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TEILDOKUMENT:


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Susanne Kürpick
Integrierte Erneuerungsansätze in Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf * - ein Lern- und Spannungsfeld aus nordrhein-westfälischer Sicht
[* = Die Bezeichnung „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf" ist eine NRW-spezifische Bezeichnung, die entgegen einer weiteren Stigmatisierung der Stadtteile eine eher positive Konnotation hervorrufen soll. Als Synonyme werden in der Fachliteratur auch Begriffe verwand wie: benachteiligte Stadtteile, soziale Brennpunkte, Stadtteile mit besonderer Entwicklungspriorität.]


Einleitung

Aus den in zahlreichen Städten erkennbaren Tendenzen einer zunehmenden sozialräumlichen Konzentration von Armut, einer innerstädtischen Polarisierung vor allem hinsichtlich der Einkommensstrukturen und einer daraus resultierenden räumlichen und sozialen Benachteiligung einzelner Bevölkerungsgruppen leitet sich immer häufiger die Forderung nach kleinräumigen, integrierten Erneuerungsstrategien ab. Im gesamtstädtischen Kontext kristallisieren sich verstärkt Stadtteile oder auch einzelne Quartiere heraus, die in der Regel einer sozialen, ökonomischen, baulichen und infrastrukturellen Erneuerung bedürfen, wobei sicher der Schwerpunkt der Erneuerung auf die soziale und ökonomische Komponente zu legen ist. Dabei sind die Ursachen für eine sozialräumliche Benachteiligung einzelner städtischer Gebiete sehr vielfältig. Sie wurden bereits in zahlreichen Studien und Begleitforschungen [Fn.2: Beispielsweise in: Froessler 1994; Alisch/Dangschat 1998; Hanesch 1997.] skizziert und liegen in der Regel den aktuellen Diskussionen über Erneuerungsstrategien und Handlungsansätze zugrunde.

Der vorliegende Beitrag konzentriert sich daher weniger auf die Ursachen sozialräumlicher Benachteiligung als auf die Ebene der Problemwahrnehmung und des sich daraus ableitenden Politik- und Strategieverständnisses bezogen auf die Erneuerung benachteiligter Stadtteile. Es geht damit vor allem um die Umsetzungs- und Handlungsebenen, auf denen den Ursachen

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und den daraus resultierenden Problemen zu begegnen ist. [Fn.3: Siehe auch den Kommentar von Ralf Zimmer-Hegmann zum Beitrag von Ton van der Pennen in diesem Heft.]
Es wird zunehmend deutlich, daß die Diskussionen über Handlungsnotwendigkeiten sowie konkrete Politik- und Erneuerungsansätze benachteiligter Stadtteile aktueller, aber auch dringender denn je zuvor sind.

Erneuerungsstrategien lassen sich nicht einmalig entwickeln und dann allgemeingültig anwenden. Von daher kann es keine Pauschallösungen geben, sondern es bedarf vielmehr individueller, aus den jeweiligen Rahmenbedingungen ausgerichteter Konzepte. Gleichwohl ermöglichen es die bisherigen Handlungsansätze und die daraus resultierenden Erfahrungen, grundsätzliche Rückschlüsse abzuleiten. Diese sind selbstverständlich in Abhängigkeit der jeweiligen Gebiete, Politiken und Strukturen anzuwenden. Es gilt daher vor dem Hintergrund der spezifischen regionalen und lokalen Bedingungen, Erneuerungsstrategien für und vor allem mit den betroffenen Stadtteilen und ihren Akteuren zu entwickeln.

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Von einer veränderten Problemwahrnehmung zum neuen Politikverständnis

Das Verständnis, daß es insbesondere einer sozialen und wirtschaftlichen Stabilisierung der Stadtteile sowie einer präventiven Strategie für diese Stadtteile bedarf, um langfristig eine Ausgrenzung bestimmter Gebiete aus den gesamtstädtischen Entwicklungen zu verhindern, ist grundsätzlich nicht mehr neu, sondern existiert in einigen fachlichen Bereichen bereits als Grundverständnis. Viele Diskussionen sind geprägt durch konkrete praktische Erfahrungen, die aus Handlungsansätzen im Rahmen von Programmen auf EU- und Länderebene sowie einzelner gesamtstädtischer oder stadtteilbezogener Konzepte resultieren. [Fn.4: Auf EU-Ebene handelt es sich z.B. um Erfahrungen aus der Gemeinschaftsinitiative URBAN sowie aus nationalstaatlichen Programmen Frankreichs, den Niederlanden oder Großbritannien. In Deutschland setzten in den späten achtziger und in den neunziger Jahren insbesondere Hamburg (Armutsbekämpfungsprogramm), Berlin (Konturen einer sozialorientierten Stadtentwicklung) und Nordrhein-Westfalen (Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf) Programme oder Konzepte zur sozialen Stabilisierung benachteiligter Stadtteile um (Alisch 1998)]

