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[Seite der Druckausg.: 21 ]


Hanne Meyer-Hentschel
Die neue Beweglichkeit des Alters -Geänderte Spielregeln im Konsumverhalten


Die neue Beweglichkeit des Alters bringt die alten Spielregeln ins Wanken und damit den gewohnten Trott von Handel, Industrie und Dienstleistung durcheinander.

Während die einen resignierend über Vergreisung klagen, sprechen andere von einer Gesellschaft des langen Lebens und ergreifen die damit verbundenen Chancen. Denn jetzt werden Marktanteile umverteilt. Und die Erfolgskriterien orientieren sich immer mehr an den Bedürfnissen älterer Kunden. Die Schlagworte heißen: Läden zum Wohlfühlen - Streßfaktor Packung - Problemfall Werbung - Schlüsselfaktor Personal.

Es soll noch Unternehmen geben, die glauben, die gesellschaftliche Entwicklung ginge an ihnen ohne Konsequenzen vorbei. Man war ja auch gar nicht auf so etwas vorbereitet. Und das, obwohl entsprechende bevölkerungspolitische Prognosen bereits seit geraumer Zeit die Medien durchwandern. Besonders deutlich wird die Entwicklung, wenn man die Zahlen der über 60jährigen mit den Zahlen der Jüngeren (0 - 20 Jahre) vergleicht (Abbildung 1).

Abbildung 1: 60plus überflügelt die Jugend




Quelle: Statistisches Bundesamt und eigene Berechnungen (absolute Zahlen für altes Bundesgebiet)

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Andere Unternehmen ahnen zwar inzwischen, daß diese Entwicklung auch sie betreffen wird, tun sich aber schwer dabei. Der Jugendkult ist noch zu stark in den Köpfen verankert. Außerdem weiß man nicht so richtig, wie man mit älteren Kunden umgehen soll.

Fast jeder will alt werden, kaum einer will aber alt sein und noch weniger von uns wollen mit alten Menschen zu tun haben. Der neue Umgang mit der Altersidentität ist eine wichtige Herausforderung für uns alle. Denken Sie nur an die Kosmetikbranche. Sie hat dieses „Du bist doch gar nicht alt" lange Zeit vorgeschrieben. Älteren Kundinnen wurde ihre Altersidentität verweigert. Nivea hatte endlich den Mut, Altersidentität zuzugestehen: Mit „Nivea Vital" wurde eine Kosmetikserie für die reife Haut entwickelt. Sowohl das Produkt als auch die Kommunikation orientieren sich an den Bedürfnissen älterer Kundinnen. Nivea Vital wurde ein Erfolg. Das Konzept hat inzwischen in der Branche eine ganze Reihe von Nachahmern gefunden.

Verweigerte Altersidentität

>Es läßt sich nicht leugnen, daß wir länger jung und beweglich geblieben sind.

Aber: Wir müssen uns auch die Schattenseiten einer Kultur vor Augen führen, die uns die Altersidentität verweigert und dafür nichts Besseres anzubieten hat als das ewige: „Du bist doch gar nicht alt! "<

Jaeggi, 1996

Verdrängen des Alters hat man in anderen Erdteilen und Kulturen nicht nötig - im Gegenteil: Hier erfüllen ältere Menschen die Rolle der Weisheit: Familie zusammenhalten, Traditionen bewahren und überliefern. Das Alter stellt eine erstrebenswerte Etappe im Leben dar. Das ist beispielsweise im Vorderen Orient, in Afrika oder in China der Fall.

Wenn man in China einen offiziellen Besuch macht, kann es vorkommen, daß man gefragt wird: „Und welches ist Ihr ruhmreiches Alter?" Muß der Gefragte zögernd gestehen, er sei erst 30, so tröstet ihn der andere mit der Bemerkung, da habe er ja noch eine ruhmreiche Zukunft vor sich, und eines Tages werde er gewiß alt werden. Kann der Befragte aber antworten, er sei mindestens 40, so ruft der andere sogleich im Tone hoher Achtung:

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„Großes Glück!" Die Begeisterung wächst, je höher das Alter ist, das der Befragte nennen kann. Und ist er gar älter als 60, so senkt der Fragende voll Demut und Achtung seine Stimme. Hinter solchem Verhalten steckt das Wissen um wertvolle Fähigkeiten und Eigenschaften, die sich im Alter positiv entwickeln oder verstärken:

Fähigkeiten und Eigenschaften, die sich im Alter verbessern
• Sprachliches Ausdrucksvermögen • Urteilsvermögen
• Ausgeglichenheit und Beständigkeit • Erfahrung und menschliche Reife
• Konfliktfreie Zusammenarbeit • Sicherheitsbewußtsein

• Zuverlässigkeit, Verantwortungsbewußtsein

Es ist angesichts der derzeitigen demographischen Entwicklung ganz wichtig, die Vorzüge des Alters wieder ins Bewußtsein zu bringen. Damit entsteht eine ganz andere Wertschätzung und Behandlung älterer Kunden (denn diese merken, ob sie nur als „Goldesel" gesehen werden oder ob man sie auch für souverän hält).

