FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:



[Seite der Druckausg.: 32 = Leerseite]

[Seite der Druckausg.: 33 ]


Ottmar Schreiner
Globalisierung der Wirtschaft, Standortwettbewerb und Mitbestimmung - Einführung


Ich will einleitend darauf hinweisen, daß mir - wenn man die letzten Jahre Revue passieren läßt - aufgefallen ist, daß wir keine offensive gesellschaftliche Gestaltungsdebatte mehr geführt haben. Mit „wir" meine ich nicht nur die SPD, ich meine damit auch große Teile der Gewerkschaften, ich meine im Grunde das „Lager" jenseits von neoliberalen gesellschaftspolitischen Auffassungen.

Ich glaube, dies ist im wesentlichen zurückzuführen auf den ungeheuren Druck - auch zeitlichen Druck -, der auf uns lastet aufgrund langjähriger Diskussionen um die ökonomisch-soziale Bewältigung der deutschen Einheit, lange Diskussionen um die gesamtfiskalischen Folgekosten der Massenarbeitslosigkeit.

Die öffentliche Debatte ist, wenn man diese beiden Themenkreise nimmt, die unsere Bemühungen im wesentlichen umschreiben, weniger bestimmt von der Frage, wie läßt sich die industrielle Wertschöpfung in Ostdeutschland nachhaltig verbessern, sondern die Debatte ist eher bestimmt durch die Frage, wie lassen sich die sozialen Transferkosten halbwegs gerecht verteilen. Die öffentliche Debatte ist auch weniger bestimmt von der Frage, wie läßt sich Massenarbeitslosigkeit nachhaltig abbauen, sondern eher bestimmt von der Frage, wie lassen sich die gesamtfiskalischen Kosten der Massenarbeitslosigkeit - immerhin im letzten Jahr rund 150 Milliarden DM - halbwegs bewältigen. Die fiskalpolitische Dominanz der Debatte wird noch verstärkt durch die Vorgaben des Maastrichter Vertrages.

Das ist mein Grundeindruck der letzten Jahre: keine offensiv mehr nach vorne geführte Gestaltungsdebatte, sondern eher eine Bewältigungsdebatte angesichts von riesigen Problemlagen, die auf der gesamtfiskalischen Ebene kumulieren: Folgekosten deutsche Einheit und Folgekosten der Massenarbeitslosigkeit.

[Seite der Druckausg.: 34 ]

Mit diesen Diskussionen ging seit etwa 1991 eine Standortdebatte einher, die fast ausschließlich, jedenfalls öffentlich, über die Kostenseite geführt worden ist: Löhne, Lohnnebenkosten und Arbeitszeiten waren die zentralen Themenstellungen. Die Standortdebatte wurde von mir wahrgenommen als eine Debatte in zwei Phasen: Nicht zufällig gab es eine abrupte Unterbrechung der Debatte etwa ab Frühjahr 1994, damals abgelöst durch eine gigantische Teilzeitoffensivdebatte und manches andere mehr. Nach den Bundestagswahlen gab es eine Fortsetzung der Standortdebatte, diesmal allerdings mit dem Anknüpfungspunkt „Globalisierung von Markt und Produktion", wobei nach meiner Wahrnehmung „Globalisierung" nahezu ausschließlich als Angriffsvokabel benutzt worden ist.

Und damit bin ich beim Thema: Ich will hier nicht der Versuchung erliegen, neben den vielfältigen Definitionsversuchen eine weitere Definition des Globalisierungsbegriffes leisten zu wollen. Mir stellt sich Globalisierung in ihrem realen Kern dar als Auslagerung von Fertigungsbereichen mit arbeitsintensiven und vergleichsweise geringqualifizierten Tätigkeiten. Mit anderen Worten: Die industrielle Massenproduktion, wie sie ja auch über Jahrzehnte in Deutschland unter Beschäftigungs- und unter vielen anderen Gesichtspunkten eine große Rolle gespielt hat, kann anderswo genausogut, aber billiger bewerkstelligt und erledigt werden.

Das ist für mich, sehr subjektiv gesprochen, der Kern der Globalisierungsdebatte: Auslagerung von arbeitsintensiven Fertigungsbereichen mit geringqualifizierten Anforderungsprofilen. Die zentrale Frage ist dann, wie beschäftigungspolitisch eine Kompensation, ein Ausgleich gefunden werden kann. Wenn ich die Diskussion in einer Reihe von Instituten nicht ganz falsch begreife, läuft sie im wesentlichen dahin zu sagen: Der Grundtrend, Auslagerungsprozesse wie die eben skizzenhaft beschriebenen, ist überhaupt nicht aufzuhalten. Wir können nicht bei den Arbeitskosten mit polnischen Lohnniveaus oder ukrainischen oder gar chinesischen konkurrieren, sondern wir müssen den Ausgleich finden über technologieintensive Fertigungen, über technologieintensive Produktionen und Produkte. D.h., wenn ich die Globalisierung in ihrem Kern richtig begreife, führt sie zu einem Bedeutungsverlust von arbeitsintensiven, geringqualifizierten Tätigkeiten hin zu einem Bedeutungsgewinn von technologieintensiveren Tätigkeiten.

