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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 55 ]


Detlef Scheele/Carmen Michaelis-Hiemke
Vom temporären Projekt zum innovativen Unternehmen


11 Thesen zur Professionalisierung von Unternehmen mit sozial- und arbeitsmarktpolitischer Aufgabenstellung

Einleitung

Besonders benachteiligte Langzeitarbeitslose werden in der Bundesrepublik nach heutigem Kenntnisstand keinen ungeförderten Arbeitsplatz finden und ausfüllen können, der das gesamte Erwerbsleben überdauert. Für Menschen, die mehrere Benachteiligungsmerkmale auf sich vereinen und die nur einfache Anlerntätigkeiten im gewerblichen Bereich ausüben können, wird es in der Regel keine ungeförderte kontinuierliche Erwerbsbiographie geben. Für sie gibt es keine finanzierbare Arbeit zu marktüblichen Bedingungen mehr. Sie sind sowohl Opfer des technologischen Fortschritts wie der Globalisierung. Sie sind nicht mehr nur von Langzeitarbeitslosigkeit, sondern von Dauerarbeitslosigkeit bedroht.

Vor dem Hintergrund drohender Dauerarbeitslosigkeit für den beschriebenen Personenkreis besteht auf unabsehbare Zeit ein hoher Bedarf an lohnsubventionierten Arbeitsplätzen im öffentlich geförderten Beschäftigungssektor. Diese Arbeitsplätze werden durch Beschäftigungsgesellschaften befristet zu sozialversicherungspflichtigen Bedingungen unter tariflicher Absicherung angeboten. So verlieren Beschäftigungsgesellschaften den Status des „unüblichen" und „provisorischen" und entwickeln sich zu dauerhaft existierenden Unternehmen. Sie werden zum gewohnten Bild der Bundesrepublik gehören, wie andere sozialpolitische Einrichtungen auch.

Für die Akteure in Beschäftigungsgesellschaften- und -projekten ergeben sich daraus veränderte Anforderungen. Es geht um die Wandlung vom temporären Projekt in kurz- und mittelfristigen Konjunktur- oder Strukturkrisen zum Unternehmen mit sozial- und arbeitsmarktpolitischer Aufgabenstellung. Mit anderen Worten: Es geht um Professionalisierung.

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Die Forderung nach Professionalisierung richtet sich wesentlich auf die innere Unternehmensentwicklung. Fast alle Projekte in der Arbeitsmarktpolitik sind rasant gewachsen. Die notwendige Strukturierung nach der Gründungsphase ist häufig ausgeblieben. Sie ist jedoch Voraussetzung für eine dauerhafte Konsolidierung und Professionalisierung.

Die nachfolgenden 11 Thesen zur mittelfristigen Entwicklung von Beschäftigungsgesellschaften entstanden im Verlaufe von mehreren Diskussions- und Fortbildungsveranstaltungen zur Personal- und Organisationsentwicklung. Diese Veranstaltungen wurden von uns im Auftrag der BAG-Arbeit im vergangenen Jahr mit leitenden Mitarbeiterinnen von Beschäftigungsgesellschaften und -projekten und vorrangig in den neuen Bundesländern durchgeführt. Die Diskussion zeigte, wie sehr die sorgfältige innere Entwicklung der Projekte und Gesellschaften in Zeiten des zügigen Aufbaus zugunsten schneller sozial- und arbeitsmarktpolitischer Problemlösungen zurückstehen mußte. Die daraus resultierenden Irritationen über Auftrag, Ziele und anwendbare Instrumente stellt die leitenden Akteure in den Unternehmen angesichts erheblicher Umbrüche am Arbeitsmarkt und in der Arbeitsmarktpolitik nach eigenem Bekunden heute vor neue Fragen, die nur zu beantworten sind, wenn versäumte Entwicklungsschritte nachgeholt werden. Insofern sind die hier vorgestellten Thesen das Ergebnis eines längeren Gesprächs- und Fortbildungsprozesses, der seinen Ursprung nicht zuerst in Hamburg hatte.

