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Ruth Brandherm
Zusammenfassung


Die gesellschaftlichen und ökonomischen Umbruchprozesse und die Globalisierung der Wirtschaft stellen die bestehenden gesellschaftlichen Institutionen und Regularien vor neue Herausforderungen. Auch die Mitbestimmung, in den 70er Jahren weiterentwickelt und ausgebaut, kann davon nicht unberührt bleiben. Bisher fehlt jedoch eine Bilanz der Mitbestimmung und eine Diskussion über eine Neuausrichtung für die Zukunft. Kritiker warnen vor einem Immobilismus der Mitbestimmung und fürchten deren Bedeutungsverlust, wenn es nicht gelingt, sie an neue Anforderungen anzupassen.

In dem Positionspapier von Brandherm/Zuleger werden Überlegungen und Diskussionen einer Gruppe von Politikern und Gewerkschaften zu den Zukunftsaussichten der Mitbestimmung vorgestellt. Neben positiven Anzeichen für einen steigenden Bedarf und einen Bedeutungsgewinn der Mitbestimmung sehen die Autoren auch Gefährdungen für die institutionalisierte Mitbestimmung, die u.a. aus gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und unternehmerischen Strukturveränderungen resultieren. Die informationstechnisch gestützte Neustrukturierung von Unternehmen und Unternehmensverbünden, die noch immer geringe Interessenvertretung von Beschäftigten in Klein- und Mittelbetrieben und die zunehmende Erosion des Normalarbeitsverhältnisses markieren Einschnitte, die für die Interessenvertretung der Beschäftigten nicht ohne Folge bleiben werden. Auch im Kontext der Differenzierung von Lebenslagen und des Wertewandels in der Gesellschaft muß die Frage der Beteiligung und Mitbestimmung der Arbeitnehmer neu behandelt werden.

Eine zukunftsorierte Mitbestimmungsdiskussion muß verstärkt auf die Innovations- und Modernisierungsressourcen der Mitbestimmung hinweisen. Ansätze für eine Reformperspektive, die auf der Entwicklung eines neuen Leitbildes basieren, zielen sowohl auf rechtspolitische Modifizierungen und zeigen - basierend auf dem Entwurf des Zweigbüros der IG Metall Düsseldorf - Handlungserfordernisse auf verschiedenen Ebenen auf. Auch über eine größere Flexibilität der Mitbestimmung im Hinblick

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auf ihre konkrete betriebliche Anwendung sollte nachgedacht werden, wobei die wichtige Frage zu entscheiden wäre, welche Eckpunkte tarifdisponibel bzw. betriebsdisponibel ausgestaltet werden sollten. Unabdingbares Element einer Modernisierungs- und Reformperspektive ist eine Neujustierung des Verhältnisses von gesetzlichen Mitbestimmungsregelungen und Formen direkter Beteiligung.

Ottmar Schreiner vermißt, daß in den letzten Jahren keine offensiv zukunftsorientierte Gestaltungsdebatte mehr stattgefunden hat, sondern die Standort- und Kostendebatte im Vordergrund stand. Das Schlagwort „Globalisierung" stand vor allem für einen erhöhten Druck auf die Arbeits- und Lohnkosten und damit verbundenen für Tendenzen einer Verlagerung von arbeitsintensiven Fertigungsbereichen mit geringqualifizierten Anforderungsprofilen ins Ausland. Im Trend kommt es durch die Globalisierung zum Wegfall geringqualifizierter Arbeitsplätze und zu einem Bedeutungsgewinn höherqualifizierter Tätigkeiten. Schreiners These lautet, daß die Globalisierung die Beteiligung der Arbeitnehmer an betrieblichen Entscheidungsprozessen befördern könnte. Die dafür entscheidende politische Frage ist für ihn, ob Globalisierung ausschließlich zu einer weiträumigen Deregulierung gewachsener Arbeitsbeziehungen führen muß, oder ob es durch politisches Handeln gelingt, Globalisierung mit neuen politischen Gestaltungsansätzen zu verbinden.

Wolfgang Streck setzt sich in seinem Beitrag zu den industriellen Beziehungen in einer internationalisierten Wirtschaft sowohl kritisch mit der neoliberalen Sicht als auch mit sozialdemokratisch-gewerkschaftlichen Positionen zur Internationalisierung der Wirtschaft auseinander.

Gegen eine grundsätzlich optimistisch ausgerichtete sozialdemokratische Modernisierungsposition wendet er u.a. ein, daß sie die Tragweite der eingetretenen Veränderungen des weltwirtschaftlichen Umfeldes für nationale Politik herunterspiele, die Unentbehrlichkeit einer intakten sozialen Infrastruktur für die Profitabilität eines „shareholder value"-Kapitalismus überschätze und die Möglichkeiten internationaler Kooperation zur Verhinderung eines politischen und sozialen Systemwettbewerbes viel zu hoch veranschlage. Der verschärfte Wettbewerb auf den unterschiedlichen Märkten und die Möglichkeiten des Austritts des Kapitals aus nationalen Regelsystemen bezeichnen die wichtigsten Faktoren, die aus seiner Sicht

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einen Wandel der industriellen Beziehungen auf nationaler Ebene bestimmen.

