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TEILDOKUMENT: [Seite der Druckausg.: 70 = Leerseite] [Seite der Druckausg.: 71 ]
Mitbestimmung im Sinne einer Partnerschaft zwischen Unternehmern, Beschäftigten und ihren Interessenvertretern ist aus meiner Sicht eine Bedingung
Dabei spreche ich von Mitbestimmung im weitesten Sinne, sei es über Wege der Tarifpolitik, Betriebsverfassungsgesetz, Aufsichtsrat oder andere Mitwirkungsformen oder der Arbeitnehmerbeteiligung am Produktivvermögen. Mitbestimmung dient der effektiven Wahrnehmung der Arbeitnehmer- und Arbeitsloseninteressen. Diesen ist am besten gedient, wenn Mitbestimmung nicht nur bei der Verteilung auf dem Wege der Tarifpolitik, sondern bei der möglichst optimalen Herstellung von Produkten und Dienstleistungen mitwirkt. Mitbestimmung ist ein Faktor im globalen Wettbewerb, d.h. wir werden zu fragen haben, inwieweit Mitbestimmung die Unternehmen in der Bundesrepublik in diesem Wettbewerb stärken kann und zugleich, welchen Risiken das deutsche Mitbestimmungsmodell im globalen Wettbewerb ausgesetzt ist. Mitbestimmung legitimiert sich nicht aus sich selbst heraus. Sie muß dem berechtigten Anspruch des abhängig Beschäftigten auf Wahrung seiner Interessen im Produktionsprozeß seine persönliche Verantwortung für den Erfolg des Gesamtprozesses gegenüberstellen. Ich möchte zunächst die Rahmenbedingungen schildern, unter denen sich Mitbestimmung heute bewähren muß (1.), zweitens die heutigen Anforde- [Seite der Druckausg.: 72 ] rungen an effektives unternehmerisches Handeln (2.), drittens die traditionelle Position von Betriebsräten und Gewerkschaften zur Mitbestimmung (3.), die ich kritisch hinterfragen möchte, und viertens, wie eine veränderte, modernisierte Sozialpartnerschaft unter den Bedingungen des globalen Wettbewerbs aussehen könnte (4;).
1. Rahmenbedingungen
Kann sich Mitbestimmung durch Abwanderung erledigen? Tatsache ist, um über Form und Ziele der Produktion und die Verteilung des Mehrwertes (mit-)zubestimmen, muß die Produktion an einem Wirtschaftsstandort gesichert und weiterentwickelt werden. Kapital muß am Standort gehalten werden bzw. neu zufließen. Globalisierung bedeutet vor allem eine wesentlich erhöhte Mobilität von Kapital, das sich nationalstaatlicher Steuerung und Regulierung entzieht. Kapital folgt immer schneller übermittelten Informationen über seine beste Verwertungsmöglichkeit. Damit ist das dauerhafte Vorhandensein einer bestimmten Produktion an einem bestimmten Standort nicht garantiert. Den Wettbewerb um Kapital hat es zwar schon immer gegeben, er hat aber unter den geschilderten Bedingungen eine neue Qualität angenommen und findet mit erhöhtem Tempo statt. Unternehmer und ihre Sozialpartner müssen sich überlegen, wie sie sich im Wettbewerb um Kapital verhalten. Wir können uns nicht auf einen Lohnkostensenkungswettlauf einlassen (den wir ohnehin verlieren würden), aber wir müssen die gestiegene Qualität von Produkten aus Niedriglohnregionen in diesem Wettbewerb in Rechnung stellen und wir müssen traditionelle, auf beiden Seiten eingefahrene und offenbar liebgewonnene Verhaltensweisen kritisch überdenken. Wir müssen uns mit der dauerhaften Abgabe bestimmter Produktionen (Textil, Konsumgüter, teilweise Stahl) abfinden und sollten nicht versuchen, diese zurückzugewinnen. Dies wäre auch vor dem Hintergrund globaler Verteilungsgerechtigkeit kritisch zu sehen. Warum sollen Chipproduktion nicht in Indien oder einfache Stahlherstellung in der Tschechi- [Seite der Druckausg.: 73 ] schen Republik angesiedelt sein, aber auch einfache Dienstleistungen in der Bundesrepublik? Zumal wir nur durch Produktion und Einkommen an diesen Entwicklungsstandorten" eine Nachfrage schaffen, die wir mit wiederum anderen Produkten und Leistungen befriedigen können.