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Neu scheint allerdings, daß dieses Thema vor dem Hintergrund eines immer breiter angelegten Fachinteresses diskutiert wird und die Zahl der Beteiligten stetig zunimmt. Es zeigt sich in den unterschiedlichsten Fachbereichen von Politik, Verwaltung, Wissenschaft, aber auch bei den Stadtteilakteuren eine veränderte Wahrnehmung der Problem- und Ressourcenvielfalt der Stadtteile und damit auch eine Sensibilisierung gegenüber den Auswirkungen sozialräumlicher Spaltungstendenzen. Diese veränderte Wahrnehmung und erhöhte Sensibilität hat unterschiedliche Gründe: Einerseits resultiert dies daraus, daß die Alltagsrealitäten benachteiligter Stadtteile mittels zum Teil vorliegender kleinräumiger Erhebungen sozio-ökonomischer Indikatoren (Arbeitslosenzahlen, Anteil Sozialhilfeempfänger, Anteil Alleinerziehende, alte Menschen, Nicht-Deutsche, Kinder/Jugendliche, Obdachlosenzahlen etc.) immer deutlicher zum Ausdruck kommen. [Fn.5: Leider kommt das Instrument der kleinräumigen Erhebung (Monitoring etc.) in den Kommunen dennoch zu wenig zur Anwendung.]
Hieraus lassen sich unter anderem auch die gebietstypischen städtebaulichen und sozialen Charakteristika z.B. innenstadtnaher Altbauquartiere, altindustrieller Arbeiterquartiere oder am Stadtrand gelegener Großsiedlungen der sechziger/siebziger Jahre ableiten. Hinzu kommt, daß sich das Alltagsgeschehen dieser Stadtteile häufig auch in den kommunalen und landesweiten Statistiken hinsichtlich Kriminalität, Fort- und Zuzüge, Anzahl der öffentlich geförderten und privat finanzierten Wohnungen, Belegungsbindungen etc. widerspiegelt und damit eine Handlungsnotwendigkeit unterstrichen wird.

Darüber hinaus tragen gerade auch öffentlichkeitswirksame Diskussionen (Medien, Wissenschaft, Politik) zu einer Bewußtseinsveränderung bei. Die dadurch hervorgerufene Wahrnehmung kann je nach Art der Darstellung und Betrachtungsweise sowohl positiv als auch negativ ausfallen. In diesem Zusammenhang spielt vor allem die Medienberichterstattung eine wesentliche Rolle. Leider überwiegt dort bisher in vielen Fällen die Negativberichterstattung, so daß es zu einer zusätzlichen Stigmatisierung der Stadtteile kommt. Die folgenden Beispiele stellen sicherlich nur einen kleinen Ausschnitt dar.

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Stadtteile unter dem Einfluß der Medienberichterstattung:

  • „Faustschläge in Deutsch-Rio - im Stuttgarter Problemviertel Raitelsberg gibt es viele hartgesottene Kids, eine grüne Wunderinsel und einen Sozialarbeiter, der sich abmüht" (die tageszeitung, 3. Juli 1998)

  • „Sozialer Brennpunkt Berlin: Sprengstoff anstelle von Politik? - Bis es einmal richtig kracht" (Süddeutsche Zeitung Nr. 62, 16. März 1998)

  • „Viele Nachbarschaften in Siedlungen sind überfordert" - Studie warnt vor wachsenden Spannungen vor allem im Westen/Kurswechsel in der Wohnungspolitik soll Probleme lösen: :(Frankfurter Rundschau, 9. Juli 1998)

Das Image bzw. die Außenwahrnehmung der oft ohnehin aus dem gesamtstädtischen Kontext ausgegrenzten Stadtteile, aber auch die Identifikation der Bewohner/innen mit ihrem Stadtteil verändert sich aufgrund solcher Darstellungen zuungunsten der Stadtteile. Die Reaktionen der dortigen Bewohner/innen oder Akteure ist allerdings auch sehr unterschiedlich. Während sich einige Bewohner/innen in solchen Schlagzeilen bestätigt fühlen, sich somit zunehmend von ihrem Stadtteil distanzieren und damit auch ihr persönliches Engagement für den Stadtteil sinkt, identifizieren sich andere erst gar nicht mit diesen Schlagzeilen und sind bemüht, die positiven Seiten des Stadtteils herauszustellen.

Ohnehin wird immer wieder deutlich, daß die negativen Charakteristika der Stadtteile in der Außenwahrnehmung dominieren, dagegen aber die vorhandenen Potentiale und lokalen finanziellen und personellen Ressourcen der Stadtteile nur untergeordnet dargestellt und wahrgenommen werden. Dabei sind einzelne Bestandteile des Lebensraums, die sozialen Milieus und Strukturen sowie die Zusammensetzung der Bewohnerschaft in vielen Stadtteilen durchaus wichtige Potentiale und bilden die grundlegenden Elemente für kleinräumige, sozio-ökonomische Erneuerungsstrategien. Häufig lassen sich diese Potentiale an Indikatoren festmachen wie z.B. langjährige Aktivitäten von Vereinen, Schulen, Kirchen, freien Trägern, persönlichem Engagement einzelner Personen, wirtschaftliche Ressourcen in Form von Unternehmen oder kapitalkräftigen Immobilienbesitzern, Flächenpotentiale (industrielle oder gewerbliche Brachflächen, Baulücken etc.), infrastrukturelle Ausstattung (Bürgerhaus, Theater, Büchereien/Bibliotheken). Häufig sind die vorhandenen Potentiale selbst den Bewohner/innen oder lokalen Akteuren kaum bekannt und werden daher auch nur begrenzt genutzt.