Kritisch beurteilt Streck auch die These, daß der gestiegene Konsensbedarf moderner Produktionsweisen die Regulierungs- und Gestaltungsmacht der Beschäftigten und ihrer Interessenvertretung erhöht.

Streck hält fest, daß der verstärkte Wettbewerb auf den Weltmärkten die Fähigkeit aller national begrenzten Systeme industrieller Beziehungen beeinträchtigt hat, die Regulierung der Arbeitsverhältnisse in verschiedenen Branchen und Betrieben um der Durchsetzung sozialer Gleichheit und Solidarität willen zu vereinheitlichen. Er sieht geringe Aussichten für eine kompensierende Institutionenbildung auf supranationaler Ebene oder eine Harmonisierung der nationalen Systeme. Vielmehr befürchtet er, daß nationale Systeme einem Erosionsdruck ausgesetzt werden, der sie dazu zwingt, sich markt- und wettbewerbskonform umzustrukturieren (Liberalisierungsdynamik). Hoffnungen auf eine wirksame internationale Kooperation zwischen Gewerkschaften zur Eindämmung des Systemwettbewerbs erteilt er eine Absage. Die aus seiner Sicht viel wahrscheinlichere Alternative ist die Aufnahme der Gewerkschaften in nationale Modernisierungskoalitionen, in denen es darum geht, die heimischen Produktionsbedingungen für in- und ausländische Investoren attraktiv zu machen.

Als einen wichtigen Faktor im globalen Wettbewerb begreift Horst Föhr die Mitbestimmung. Er fragt, inwieweit Mitbestimmung die Unternehmen in der Bundesrepublik im Wettbewerb stärken kann und welchen Risiken das deutsche Mitbestimmungsmodell im globalen Wettbewerb ausgesetzt ist.

Auch im Bereich der Dienstleistungsmärkte wird der internationale Wettbewerb in Zukunft zunehmen. Im Vorfeld dramatischer Wandlungsprozesse in diesem Bereich ist die Marktorientierung die primäre unternehmerische Aufgabe. Die dafür notwendigen Fähigkeiten und Kompetenzen der Mitarbeiter können sich aus seiner Sicht nur in einer flexiblen, ständigem Wandel offenen Organisation zum Nutzen des Unternehmens entfalten. Der Mitbestimmungsgedanke ist seiner Ansicht nach nur dann exportierbar und auch für die Zukunft zu erhalten, wenn nachgewiesen werden kann, daß Mitbestimmung auch der Produktivitätssteigerung dient. Eine Interessenvertretungspolitik, die in erster Linie auf Bestandserhalt und Besitzstandswahrung zielt, verhindert notwendige Strukturanpassungen.

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Nach Ansicht von Föhr ist es möglich, Mitbestimmung als positiven Standortfaktor zu begreifen und dabei gleichzeitig legitime Arbeitnehmerinteressen zu berücksichtigen. Dies setze sowohl in Führungsetagen als auch bei der Interessenvertretung einen Umdenkungsprozess voraus. Elemente eines solchen neuen Produktivitäts- und Sozialpaktes könnten sein: Vermögensbeteiligung der Arbeitnehmer, Durchsetzung neuer Organisationsformen, neue Stile der Zusammenarbeit sowie betriebs- und wettbewerbsbezogene Arbeitszeit- und Entgeltstrukturen.

Im Bereich des Telekommunikationsmarktes, des zur Zeit am schnellsten wachsenden Marktes, werden derzeit weltweit strategische Allianzen geschmiedet, die sich einen harten Konkurrenzkampf um die Vormachtstellung auf den internationalen Märkten liefern. Diese strategischen Allianzen machen aus Sicht von Marita Stein neue Wege in der betrieblichen Interessenvertretung erforderlich.

Neben der politischen Begleitung des Telekommunikationsgesetzes muß die Wahrnehmung der Interessen der Beschäftigten über die nationalen Grenzen hinaus ausgebaut werden, um. zu verhindern, daß Belegschaften in unterschiedlichen Ländern gegeneinander ausgespielt werden können.. Die Einflußmöglichkeiten der nationalen Arbeitnehmervertretung stößt dort an Grenzen, wo Entscheidungen fernab in Konzernzentralen getroffen werden und den Mitwirkungsmöglichkeiten der jeweiligen betrieblichen Interessenvertretung weitgehend entzogen sind. Eine Zusammenführung von Informationen durch die Betriebsräte der Konzerne in verschiedenen Ländern und die Institutionalisierung einer internationalen Interessenvertretung sollte den veränderten Rahmenbedingungen aus gewerkschaftlicher Perspektive Rechnung tragen. Der inzwischen verabschiedete Gesetzesentwurf der Bundesregierung über die europäischen Betriebsräte löst die Ansprüche der Gewerkschaften aus Sicht von Marita Stein nur unzureichend ein. Die Deutsche Postgewerkschaft hat einen Entwurf für Vereinbarungen über Euro-Betriebsräte für die joint venture der Deutschen Telekom AG erarbeitet. Er sieht Regelungen vor, die ausgehend von den spezifischen Unternehmensstrukturen eine grenzüberschreitende Interessenvertretung für die Arbeitnehmer sicherstellen sollen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2000

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