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Renate Schöntag
Kleinbetriebe im Großunternehmen - Die Mühe mit den gesetzlichen Strukturen


[Seite der Druckausg.: 27 ]

Zunächst einige Informationen über das Unternehmen EUREST Deutschland GmbH. EUREST betreibt etwa 650 Betriebsrestaurants in Deutschland und beschäftigt dabei ca. 8.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die Betriebsrestaurants werden entweder im Mandantenvertrag oder als Pachtobjekte geführt. Der Unterschied in der Rechtsform hat auch Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen, da bei einem Pachtbetrieb Ertragsprobleme unmittelbar auf die Arbeitsbedingungen durchschlagen, während bei einem Mandantenvertrag alle anfallenden Kosten vom Auftraggeberbetrieb zu tragen sind. In dem zweiten Fall entscheiden sich die Arbeitsbedingungen im wesentlichen in jährlichen Budgetverhandlungen mit dem Auftraggeber.

Das Unternehmen EUREST Deutschland hat in den letzten Jahren mehrfach den Konzern gewechselt. Nachdem es zuletzt zur französischen Gastgewerbegruppe ACCOR gehört hatte, ist es heute Teil der britischen COMPASS-Gruppe, deren Schwerpunkt im Bereich der Betriebsrestauration liegt. COMPASS beschäftigt weltweit etwa 120.000 Leute.

Die rund 650 EUREST-Betriebe haben im Durchschnitt 12,5 Beschäftigte. Fast 400 Betriebe liegen unter elf Beschäftigten, wären also von einer Einschränkung des Kündigungsschutzgesetzes unmittelbar betroffen.

Das Unternehmen hat, wie auch andere Catering-Unternehmen, eine Phase rasanten Wachstums hinter sich und expandiert weiter. Seit Beginn meiner Beschäftigung bei EUREST 1981 hat sich die Beschäftigtenzahl mehr als versechsfacht.

70% der Beschäftigen sind Frauen, überwiegend solche, die nach der Familienphase wieder in den Beruf eingestiegen sind und keine gastronomischen Fachkräfte sind. Die Fachkräfte sind zu einem großen Teil Köchinnen und Köche.

Beide Personengruppen sind nicht gerade durch starke gewerkschaftliche Traditionen geprägt. Speziell die Fachkräfte aus dem Hotel- und Gast-

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stättengewerbe haben in ihrer vorherigen Berufslaufbahn oft keinerlei Kontakt mit der Gewerkschaft gehabt und in vielen Fällen noch nie in einem Betrieb mit einem Betriebsrat gearbeitet. Sie sind auch aus einem weiteren Grund nur schwer zu gewinnen, weil bei der relativ geringen Anzahl der Fachkräfte und der schnellen Expansion des Unternehmens für viele die Hoffnung besteht, irgendwann einmal Küchen- oder Betriebsleiter zu werden. Um sich diese Perspektive nicht zu verbauen, scheuen viele das gewerkschaftliche Engagement.

Aus dieser Situation ergibt sich das Problem, daß in vielen der kleinen Kantinenbetriebe nicht ein einziges Gewerkschaftsmitglied zu finden ist, damit die gesetzliche Voraussetzung, „im Betrieb vertretene Gewerkschaft" zu sein und damit das Recht zur Einleitung der Betriebsratswahl zu haben, für NGG nicht gegeben ist.

Die erste Betriebsratswahl bei EUREST erfolgte 1982 am Frankfurter Flughafen in einem Betrieb, der schon damals rund 100 Beschäftigte hatte. Die von dort ausgehenden Versuche, in weiteren, durchweg viel kleineren Betrieben Betriebsratswahlen zu betreiben, blieben nach kurzer Zeit stecken. Dabei muß man als Problem sehen, daß für die Hauptamtlichen der Gewerkschaft NGG die Vielzahl der Kleinbetriebe mit ihren aufwendigen Betriebsratswahlen kaum zu bewältigen ist. Allein in der Verwaltungsstelle der NGG in Frankfurt gibt es rund 80 Betriebsstätten von EUREST.

