ja auch in dieser Veranstaltung, die sich mit der vermeintlichen oder tatsächlichen Wiedergeburt des nationalistischen Denkens befaßt. Was ist Nationalismus? Nationalismus bedeutet, der Nation die höchste Priorität in der Hierarchie der politischen Werte oder Ziele einzuräumen. Nationalist ist, wer beispielsweise die Wiedervereinigung

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Deutschlands, die Wiederherstellung des Deutschen Reiches oder die Schaffung bzw. Bewahrung eines starken, mächtigen Nationalstaats zum obersten politischen Prinzip erklärt. Es versteht sich von selbst, daß Nationalismus antidemokratisch ist. Denn an der Spitze der Wertehierarchie einer Demokratie stehen die Menschenrechte. Nicht zufällig zählt das Grundgesetz in seinen ersten Artikeln die Grundrechte des deutschen Volkes auf. Ein Grund- oder Menschenrecht auf Nation oder nationale Identität gibt es nicht!

Wenn wir über die extreme Rechte reden, reden wir über Nationalismus (und über Fremdenfeindlichkeit bzw. Rassismus, was ja nur die andere Seite der Medaille ist). Die extreme Rechte ist - kaum verwunderlich - traditionell darüber zerstritten, worin die „nationale Frage" besteht und wie und in welcher geistig-politischen Tradition sie „gelöst" werden soll. Ihre Heterogenität, die sich in rivalisierenden Zielpräferenzen von Parteien, Verbänden, Gruppen, Institutionen etc. darstellt, beruht letztlich auf der Konkurrenz unterschiedlicher ideologischer Traditionen. Wir unterscheiden zwischen Gruppierungen, die sich an autoritären oder faschistischen Herrschaftsmethoden aus der Weimarer Republik, am Deutschnationalismus oder am Nationalsozialismus orientieren und zwischen solchen, die sich um „zeitgemäße" Lösungswege bemühen, die den durch die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges veränderten nationalen und weltpolitischen Bedingungen angepaßt sind. Erstere bezeichne ich als „alten Nationalismus" (oder „alte Rechte"), letztere als „neuen Nationalismus" (oder „neue Rechte").

Der „alte Nationalismus" identifiziert sich zwar weitestgehend mit den Vorstellungen der Deutschnationalen oder der Nazis, zielt jedoch in der Regel nicht auf eine Restauration des historischen Nationalsozialismus. Vielmehr wird - unbeschadet stark ressentimentgeladener Vergangenheitsrechtfertigung - partiell Kritik am „Dritten Reich" geübt: Man will Fehler und Versäumnisse der NS-Diktatur vermeiden und gewissermaßen noch einmal von vorn beginnen. Beliebte Anknüpfungspunkte sind der linke Flügel der NS-Bewegung oder die „Harzburger Front", das Symbol für eine, alle rechtsextremen Gruppen einschließende, „nationale Opposition". Tatsächlich stellen die einflußreichen rechtsextremen Parteien des Alten Nationalismus in der Bundesrepublik „Harzburger Front"-0rganisationen dar, Organisationen also, die sowohl über einen nazistischen als auch über

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einen nationalkonservativen (deutschnationalen) Flügel verfügen, die miteinander um Macht und Einfluß innerhalb ihrer Organisation kämpfen. Der „alte Nationalismus" ist durch ein betont etatistisches und militaristisches Denken geprägt und neigt außenpolitisch pro-westlichen oder Europa-neutralistischen, in jedem Falle aber antibolschewistischen Konzeptionen zu. Daher befindet er sich in gewisser Nähe zu den bürgerlich-demokratischen Parteien, mit denen er ständig um Wählereinfluß zu rivalisieren gezwungen ist (DRP, SRP, NPD, Republikaner). Und deshalb gibt es eben auch fließende Grenzen und Vernetzungen an den Rändern, „Grauzonen", „Braunzonen", „Rechtskartelle" etc., wo der rechte demokratische Rand mit dem Rechtsextremismus in einzelnen politischen Fragen kooperiert.