1. Unternehmensziele vereinbaren

Unternehmensstrukturierung heißt erstens: die Formulierung und Verankerung von Leitbild, Zielen und Teilzielen. Die Leitbild- und Zielfestlegung ist -angesichts fehlender klarer Orientierung an materiellen Gewinnen in sozial- und arbeitsmarktpolitischen Unternehmen - die Grundlage unternehmerischer Entscheidungen auf allen Ebenen. Sie ist darüber hinaus Voraussetzung für Bewertungen und Vereinbarungen zwischen Vorständen und Unternehmen sowie zwischen Abteilungen oder Vorgesetzten und Mitarbeiterinnen. Sie bilden einen Maßstab, mit dem Erfolg und Qualität gemessen, beurteilt und objektiviert werden kann. Ferner haben sie in Zeiten raschen Wandels identitäts- und sinnstiftende Funktion für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und fördern Klarheit und die Motivation.

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2. Integrationszielsetzung verankern

Unternehmensstrukturierung heißt zweitens: eine klare Positionierung im Wettbewerb mit anderen Anbietern sozial,- arbeitsmarkt- oder strukturpolitischer Dienstleistungen. Die Beschäftigungsgesellschaften müssen sich vorrangig arbeitsmarktpolitisch positionieren. Dies kann nur über das Hauptziel Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt bzw. in weiterführende Bildungsgänge erfolgen. Eine Distanzierung von der Integrationszielsetzung führt unweigerlich zur Diskussion um einen Ersatzarbeitsmarkt für leistungsgeminderte Personenkreise und würde damit gesellschaftlich im übergeordneten Sinne desintegrierend wirken. Auch wenn das Ziel der Integration in prekären Zeiten in vielerlei Hinsicht visionären Charakter besitzt, bildet es als Bezugs- und Orientierungspunkt die Kernmotivation des Unternehmens und mithin aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Allerdings: Das bloße Beschwören der Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt reicht nicht aus, wenn ihr als Zielsetzung seriös das Wort geredet werden soll. Insofern kommt es darauf an, die Zielvorstellung einer näheren Betrachtung zu unterziehen, damit die Befürworter der Integrationszielsetzung angesichts einer ungeheuren Arbeitsplatzlücke für Benachteiligte nicht der Ignoranz bezichtigt werden. Integration kann sich künftig für besonders benachteiligte Arbeitslose nicht ausschließlich auf die unmittelbare Aufnahme einer ungeförderten Tätigkeit in unbefristeten Arbeitsverhältnissen im Anschluß an die geförderte Tätigkeit beziehen. Dieses Ziel ist erreichbar und erstrebenswert - das zeigen z.B. die gegen den Trend am Arbeitsmarkt stabilen bzw. leicht steigenden Integrationsquoten der HAMBURGER ARBEIT -, reicht aber für sich genommen nicht aus. Es geht auch darum, langzeitarbeitslosen Menschen die Teilhabe an der Bewegung am Arbeitsmarkt zu garantieren. Ein stabiles und dennoch perspektivisch diskontinuierliches Netzwerk aus ungeförderter Beschäftigung, Fortbildung, geförderter Beschäftigung sowie begrenzten Zeiten der Arbeitslosigkeit - möglichst deutlich unter zwei Jahren - kann sicherstellen, daß dauerhafte Arbeitslosigkeit verläßlich ausgeschlossen wird und allen erwerbsfähigen Menschen zumindest regelmäßig wiederkehrend ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis offensteht. Diese Vorstellung von Integration wendet die schädlichsten Folgen der Arbeitslosigkeit ab, läßt größere Erfolge jederzeit zu und bildet gleichzeitig ein realitätsgerechtes, erreichbares, finanzierbares und damit glaubwürdiges Szenario für Beschäftigte wie Mitarbeiterinnen ab.

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3. Förderpläne einführen

Unternehmensstrukturierung heißt drittens: eine zielgerichtete Strukturierung des Beschäftigungsverlaufs. Alle dazu dienlichen Instrumente wie Arbeitsplatzwahl, Anleitung, Qualifizierung, Sozialberatung, Praktika und Arbeitsvermittlung müssen vernetzt und systematisiert, die Zusammenarbeit zwischen den Bereichen entsprechend koordiniert werden. Die Aufstellung eines individuellen Förderplans, an dem sowohl die Anleiterinnen als auch die Sozialpädagoginnen und nicht zuletzt die/der Beschäftigte selbst mitwirken, verhilft dazu, alle einzuleitenden Integrationsschritte effizient und zielgerichtet aufeinander abzustimmen. Das Ineinandergreifen aller Methoden und involvierten Personen erfährt seine Wirksamkeit durch die eindeutige Ausrichtung auf die Integration, die schon zu Beginn der Beschäftigung im Unternehmen optimal vorbereitet wird. Auch in Beschäftigungsgesellschaften muß Personalmanagement als Selbstverständlichkeit gelten und verpflichtend eingeführt werden.

