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Marita Stein
Mitbestimmung der ArbeitnehmerInnen muß europaweit gesichert und ausgebaut werden


Der Telekommunikationsmarkt ist der zur Zeit am schnellsten wachsende Markt. Es werden für diesen Bereich gigantische wirtschaftliche Wachstumsraten vorausgesagt. Die Gewinne der in diesem Sektor tätigen Unternehmen sollen explosionsartig steigen. Es ist von vielen Arbeitsplätzen die Rede, die durch die Telekommunikation in Europa entstehen sollen.

Mit dieser vorausgesagten Entwicklung hat der Kampf um die Marktanteile begonnen. Er hat mittlerweile dazu geführt, daß der internationale Telekommunikationsmarkt nur noch von einer Handvoll mächtiger Unternehmensgruppen beherrscht wird. Es werden weltweit strategische Allianzen geschmiedet, weil diese nach Einschätzung von Marktkennern entscheidend sein werden für die zukünftige Rentabilität. Drei große Unternehmensgruppen haben sich mittlerweile positioniert:

  • British Telekom und MCI, die zweitgrößte amerikanische Fernverkehrsgesellschaft, haben ein Joint Venture namens Concert gegründet. Die Produktpalette umfaßt vor allem internationale Datenübertragungsdienste und das Management weltweiter Unternehmensnetze. Die Dienstleistungen von Concert werden übrigens auch von der VIAG Interkom im deutschen Joint Venture mit British Telekom angeboten.

  • Eine zweite transatlantische Allianz gruppiert sich um AT & T, dem Branchenersten aus den USA. Dazu gehört z.B. der japanische Kommunikationsriese NTT.

    AT & T hat sich mit der europäischen Unternehmensgruppe Unisource auf die Gründung des Joint Venture Uniworld geeinigt. Unisource ist wiederum ein internationales Kooperationsprojekt, das von der niederländischen, der schweizerischen und der schwedischen Telekom ins Leben gerufen wurde und zwischenzeitlich um die spanische Telefonica erweitert wurde.

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  • Zur dritten Allianz gehört die Deutsche Telekom AG, France Telekom und der drittgrößte US-Langstrecken-Carrier SPRINT. Die drei Partner haben bekanntermaßen ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem jetzigen Namen „Globel One" gegründet, das Telekommunikation rund um den Globus aus einer Hand anbieten will. Nach langen Verhandlungen mit der Europäischen Union sind jetzt die Bedingungen für die angestrebte Umsetzung dieses Projektes geklärt und die globale Partnerschaft mit SPRINT ist von der amerikanischen Aufsichtsbehörde „Federal Communication Commission" (FCC) im Dezember 1995 genehmigt worden.

Ergänzend will ich noch anmerken:

Die Deutsche Telekom AG und Ameritech sind die neuen Mehrheitseigentümer bei der ungarischen Telekom.

Zwischen diesen strategischen Allianzen hat nun das Rennen um die Vormachtstellung auf den internationalen Märkten begonnen. Das ist einer der wesentlichen Gründe, weshalb wir als Deutsche Postgewerkschaft immer dafür plädiert haben, bei der nationalen Telekommunikationspolitik die internationalen Zusammenhänge nicht aus dem Blick zu verlieren.

Bei der Gestaltung des Telekommunikationsmarktes geht es um viel. Denn die Telekommunikationspolitik ist auch Wirtschaftspolitik und damit Industrie- und Standortpolitik. Es ist notwendig, über den Ausbau neuer Märkte zu diskutieren, über die technologische Infrastruktur Deutschlands und seine Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Industriestaaten. Allerdings heißt dies für uns als DPG, die einen großen Teil ihrer Mitglieder traditionell aus dem Bereich der Telekommunikation organisiert, die Interessen der Mitglieder und Beschäftigten in diese Politik einzubringen. Nach meiner Auffassung muß sich in der Telekommunikation als Schlüsseltechnologie, als wesentlicher Faktor unseres sozialen, technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritts, die Debatte stärker an den Interessen der Menschen orientieren. Darum muß die Telekommunikationspolitik auch ihren Beitrag zur Weiterentwicklung in eine demokratische Informationsgesellschaft leisten.