1982/1983 kam es zu einem öffentlich ausgetragenen Konflikt zwischen der Gewerkschaft NGG und EUREST, wobei NGG EUREST vorgeworfen hat, die Bildung von Betriebsräten zu torpedieren. Berichte über diesen Konflikt unter anderem in der Metall-Zeitung und der damals noch existierenden „Welt der Arbeit" haben sich in der Folge für EUREST als außerordentlich hinderlich erwiesen, neue Verträge abzuschließen. Bedeutsam ist dabei, daß die Betriebsräte der Auftraggeberunternehmen ein volles Mitbestimmungsrecht beim Betrieb von Kantinen haben und daß das Mitbestimmungsrecht auch die Frage einschließt, ob eine Kantine an ein Catering-Unternehmen und vor allem an welches Catering-Unternehmen vergeben wird. Die öffentliche Auseinandersetzung hat EUREST damals bewogen, sich auf Verhandlungen mit der Gewerkschaft NGG über einen Tarifvertrag zur Regelung der Betriebsratswahl und der Arbeit des Gesamtbetriebsrats einzulassen.

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Dieser Tarifvertrag regelt an allererster Stelle das gesetzlich nicht vorgesehene Initiativrecht des Gesamtbetriebsrats für die Bildung von neuen Betriebsräten und in diesem Zusammenhang das jederzeitige Zugangsrecht von Vertretern des Gesamtbetriebsrats in betriebsratslose Betriebe.

Weiterhin wurde in diesem Tarifvertrag das Wahlverfahren erheblich vereinfacht, so daß die Wahldauer auf drei Wochen verkürzt werden konnte. Dieser Fristverkürzung kommt wesentliche Bedeutung zu, weil damit der Zeitraum verringert wird, in dem betriebsratsfeindliche leitende Angestellte Druck auf Beschäftigte ausüben können, um sie dazu zu bringen, von ihrem Vorhaben der Betriebsratswahl abzulassen.

Ein weiterer wesentlicher Punkt des Tarifvertrages war die Vereinbarung der Freistellung von einem GBR-Mitglied mit der Option der Erhöhung der Freistellung auf zwei. Bei einer Arbeitnehmerzahl von damals schon weit über 1.000 ist die Freistellung eines Betriebsratsmitglieds sicher wenig. Andererseits war der größte Betrieb nur gut 100 Beschäftigte groß, so daß die gesetzlichen Regelungen keinerlei Grundlage für irgendeine generelle Freistellung ergaben. Die Freistellung hat sich in der Folgezeit als eine wesentliche Frage dafür herausgestellt, daß tatsächlich in weiteren Betrieben Betriebsratswahlen eingeleitet werden konnten.

In Verbindung mit dem Tarifvertrag über die Betriebsratswahl ist ein Tarifvertrag über den Gesamtbetriebsrat gebildet worden. In diesem Tarifvertrag ist die Größe des Gesamtbetriebsrats auf neun GBR-Mitglieder beschränkt worden (inzwischen auf elf erweitert). Die Anzahl der GBR-Sitzungen wurde auf grundsätzlich vier pro Jahr beschränkt.

Diese Regeln kann man gewissermaßen als Preis für die verbesserten Möglichkeiten der Betriebsratswahl ansehen, wobei sich in der Praxis herausgestellt hat, daß die vereinbarten Regeln die Handlungsfähigkeit des Gesamtbetriebsrats nicht beeinträchtigen, da der fünfköpfige Gesamtbetriebsratsausschuß einmal pro Monat tagt und darüber hinaus die gesetzlich vorgesehenen Betriebsratskonferenzen nicht nur einmal pro Jahr, wie üblich, sondern mindestens zweimal pro Jahr durchgeführt werden. Die Kommunikation zwischen den Betriebsräten ist damit gewährleistet.