4. Pädagogische Instrumente bereitstellen

Unternehmensstrukturierung heißt viertens: die Bereitstellung pädagogischer Instrumente, mit denen die Integration auch durch die Aktivierung der Selbsthilfepotentiale unterstützt wird, damit eine gelungene Arbeitsaufnahme nicht an mangelnder Selbständigkeit oder Eigeninitiative scheitert. Mißlingt die Arbeitsaufnahme angesichts der geringen Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes, muß für die Beschäftigten zumindest sichergestellt werden, daß sie nach Beendigung der Maßnahme ihre persönliche und familiäre Situation konsolidiert haben und am gesellschaftlichen Leben aktiv und weitgehend ohne fremde Hilfe teilnehmen können. Soziale Stabilität gewährleistet überdies die erfolgreiche Überbrückung einer möglicherweise längeren Zeit nach Ausscheiden aus der befristeten Beschäftigung bis zur Aufnahme einer Arbeit oder Qualifizierungsmaßnahme, ohne daß die aktivierten Selbsthilfepotentiale und erlernten Bewältigungsstrategien ihre Wirkung verlieren.

5. Arbeitsmarktnähe des Beschäftigungsangebotes sicherstellen

Unternehmensstrukturierung heißt fünftens: unter dem Integrationsgesichtspunkt die Sicherstellung von Arbeitsabläufen und Arbeitsorganisation,

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wie sie auch im allgemeinen Arbeitsmarkt vorherrschen. Schonräume - z.B. in ausschließlich gemeinnützigen Tätigkeitsfeldern, die zudem noch zusätzlich sein müssen - sind weitgehend ungeeignet. Beschäftigungsgesellschaften müssen zu üblichen Konditionen in begrenztem Umfang am Marktgeschehen beteiligt werden, damit eine Kunden-Auftragnehmerbeziehung arbeitsmarktnahe Bedingungen sicherstellt. Sie müssen unter diesen Bedingungen einen Teil ihrer Aufwendungen selbst durch Erträge im Wettbewerb finanzieren. Eine vollständige Zuwendungsfinanzierung ist unter Integrationsgesichtspunkten schädlich. Das AFG und auch das neue AFRG der Bundesregierung torpedieren diese Integrationsorientierung ausdrücklich. Insofern ist die gesetzliche Lage integrationsfeindlich. Überdies hemmt eine hundertprozentige Ausfinanzierung des Unternehmens den notwendigen inneren Antrieb zur beständigen Weiterentwicklung und Verbesserung der Arbeitsabläufe und -qualität.

6. Tarifpolitik der Integrationszielsetzung unterordnen

Unternehmensstrukturierung bedeutet sechstens: die Ausgestaltung der Tarifpolitik im öffentlich geförderten Beschäftigungssektor unter Integrations- und Legitimationsgesichtspunkten. Die Tarife sind strategisch so zu gestalten, daß sie die Ablösung aus den Transferleistungen weitestgehend ermöglichen - also einen Anreiz zur Arbeitsaufnahme bieten - und gleichzeitig durch ihre Höhe einen zügigen Austritt aus der geförderten Beschäftigung nicht verhindern. Sie müssen folglich in Anlehnung an die unteren Tarifgruppen relevanter Berufsgruppen plaziert werden und gleichzeitig zumindest knapp oberhalb der vor der Arbeitsaufnahme bezogenen Transferleistungen liegen. Außerdem ist es unter Integrationsgesichtspunkten sinnvoll, leistungsorientierte Lohnbestandteile zu schaffen, die im Rahmen eines Beurteilungszeitraums gewährt oder auch gemindert oder entzogen werden. Solche leistungsorientierten Zulagen können die Motivation fördern und tragen so zu einer kontinuierlich höheren Arbeitsleistung bei. In diesem Zusammenhang ist es wünschenswert, die Gewährung der Zulage an Kriterien aus dem Bereich der Schlüsselqualifikationen zu knüpfen und damit den ständig an Bedeutung gewinnenden Bereich der extrafunktionalen Fähigkeiten und Fertigkeiten zu stärken. Die neue AFRG-Regelung ist in diesem Zusammenhang denkbar ungeeignet. Sie senkt lediglich die Bezüge - teilweise unter das Niveau der Transferleistungen - ab, gefährdet dadurch

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auch diese in ihrem Bestand und leistet keinen Beitrag zur Realisierung integrationsfördernder Bedingungen.