Der „neue Nationalismus" entstand gegen Ende der vierziger Jahre. Er grenzt sich politisch vom „alten Nationalismus" ab, den er als „faschistisch" und „reaktionär" kritisiert und für historisch überlebt hält. Er ist auf der Suche nach neuen politischen Konzeptionen in einer durch den Zweiten Weltkrieg veränderten Welt. In den gängigen Weltanschauungen (Nationalsozialismus, Deutschnationalismus, Liberalismus, Sozialismus) sieht er veraltete und überholte Positionen, die die nationale Frage nicht zu lösen vermögen. Der „neue Nationalismus" grenzt sich mithin sowohl von der bürgerlich-demokratischen wie der extremen Rechten ab, brandmarkt den Westzonenstaat als autoritär, undemokratisch, imperialistisch, materialistisch, konsumistisch und großkapitalistisch. Er verwirft die Theorie vom juristischen Fortbestehen des Deutschen Reiches und propagiert dessen Neuschöpfung von unten her. Dem autoritären Etatismus der bürgerlich-demokratischen Parteien und der „alten Rechten" setzt er populistisch die Selbstverwirklichung des Volkes durch die nationale Revolution entgegen. Die Theoretiker der „neuen Rechten" suchen einen „Dritten Weg" zwischen Kapitalismus und Kommunismus, zwischen Idealismus und Materialismus, zwischen Ost und West. Von Anfang an gelten seine Sympathien dem nationalen Befreiungskampf der Völker Europas (Iren, Basken), Asiens, Afrikas und Lateinamerikas, in denen er Leidensgefährten des von Kolonialherren (den alliierten Siegermächten) besetzten und gespaltenen deutschen Volkes sieht.

Eine der wichtigsten Streitfragen zwischen „alter" und „neuer" Rechter besteht darin, ob die Ziele des Rechtsextremismus durch systemimmanen-

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te oder systemüberwindende Politik erreicht werden soll, im Rahmen des bestehenden Systems oder durch Systemveränderung. Es geht um das alte Problem Reform oder Revolution. Damit zusammenhängend wurde immer wieder die Frage diskutiert, ob rechtsextreme Politik innerhalb der bestehenden bürgerlichen Parteien durchgeführt werden kann oder ob es dazu einer gesonderten rechtsextremen Partei bedarf. Da es auf diese Fragen immer unterschiedliche Antworten gab, ist es nur allzu verständlich, daß sich zwischen die demokratischen bürgerlichen Parteien und den organisierten Rechtsextremismus im engeren Sinne immer die erwähnten Netzwerke bildeten, wobei eine Vielzahl von Vereinen und Verbänden, z.B. Vertriebenenverbände, Soldatenverbände, Bauern- oder Landvolkverbände, eine Rolle spielten. Erinnert sei nur an die „Aktion Widerstand", die ein breites Bündnis unterschiedlichster Gruppierungen gegen die Ostpolitik der sozialliberalen Koalition bildete und bis weit in die Unionsparteien und die FDP hineinreichte. Charakteristisch war auch, daß Systemüberwindung immer dann gefordert wurde, wenn die immanente Politik stagnierte oder gescheitert war. Das gilt für die Kritik der DG an der DRP oder die der Nationalrevolutionäre an der NPD. Revolutionäre bezeichneten die Traditionalisten stets als reaktionär angepaßt, rückständig als Vertreter an den ursprünglichen Werten und Zielen. Sie warfen ihnen überholte anachronistische, rückwärts gewandte, sentimentale Sichtweisen vor, und die Revolutionäre hielten sich selbst für jung, fortschrittlich, modern, wertorientiert und behaupteten, daß ihre Theorien auf einer rationalen, zeitgemäßen Grundlage beruhen. Revolutionäre waren und sind Gegeneliten mit besonderem Habitus, besonderen Denkweisen und Verhaltensmustern, die sich auch äußerlich von den Traditionalisten abgrenzen. Konflikte zwischen Revolutionären und Traditionalisten können schärfer sein, als die zwischen Traditionalisten und dem bürgerlich demokratischen Konservatismus.