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Die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ist eine Seite, die situations- und bedarfsgerechte Reaktion auf die Probleme sowie der Umgang mit den vorhandenen Potentialen ist eine andere Seite. Daß dies in Anbetracht der Aufgabenkomplexität in den Stadtteilen nicht einfach zu bewältigen ist und nur mittels eines veränderten Politikverständnisses funktionieren kann, scheint inzwischen vielen Beteiligten deutlich geworden zu sein. Die Tatsache, daß die herkömmlichen Planungs- und Erneuerungsinstrumente dem komplexen Problemgefüge und den damit verbundenen Aufgaben nicht mehr gerecht werden und Stadtentwicklungspolitik vor neuen Aufgaben und Herausforderungen steht (Kürpick/Zimmer-Hegmann 1997), bedarf kaum noch neuer Herleitungen und Begründungen. In diesem Zusammenhang wird immer deutlicher, daß integrierte Stadtteil-/Quartierserneuerung neben einem veränderten Politikverständnis auch eine neue Stadtentwicklungskultur erfordert. Diese ist im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes mehrdimensional, handlungsfelderübergreifend und damit auch ressortübergreifend auszurichten. Es geht vor allem um die Verknüpfung zentraler Handlungsfelder wie Städtebau, Sozial-, Arbeitsmarkt-, Kultur-, Gesundheitspolitik, Integration/ Zusammenleben, lokale Ökonomie, Schule/Bildung, Sport und Freizeit etc. im Rahmen von stadtteilbezogenen Gesamtkonzepten oder auch innerhalb einzelner Projekte.

Ein verändertes Politikverständnis zeichnet sich inzwischen in unterschiedlichem Maße auf allen Ebenen ab. Neben den Kommunen und den Ländern wird nun auch seitens der Bundesregierung die Handlungsnotwendigkeit für eine nationale Strategie für insbesondere sozial und wirtschaftlich benachteiligte Stadtteile gesehen. Während die Umsetzung nationaler Armutspolitiken in Verbindung mit integrierten, quartiersbezogenen Konzepten in den Nachbarländern Frankreich, Niederlande und Großbritannien bereits seit Jahren eine zentrale Rolle spielen, gibt es in Deutschland bisher „weder eine nationale Armutspolitik noch eine Politik, die explizit auf sozial und ökonomisch benachteiligte Quartiere abzielt" (Alisch 1998). Waren in den vergangenen Jahren nur vereinzelte, punktuelle Ansätze stadtteilbezogener, sozialorientierter Erneuerungsansätze in Deutschland erkennbar, so zeigt sich inzwischen bundesweit eine Art „Aufbruchstimmung" bzw. eine Weiterentwicklung der bisherigen Konzepte und Programme. Forciert wird dies einerseits durch die zunehmende Erkenntnis, daß die betroffenen Stadtteile und die dortigen Bewohner/innen nicht sich selbst überlassen werden können und staatliche Subventionen für gezielte Projekte somit in gewissem Maße unabdingbar sind.

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Zudem resultieren einige neue Aktivitäten in den Ländern oder einzelnen Städten indirekt aus der Koalitionsvereinbarung [Fn.6: Koalitionsvereinbarung zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Aufbruch und Erneuerung - Deutschlands Weg ins 21. Jahrhundert, Bonn 20. Oktober 1998.] der rot-grünen Bundesregierung. Das innerhalb des Koalitionsvertrages manifestierte Programm „Stadtteile mit besonderer Entwicklungspriorität - die Soziale Stadt" ist durchaus als Zeichen politischer Weichenstellung zu sehen. Inwieweit die von der Bundesregierung im Rahmen der Städtebauförderung bereitgestellten Mittel (100 Mio. DM) tatsächlich in den Stadtteilen greifen und sich nicht als „Tropfen auf den heißen Stein" entpuppen, bleibt abzuwarten. Klar ist inzwischen, daß es sich nicht um zusätzliche Mittel handelt, sondern daß die Umschichtung aus Mitteln der Bundeswohnungsbauförderung zunächst nur eine veränderte Prioritätensetzung bedeutet, die aber sicher nicht allen Interessen gerecht wird. Nun obliegt es den Ländern und Kommunen, gemäß ihrer auch eigens verfügbaren Ressourcen und bestehenden Rahmenbedingungen mittel- bis langfristige Erneuerungsstrategien zu entwickeln und konkrete Konzepte bzw. Programme umzusetzen. Dabei darf allerdings nicht außer acht bleiben, daß es sich nicht um reine Top-down-Ansätze handeln darf, sondern eine Verknüpfung mit Bottom-up-Ansätzen erforderlich ist, um auch langfristig tragfähige Strukturen schaffen zu können.

Die in Deutschland bereits bestehenden sozialräumlichen Ansätze in Form von Konzepten oder Programmen bieten bereits gute Grundlagen, um sowohl positive als auch negative Erfahrungen abzuleiten. Hier sind vor allem die in Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Berlin und Bremen langjährigen Erfahrungen im Rahmen bestehender Ansätze von Bedeutung. [Fn.7: Siehe Fußnote 4.]

Das in Nordrhein-Westfalen 1993 initiierte integrierte Handlungsprogramm der Landesregierung Nordrhein-Westfalen für Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf bietet als Programm eines Flächenstaats eine Vielzahl von Anknüpfungspunkten und konkreten Erfahrungen hinsichtlich stadtteilbezogener Ansätze in benachteiligten Stadtteilen. Im folgenden werden einige zentrale Erkenntnisse dargestellt. [Fn.8: Das Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen (ILS) ist seit 1994 seitens der Landesregierung mit der wissenschaftlichen Begleitung des Handlungsprogramms für Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf beauftragt.]