Für souverän halten heißt, einen älteren Kunden als erfahrenen, kritischen Kunden zu schätzen. Er sollte sich deshalb möglichst selbständig in einem Laden bewegen können oder auch mit einem Produkt/technischen Gerät zurechtkommen.

Es bedeutet nicht, altersbedingte körperliche Veränderungen zu leugnen. Denn damit würde man ältere Kunden einfach an den Maßstäben Jüngerer messen - und diese Maßstäbe sind im Mega-Markt Senioren fehl am Platz:

Man tut älteren Menschen keinen Gefallen, wenn man ihnen Leistungsnormen (vor allem körperlicher Art) zuschreibt, wie sie für Jüngere gelten. Im Gegenteil: Jede altersbedingte natürliche Einbuße wird damit als Streß erlebt. Das muß und darf nicht sein! Das Alter hat schließlich seine eigenen Normen.

Ältere Kunden wissen, daß sie vielen Jüngeren in Erfahrung und Reife überlegen sind - aber z.B. nicht mehr so gut Kleingedrucktes lesen können oder nicht mehr die Fingerfertigkeit wie früher besitzen. Alter hat Vorteile, aber nicht nur: Körperliche Veränderungen gehören zu jedem Alterungsprozeß - natürlich individuell mehr oder weniger stark ausgeprägt.

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Es würde nun keinem Kunden nützen, wenn man dies leugnete und er deshalb weiterhin beim Öffnen von Verpackungen zu kämpfen hat, wenn er Schriften schlecht lesen kann oder sich in Läden nicht optimal zurechtfindet. Die wirkliche Honorierung des langjährigen Kundenstatus besteht vielmehr darin, altersbedingte körperliche Veränderungen zu akzeptieren und mit Feingefühl darauf Rücksicht zu nehmen. Nur so kann Seniorenmarketing erfolgreich sein.

Umdenken fängt beispielsweise damit an, sich mit den Eigenschaften, Bedürfnissen und Verhaltensweisen älterer Kunden auseinanderzusetzen. Emanzipierte Kunden mit langer Konsumerfahrung praktizieren nämlich ganz neue Spielregeln im Konsumverhalten. Schon heute lassen rund 20% der älteren Kunden Produkte rigoros im Laden stehen, wenn sie sich beispielsweise über die Verpackung geärgert haben. Dabei ist in Zukunft mit steigenden Zahlen zu rechnen, da nachrückende Seniorengenerationen immer selbstbewußter werden: Die neue Beweglichkeit des Alters macht sich bemerkbar!

Ältere Menschen sind heute länger fit und unternehmungslustig als frühere Seniorengenerationen. Sie brauchen, um möglichst lange aktiv bleiben zu können, eine Reihe „sinnvoller Barrieren" wie beispielsweise neue Reiseziele, neue Hobbys oder auch das tägliche Treppensteigen. Warum sollen sie sich aber mit den winzigen Knöpfen einer Fernbedienung oder eines Haushaltsgerätes quälen? Warum sollen sie im Laden fragen müssen, wieviel ein Produkt kostet - bloß weil die Schrift nur von Jüngeren gelesen werden kann? Solche Barrieren sind sinnlos und behindern ältere Menschen geradezu in ihrem Tatendrang und in ihrem Wunsch nach Selbständigkeit. Im Bereich des Konsumverhaltens gibt es eine Vielzahl sinnloser Barrieren.

Beispiele „sinnloser Barrieren" für ältere Kunden
• Unübersichtliche Läden • Schlecht lesbare Schrift
• Ungünstige Warenpräsentation • Ungünstige Farbkombinationen
• Blendende oder ungenügende Beleuchtung • Schwer zu öffnende Verpackungen
• Störgeräusche oder zu leise Signaltöne • Schlecht bedienbare technische Geräte

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Unser Beratungsunternehmen hat in einer Repräsentativbefragung untersucht, welche Wünsche ältere Kunden an die Verpackungsindustrie und an die Designer haben. Abbildung 2 zeigt die wichtigsten Wünsche der Kunden. Eine der Konsequenzen: Ein großes Handelsunternehmen hat uns beauftragt, einen Verpackungs-Check-up zu entwickeln, mit dessen Hilfe die Kundenfreundlichkeit von Verpackungen getestet werden kann.