Eine Schwierigkeit besteht darin, daß der Tarifvertrag über die Betriebsratswahl nach dem BetrVG der Genehmigung des Bundesarbeitsministeriums bedarf und eine solche Genehmigung nicht erteilt worden ist. Es hat

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sich jedoch gezeigt, daß die gefundenen Regeln einen tragfähigen Kompromiß darstellen, so daß die Frage der Genehmigungspflicht sich bis heute nicht als reales Problem ausgewirkt hat. In seinen Grundstrukturen hält dieser Tarif seit zwölf Jahren. Darüber hinaus ist er fast in gleicher Form für das Unternehmen ARAMARK abgeschlossen worden. ARAMARK ist nach dem Marktführer EUREST der zweite auf dem Catering-Markt in Deutschland.

Für den Betriebsrat bei EUREST hat sich ein Beschluß des NGG-Gewerkschaftstages 1986 als wesentlich herausgestellt. Danach werden Betriebsräte aufgefordert, bei der Ausübung ihrer Mitbestimmungsrechte über die Kantinenbewirtschaftung nur solche Catering-Unternehmen zu akzeptieren, die nicht nur tarifgebunden sind, sondern auch Regelungen haben, die die Durchführung von Betriebsratswahlen gewährleisten. EUREST war das erste Unternehmen, das diesen Bedingungen entsprochen hat. Wir sind sehr dankbar dafür, daß in der Praxis viele Betriebsräte der Auftraggeber sich an diesem Appell orientieren und in der Tat vor Auftragsvergabe nach den Arbeitsbedingungen bei dem jeweiligen Caterer fragen. Diesem Punkt kommt eine zentrale Bedeutung zu, weil Mitbestimmung, weil menschenwürdige Arbeitsbedingungen natürlich Geld kosten, damit potentiell für das Unternehmen einen Konkurrenznachteil bedeuten können. Dabei muß man wissen, daß sich auf dem Markt viele Unternehmen tummeln, die in ausgesprochen rüder Weise mit ihren Beschäftigen umgehen, die nicht nur keine Vereinbarungen über das Gesetz hinaus abschließen, sondern in vielfacher Form Gesetze und Tarifverträge brechen.

Für uns als EUREST-Betriebsräte ist es daher auch von außerordentlicher Bedeutung, den Kontakt zu den Betriebsräten der Auftraggeber zu pflegen. Dies funktioniert in den allermeisten Fällen sehr gut.

Beim Abschluß des Tarifvertrages über die Betriebsratswahlen 1984 bestand die Hoffnung, innerhalb einer relativ kurzen Zeit zu einer weitgehend flächendeckenden Ausstattung mit Betriebsräten zu kommen. Diese Hoffnung hat getrogen. Heute gibt es in über 50 Betrieben Betriebsräte, wobei die Bildung neuer Betriebsräte erst in den letzten Jahren Fahrt gewonnen hat.

Ein weiterer wesentlicher Einschnitt war für das Unternehmen die Überschreitung der Zahl von 2.000 Beschäftigten im Jahre 1987. Damals wurden die Wahlen zur Bildung eines Aufsichtsrats nach dem Mitbestim-

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mungsgesetz eingeleitet. Für die Betriebsräte, die für die Bildung von Wahlvorständen verantwortlich waren, bestand das Problem, daß in den damals rund 180 Betriebsstätten nur in zwölf ein Betriebsrat existierte. Bei der Anwendung der 3. Wahlordnung kam als Problem weiterhin hinzu, daß in den zwei Tochterunternehmen keine Betriebsräte existierten. Wir standen also vor der Frage, auf eine Wahl völlig zu verzichten und den Weg der gerichtlichen Bestellung zu beschreiten oder unter fantasievoller Anwendung der 3. Wahlordnung auf andere Art und Weise ein demokratisches Wahlverfahren zu gewährleisten. Wir haben uns für den zweiten Weg entschieden und unsere Wahlregelungen damals die „4. Wahlordnung" genannt. Das Grundprinzip bestand darin, daß die gesamte Wahl nur durch einen Wahlvorstand zentral organisiert worden ist. Alle Wahlhandlungen in den Betrieben sind von diesem zentralen Haupt- und Unternehmenswahlvorstand durch Briefwahl durchgeführt worden. Es hat sich gezeigt, daß ein bei richtigem Verständnis der 3. Wahlordnung gesetzeskonformes Wahlverfahren gewährleistet werden konnte und daß damit ein erhebliches Stück an demokratischer Kultur des Unternehmens entwickelt wurde. Nach der „4. Wahlordnung" ist inzwischen ein zweites Mal gewählt worden. Auch bei dem zweiten auf dem Catering-Markt, bei ARAMARK, erfolgt die Aufsichtsratswahl nach dieser „4. Wahlordnung".