Die strategischen Allianzen erfordern für die DPG neue Wege in der betrieblichen Interessenvertretung. Wir müssen neben der politischen Begleitung des Telekommunikationsgesetzes die Wahrnehmung der Interes-

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sen der Beschäftigten über die nationalen Grenzen hinaus ausbauen. Denn in die Internationalisierung, ja Globalisierung dieses Marktes müssen die Interessen der Beschäftigten einbezogen werden.

Die Verkäufe, Aufkäufe, Fusionen im Rahmen strategischer Allianzen werden zukünftig in einem atemberaubenden Tempo zunehmen. Dies ermöglicht den sogenannten Global Players in

  • Standortfragen,

  • Investitionsentscheidungen,

  • bei Kostensenkungsstrategien.

  • wie in Fragen der Arbeitszeitgestaltung und Arbeitsbedingungen

Belegschaften unter Druck zu setzen und gegeneinander auszuspielen.

Dabei werden den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen oftmals nicht nur Informationen vorenthalten, sondern sie werden vielfach sogar bewußt falsch informiert. Die internationalen Verflechtungen und Entwicklungen sind für die betriebliche Interessenvertretung häufig nicht durchschaubar.

Über richtige Informationen zu verfügen, ist aber eine wesentliche Voraussetzung zur Wahrnehmung und Durchsetzung von Arbeitnehmerinteressen. Selbstkritisch müssen wir heute aber feststellen: Mit der internationalen Verlagerung der Entscheidungsstrukturen der Unternehmen werden die Handlungs- und Einflußmöglichkeiten der nationalen Arbeitnehmervertretung an Bedeutung verlieren, da ihre Kompetenzen spätestens an den Ländergrenzen enden. Für den Telekommunikationsmarkt wird die Welt immer kleiner. Entscheidungen fallen in den Konzernspitzen unter Ausnutzung weltweiter Informationsnetzwerke und Steuerungsmechanismen. Die Auswirkungen der Entscheidungen wirken aber dezentral, in vielen Fällen sehr konkret bei den Beschäftigten, z.B. durch Betriebsstillegung, Personalabbau, weitere Automatisierung und damit verbundene Rationalisierung.

Die interne Struktur der Konzerne ist längst an internationale Wettbewerbsbedingungen angepaßt. Nationale Gesetze werden häufig nur noch formal abgebildet, wobei ich allerdings betonen möchte, daß insbesondere dem Betriebsverfassungsgesetz mit seiner betrieblichen Mitbestimmung weiterhin eine besondere Bedeutung zukommt. Nur so ist auch künftig das

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Zusammenführen von Informationen durch die Betriebsräte zu realisieren. Darüber hinaus muß aber eine internationale Interessenvertretung installiert werden.

Ein erster Schritt zur grenzüberschreitenden Wahrnehmung der Interessenvertretung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wurde mit der verabschiedeten EU-Richtlinie zu den Euro-Betriebsräten getan. Ihre Umsetzung in nationales Recht zu begleiten, das ist ein wesentlicher Bestandteil unserer derzeitigen Politik. Die Gewerkschaften haben immer wieder auf die Verabschiedung einer entsprechenden europäischen Richtlinie gedrängt. Der Einstieg in europäische Strukturen bei der Interessenvertretung ist wichtig für die Gestaltung eines sozialen Europas.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung über europäische Betriebsräte liegt mittlerweile vor. Im Zuge der fristgebundenen Umsetzung der EU-Richtlinie über Europäische Betriebsräte in nationales Recht besteht nunmehr die Wahrscheinlichkeit, daß eine nationale gesetzliche Regelung bis zum 22.9.1996 verabschiedet wird. Damit wird in ersten Ansätzen die soziale Dimension von Europa den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern durch die Arbeit ihrer Vertretungen erfahrbar und nutzbar gemacht.

Der Gesetzentwurf ist aber unzureichend, gemessen an den Inhalten der EU-Richtlinie sowie bei den Rechten der Arbeitnehmervertretungen bei der Anhörung und Unterrichtung.

Insbesondere ist daran zu kritisieren, daß gerade die Regelungen, die eine Verpflichtung der zentralen Leitung beinhalten, wie z.B. zur grenzüberschreitenden Unterrichtung und der Anhörung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, mangelhaft geregelt sind. Dem beabsichtigten Ziel, nämlich eines gleichberechtigten Dialoges auf gleicher Informationsbasis, wird der Gesetzentwurf nicht gerecht.

Anstatt generell nur eine Sitzung im Jahr zur Unterrichtung vorzusehen, fordert der DGB, daß dafür mindestens eine Sitzung pro Jahr zu erfolgen hat.