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Das integrierte Handlungsprogramm für Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf des Landes Nordrhein-Westfalen - Umsetzungsstand und Erkenntnisse

Rahmenbedingungen

Der industrielle Wandel an Rhein und Ruhr aufgrund wegbrechender Industrien (Zechen, Stahlwerke, chemische Industrie, Textilindustrie etc.), eine damit einhergehende zunehmende Konzentration von Arbeitslosigkeit und Armut und ein ebenfalls daraus resultierender baulicher und sozialer Verfall vieler Gebiete waren 1993 der Auslöser, Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf zu einem herausgehobenen Handlungsschwerpunkt der Förderpolitik Nordrhein-Westfalens zu machen [Fn.9: Grundlage bilden mehrere Kabinettsbeschlüsse (14.5.1993, 19.10.1993, 6.9.1994).]
Im Rahmen des Kabinettbeschlusses vom 6.9.1994 wurde unter anderem folgendes beschlossen: „Die Umsetzung integrierter Handlungskonzepte für Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf hat für alle berührten Förderbereiche des Landes besondere Priorität. Vorhandene Förderinstrumentarien und -modalitäten sind bezogen auf diese Stadtteile deutlich zu flexibilisieren, um gezielt, koordiniert und schnell wirksam Situationsverbesserungen zu erreichen. [Fn.10: vgl. Ministerium für Stadtentwicklung, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen, Abteilung Stadtentwicklung, Sachstandsbericht vom 12. November 1997, S. 1.]

Konkret bedeutet dies, daß im Rahmen des Handlungsprogramms im wesentlichen keine neuen Fördertöpfe geschaffen werden, sondern die bereits vorhandenen Ressourcen zielgerichtet und gebündelt auf die spezifischen Probleme und Bedürfnisse eines Stadtteils konzentriert werden sollen. Das in der Federführung des heutigen Ministeriums für Arbeit, Soziales und Stadtentwicklung, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen [Fn.11: Konkret liegt die Federführung bei der Abteilung Stadtentwicklung, die für die ressortübergreifende Koordinierung und Abstimmung sowie die Abstimmung mit den beteiligten Kommunen zuständig ist.] liegende Programm sieht die Beteiligung aller fachlich relevanten Ministerien vor.

Das Programm zielt vor allem auf zwei Gebietstypen ab, wobei es sich bei einigen Stadtteilen auch um Mischgebiete handelt:

  • altindustrielle hochverdichtete Innenstadt- oder Innenstadtrandlagen, meist Altbaugebiete mit einem hohen Anteil gründerzeitlicher Gebäude

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    (z.B. Duisburg-Bruckhausen, Duisburg-MarxIoh, Dortmund-Nordstadt, Gladbeck-Butendorf, Gelsenkirchen-Bismarck, Köln-Kalk u.a.)

  • hochverdichtete Wohnsiedlungen der sechziger/siebziger Jahre, meist in Stadtrandlage (z.B. Köln-Chorweiler, Dortmund-Scharnhorst-Ost, Detmold-Hakedahl u.a.). [Fn.12: Vgl. Ministerium für Arbeit, Soziales und Stadtentwicklung, Kultur und Sport des Landes NRW, 1998.]

Derzeit sind 28 Stadtteile aus 22 Kommunen an dem Handlungsprogramm der Landesregierung beteiligt. Die Aufnahme weiterer Stadtteile ist unter bestimmten Voraussetzungen durchaus möglich. Gleichwohl werden bei der Beurteilung neuer Anträge durch die Kommunen aus Sicht der Landesregierung zunehmend engere Maßstäbe angelegt, dies zum einen in qualitativer Hinsicht bezogen auf integrierte, bedarfsorientierte Stadt(teil-)erneuerungsansätze; zum anderen ergeben sich engere Maßstäbe auch vor dem Hintergrund begrenzter bzw. schrumpfender Fördermittel sowie aus Gründen der auch zukünftig noch handhabbaren Koordinier- und Umsetzbarkeit des Programms auf der Landesebene.

Die Kommunen sind aufgefordert, ausgehend von den stadtteilspezifischen Problemen und Potentialen gemeinsam mit den bereits vor Ort tätigen Akteuren, integrierte Handlungskonzepte zu entwickeln und deren Umsetzung zu gewährleisten. Voraussetzung für einen Antrag beim Land Nordrhein-Westfalen ist ein Ratsbeschluß innerhalb der jeweiligen Kommune. Dabei wird aus Sicht des Landes der politischen Akzeptanz des jeweiligen kommunalen Handlungskonzeptes durch die Kommunalpolitik eine hohe Bedeutung beigemessen, um einerseits eine Grundlage für eine ressort-/ämterübergreifende Politik wie auch andererseits die finanzielle Beteiligung in Form von Komplementärfinanzierungen voraussetzen zu können.

Ziele, Ansprüche und Wirklichkeit- in der Praxis häufig ein Konfliktfeld?