Abbildung 2: Seniorenwünsche an Verpackungen




In einer anderen Untersuchung haben wir nach den Wünschen älterer Konsumenten an den Handel gefragt. Auch hier gibt es manchen Ansatzpunkt, um den Wohlfühl-Faktor besonders für ältere Kunden zu erhöhen (Abbildung 3). Eine zentrale Größe für die Zufriedenheit im Alter ist das Maß an Unabhängigkeit und Selbständigkeit, das jemand erlebt. Ältere Kunden haben es verdient, daß Handel, Industrie und Dienstleister für einen möglichst hohen Wohlfühl-Faktor sorgen: Sinnlose Barrieren verhindern Umsatz!

Sie können sich vorstellen, daß es nicht Ziel sein darf. Seniorenläden einzurichten oder Senioren-Produkte zu gestalten. Ältere Kunden dürfen nicht das Gefühl haben, es werde eigens für sie produziert und gestaltet. Dadurch würden sie sich ausgegrenzt fühlen. Der Kunde soll sich besonders wohlfühlen, er braucht aber gar nicht im einzelnen zu wissen warum. Und die Konkurrenz sollte dies schließlich auch nicht zu genau erfahren. Es ist also wichtig, auf altersbedingte körperliche Veränderungen mit Feingefühl zu reagieren.

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Abbildung 3: Seniorenwünsche an den Handel




Verantwortliche aus den Bereichen Produktentwicklung, Ladenbau, Design oder Werbung sind in den meisten Fällen erheblich jünger als ihre Zielgruppe. Wie können aber jüngere Menschen erfahren, woran sich ältere Kunden stören?

Stellen Sie sich einmal einen jungen Produktentwickler vor, der ein Haushaltsgerät entwickeln soll, mit dem auch ältere Kunden gut zurechtkommen. Für ihn ist der Umgang mit technischen Geräten kein Problem: Er hat Spaß an technischen Raffinessen. Er kann selbst kleinste Ziffern und schwache Farbkontraste gut erkennen. Er kann auch leise Signaltöne gut hören. Er hat genügend Fingerfertigkeit und Kraft, um Knöpfe, Tasten oder Hebel zu drehen, zu drücken oder zu heben.

Was aber ist zu beachten, wenn dem nicht so ist? Nicht alle körperlichen Veränderungen laufen bewußt ab. Manche Veränderungen und die damit verbundenen Schwierigkeiten werden nicht gerne zugegeben. Befragung älterer Kunden allein genügt deshalb nicht. Die Erfahrung am eigenen Körper ist erheblich eindrucksvoller und realistischer als viele Worte. Aus diesem Grund, haben Meyer-Hentschel & Partner in Zusammenarbeit mit Experten aus Gerontologie und Medizin einen Age Simulator entwickelt.

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Age Simulator

  • Der Age Simulator simuliert eine Vielzahl der im Alter auftretenden körperlichen Handicaps.
  • Der Effekt: Jüngere Menschen werden nachhaltig sensibilisiert für die Alltagsprobleme vieler älterer Menschen.

Verantwortliche aus Handel, Industrie und Dienstleistung können sich damit besser in ältere Kunden hineinversetzen. Der Nutzen: Orientierungsfreundliche Läden, lesbare und gut zu öffnende Verpackungen, bedienfreundliche technische Geräte, sensible Werbung und eine neue Dienstleistungsmentalität - weil plötzlich mehr Verständnis und Geduld da sind.

Die dabei gewonnenen neuen Perspektiven und Impulse nützen nicht nur älteren Kunden: Wer seinen Kunden eine möglichst große Selbständigkeit ermöglicht und sie Dienstleistungsmentalität spüren läßt, tut dies zur Freude aller Kunden! Freuen Sie sich also über die neue Beweglichkeit des Alters: Die neuen Spielregeln bringen den gewohnten Trott von Handel, Industrie und Dienstleistung ins Wanken - und das kommt allen zugute!

60plus-Marketing nützt allen!

  • Fast alle Kritikpunkte und Wünsche älterer Kunden werden auch von jüngeren Kunden bestätigt.
  • Konsequenz: Wenn Sie sich gezielt um die Wünsche Ihrer älteren Kunden kümmern, werden Sie auch für junge Kunden attraktiver!
  • Profitieren Sie also von der „Lupenfunktion" Ihrer 60plus-Kunden!

[Seite der Druckausg.: 28 = Leerseite]


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