2. Anforderungen an unternehmerisches Handeln
Unternehmern oder angestellten Managern stellt sich in ihrem jeweiligen Markt die Aufgabe, Produkte und Dienstleistungen so zur Verfügung zu stellen, daß Kunden sie annehmen und bereit sind, eine über die Herstellungskosten hinausgehende Marge" zu zahlen. Diese Marge befriedigt verschiedene Interessen (der Anteilseigner, Mitarbeiter) und schafft die notwendigen Spielräume zur Investition in die Zukunft des Unternehmens. Zum Grad der Globalisierung und der Wirkung des Wettbewerbs auf den unterschiedlichen Märkten läßt sich sagen: Energiemärkte leben noch verhältnismäßig geschützt (bis zu 30% werden in Deutschland geöffnet), Post und Telekommunikation öffnen sich erst langsam, andere (Bahn) glaubten, das Monopol zu haben bzw. sie verhielten sich noch lange wie Monopolisten. Die Realität war und ist aber eine andere. Generell sind Dienstleistungsmärkte nicht notgedrungen Binnenmärkte, wie mancher glaubt. Der Erfolg im Wettbewerb auf möglichst liberalisierten, offenen Märkten sichert langfristig und dauerhaft die Existenz eines Unternehmens. Protektionismus, z.B. in Form der Festung Europa", ist mittel- und langfristig schädlich und gefährlich. Marktorientierung - möglichst im Vorfeld dramatischer Wandlungsprozesse - ist primäre unternehmerische Aufgabe. Dabei darf es nicht nur um das möglichst kostengünstige Produzieren bisheriger Güter und Dienstleistungen gehen (in Konkurrenz zu ohnehin billigeren Anbietern aus Entwicklungsregionen) oder deren marginale Veränderung, sondern um das Erkennen des Bedarfs an neuen Produkten und Dienstleistungen. Die Grenze darf dabei nur das im Unternehmen vorhandene Know-how sein. Die Notwendigkeit, diese Grenze durch Aus- und Weiterbildung, aber auch Neueinstellungen oder Akquisitionen möglichst immer weiter zu [Seite der Druckausg.: 74 ] stecken, ist im globalen Wettbewerb offensichtlich. Zugleich muß sich das Management der Kapazitäten und Fähigkeiten der Mitarbeiter - unabhängig von der hierarchischen Ebene - möglichst vollständig bewußt sein. Fähigkeiten und Kompetenzen der Mitarbeiter können sich aber nur in einer flexiblen, für ständigen Wandel offenen Organisation zum Nutzen des Unternehmens entfalten. Verantwortungsvolle Unternehmer und Manager initiieren daher einen ständigen Wandlungsprozeß. In der Managementlehre besteht die Erkenntnis, daß
diese Veränderungsprozesse am besten begleiten bzw. befördern.
3. Produktiver Standortfaktor Mitbestimmung? - Gewerkschaftliche Positionen
Betriebsräte und Gewerkschaften müssen sich fragen, ob die bisherige Praxis und Debatte über die institutionalisierte Form der Mitbestimmung unternehmerische Ziele (die im Interesse der Beschäftigten liegen) bremsen und damit als negativer Standortfaktor wirken oder fördern und damit die Grundsatzthese unterstützen, daß eine weitgehende Einbindung der Arbeitnehmer auch dem Unternehmensinteresse - d.h. auch der Produktivitätssteigerung - dient. Nur dann können wir unsere Mitbestimmungsgedanken exportieren (was wir doch gerne möchten!) und ideologisch begründeter Ablehnung der Mitbestimmung entgegentreten. [Seite der Druckausg.: 75 ] Die - aus heutiger Sicht - über lange