Das globale Ziel des integrierten Handlungsprogramms der Landesregierung NRW ist - gemäß der Problemlagen in den Stadtteilen - klar zu formulieren:

Es handelt sich um ein Präventivkonzept zur sozialen Stabilisierung und Integration in benachteiligten Stadtteilen (Kürpick/Zimmer-Hegmann 1997). Damit verbunden sind weitere Ziele, die ebenfalls eher übergeordneten Charakter haben:

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Ziele:

  • Wahrnehmung, Aktivierung und Einbindung der im Stadtteil vorhandenen endogenen Potentiale

  • Loslösung von den rein zielgruppenspezifischen Ansätzen und Verknüpfung mit gebietsbezogenen Ansätzen

  • Optimierung vorhandener Planungs- und sozialpolitischer Instrumente

  • Bündelung finanzieller Ressourcen, insbesondere vor dem Hintergrund knapper Kassen

  • Wandel von der sektoralen zur ressortübergreifenden Stadtentwicklungspolitik

  • Loslösung von eindimensionalen Ansätzen und damit Umsetzung ganzheitlicher Erneuerungsstrategien bzw. Stadtteilkonzepte

  • Initiierung integrierter Mehrzielprojekte und daraus hervorgehender Synergieeffekte

  • Entwicklung neuer Kooperations- und Organisationsstrukturen

  • Vernetzung von Akteuren sowohl horizontal als auch vertikal

  • Schaffung problem- und bedarfsorientierter Förderstrukturen, Flexibilisierung der Förderstrukturen

  • Konzeption langfristiger Strategien, Initiierung sich selbst tragender Strukturen

Mit diesen Zielen verfolgt das nordrhein-westfälische Programm durchaus einen sehr hohen Anspruch, dem man in der Praxis sicher nicht immer vollständig gerecht werden kann. [Fn.13: Diesbezüglich bietet auch folgende Untersuchung anschauliche Ergebnisse: Murböck 1998.]
Mit Blick auf die bisherige Laufzeit des Programms und die ableitbaren Erfahrungen läßt sich diesbezüglich eine durchaus zweiseitige Bilanz ziehen. Auf der einen Seite sind viele positive Entwicklungen erkennbar, z.B. bezogen auf die horizontale und vertikale Zusammenarbeit, die Einbeziehung und Aktivierung von Akteuren, die Entwicklung neuer Organisationsformen und Arbeitsstrukturen auf den unterschiedlichen Handlungsebenen. Auch wenn etliche dieser Erfolge häufig nur über einen für alle Beteiligten mühsamen und langwierigen Arbeits- und Lernprozeß erzielt wurden, so sind sich die Beteiligten häufig dessen bewußt, daß viele der mühsamen Arbeitsschritte und herbeigeführten Veränderungen herkömmlicher Strukturen das für einen integrierten Ansatz erforderliche Grundgerüst bilden,

Auf der anderen Seite spiegelt die Praxis häufig wider, daß viele der eher übergeordneten Ziele im Keim der tatsächlichen Politik- und Verwaltungsstrukturen ersticken. Wesentlichen Einfluß haben z.B. die bestehenden festgezurrten

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Hierarchie- sowie Zuständigkeitsstrukturen und damit verbundene Ressortegoismen, die langen Abstimmungswege, die strukturellen Veränderungen im Rahmen von Verwaltungsmodernisierung/Neue Steuerung/ Budgetierungen. Die für die tägliche Stadtteilarbeit relevanten Ziele setzen häufig viel weiter unten an und sind an kleinteiligeren Maßstäben zu orientieren. Dies darf in der Konsequenz allerdings nicht bedeuten, daß übergeordnete Ziele von daher überflüssig sind. Für die zielgerichtete Arbeit ist es durchaus erforderlich, sowohl übergeordnete, rahmengebende Ziele als auch kleinteilige, aus den Stadtteilbedarfen abgeleitete Ziele zu stecken, um langfristig eine veränderte, richtungsweisende Stadt(teil-)entwicklungspolitik verwirklichen zu können. Es bedarf damit einer frühzeitigen Abwägung und Gewichtung der unterschiedlichen Ziele.

Wie können Quartiere als sozialräumliche Gebiete entwickelt werden? Wo - auf welchen Ebenen - können entsprechende Erneuerungsstrategien ansetzen?

Die mit dem Handlungsprogramm verbundenen Ziele und Ansprüche stellen alle Beteiligten vor eine besondere Herausforderung. Von daher leitet sich für die konkrete Arbeit vor allem die Frage ab, wie alle Beteiligten diesen Zielen gerecht werden können. Auf die damit verbundene Frage nach den Methoden und Instrumenten lassen sich keine Pauschallösungen und abzuleitende Patentrezepte benennen. Letztendlich leitet sich die Handlungsstrategie aus einer Vielzahl von übergeordneten sowie lokalen Rahmenbedingungen und Einflußfaktoren ab. Dies können z.B. sein:

  • die gebietstypischen Rahmenbedingungen (industriell geprägtes Altbauquartier, Großsiedlung, Mischgebiet),

  • die Bevölkerungsstruktur (z.B. Altersstruktur, Anteil Kinder und Jugendliche, Anteil alter Menschen, Anteil Migranten/innen)

  • besondere Aktivitäten und Engagement bereits ansässiger Akteure (Vereine, freie Träger, Schulen, Kirchengemeinden und Bewohner/innen),

  • bestehende Strukturen und Akteurskonstellationen (Vernetzungen, Kooperationen, Konflikte),

  • die politischen Rahmenbedingungen und damit verbunden auch die Frage des politischen Willens und Rückhalts hinsichtlich der Umsetzung stadtteilbezogener Erneuerungsansätze,

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  • sonstige Faktoren wie z.B. Außenwahrnehmung/Image, private und öffentliche Investitionsbereitschaft für industrielle und gewerbliche Standortentwicklungen, Sponsoring, Neubau und Instandsetzung.

Der besondere Anspruch des Programms liegt unter anderem darin, die unterschiedlichen Ebenen (Land, Bezirksregierungen, Kommunen, Stadtteile) gemäß ihrer Aufgaben und Zuständigkeiten einzubeziehen und zu verflechten. Dabei erfordert ein ganzheitlicher Ansatz sowohl die Verknüpfung der Handlungs- und Politikfelder als auch die organisatorische horizontale und vertikale Vernetzung der unterschiedlichen Akteure. Dies setzt allerdings vielfach die Bereitschaft voraus, Arbeits- und Abstimmungsvorgänge über kurze und manchmal auch unkonventionelle Wege abzuwickeln.