Eine zweite Konfliktlinie kann mit dem Spannungsverhältnis zwischen Intellektuellen und Politik charakterisiert werden, ein Spannungsverhältnis, das bekanntlich nicht nur für die extreme Rechte gilt. Es geht um das komplizierte Verhältnis von Theorie und Praxis. Theoretiker werfen den Praktikern stets Theorielosigkeit, Prinzipienlosigkeit, Kompromißlertum, Funktionärsmentalität usw. vor und führen Mißerfolge in der Politik oder bei Wahlen stets darauf zurück. Umgekehrt werfen Praktiker den Theoretikern elitäre Abgehobenheit, Weltfremdheit, Praxisferne usw. vor. Sie

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bedienen sich der Theorien, soweit sie ihnen nützlich erscheinen, wollen die Theoretiker aber aus der Politik heraushalten. Auch Theoretiker tendieren dazu, sich zu institutionalisieren, um Druck auf die Praktiker auszuüben, um, wie immer wieder gesagt wird, die „intellektuelle Hegemonie" zu erreichen. Dabei bedienen sie sich nicht der Organisationsform Partei oder Verband, sie präferieren vielmehr Diskussionszirkel, Zeitschriften, Leserkreise usw. Dies gilt, wie gesagt, für alle politischen Lager, für Linke und Linksextremisten, für Rechte und Rechtsextremisten. Die Grenzen zwischen rechts und links sind im Bereich der Intellektuellen gelegentlich sehr fließend, was nichts mit der gemeinsamen Ideologie zu tun hat, sondern mit dem Status der Intellektuellen. Intellektuelle Grenzgänger zwischen den Lagern gibt es nicht erst heute, sie gab es bereits in der Weimarer Republik in Gestalt etwa der Nationalbolschewisten, die eine Synthese von Nationalismus und Kommunismus anstrebten.

Die dritte wichtige Konfliktlinie ist durch den Gegensatz zwischen völkischem und etatistischem Denken charakterisiert. Völkisch bedeutet in erster Linie, vom Volk her denken. Völkisches Denken kann sich auch mit biologistischem und rassistischem Denken verknüpfen, muß es aber nicht. Der völkische Rechtsextremist bewahrt sich das Deutsche Reich im Herzen, solange es nicht politisch wiederherstellbar ist. Er pflegt deutsche (sudetendeutsche, schlesische usw.) Kultur und Traditionen, fördert das Deutschtum im Ausland und setzt eher darauf, daß das Deutsche Reich von unten durch die Menschen neu geschaffen wird als von oben durch diplomatische Akte. Er wehrt sich gegen die Überfremdung der deutschen Kultur, beispielsweise durch „Negermusik", Coca-Cola, Ausländer, und er setzt sich für den Schutz des Lebens ein, für die Bewahrung der völkischen Substanz. Die Nationalrevolutionäre verfochten eine revolutionäre Variante dieses Denkens: Volkskrieg gegen die Kolonialherren und sympathisierten mit dem Befreiungskampf der Iren, Basken, Kurden usw.

Etatistisches Denken bedeutet dagegen, vom Staat, von der Nation, vom Reich her denken. Der etatistische Nationalist geht vom völkerrechtlichen Fortbestand des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937, 1939 o.ä. aus. Er betreibt „historische Forschung", liest Rechtfertigungsliteratur über den Nationalsozialismus, die Wehrmacht oder den deutschen Soldaten und diskutiert (?) die Thesen der Revisionisten, die die „Kriegsschuldlüge" und die „Auschwitzlüge" propagieren. Die Wiederherstellung des

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Deutschen Reiches will er diplomatisch durch Verträge erreichen. Er fordert den seit 1945 angeblich überfälligen Friedensvertrag der Siegermächte mit Deutschland ein oder glaubt, daß das Deutsche Reich durch eine Politik des Neutralismus erreicht werden kann („österreichische Lösung").

Die Konflikt zwischen „alter" und „neuer" Rechter besteht mithin in der Konfrontation von revolutionären, völkischen Intellektuellen und immanent-angepaßten und etatistischen Pragmatikern.

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4. Zur gegenwärtigen Lage: Gibt es heute eine „neue Rechte"?