7. Instrumente der Personal- und Organisationsentwicklung nutzen

Unternehmensstrukturierung heißt siebtens: die Entwicklung und Einführung geeigneter Instrumente der Personal- und Organisationsentwicklung. Während sich der Unternehmensauftrag auf die Beschäftigung ehemaliger Sozialhilfeempfänger und -empfängerinnen und deren sozialer wie beruflicher Integration ausrichtet und die Unternehmensziele festlegt, zielt der Aufbau eines Personal- und Organisationsentwicklungssystems auf die Stammitarbeiterinnen ab, die unter Einbringung aller vorhandenen Kenntnisse und Fähigkeiten wesentlich dazu beitragen, diesen Auftrag bestmöglich zu erfüllen. Einen Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen eine optimale Wahrnehmung aller gestellten Anforderungen gewährleistet werden kann, ist die Intention dieser Strukturierungsmaßnahme. Das Stammpersonal, das die Unternehmenskonstitution wesentlich prägt und die Realisierung der Unternehmensziele ermöglicht, braucht eigene Arbeits- und Beziehungsstrukturen, eine originäre Kultur, Möglichkeiten der persönlichen Identifikation zur Bewältigung des Arbeitsalltages und mithin des Unternehmensauftrages. Da Unternehmen ihren Erfolg also nur durch das Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sichern können, muß ein größtmögliches Augenmerk auf die Entwicklung und Förderung dieses Erfolgsfaktors verwendet werden. Es geht unter Professionalisierungsgesichtspunkten um die Einführung der bekannten - aber meist vernachlässigten - Instrumente der inneren Unternehmensentwicklung: Aufgaben- und Anforderungsprofile, Mitarbeiterinnen-Vorgesetztengespräche, Fortbildungs- und Laufbahnplanung sowie um die Etablierung und Pflege geeigneter Aufbau- und Ablauforganisationen und der dazugehörigen Besprechungssysteme. Darüber hinaus muß die Unternehmensleitung eine Festlegung hinsichtlich ihrer Führungsgrundsätze und der Art der Zusammenarbeit treffen. Ihre Aufgabe ist es, durch Anleitung, Führung und Förderung ihrer Stammitarbeiterinnenschaft zur Erreichung der Unternehmensziele zu verhelfen.

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8. Anforderungsgerechte Berufsbilder definieren und einführen

Unternehmensstrukturierung erfordert achtens: die Schaffung klar definierter Berufsbilder des Anleitungspersonals und des pädagogischen Fachpersonals, die sowohl die gestellten Anforderungen erfüllen als auch die benötigten Fähigkeiten ausweisen. Beide Gruppen vereinen eine erhebliche Anzahl von Berufsbildern auf sich, die mit der Entwicklung der Beschäftigungsgesellschaften latent gereift sind und inzwischen ihr charakteristisches Profil ausdifferenziert haben. Die Besonderheit der Aufgabenfelder erfordert für jede Mitarbeiterin und jeden Mitarbeiter eine klare Orientierungshilfe. Der berufserfahrene Facharbeiter verfügt als Vorarbeiter über unterweisende und arbeitspädagogische Fähigkeiten - der Pädagoge ist ein versierter Kenner der Bedingungen, unter denen Güter und Dienstleistungen in ungeförderten Arbeitsverhältnissen entstehen. Angesichts der Verlagerung des Tätigkeitsschwerpunkts vom fachbezogenen Spezialisten zum Anleiter verliert der Vorarbeiter die Möglichkeit der Anerkennung über seine originär erlernte Tätigkeit. Der Erfolg seiner Arbeit bemißt sich in einer Beschäftigungsgesellschaft an einer anderen Größe. Auch das pädagogische Personal ist in den zu bewältigenden Aufgaben weit über das Gebiet der klassischen Sozialarbeit hinaus gefordert. Die Wandlung vom Betreuer zum Personalentwickler stellt eine gewisse Kontradiktion dar, so daß auch in dieser Tätigkeit eine Umorientierung erforderlich ist. Das für die Arbeitszufriedenheit notwendige Maß an Anerkennung und Identifikation muß demnach über andere Arbeitsinhalte und -ergebnisse gewonnen werden. Eine veränderte Definition der Erfolgsbemessung kann über die Transparenz der angestrebten Unternehmensziele, muß aber auch über ein konkretes Aufgaben- und Anforderungsprofil stattfinden, das eine eigene Wertschätzung erfährt und Sinnstiftung ermöglicht. Die Befähigung zur Wahrnehmung der Aufgaben muß über berufsvorbereitende und -begleitende Fortbildung sichergestellt werden. Um diese zu konzipieren, bedarf es einer eindeutigen Bestimmung des Berufsprofils.

