FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausgabe: 64 = Leerseite]

[Seite der Druckausgabe: 65]


Günter Rixe
Stellungnahme:
Anforderungen aus der Sicht der Berufsbildungspolitik


Blickt man auf die letzten 25 Jahre Bildungspolitik zurück, müssen berufsbildungspolitisch Interessierte enttäuscht sein:

  • Seit Anfang der siebziger Jahre wird Gleichwertigkeit der beruflichen Bildung immer wieder eingefordert. Aber kaum jemand hat sich je Gedanken gemacht, wie sie konkret aussehen könnte. Die Projektgruppe des Bundesinstituts für Berufsbildung, über deren „Weg aus der Sackgasse - für ein eigenständiges und gleichwertiges Berufsbildungssystem" Gisela Dybowski hier berichtet hat, ist daher eine rühmliche Ausnahme.

  • Über die wachsende Bedeutung der Weiterbildung als einem zentralen Teil eines gleichwertigen Berufsbildungssystems wird ebenfalls seit Jahrzehnten gesprochen. Hier ist jedoch fast nichts geschehen: Weder sind wir bisher auf dem Wege zu bundeseinheitlichen Rahmenregelungen. Dies ist eine wichtige Forderung des SPD-Beschlusses auf dem Bremer Parteitag 1991, als wir „Weiterbildung für eine menschliche Zukunft" gefordert haben. Noch sind die Weiterbildungs- und Freistellungsgesetze der Länder akzeptiert und ausreichend. In den neuen Ländern, in denen unbestritten ein riesiger Weiterbildungsbedarf besteht, hat sich bisher im wesentlichen nur das Land Brandenburg um eine vernünftige Rechtsgrundlage bemüht. Der Bund hat die Aufgabe, Fortbildungsordnungen zu erlassen. Herrn Rüttgers und Herrn Rexrodt ist es allerdings noch nicht aufgefallen, daß die zuständigen Mitarbeiter offenbar eingeschlafen sind. Statt dessen wird das Feld einzelnen Kammern oder dem Deutschen Industrie- und Handelstag (DIHT) überlassen.

  • Das dritte Stichwort, über das seit einiger Zeit geredet wird, betrifft die Dualisierung der gesamten Berufsbildung. Dies wird seit Ende der achtziger Jahre mit einigem Nachdruck für mehr als nur die Be-

[Seite der Druckausgabe: 66]

    rufsakademien gefordert. Zwischenzeitlich haben der DIHT und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) auch einige Kooperationsprojekte mit Fachhochschulen eingeleitet.

  • Als viertes Stichwort will ich nur das leidige Thema Hochschulzugang für qualifizierte Berufstätige erwähnen. Mit Ausnahme von Niedersachsen und Berlin ist die Zahl derjenigen, die diese Möglichkeit in Anspruch nehmen, noch sehr gering. CDU/CSU-geführte Länder zieren sich immer noch, ihre Hochschulen zu öffnen. Zwischen den Ländern gibt es auch keine einheitlichen Bestimmungen. Die Bundesregierung ist untätig. Ein Gesetzentwurf der SPD, mit dem die Einfügung des Probestudiums für qualifizierte Berufstätige und Personen mit vergleichbarer Lebenserfahrung - z.B. Familientätigkeit - ins Hochschulrahmengesetz (HRG) vorgesehen war, wurde von der Koalition abgelehnt.

Was mir an dem Vorschlag der BIBB-Projektgruppe gefällt, ist die Überlegung, all diese Elemente in einen abgestimmten Systemzusammenhang zu bringen. Dies weist dann auch den Weg zur Umsetzung dieser Vorschläge: Ich meine, daß es zunächst Sache der Arbeitgeber und Gewerkschaften sein muß, solche Modellüberlegungen zu konkretisieren und umzusetzen. Der Staat soll seinen „Segen" dazugeben. Hierzu gehört neben dem Erlaß entsprechender Fortbildungsordnungen nach Berufsbildungsgesetz (BBiG) und Handwerksordnung (HwO) eine vernünftige Aufstiegsfortbildung: So wie Bundesminister Dr. Rüttgers sein Gesetz konzipiert hat, wird es aber nicht klappen. Die BAföG-Analogie halten wir und der gesamte Bundesrat für völlig verkehrt. Die Förderbedingungen sind derart schlecht, die Durchführung ist derart mangelhaft gesetzlich geregelt, daß vom Aufstiegsfortbildungsgesetz kein großer Impuls für die Weiterbildung ausgehen kann.

Ich habe die Verantwortung der Wirtschaft für die Umsetzung eines solchen Modells auch deshalb betont, weil hier letztlich der Schlüssel zur Gleichwertigkeit liegt. Wenn in den Betrieben - und natürlich auch in den öffentlichen Verwaltungen - keine vernünftigen Karrierewege aufgezeigt werden, für die Weiterbildung sich lohnt, ist alles Zimmern von Modellen vergeblich.

Schon jetzt ist es äußert schwer, als Fachhochschulstudent einen Praktikumsplatz zu bekommen. Von wirklicher Betreuung auch auf seiten der

[Seite der Druckausgabe: 67]

Fachhochschulprofessoren kann nicht immer gesprochen werden. Ich bin daher skeptisch, ob die geforderte Dualisierung nicht nur der Weiterbildung, sondern auch der Fachhochschul- und womöglich auch Universitätsausbildung, tatsächlich klappen kann, jedenfalls nicht kurzfristig.

Dabei denke ich nicht zuletzt auch an das Handwerk, dessen Betreuungsmöglichkeiten naturgemäß nicht immer günstig sind. Auch gibt es hier im Vergleich zur Industrie und dem Dienstleistungsbereich weniger Karrieremöglichkeiten. Ich fürchte also, das Modell des BIBB ist eher auf großbetriebliche Strukturen ausgerichtet.

Die vorgesehene Dualisierung auch der Weiterbildung setzt nicht zuletzt ein Umdenken auch bei den Berufsschulen voraus: Sie sollten sich stärker als bisher in der Weiterbildung engagieren. Allerdings stehen sie unter erheblichem Druck in der Erstausbildung, und das bei bestenfalls stagnierenden Etats, die eine sinnvolle Förderung verschiedener Lerngruppen ebensowenig zulassen wie die notwendige Modernisierung ihrer Ausstattung mit Lehr- und Lernmitteln.

Ein letzter Punkt: Wir befassen uns in der Projektgruppe „Jugend-Beruf-Zukunft" mit Vorschlägen zur Rettung des in die Krise geratenen dualen Systems. Hier gibt es akuten Handlungsbedarf nicht nur in den neuen, sondern auch in den alten Ländern, um ein ausreichendes Ausbildungsplatzangebot zu sichern. Wir fordern darüber hinaus mittel- und langfristige Reformen zur Beseitigung oder jedenfalls Milderung struktureller Schwächen und zur Erhöhung der Attraktivität der beruflichen Bildung.

Wir haben bereits im Zwischenbericht die Notwendigkeit der Verklammerung von Erstausbildung und Weiterbildung betont. Ich hoffe daher sehr, daß es uns gelingen wird, der Weiterbildung auch im Schlußbericht und bei der Umsetzung der Empfehlungen der Kommission ab Mitte 1996 genügend Aufmerksamkeit zu widmen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2000

Previous Page TOC Next Page