Zeit starre Position der Gewerkschaften bei Qualitätszirkeln, flexiblen Arbeitszeiten, Ausgründungen, leistungsorientierter Bezahlung sowie bei der undifferenzierten Beibehaltung des Flächentarifs ohne betriebsbezogene Öffnungsmöglichkeiten und bei den Stufentarifverträgen in den neuen Ländern erscheint nicht als positiver Standortfaktor. Gewerkschaften können sich nicht einfach darauf zurückziehen, daß Unternehmer die Ansätze zur Humanisierung der Arbeitswelt Anfang der siebziger Jahre ebenfalls ideologisch" ablehnten. Wir müssen uns auch offen fragen, ob angesichts knapper öffentlicher Ressourcen die Subventionspraxis bei Kohle, Werften und Landwirtschaft dem Standort Bundesrepublik Deutschland nicht teilweise geschadet hat und weiterhin schadet. Überlegen wir nur einen Moment, wieviel weiter unsere Forschung und unsere Technologieentwicklung wären, wenn wir nur einen Bruchteil unserer Subventionen in entsprechende Förderprogramme investiert hätten. Wäre es nicht volkswirtschaftlich und für die Wirtschaftsstruktur in den betroffenen Regionen besser gewesen, statt im Montanbereich Frühverrentung und Freischichtregelungen zu fördern, dort stärker auszugliedern, auch wenn Gehalts- und Arbeitsbedingungen (zunächst) schlechter gewesen wären? Wäre nicht, z.B. im Ruhrgebiet, ein frühzeitigeres Umsteuern auf Arbeitsplätze im Hochtechnologie- und Dienstleistungsbereich, die ja von der Ruhrkohle AG und den Stahlkonzernen hätten geschaffen werden können, sinnvoll gewesen? Haben nicht die Gewerkschaften zu lange die Montan-Mitbestimmung in ihren traditionellen Organisations- und Arbeitsformen als das non plus ultra angesehen? In den fünfziger und sechziger Jahren war sie dies im Kampf gegen überkommene, reaktionäre Strukturen sicherlich auch, aber dabei wurde übersehen, daß sich in anderen Branchen, z.B. der Computerindustrie, Organisationsformen entwickelten, die dem Arbeitnehmerbedürfnis nach höherer Qualifikation, mehr Selbstbestimmung und Identifikation mit dem Produkt besser Rechnung trugen. Haben Post und Bahn und ihre Gewerkschaften es nicht zu lange als normal angesehen, daß der Krankenstand 20 bis 50% über Industrie- und Dienstleistungsdurchschnitt lag und dabei eine ideologische Scheindiskus- [Seite der Druckausg.: 76 ] sion gegen die sogenannte Jagd auf Kranke" geführt, obwohl schon immer klar war, daß hohe Krankenstände an der wirtschaftlichen Substanz der Staatsunternehmen zehrten? Wurde nicht auch gerade in diesen Staatsunternehmen eine Subventions- und damit tendenziell wenig leistungsfreundliche Mentalität gefördert oder zumindest nicht konsequent gegengesteuert? Haben Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter in Sozialversicherungsorganen nicht zu lange die heute beklagten Lohnnebenkosten mitgesehen, -gestaltet und akzeptiert? Haben Gewerkschaften und Arbeitgeber nicht zu lange in sich wechselseitig blockierenden Positionen bei der Vermögensbeteiligung der Arbeitnehmer verharrt? Dies ist aus heutiger Sicht um so dramatischer, als die Besserstellung deutscher Unternehmen im Wettbewerb bei Erhalt des hohen Einkommensniveaus einen wesentlich höheren Einkommensanteil aus Vermögen unbedingt erforderlich macht.