9. Controllingsysteme einführen

Unternehmensstrukturierung bedeutet neuntens: die Einführung eines strategischen und operativen Controllings als zusammenführende Klammer. Die Unternehmenssteuerung zielt sowohl im operativen wie strategischen Bereich auf die Betrachtung und Steuerung von drei Dimensionen: Die erste

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ist die Dimension der sozial- und arbeitsmarktpolitischen Unternehmensziele: Eine angemessene Evaluation ist hier die Voraussetzung. Sie sollte sich auf die flächendeckende Erhebung der sozio-demographischen Daten aller Beschäftigten, auf den Beschäftigungsverlauf sowie auf den Verbleib der ausgeschiedenen Mitarbeiterinnen beziehen. Selbst wenn finanzielle Mittel nur in engem Rahmen zur Verfügung stehen, müssen hier Prioritäten gesetzt werden, da sonst gar keine Klarheit über Erfolg oder Mißerfolg besteht und damit das Projekt oder Unternehmen erheblichen Risiken ausgesetzt wird. Darüber hinaus geht es um die Dimension der wirtschaftlichen Grundlagen: Hier liefert das Rechnungswesen die entsprechenden Daten. Wünschenswert sind Verknüpfungen mit der Evaluation, damit Erfolge, Teilerfolge oder Mißerfolge auch hinsichtlich ihrer Kosten transparent werden. Schließlich geht es um die Dimension der Personal- und Organisationsentwicklungsinstrumente. Diese ist die ungewöhnlichste Aufgabe; dennoch muß auch sie hinsichtlich ihrer Wirkung und planmäßigen Realisierung überprüft und ggf. nachgesteuert werden. Dafür bieten sich in erster Linie Berichtssysteme an, die sicherstellen, daß die vereinbarten Verfahren eingehalten und fortentwickelt werden. Die strategische und operative Unternehmenssteuerung faßt die verschiedenen Unternehmensdimensionen zusammen und stellt sicher, daß die sozial- und arbeitsmarktpolitische Zielebene unter Kostengesichtspunkten ebenso im Blick bleibt wie die vereinbarten Schritte der inneren Unternehmensentwicklung.

Die Ergebnisse, Erhebungs- und Auswertungsmethoden der einzelnen Controlling-Dimensionen sind keine „geheime Kommandosache", die nur die Unternehmensleitung kennen darf. Im Gegenteil: Die Mitarbeiterinnen müssen an der Einführung des Controllings mitwirken und nach der Einführung erfahren, welche Erfolge ihre Anstrengungen haben, welche Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung und Verbesserung bestehen und welche Kosten ihre Arbeit und ihre Ideen auslösen. Mit anderen Worten: Sie müssen in den Regelkreis aus Erhebung, Bewertung und steuernder Entscheidung strukturell einbezogen werden.

10. Marktbeobachtung betreiben

Unternehmensstrukturierung bedeutet zehntens: die kontinuierliche Konkurrenz- und Marktbeobachtung, Auch im Bereich der Beschäftigungsgesellschaften gibt es z.B. durch gesetzliche Veränderungen oder neue Anbie-

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ter ständige Veränderungsnotwendigkeiten. Die Öffnung des AFG für die private Arbeitsvermittlung hat durch das Auftreten der niederländischen Kollegen vom „Büro Maatwerk" zur Belebung der Szene geführt. Die Gesellschaften haben sich dem Wettbewerb um Ideen und Instrumente zu stellen, sich zu beteiligen und ständige Anpassungen vorzunehmen. Dies betrifft auch die Hinwendung zum Dienstleistungsbereich.