Das Zentralthema des westdeutschen Rechtsextremismus, an dem sich der Konflikt zwischen „alter" und „neuer" Rechter festmachte, die „nationale Frage", besteht heute nicht mehr. Das hat nichts mit der Deutschen Einheit zu tun, das Thema war für den Rechtsextremismus nämlich schon seit Mitte der siebziger Jahre erledigt, im Grunde genommen seit der Vollendung der neuen Ostpolitik der sozialliberalen Koalition. Die Rechte hat sich zwar nicht mit der Existenz der beiden deutschen Staaten abgefunden, aber doch angesichts ihrer Niederlage und enttäuscht von der Haltung der bürgerlichen Rechten resigniert. So entdeckte sie - Anfang, Mitte der siebziger Jahre - zwei neue Themen: Den Revisionismus und die Ausländer. Angesichts der deutschen Einheit erwies sich der Rechtsextremismus 1989/90 als hilflos und gelähmt. Man wußte nicht so recht, ob man in nationalem Jubel ausbrechen soll, weil wenigstens ein Teil der nationalen Sehnsucht befriedigt war, oder ob man „Verrat!" schreien soll, weil mit der Deutschen Einheit endgültig auf die ehemaligen deutschen Gebiete verzichtet worden ist. Diese Unfähigkeit, gegenüber der deutschen Einheit eine Position zu entwickeln, führte dazu, daß der Rechtsextremismus in Sachen Nationalismus abtauchte und einfach weitermachte wie bisher: Revisionismus und Rassismus. (Eine Ausnahme bildet die „Volkstumsarbeit" in den ehemaligen Ostgebieten des Deutschen Reiches, insbesondere im Raum Kaliningrad, auf die hier aber nicht eingegangen werden kann.)

Nun haben wir es beim Rassismus, wie gesagt, mit einer Erscheinungsform, mit einem Bestandteil des Nationalismus zu tun. Auf der Suche nach neuen ideologischen Begründungszusammenhängen werden wir in

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der Literatur auf „Denkfabriken" verwiesen, deren Produkte durchaus als neurechts gelten können.

Als ein Zentrum der europäischen „neuen Rechten" gilt das 1969 von Alain de Benoist gegründete Groupement de Recherche et d'Etudes pour la Civilisation Européenne (GRECE) mit verwandten Studiengruppen in der Bundesrepublik, der Schweiz, den Niederlanden, Belgien, Italien, Portugal, Spanien und England. Die bundesdeutsche Filiale ist das Thule Seminar, sein Vordenker Pierre Krebs. Die Zeitschrift heißt in Frankreich „elements", in der BRD „Elemente", in Italien „elementi".

Das Leitmotiv dieser intellektuellen und völkischen, kaum aber revolutionären „neuen Rechten" lautet „Ethnopluralismus". Es stammt freilich aus dem Inventar der deutschen Nationalrevolutionäre der siebziger Jahre und wurde vor allem von Henning Eichberg entwickelt. Ethnopluralismus wird von dem GRECE - in freilich abgewandeltem Sinn - als Alternative zu „Universalismus" oder „Egalitarismus" verstanden und bedeutet eine Kampfansage an die Prinzipien der Aufklärung und an die Menschenrechte. Das Weltsystem des „Judenchristentums" und des Marxismus, die Gleichheitslehre, sei - so die europäische Neue Rechte - so Pierre Krebs - die Rechtfertigung für den „größten Völkermord" in der Geschichte. Dieser schrieb 1982 (S. 14):

„Die Erde wurde ihrer Territorien beraubt, ihre Völker wurden entwurzelt. Sie stellt nur noch die Gemeinsamkeit von Handelszonen, von Verkehrsstraßen, von zerfließenden Austauschnetzen dar, die den Gesetzmäßigkeiten des Managements und des Marketings unterworfen sind. Der Mensch beherrscht nicht mehr einen Raum als Territorium, weil er von überall kommt, und somit von nirgendwo... Der Mensch gehört nicht mehr einem Ort, einer Herkunft, einer Geschichte und somit einer Kultur, einem Schicksal und einer Macht an. "

Daher ruft diese „neue Rechte" zum „totalen Angriff ... gegen alle totalitären Erscheinungen der Gleichheitslehre" auf, gegen den Kraken, der „die Völker von innen anfrißt, indem er ihre Seele gegen die trügerische Sicherheit des materiellen Wohlstands" eintauscht. Immer noch Krebs:

Wir rufen die Menschen Europas zur Zusammenraffung aller ihrer lebendigen Kräfte und Freiheiten gegen die Versklavung

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der egalitär-kaufmännischen Gesellschaftsform auf. Wir rufen alle Völker der Welt zur Wiederbelebung ihres kulturellen Erbes, ihres historischen Gedächtnisses und ihrer gemeinschaftlichen Traditionen auf, um den [dem] universalen Völkermord des Kosmopolitismus Einhalt zu gebieten. " (ebd., S. 33).