Bewertet man die Entwicklung, so kann man festhalten:

Die Vereinbarungen über die Betriebsratswahl sind in vielen Betrieben die Voraussetzung dafür, daß überhaupt ein Betriebsrat zustande kommt.

Die bestehenden Betriebsräte und der Gesamtbetriebsrat haben in ihren ständigen Verhandlungen das Klima im Unternehmen positiv verändert. Als Hintergrund muß man dabei wissen, daß wahrscheinlich in kaum einem anderen Bereich die Menschenwürde von Beschäftigten so oft verletzt wird, wie in den Küchen der Hotels und Restaurants. Aus diesen Betrieben und aus dieser Kultur heraus rekrutiert ein Unternehmen wie EUREST einen Großteil seiner Fachkräfte. Die Auseinandersetzung um eine menschenwürdige Behandlung ist darum eine ständige Aufgabe, wobei es gemeinsame Interessen der Betriebsräte mit der Geschäftsleitung gibt, die oft jedoch gegen untere Führungskräfte erst durchgesetzt werden müssen. Dem umfangreichen Schulungsprogramm von EUREST kommt in diesem Zusammenhang erhebliche Bedeutung zu.

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Die Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat hat sich als wichtige Schnittstelle zwischen den Betriebsräten und der Unternehmensleitung bzw. den Anteilseignervertretern erwiesen. Sie macht die Kommunikation einfacher und erleichtert es, viele Tagesprobleme auch zwischendurch zu lösen.

Darüber hinaus hat die Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat die Frage der Personalfluktuation und deren wirtschaftlichen Auswirkungen von Anfang an zu einem zentralen Thema gemacht. Dies hat dazu geführt, daß bei EUREST seit vielen Jahren eine systematische Antifluktuationspolitik betrieben wird, die inzwischen zu einem Fluktuationswert von über alles 19% geführt hat, der für das Gastgewerbe sensationell niedrig ist. In Betrieben des Hotel- und Gaststättengewerbes sind Fluktuationsquoten von 70 bis 120% keine Seltenheit. Und Fluktuation hat viel damit zu tun, wie es den Menschen geht, wie sie behandelt und geachtet werden.

Der Aufbau und die Handlungsfähigkeit der Betriebsratsstrukturen bei EUREST und ARAMARK als den größten Unternehmen auf dem Markt hat dazu beigetragen, die Tarifverhandlungen wesentlich zu verändern. Während es bisher mangels betrieblicher Organisation eher „Tarifbettelei" war, können wir heute sehr viel selbstbewußter auftreten. Für EUREST haben wir darüber hinaus einen ganz wichtigen Entgelt-Haustarif durchsetzen können.

Nicht unerwähnt lassen möchte ich das umfangreiche Ausbildungsprogramm bei EUREST, in dem insbesondere Frauen nach dem Wiedereinstieg in das Berufsleben eine vertiefte Qualifikation vermittelt wird.

Wir haben bei EUREST wahrlich keine paradiesischen Zustände. Aber wir können vergleichen, wie es anderswo aussieht. Wenn dies heute so ist, so liegt dies meiner Meinung nach nicht zuletzt daran, daß wir bei EUREST Wege gefunden haben, wie man fantasievoll mit dem BetrVG und dem Mitbestimmungsgesetz umgeht, um Strukturen zu schaffen, in denen unter schwierigen Bedingungen tatsächlich Interessenvertretung stattfinden kann. Dies beinhaltet eine kooperative Zusammenarbeit zwischen Betriebsräten, Gesamtbetriebsrat und Unternehmensleitung, unter sorgfältiger Wahrung der jeweiligen Interessen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2000

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