Die in Abbildung 1 dargestellten zentralen Organisationsformen bzw. Akteure mit ihren Funktionen und Aufgaben bilden einen kleinen Ausschnitt aus einer Vielfalt von unterschiedlichen Organisations- und Kooperationsformen bzw. -Strukturen ab.

Abbildung 1: Zentrale Handlungsebenen, Organisationsformen /
Akteure, ihre Funktionen und Aufgaben (Ausschnitt!)

Organisations-
formen/Akteure

Funktionen

zentrale Aufgaben

Land

Interministerielle
Arbeitsgruppe

Abstimmungsgremium zwischen den relevanten Ressorts (Treffen 1-2 mal im Jahr je nach Bedarf)

  • Abstimmung zwischen den relevanten Ressorts bzgl. neuer Programminhalte und Verfahrensschritte für innovative (Förder-) Ansätze

  • Beratung über die Aufnahme neuer Stadtteile sowie Bewilligung der vorliegenden Aufnahmeanträge in Form integrierter Handlungskonzepte (inklusive Maßnahmen-, Zeit- und Kostenplan)

einzelne
Fachressorts

Fachaufsichten

  • teilweise Zuständigkeit bezogen auf die einzelnen projektbezogenen Förderanfragen bzw. -anträge (Prüfung der Anträge und Bewilligung); je nach Fachzuständigkeit übernehmen auch nachgeordnete Behörden diese Aufgaben (Bezirksregierungen, Versorgungsämter, Landschaftsverbände etc.)

Bezirksregierungen, Landschaftsverbände. Versorgungsämter

Bewilligungs-
behörden

  • fachliche Zuständigkeiten für bestimmte Projekte

  • Prüfung von Anträgen, Bewilligung, finanzielle Abwicklung


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Organisationsformen/Akteure

Funktionen

zentrale Aufgaben

Kommune

Fachdezernat/ -amt

Federführung bei der Umsetzung des integrierten Konzeptes

  • Koordinierung aller beteiligten Fachdezernate/Ämter

  • Abstimmung mit der Landesebene (Ministerien, Bewilligungsbehörden)

  • inhaltliche Schwerpunktsetzung in Abstimmung mit den Stadtteilbüros und sonstigen lokalen Akteuren

  • finanzielle Abwicklung

ämterüber-
greifende Arbeitsgruppen

Abstimmungs-
kreis

  • Koordination und Abstimmung zwischen den jeweils zuständigen Fachdezernaten/-ämtern

  • inhaltliche Schwerpunktsetzung bzgl. der Aufgaben und Projekte

  • Vorbereitung von Beschlüssen durch die Lenkungsgruppe oder Rat bzw. Fachausschüsse

Lenkungs-
gruppe

Abstimmungs- und Entscheidungsgremium

  • Abstimmung innerhalb der Verwaltungsspitze

  • Beschlüsse bzgl. inhaltlicher Schwerpunkte oder konkreter Projekte

Stadtteil

Stadtteilbüros

Management/ Schnittstelle zwischen Stadtteilakteuren, Verwaltung, Politik und anderen Kooperationspartnern

  • Koordination zwischen den unterschiedlichen Beteiligten (horizontale und vertikale Kooperationsstrukturen)

  • Initiierung von Ansätzen/Projekten

  • Aktivierung lokaler Akteure/Potentiale

  • Organisation konkreter Projektabläufe oder von Aktivitäten im Stadtteil (Aktionstage, Feste etc.)

intermediäre Organisationen
(z.B. Vereine, Wohlfahrts-verbände, universitäre Einrichtungen, Entwicklungs-gesellschaften

Mittler/,,Brücken-instanzen", Moderatoren, Träger der stadtteilbezogenen Sozialarbeit

  • Vermitteln von Interessen zwischen Staat/Kommune und Privaten

  • Initiierung und Durchführung fachübergreifender, integrierter Maßnahmen

  • Zusammenführen unterschiedlicher Akteure

  • Aktivierung lokaler Potentiale

  • Kooperation mit anderen Akteuren (Kommune, Schulen etc.)


Welche Fragen werfen integrierte Erneuerungsstrategien auf?

Vor dem Hintergrund der nordrhein-westfälischen Erfahrungen kristallisieren sich zahlreiche grundlegende Fragen heraus, die m.E. bei der Entwicklung von Erneuerungsstrategien Berücksichtigung finden sollten. Wichtig ist dabei

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bei abzuwägen, zu welchem Zeitpunkt diese Fragen zu stellen sind bzw. sich entsprechende Antworten finden lassen. Einige Fragen bedürfen der Diskussion und Beantwortung in einem möglichst frühen Stadium, andere ergeben sich mit ihren Antworten erst im Prozeß. Von Bedeutung können zum Beispiel folgende Fragen sein:

  • Auf welcher Grundlage erfolgt die Auswahl bzw. Abgrenzung der Stadtteile/Problem-gebiete?

  • Wie ist die jeweilige Erneuerungsstrategie anzulegen: zentral oder dezentral?

  • Welche Ebenen sind einzubinden? Wer kann bzw. sollte gemäß seiner Kompetenzen welche Funktionen und Aufgaben übernehmen?