Krebs fordert das „Grundrecht auf Verschiedenheit":

Denn durch seine Vermischung der Rassen, der Kulturen und Weltanschauungen beseitigt der Egalitarismus nicht nur die grundlegendsten Begriffe von Achtung und Toleranz, sondern darüber hinaus die Freiheit und das Grundrecht auf Verschiedenheit... Im Namen der Toleranz macht sich die Lehre von der völligen Gleichheit der Menschen der denkbar größten Intoleranz schuldig, die darin besteht, die Verschiedenheit, Originalität und Besonderheit überall da systematisch zu zerstören, wo sie sich der Mühle der Gleichmacherei nicht fügen. " (ebd., S. 25f.).

In traditionell rechtsextremer Sichtweise kämpft diese „neue Rechte" gegen Aufklärung, Demokratie und Menschenrechte und setzt sich für die Erhaltung der Rassen ein. Neu ist, daß Rasse nicht mehr im althergebrachten biologischen Sinne verstanden wird und es auch nicht mehr um die Wertigkeit von Rassen geht, sondern um die Verschiedenartigkeit von Kulturen und das vermeintliche Recht jedes Volkes auf seine Identität. Noch einmal Krebs (1981, S. 23f.):

„Die morgige Welt muß ethnopluralistisch sein!

Wir lehnen die egalitäre Welt ab und widerlegen sie. Wir setzen ihr die pluralistische Menschheit entgegen, die in den verschiedenen Teilen der Welt eine andere Hautfarbe besitzt. Ihre jeweils geistige erbmassebedingte Erscheinungsform reflektiert die unterschiedliche Empfindsamkeit einer Seele, die andere psychische Saiten ertönen läßt; reflektiert die Eigentümlichkeit eines Geistes, der um einen anderen Austausch, um eine andere Auslegung bemüht ist; reflektiert ein Wesen schließlich, das andere Welt- und Lebensvorstellungen hat.

Unsere Verwurzelung ist territorial, menschlich und kulturell. Territorial im ethnologischen Sinne, nämlich daß der territo-

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riale Instinkt des Individuums in der Personalisierung eines Raumes besteht, innerhalb dessen es sich absichert, sich organisiert und sich eingewöhnt. Diese Raumpersonalisierung ermöglicht auf einer zweiten Stufe die Normalisierung der gesellschaftlichen Beziehungen. Menschlich im anthropologischen Sinne, nämlich, daß ein Individuum sich dann einer bestimmten Gruppe verpflichtet fühlt, wenn es sich mit Menschen, in denen es sich wiedererkennt, identifizieren kann. Kulturell im ethnologischen Sinne, nämlich daß ein Individuum sich durch die Sprache, die Bräuche und die gesellschaftlichen Verhaltensweisen der Menschen, unter denen es sich entfaltet, identifiziert. "

Insgesamt scheint es mir durchaus gerechtfertigt zu sein, in diesem Zusammenhang von „Neorassismus" zu sprechen: Das Bedrohungspotential für die jetzt ethnopluralistisch gefaßte „Nation Europa" wird - historisch bedingt - nicht mehr im Bolschewismus, auch nicht allein in den beiden Supermächten, sondern in einem weltumspannenden, völkervernichtenden System gesehen, in dem alle bisherigen Feindbilder verschmelzen: Kapitalismus, Kommunismus, Liberalismus, Christentum, Judentum und Islam. Elemente des Neorassismus finden sich mehr oder weniger kompakt in allen Programmen der europäischen „neuen Rechten". Dies gilt insbesondere für das Bedürfnis nach nationaler Identität und völkischer Verwurzelung, für den Hinweis auf die Verschiedenheit der Ethnien und Kulturen und für die Forderung nach Bewahrung dieser Verschiedenheit (nach ihrer Isolierung gewissermaßen) und schließlich für die ethnozentristische Absicht, das eigene Volk über die anderen zu stellen („Deutschland zuerst", „les francais d'abord", „eigen Volk erst"). Der Neorassismus könnte eher als der traditionelle biologische Rassismus geeignet sein, die Bedürfnisse breiterer sozialer Schichten nach Orientierung, Identität und Schutz in einer Situation des raschen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbruchs zufrieden zu stellen.