[Seite der Druckausg.: 35 ]

Damit wird auf der unteren Qualifikationsebene ein permanenter Zwang zur Höherqualifizierung erzeugt. Man könnte die Frage stellen, ob wir uns in einer Phase des grundlegenden Umbruchs der Qualifikationsstruktur befinden. Richtig scheint mir jedenfalls zu sein, daß die Globalisierung aufgrund der von mir wahrgenommenen Entwicklungstendenzen immer mehr dazu führt, daß Qualifikationen - mehr noch als in den vergangenen Jahren und vergangenen Zeiten - für uns zu einer Schlüsselkategorie des Standorts Deutschland werden.

Das kann man anhand einer Fülle von anderen Untersuchungen belegen: Ich erinnere an eine Untersuchung der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung, die vor etwa 12 Monaten veröffentlicht worden ist. Kernthese war, daß wir davon ausgehen müssen, daß mittelfristig in Deutschland von den noch etwa 5 Millionen vorhandenen Arbeitsplätzen für Geringqualifizierte etwa gut die Hälfte verlorengehen wird. Das ist nichts anderes als eine Bestätigung der eben von mir angedeuteten Entwicklungen.

Das ist die eine Seite: Globalisierung verstärkt und befördert den allgemeinen Trend zur Höherqualifizierung. Wenn dies richtig wahrgenommen ist, stellt sich die Frage, inwieweit wirkt sich dies aus auf den Typus des modernen Arbeitnehmers. Horst Kern hat in einem anderen Zusammenhang mal gesagt, der Arbeitnehmer wird in dem tayloristischen Arbeitskonzept um sein eigenes Wissen betrogen. Sicher scheint mir nur, daß die tayloristische Arbeitsorganisation, die tayloristische Gestaltung der industriellen Beziehungen den neuen Herausforderungen nicht gewachsen ist und sukzessive an Bedeutung verliert, ohne daß dies schon zu einem neuen Produktionskonzept mit eindeutig identifizierbaren Konturen geführt hat.

Vielleicht ist es richtig zu sagen, daß wir in einer Umbruchphase sind, wobei es möglicherweise noch nicht gelingen kann, diese Umbruchphase präzise an bestimmten Merkmalen festzumachen. Naheliegend scheinen mir drei Aspekte:

  • Erstens ist naheliegend, daß neben und aufgrund der Höherqualifikation - auch aufgrund der viel höheren Kapitalintensität der Produktion - Merkmale wie Arbeitsmotivation, Fähigkeit zur Eigenverantwortung, selbständiges Handeln und dergleichen mehr beim modernen Arbeitnehmertypus viel stärker ins Gewicht fallen, als dies in früheren Zeiten der Fall war.

[Seite der Druckausg.: 36 ]

  • Naheliegend ist für mich zweitens, daß insbesondere junge, hochqualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wesentliche Träger des sogenannten gesellschaftlichen Wertewandels sind. Arbeitsinhaltliche Ansprüche verbinden sich mit dem Wunsch nach transparenten Entscheidungsabläufen und der Beteiligung an diesen Entscheidungsabläufen und treten gleichberechtigt neben Entlohnungs- und andere traditionelle Interessen.
  • Und naheliegend erscheint mir drittens, daß es den Betrieben und Unternehmungen kaum gelingen wird, Akzeptanz und Motivation der Beschäftigten für permanente Umstrukturierungsprozesse aufrechtzuerhalten, wenn die Beschäftigten nicht stärker als bislang an den Entscheidungsbefugnissen, an den Entscheidungsabläufen beteiligt werden.

Wenn diese Beobachtungen richtig wären, käme ich zu der Schlußthese: Die Globalisierung fördert und beschleunigt den Drang nach stärkerer Beteiligung der Arbeitnehmer an betrieblichen Entscheidungsabläufen. Vorrangig geht es dabei in Ergänzung der vorhandenen Interessenvertretungsstrukturen um eine überzeugende Förderung der Beteiligungschancen des einzelnen. Und schließlich: Es gibt auf dem Feld der Partizipation einen gemeinsamen Interessenkorridor zwischen Unternehmen und Arbeitnehmern: Mehr Partizipation dient beiden und kommt beiden gleichermaßen zugute.

Ich habe mich zu Beginn des Diskussionsprozesses hier in der Ebert-Stiftung gefragt, ob der Versuch, einen Zusammenhang herzustellen zwischen Globalisierung auf der einen Seite und Mitbestimmung/Partizipation auf der anderen Seite, ob dies nicht allzu gekünstelt ist. Im Laufe der Gespräche hier in der Stiftung bin ich immer mehr zu dem Ergebnis gekommen, daß es dringlicher denn je ist, die Globalisierung, die wir in ihren Auswirkungen nicht verhindern, nicht blockieren wollen, sondern hinnehmen als einen ökonomischen Grundsachverhalt, zu thematisieren.

Die entscheidende Frage ist aus meiner Sicht, ob die Politik sich aus dem Globalisierungsprozeß abmeldet. Die nächstliegende Frage ist, ob Globalisierung ausschließlich zu einer weiträumigen Deregulierung gewachsener Arbeitsbeziehungen führen muß oder ob es gelingt, Globalisierung zu verbinden mit neuen politischen Gestaltungsansätzen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2000

Previous Page TOC Next Page