  • Wo sind welche Verantwortungen zu verankern? Wo liegen „Pflichtaufgaben", die von wem zu erfüllen sind? Welche darüber hinausgehenden freiwilligen Aufgaben lassen sich über wen abwickeln?

  • Wo ist eine gewisse Flexibilität bei der Aufgaben- und Verantwortungswahrnehmung möglich bzw. erforderlich? Woraus ergibt sich die Aufgabenverteilung?

  • Wie sind die lokalen Ansätze in die übergreifenden Politikstrukturen einzubinden? Wo muß die Politik ansetzen?

  • Wie lassen sich die tatsächlichen Potentiale und Defizite vor allem im Stadtteil eruieren und aktivieren?

  • Wie gewinnt der Erneuerungsprozeß an Dynamik und Kontinuität, ohne dauerhaft nur von einer Handlungsebene oder einigen wenigen Multiplikatoren vorangebracht zu werden oder von diesen abhängig zu sein? Wie läßt sich eine langfristig tragfähige Strategie umsetzen?

  • Vor welchem Zeithorizont sind sozialräumlich orientierte Erneuerungsstrategien anzulegen


Was läßt sich an Erkenntnissen ableiten?

Obwohl zu diesen Fragen keine allgemeingültigen Aussagen zu treffen sind, so werden im folgenden dennoch ein paar grundsätzliche Erkenntnisse thesenartig formuliert, die auf Erfahrungen im Rahmen des nordrhein-westfälischen Programms zurückzuführen sind und als Anregungen dienen können. [Fn.14: Es handelt sich hierbei um Erkenntnisse, die im Rahmen der bisher fünfjährigen wissenschaftlichen Begleitung durch das ILS deutlich geworden sind. Teilweise basieren sie auf empirischen, in unterschiedlichen Zusammenhängen durchgeführten Untersuchungen (vgl. z.B. Fix, Müller, Zimmer-Hegmann 1998), teilweise leiten sie sich aus den zahlreichen Vorträgen und Erfahrungsberichten im Rahmen von Veranstaltungen (Stadtteil-Foren, querschnittsthematische Tagungen, Werkstattgespräche) oder unmittelbaren Gesprächen mit Beteiligten ab.]

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  • Bei der Gebietsabgrenzung sollten die gewachsenen räumlichen Wahrnehmungs- und Identifikationsmustern der ortsansässigen Menschen berücksichtigt werden. Die Identifikation mit dem gewachsenen kleinräumigen Wohn- und Lebensumfeld ermöglicht die Durchführung gezielter kleinteiliger Beteiligungsmaßnahmen.

  • Durch Identifikation und Beteiligung läßt sich eine psychologische Aufbruchstimmung für den Stadtteil erzeugen, die zur Schaffung eines neuen Selbstbewußtseins zur Überwindung der Stigmatisierung führen kann.

  • Die Abstimmung verschiedener Angebote durch ortsbezogene Vernetzung kann ein wichtiger Beitrag zum effektiveren und damit sparenden Einsatz von Ressourcen sein.

  • (Kommunal-)Politik spielt eine wichtige Rolle und ist mit in die Verantwortung zu ziehen. Allerdings muß sie Kompetenzen nach unten abgeben, da ansonsten ein reiner Top-down-Ansatz zum Tragen kommt. „Bottom up" und „top down" sind nicht grundsätzlich gegensätzliche Konzepte, sondern können sich produktiv ergänzen, wenn dabei eher eine Stärkung der Bottom-up-Ansätze angestrebt wird.

  • Flexibilität und Kooperationsbereitschaft aller Akteure ist Voraussetzung für neue Organisations- und Kooperationsformen im Rahmen integrierter Erneuerung. Insgesamt sind die Strukturen flexibel anzulegen, um auf die Stadtteilbedarfe und veränderte Rahmenbedingungen reagieren zu können. Vielfach bedarf es neuer Strukturen, die durchaus auch „quer" zu den herkömmlichen Strukturen von Politik, Verwaltung, Ministerialebene, Wohlfahrtsverbänden etc. angelegt sind.

  • Die Kommunen entwickeln - ausgehend von der kommunalen Selbstverwaltung - individuelle, den Problemen und Bedarfen angepaßte Organisationsformen, woraus sich eine Vielzahl von unterschiedlichen Organisations- und Kooperationsformen ergibt.

  • Vielfach bedarf es zentraler „Motoren" im Stadtteil, die die Prozesse anstoßen und auch koordinieren. Im Stadtteil installierte Stadtteilbüros

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    übernehmen häufig genau diese Funktionen. Dabei ist die Besetzung der Stadtteilbüros mit zwei-mehrsprachigen Mitarbeitern/innen ein wesentlicher Aspekt, um auch unmittelbar nicht-deutschsprachige Bewohner/innen einzubeziehen und anzusprechen. Viele Prozesse und Strukturen sind abhängig von einzelnen Personen, die als Motoren und Multiplikatoren viel bewirken können. Gleichwohl kann sich daraus auch die Gefahr der Abhängigkeit von diesen Personen ergeben.

  • Die existierenden komplexen Problemlagen sind nicht durch kurzfristige Lösungsansätze zu bewältigen, sondern erfordern langfristige Strategien, um sich selbst tragende Strukturen zu schaffen. Zwar ist ein längerfristiges öffentliches finanzielles Engagement notwendig, doch sind die öffentlichen Sonderprogramme für benachteiligte Stadtteile je nach Entwicklungsstand und Verfestigung der endogenen Potentiale „step by Step" zurückzufahren. Anschubfinanzierungen sind i.d.R. erforderlich, um Prozesse anzustoßen, aus denen sich wiederum Synergien entwickeln können.