11. Leistungsvereinbarungen einführen

Unternehmensstrukturierung heißt elftens: die Einführung einer budgetorientierten Förderung. Eine wesentliche Grundlage für die erfolgreiche Strukturierung von Unternehmen mit sozial- und arbeitsmarktpolitischer Aufgabenstellung ist ihre größtmögliche wirtschaftliche Eigenverantwortung. Auf der Basis vereinbarter Zielbilder können Erfolgsparameter zwischen Zuwendungsgebern und Unternehmen verbindlich vereinbart werden, die die Grundlage einer output-orientierten Steuerung sind. Eine Leistungsvereinbarung beschreibt präzise, welche Ergebnisse in Menge, Qualität und Zeit der Auftraggeber für die eingesetzten öffentlichen Mittel erwartet. Im Gegenzug zur Kontraktierung der vom Auftragnehmer zu erbringenden Leistungen werden die zuwendungsrechtlichen Fesseln zugunsten eines Jahresbudgets gelockert oder entfernt. Detaillierte Einzelprüfungen treten zugunsten der Überprüfung der vereinbarten Leistungen in den Hintergrund. In dem verabredeten finanziellen Rahmen hat das Unternehmen ein Maximum an wirtschaftlichen Gestaltungsspielräumen bei der Realisierung der Leistungsvereinbarung. Ein solches Verfahren stärkt durch Verantwortungsübertragung die Eigeninitiative, stellt den wirtschaftlichen Umgang mit öffentlichen Mitteln sicher und verhindert Doppelarbeit in den Unternehmen und bei Zuwendungsgebern. Die wesentlichen Aufgaben der Unternehmenskontrolle und Unternehmenssteuerung werden in diesem Modell durch die Vorstände, Aufsichtsräte und Geschäftsleitungen wahrgenommen.

Schlußbemerkung

In der Summe aller Vorschläge bedeutet Unternehmensstrukturierung die Abkehr vom Bild des sozialen Projekts hin zum Unternehmen mit sozial- und arbeitsmarktpolitischer Aufgabenstellung. Mit dieser veränderten Sicht-

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weise ist verbunden, daß an die Stammitarbeiterinnen und an die innere Verfassung der Gesellschaften die gleichen Anforderungen hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit gestellt werden wie in jedem anderen öffentlichen oder privaten Unternehmen. Dadurch verliert sich die mögliche mangelnde Trennschärfe zwischen dem Unternehmensauftrag und der damit verbundenen Förderung von leistungsgeminderten befristet Beschäftigten und den Anforderungen, die an Stammitarbeiterinnen und -mitarbeiter und die Unternehmensorganisation zu stellen sind.

Ein wesentlicher Aspekt blieb in den Ausführungen unberücksichtigt. Er betrifft die Geschwindigkeit, mit der die Einführung der genannten Strukturen und Instrumente betrieben werden kann. Die Umsetzung ist langwierig und nur prozeßhaft zu vollziehen. Viele der ausgeführten Maßnahmen bauen unmittelbar aufeinander auf bzw. beeinflussen einander, so daß deshalb nur schrittweise vorgegangen werden kann. Eine bewußte und geplante Regulierung des Prozesses ist schon deshalb nötig, weil die angestrebten Veränderungen von allen betroffenen Personen nachvollzogen und getragen werden müssen. Zudem sind die Strukturen in jedem Unternehmen lange gewachsen und häufig verfestigt, so daß immer bedacht werden muß, daß nicht nur Neuerungen eingeführt werden, sondern auch Altbekanntes dafür aufgegeben werden muß. Dies löst Unsicherheiten und Vorbehalte aus. Insofern sind die dargestellten Ansätze das theoretische Fundament für die Einführung und den Transfer in die Unternehmenspraxis. Dabei sei darauf hingewiesen, daß es nicht immer gelingt, das Tempo der Veränderungen selbst zu bestimmen. Die vom Umfeld (Zuwendungsgeber, Arbeitsmarktpolitik) gestellten Anforderungen diktieren häufig die Geschwindigkeit und Zielrichtung. Intention der dargestellten Maßnahmen ist es, ein Teil an Autonomie zu gewinnen und veränderten Anforderungen präventiv zu begegnen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2000

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