4. Wie könnte Mitbestimmung positiver Standortfaktor sein/ werden, ohne legitime Arbeitnehmerinteressen aufzugeben?
Zunächst gilt es für Gewerkschaften und ihre Mitglieder zu akzeptieren, daß im Zuge der Globalisierung und der sinnvollen Liberalisierung von Märkten Veränderungsprozesse notwendig sind, um die Marktstellung der Unternehmen und damit Arbeitsplätze zu erhalten bzw. neue zu schaffen. Dies bedeutet auch, daß die jeweilige Organisationsform und die handelnden Akteure, also die Führungskräfte, darauf zu überprüfen sind, ob sie den permanenten Veränderungen genügend Rechnung tragen. Nicht der Bewahrende ist der beste Vorstand, sondern derjenige, der die Herausforderungen der Zukunft frühzeitig erkennt, antizipiert und im Unternehmen implementiert. Dies wird sich um so leichter bewerkstelligen lassen, je stärker Arbeitnehmer und ihre Vertreter in diesen Prozeß einbezogen werden. Gewerkschaften und Betriebsräte sollten Förderer und nicht Bremser des dann einsetzenden Veränderungsprozesses sein. Laufende, unternehmensweite Information und Kommunikation sind eine wichtige Voraussetzung zur Einbindung der Beschäftigten und ihrer Inter- [Seite der Druckausg.: 77 ] essenvertreter. Instrumente wie Mitarbeiterbefragung und Führungsleitsätze können dabei hilfreich sein. Die Art der Durchführung von Betriebsversammlungen, Betriebsrätetagungen ist genauso wichtig, da nur informierte Mitarbeiter und ihre Vertreter mitgestaltend wirken können. Dies setzt sicherlich bei einigen Vorständen noch Erkenntnisprozesse voraus, selbst wenn sich an der Führungs- und Erfolgsverantwortung des Vorstandes auch unter den Bedingungen einer stärkeren Mitarbeiterbeteiligung nichts ändert. Aus Information und Kommunikation wachsen Erkenntnisse, die positiv und negativ sein können: positiv, wenn es um mehr Wachstum und Gewinnchancen geht, negativ, wenn es um Einschränkungen und Abbau geht. Ober beide Erkenntnisse sollte offen gesprochen werden:
Unternehmerische Ehrlichkeit darf nicht vom angenehmen oder unangenehmen Charakter der Botschaft abhängen. Auch angeblich negative Veränderungsnotwendigkeiten können durchaus positive Aspekte haben:
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Was bleibt zu tun, wenn wir Mitbestimmung weiterentwickeln und zu einem positiven und produktiven Faktor im Wettbewerb machen wollen, ohne dabei gewerkschaftliche Zielstellungen (Verteilungsgerechtigkeit, In- [Seite der Druckausg.: 79 ] teresse des Mitarbeiters an Weiterbildung, Entfaltung seiner Fähigkeiten in der Produktion, Einfluß der Betriebsräte auf unternehmerisches Handeln) aus den Augen zu verlieren? Wir brauchen die Vermögensbeteiligung des Arbeitnehmers.
Wir brauchen neue Organisationsformen, also die Arbeit in Teams und Projektgruppen, die den Mitarbeitern neue Freiräume und Perspektiven eröffnet. Die folgenden positiven Effekte sind zu erwarten:
Wir brauchen einen neuen Stil in der Zusammenarbeit zwischen Führungskräften und Betriebsräten und Mitarbeitern, d.h.:
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ger durch ihre Stellung in der Hierarchie, sondern durch ihren unternehmerischen Erfolg und ihre kommunikativen und fachlichen Qualitäten. Wir brauchen betriebs- und wettbewerbsbezogene Arbeitszeit- und Entgeltstrukturen unter Einbeziehung der Vorschläge zum Arbeitnehmereinkommen aus Vermögen. Flächentarifverträge müssen eine entsprechende Öffnung erlauben. Wir brauchen eine permanente Qualifikations- und Ausbildungsoffensive. Wer hohe Einkommen am Standort Deutschland weiterhin will und wer der Auffassung ist, daß neue Produkte, die Verbesserung vorhandener Produkte und die Entwicklung immer besserer produktbegleitender Dienstleistungen nur durch hohe Qualifikation möglich sind, der muß effizient, wertschöpfend und mit Blick auf Markt und Kunden aus- und weiterbilden. Er muß zugleich auf ein innovatives Hochschulsystem mit der Fähigkeit zu schnellem, produktorientiertem Wissenstransfer drängen. Wir brauchen mehr Mobilität und Flexibilität in unseren Unternehmen, wahrscheinlich in unserer Gesellschaft insgesamt. Diese Aufzählung ist notgedrungen unvollständig. Sie mutet den Gewerkschaften insofern viel zu, als sie von ihnen und den Betriebsräten eine Verantwortungsgemeinschaft für den Betrieb im Wettbewerb fordert. Beherrschte Produkte in neue Märkte zu bringen und beherrschte Märkte für neue, bessere Produkte und Dienstleistungen zu nutzen, können wir gemeinsam schneller und besser schaffen und damit Arbeitsplätze am Hochlohnstandort Deutschland sichern. Traditionelle Frontstellungen und althergebrachte Positionen von Seiten der Unternehmer und der Gewerkschaften sind in jedem Fall kontraproduktiv. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2000 |