  • Die Verknüpfung mit kommunalen und regionalen Erneuerungsstrategien ist erforderlich. Es sollten keine auf den Stadtteil bezogenen „insularen" Konzepte entwickelt werden, sonst besteht die Gefahr neuer räumlicher Ungleichheiten.

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Resümee

Mit Blick auf die bisherige fünfjährige Laufzeit des nordrhein-westfälischen Programms kristallisieren sich insgesamt viele erfolgreiche Ansätze und Entwicklungen heraus. So zeichnet sich in vielen Stadtteilen z.B. eine stärkere Beteiligung unterschiedlicher Bewohnergruppen und vor Ort ansässiger Akteure am Stadtteilgeschehen, eine erhöhte Identifikation mit dem Stadtteil oder Wohnquartier, eine Imageverbesserung, eine soziale, infrastrukturelle und ökonomische Verbesserung z.B. durch die Schaffung von Beschäftigungs- und Qualifizierungsverhältnissen, durch Investitionsbereitschaft Privater oder der öffentlichen Hand ab. Dabei ist selbstverständlich nicht auszublenden, daß es durchaus auch viele konfliktreiche und damit kritisch zu beurteilende Ansätze und Entwicklungen gibt. Vielfach führen bestimmte Rahmenbedingungen, Konstellationen oder auch Vorgehensweisen zum Scheitern von Maßnahmen/Projekten. Dies können z.B. sein: Konflikte in den

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Arbeits- und Projektzusammenhängen, die bestehenden starren administrativen Strukturen, die enorme Komplexität und Arbeitsintensität integrierter Ansätze, der hohe Koordinationsaufwand, die knappen finanziellen Ressourcen, die Konflikte unmittelbar im Stadtteil bezogen auf das Zusammenleben unterschiedlicher ethnischer Gruppen oder Generationen usw.

Vor dem Hintergrund dieser Spannungen ist es um so wichtiger, sowohl die übergreifende Erneuerungsstrategie als auch die sich daraus ergebenden Handlungsschritte flexibel anzulegen. Eine solche Flexibilität meint insbesondere, daß die Veränderung programmatischer Ansätze auch im Sinne von Korrekturen oder Richtungsänderungen möglich sein muß. Vor allem, wenn Programme oder einzelne Ansätze als langfristige Strategie über mehrere Jahre angelegt sind, sollte mittels einer begleitenden „Evaluation" eine gewisse Erfolgskontrolle erfolgen. Diese ist in Verbindung mit frühzeitig festzulegenden Qualitätskriterien zu sehen.

Auch aus Sicht der nordrhein-westfälischen Landesregierung und der am Programm beteiligten Kommunen wird inzwischen die Notwendigkeit einer begleitenden Qualitäts- und Erfolgskontrolle gesehen. Vor diesem Hintergrund führt das ILS seit Beginn 1999 eine Analyse der Umsetzung des integrierten Handlungskonzeptes für Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf durch.

Die bisherigen nordrhein-westfälischen Erneuerungsprozesse und die daraus ableitbaren Erkenntnisse spiegeln sehr deutlich wider, daß integrierte Stadtteilerneuerung durch ein Lern- und Spannungsfeld bestimmt wird, das nur mit Hilfe unterschiedlicher Kompetenzen, Verantwortungen und Motivationen langfristig erfolgreich zu bewältigen ist.

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Literatur

Alisch, M. (Hrsg.) (1998): Stadtteilmanagement, Voraussetzungen und Chancen für die soziale Stadt, Opladen.

Alisch, M., J. Dangschat (1998): Armut und soziale Integration. Strategien sozialer Stadtentwicklung und lokaler Nachhaltigkeit, Opladen.

Fix, F., D. Müller, R. Zimmer-Hegmann (1998): Entwicklungsgesellschaften und Stadtteilprojekte als Motoren der integrierten Stadtteilerneuerung in Duisburg (unveröffentlichter Bericht im Rahmen eines EU-Projektes „Indusive eitles: building local capacity for development"), Dortmund.

[Seite der Druckausg.: 61 ]

Froessler, R. (1994): Stadtviertel in der Krise. Innovative Ansätze zu einer integrierten Quartiersentwicklung in Europa. Hrsg.: Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen, ILS-Schriften 87, Dortmund.

Hanesch, W. (Hrsg.) (1997): Überlebt die soziale Stadt? Konzeption, Krise und Perspektiven kommunaler Sozialstaatlichkeit, Opladen.

Kürpick, S., R. Zimmer-Hegmann (1997): Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf - integriertes Handlungskonzept der Landesregierung Nordrhein-Westfalen und Ansätze vor Ort, in: Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung, Stadterneuerung und Stadtumbau: Erfahrungen aus der Praxis, Informationen zur Raumentwicklung, Heft 8/9.1997.

Ministerium für Arbeit, Soziales und Stadtentwicklung, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen (1998): Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf - Ressortübergreifendes Handlungsprogramm der Landesregierung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf.

Murböck, M. (1998): Integrierte Ansätze zur Stabilisierung von Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf, in: Arbeitskreis Stadterneuerung an deutschsprachigen Hochschulen und Institut für Stadt- und Regionalplanung der Technischen Universität Berlin, Jahrbuch Stadterneuerung, Berlin, S. 303-312.

[Seite der Druckausg.: 62 = Leerseite]


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