Damit hätten wir den Neorassismus als eine, genauer: als die einzige neurechte Denkfigur identifiziert und damit die Meßlatte komplettiert, die an die eingangs erwähnte „neue Rechte" zu legen wäre, um sie zu qualifizieren. Analysiert man so das „Brückenspektrum", dann wird klar, daß hier Personen und Organisationen in eine Schublade gestopft werden, die verschiedenen Traditionen, Denkrichtungen und Zielen verpflichtet sind. Ge-

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meinsam ist ihnen allenfalls der Status des Intellektuellen, der sich rechts von der Mitte ansiedelt, was immer er bzw. man unter Mitte versteht. Dieser Status führt einige oder mehrere von ihnen gelegentlich auf Tagungen oder Veranstaltungen zusammen, wo sie gemeinsam darüber diskutieren, wo die Mitte und was rechts sein könnte, das konstituiert aber noch keineswegs ein politisches „Lager" oder gar eine politische Bedrohung. Denn da finden sich so unterschiedliche und politisch nicht koalitionsfähige Leute zusammen, wie der CDU-Mann Günter Rohrmoser, der als Intellektueller mit seiner Bezugspartei hadert, und der nationalrevolutionäre Henning Eichberg, der die „Junge Freiheit" umstandslos als betulich konservativ abqualifiziert, oder der mittlerweile nationalliberale, in seinem Herzen wohl eher deutschkonservative, jedenfalls etatistische Rainer Zitelmann, der sich nach einer nationalen (nicht aber nationalistischen) Partei im Deutschen Bundestag sehnt, neben dem neorassistischen, germanophilen Pierre Krebs, der einen geläuterten Eurofaschismus anstrebt.

Mit der Parole „gleiche Brüder, gleiche Kappen" wird dieser ideologische „Faschingszug" nur mediengerecht aufgewertet. Und auch die Befürchtung, daß er sich dereinst zu einer politischen Kraft, zu einer „neuen Rechten" zusammenfinden könnte, ist angesichts der Tatsache, daß es sich um Intellektuelle mit divergierenden Auffassungen handelt, sehr unwahrscheinlich. Gegenwärtig existiert die eingangs erwähnte „neue Rechte" jedenfalls nicht als Akteur oder Ideologie. Wir haben es vielmehr mit drei Gruppen zu tun: dem „neuen" und „alten" Rechtsextremismus, dem Konservatismus und dem Brückenspektrum dazwischen.

Zu diesem Brückenspektrum mag man die „Junge Freiheit", Nolte, Weißman oder Zitelmann zählen. In der hier verwendeten Definition wird man dieses Spektrum kaum als nationalistisch bezeichnen können, und auch Neues gelangt aus diesem Kreise nicht in die Diskussion. Betrachten wir deren Position zur „nationalen Frage": Man thematisiert die „Westbindung" der Bundesrepublik, ohne sie jedoch grundsätzlich in Frage zu stellen oder eine Alternative zu entwickeln. Man spricht von „Ostverschiebung" der Bundesrepublik, ohne daraus irgendwelche Konsequenzen für die „nationale Frage" zu ziehen. Die Grenzgänger fordern nicht die Wiederherstellung des Deutschen Reiches, sie fordern auch nicht, in Anlehnung beispielsweise an die Nationalrevolutionäre, den revolutionären Befreiungskampf der Deutschen in Polen, in Rußland oder sonstwo. Wer

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nach konkreten Alternativen dieses Spektrums zu den Unionsparteien bzw. zum Konservatismus sucht, wird kaum fündig: Man stößt auf moderate Europakritik, auf die Forderung nach effektiverer Kriminalitätsbekämpfung, rigiderer Asylpolitik, Ruhe und Ordnung. Aber all das unterscheidet sich graduell kaum von dem, was in der Rechten des Deutschen Bundestages gedacht oder gefordert wird. Die Grenzgänger sind halt nur ein bißchen autoritärer, ausländerfeindlicher, rassistischer, staatsfixierter, europakritischer als ihre politischen Freunde in den bürgerlichen Parteien. Ich vermag darin weder eine „Wiedergeburt des nationalistischen Denkens" noch eine Gefahr für die Demokratie zu erkennen.

Dies gilt selbstverständlich nicht für den Rechtsextremismus.

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Literatur

Jaschke, H.-G.: Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, Opladen 1994.

Leggewie, C.: Die Republikaner - Phantombild der Neuen Rechten, Berlin 1989.

Krebs, P.: Die europäische Wiedergeburt, Tübingen 1982.

Krebs, P.: Das unvergängliche Erbe, Tübingen 1981.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2000

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