Weiter ist die Art der „Unterrichtung", also die Übergabe von schriftlichen und sonstigen Unterlagen, nicht im umfassenden Sinne verdeutlicht.

Selbstverständlich für die Arbeit europäischer Gremien muß es sein, Unterlagen vor der Sitzung und zu ihrer Vorbereitung übersetzt zur Verfü-

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gung zu stellen. Dies gilt es, klar und unmißverständlich zu regeln. Wir fordern, daß hier auf die Definition der Unterrichtung nach
§ 80 Betriebsverfassungsgesetz zurückgegriffen wird.

Darüber hinaus ist die Klärung von Meinungsverschiedenheiten, über welche Sachverhalte und Themen zu informieren ist, unzureichend gelöst. Es wäre für den angestrebten Dialog erforderlich, bei Meinungsverschiedenheiten über Informationspflichten eine praxisnahe Klärung durch Anrufung einer Einigungsstelle zu ermöglichen.

Ein weiterer Kritikpunkt an dem Gesetzentwurf ist, daß es für die Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums und des Europäischen Betriebsrats keinen eigenständigen Schulungs- und Bildungsanspruch einschließlich der Kostenübernahme durch die Unternehmen gibt. Ein europäisches Gremium, das sich zum einen in der Aufbauphase befindet, zum anderen einen wichtigen Dialog mit der zentralen Leitung führen soll, kann nicht derart unmündig und unwissend gehalten werden.

Deshalb fordern wir einen eigenständigen Schulungs- und Bildungsanspruch für die Mitglieder des Verhandlungsgremiums und des Europäischen Betriebsrats.

Weiter fordert der DGB eine klare Regelung hinsichtlich der Kostenübernahme von mehr als einem Sachverständigen:

  • die gewerkschaftliche Beratungs- und Unterstützungsfunktion im Gesetz für Europäische Betriebsräte zu verankern;

  • außerdem ist die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften zu ermöglichen und zwar vom Zugangsrecht in den Betrieb bis hin zur beratenden Teilnahme an Sitzungen.

Die Richtlinie für Euro-Betriebsräte bezieht sich bei der Definition der Arbeitnehmervertretungen ausdrücklich auf die Gepflogenheiten in den Mitgliedstaaten. Auf die lange Tradition der gewerkschaftlichen Unterstützungsfunktion für die betriebliche Interessenvertretung muß deshalb im Gesetz noch einmal hingewiesen werden, ebenso auf die Wahrnehmung der Aufgaben nach dem Betriebsverfassungsgesetz und die Interessenvertretung durch den Abschluß von Tarifverträgen. Die mit von den Gewerkschaften durchgesetzten Lebens- und Arbeitsbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland sind als erreichter Schutzstandard unverzichtbar

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und nicht wegzudenken. Die Rechtsetzungsbefugnis der Tarifvertragsparteien erstreckt sich auch auf die Regelung von Interessenvertretungsstrukturen.

Wir lehnen es ab, durch den Sprecherausschuß bestellte leitende Angestellte mit Rederecht an den Sitzungen des Europäischen Betriebsrats teilnehmen zu lassen. Der DGB hat in seiner Stellungnahme die Bundesregierung aufgefordert, diese Sonderlösung für leitende Angestellte zu streichen.

In einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung am 17.6.1996 wurden die gewerkschaftlichen Anforderung an ein Gesetz für Euro-Betriebsräte eingebracht und verdeutlicht.

Wir wollen, daß ein Gesetz für Euro-Betriebsräte geschaffen wird, das die Bildung von europäischen Betriebsräten zügig voranbringt und eine effiziente Gestaltung ihrer Arbeit ermöglicht.

Zu Beginn habe ich die Entwicklung auf dem Telekommunikationsmarkt angesprochen. Daraus ergibt sich für die Deutsche Postgewerkschaft eine neue Vorgehensweise im internationalen Bereich. Wir beabsichtigen, für die Joint Venture der Deutschen Telekom AG Vereinbarungen über Euro-Betriebsräte abzuschließen. Dazu haben wir einen Entwurf erarbeitet.

Nach diesem Entwurf soll u.a. geregelt werden:

  • die Zusammenarbeit der zentralen Leitung des Unternehmens mit dem Euro-Betriebsrat (EBR),

  • die Zusammensetzung des EBR; es ist mindestens ein Vertreter/eine Vertreterin aus jedem Mitgliedstaat in den EBR zu entsenden,

  • die Unterrichtung und Anhörung über die Angelegenheiten, die das gesamte Unternehmen betreffen,

  • die Sitzungshäufigkeit.

Wir wollen vereinbaren, daß das Unternehmen vierteljährlich den Euro-Betriebsrat insbesondere über folgende Themen schriftlich informiert:

  • die wirtschaftliche und finanzielle Situation,

  • die voraussichtliche Entwicklung der Geschäfts-, Produktions- und Absatzlage,

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  • die Beschäftigungslage und ihre voraussichtliche Entwicklung,

  • grundlegende Änderung der Organisation,

  • Verlagerung der Produktion,

  • Fusionen, Verkleinerungen oder Schließungen von Unternehmen, Betrieben oder wichtigen Teilen dieser Einheiten,

  • Massenentlassungen,

  • Stand und Entwicklungstendenzen der Qualifikation der Beschäftigten bei Aus- und Weiterbildungsaktivitäten.

Weiter muß die Frage der Sachverständigen geregelt sein, die Regelmäßigkeit der Sitzungen, der Sitzungsort, eine Mindestregelung für die Sitzungsdauer und die Regelung zu externen Sachverständigen. Zu einer Vereinbarung gehört die Übernahme aller anfallenden Kosten und der Schutz der Mitglieder des Europäischen Betriebsrats sowie eine Festlegung der Schulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen im Rahmen der Tätigkeit als Euro-Betriebsrat. Dies gilt insbesondere für spezifische fremdsprachliche Kompetenzen im Arbeits- und Sozialrecht der Europäischen Gemeinschaft und in den EU-Mitgliedstaaten. Nach unserer Auffassung gehört in eine Vereinbarung unabdingbar, wie Streitigkeiten zu schlichten sind.

Bevor Verhandlungen mit dem Arbeitgeber aufgenommen werden, muß es allerdings einen Konsens zwischen den betroffenen Gewerkschaften geben. Das erfordert einen rechtzeitigen Informationsaustausch mit den betroffenen ausländischen Gewerkschaften und das Kennenlernen von gegenseitigen betrieblichen Interessenvertretungen. Praktisch gestaltet sich dies immer wieder sehr schwierig, da es in Europa politisch und ideologisch sehr unterschiedlich ausgerichtete betriebliche Interessenvertretungen gibt. Die Mitbestimmungsrechte weichen in den europäischen Ländern voneinander ab. Es ist somit dringend erforderlich, sich gegenseitig kennenzulernen und darauf aufbauend ein gemeinsames Vorgehen zu entwickeln.

Die Deutsche Postgewerkschaft vertritt die Auffassung, daß die betroffenen Interessenvertretungen und Gewerkschaften eine gemeinsame Verhandlungskommission bilden sollen, die über eine Vereinbarung mit dem Arbeitgeber verhandelt.

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Wir haben auch bei den internationalen Vereinbarungen einen Gestaltungsanspruch.

Wir haben von der Erkenntnis auszugehen, daß sich die Konzerne weltweit organisieren. Deshalb geht kein Weg daran vorbei, daß die Gewerkschaften und die betrieblichen Interessenvertretungen ihre Strukturen weltweit ausrichten müssen.

Ein regelmäßiger Informations- und Erfahrungsaustausch darf nicht auf der europäischen Ebene halt machen. Vielmehr ist er international zu gewährleisten. Dies gilt zudem für den Ausbau der Beteiligungsrechte.

Ein erster Schritt kann die Einrichtung einer bei der Europäischen Union angesiedelten Enquête-Kommission zur Mitbestimmung sein. Der EGB hat diese bereits gegenüber der EU-Kommission eingefordert. Unser Ziel ist es, durch die EU-Kommission ein Weißbuch zur Mitbestimmung und Betriebsverfassung in Europa erstellen zu lassen, überdies sind Empfehlungen für die Gestaltung einer europäischen Betriebs- und Unternehmensverfassung zu entwickeln.

Zur Demokratisierung der Gesellschaft gehört die Mitbestimmung im Betrieb, genauso die Beteiligung von Gewerkschaften. Unser gemeinsames Ziel muß sein, eine grenzüberschreitende Interessenvertretung für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im Betrieb sicherzustellen.

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© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2000

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