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TEILDOKUMENT:


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Robert Reichling
Rahmenbedingungen und Umsetzungsmöglichkeiten für eine integrative Arbeitsmarktpolitik -
Statement


Arbeitsplätze entstehen nicht zwischen Markt und Staat, sondern nur im Markt. Der Staat kann keine rentablen und dauerhaften Arbeitsplätze schaffen jenseits der Grundversorgung mit hoheitlichen Aufgaben. Staatliches Lenken der Arbeitsplätze und damit der Wirtschaft führt zu Fehlallokationen, Verdrängung rentabler Arbeitsplätze und zur Überforderung öffentlicher Kassen.

Innerhalb des Arbeitsmarktes müssen Marktmechanismen wieder stärker greifen. In seiner ursprünglich marktausgleichenden und -räumenden Funktion ist der Arbeitsmarkt nachhaltig gestört. Dort, wo er noch funktioniert, wie etwa in den USA, erfüllt er seine Aufgaben. Arbeitslosigkeit jenseits der natürlichen Arbeitslosigkeit kann mittelfristig dort nicht existieren.

Um diese Thesen zu stützen, werden zwei Zusammenhänge aufgezeigt und belegt.

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1. Der Zusammenhang zwischen Rahmenbedingungen, Wirtschaftswachstum und Beschäftigungszuwachs

Es ist äußerst schwierig, direkte Zusammenhänge zwischen makroökonomischen Größen, rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen einerseits. Wirtschaftsaufschwung und Beschäftigungszuwächsen andererseits nachzuweisen. Dennoch besteht ein klarer Zusammenhang, wie anhand von zwei Beispielen gezeigt wird.

In den achtziger Jahren, genaugenommen zwischen 1983 und 1992 befand sich Westdeutschland in einer stabilen und langanhaltenden Wachstumsphase. Eine Dauer, wie sie es vorher noch kaum gegeben hat. Die Wachstumsraten des BIP begannen bei 1,8% und endeten bei +5% in 1991. Nur 1987 gab es eine leichte Wachstumsdelle mit nur +1,5%, ansonsten lagen die Wachstumsraten deutlich darüber. Die hohe Inflation der Jahre 1981

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und 1982 konnte in der Folge abgebaut werden und behielt das niedrigere Niveau bis zur Einheit bei. Durch den Regierungswechsel in Bonn 1982/83 wurde ein positives psychologisches Signal gesendet. Die Erwartungen der Investoren, Unternehmer und Arbeitgeber stiegen. Eine Änderung in Teilen der Finanz-, Steuer- und Wirtschaftspolitik wurde in Angriff genommen, was mit verstärkten Investitionen honoriert wurde. Die Anlageinvestitionen stiegen von 1983 nach 340 Mrd. DM auf 450 Mrd. DM in 1989 und vereinigungsbedingt auf 656 Mrd. DM in 1992. Deutschland partizipierte in weiten Teilen sicherlich auch an dem langanhaltenden internationalen Wirtschaftsaufschwung, der bis 1989/90 andauerte, um dann von einer weltweiten Rezession abgelöst zu werden, von der sich Deutschland nur kurzfristig durch die vereinigungsbedingte Sonderkonjunktur abkoppeln konnte.

Auf dem westdeutschen Arbeitsmarkt zeigten sich in den Jahren 1983-1992 die positiven Effekte. Die Zahl der Erwerbstätigen ist um über 3 Mio. Personen angestiegen. Dies bedeutet einen enormen Zuwachs. Gleichzeitig ist die Zahl der Erwerbspersonen auch um 2,3 Mio. gestiegen. Die Zahl der Arbeitslosen ist um 450.000 gefallen. Daran läßt sich ablesen, daß gute Rahmenbedingungen, seien sie weltwirtschaftlicher, binnenwirtschaftlicher, rechtlicher, politischer oder psychologischer Natur, zusammen mit einem langanhaltenden und nachhaltigen Wirtschaftswachstum zu einem deutlichen Beschäftigungszuwachs führen können. Wirtschaftswachstum und Beschäftigung sind nach wie vor eng miteinander verbunden, wenn die anderen Komponenten stimmen. Auch jetzt könnten in Deutschland wieder zusätzliche Arbeitsplätze entstehen und Arbeitslosigkeit abgebaut werden, wenn die Rahmenbedingungen verbessert werden können und die Volkswirtschaft auf einen stabilen Wachstumspfad einschwenkt.

Nicht unerwähnt darf das „Beschäftigungswunder USA" bleiben. Nach amerikanischer Messung befand sich die Arbeitslosigkeit 1983 auf Rekordhoch mit 9,6%, mittlerweile ist sie auf knapp über 5% gesunken, was in amerikanischer Interpretation Vollbeschäftigung bedeutet, wie man auch an den Reaktionen der Finanzmärkte auf die monatlichen Veröffentlichungen der amerikanischen Arbeitsmarktzahlen ablesen kann. Gleichzeitig ist die Erwerbsquote von 1973 bis 1995 um 8,1% gestiegen. Also hat die amerikanische Volkswirtschaft es nicht nur geschafft, die Arbeitslosigkeit im Prinzip abzubauen. Ebenfalls ist auch die hohe Zahl an Neuzugängen

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auf den Arbeitsmarkt integriert worden. Die seit 1993 entstandenen Jobs (+8,5 Mio.) sind zum größten Teil Vollzeitjobs, und bei 2/3 dieser Arbeitsplätze lagen die Stundenlöhne über dem Durchschnittsverdienst. Parallel verstand es die Politik, das Haushaltsdefizit deutlich zu senken. Die Konsolidierung öffentlicher Haushalte führt also nicht automatisch zu höherer Arbeitslosigkeit, wie viele Kritiker der derzeitigen Konsolidierungsbemühungen in Deutschland behaupten.

Daraus wird deutlich, daß es klare positive Zusammenhänge zwischen Rahmenbedingungen, Wirtschaftswachstum und Beschäftigung gibt. Nach wie vor besitzen die richtigen Rahmenbedingungen für das Erreichen und Beibehalten eines Wachstumspfades entscheidende Bedeutung.

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2. Die Beziehungen zwischen Arbeitsmarktpolitik und Beschäftigung

Arbeitsmarktpolitik - funktional eingesetzt - kann und soll den aktuellen Ausgleich von Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt wirkungsvoll unterstützen. An der Diskussion um die negative Finanzlage der Bundesanstalt für Arbeit erkennt man aber, in welche beschäftigungs- und finanzpolitischen Schwierigkeiten man sich durch die extensive Nutzung ressourcenintensiver arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen gebracht hat. Sicherlich ist es schwierig, statistisch genau nachzuweisen, welche Effekte von Arbeitsmarktpolitik auf die Beschäftigungslage ausgehen. Es seien in diesem Rahmen nur einige Zahlen und Zusammenhänge genannt, an denen offensichtlich wird, daß die Argumentationskette „höhere Arbeitslosigkeit zwingt zu mehr Arbeitsmarktpolitik, daraus ergibt sich wieder mehr Beschäftigung" falsch ist. Insbesondere ist diese Argumentationskette in Hinblick auf Marginalbetrachtungen falsch. Denn das Ausmaß an Arbeitsmarktpolitik, wie wir es seit Jahren insbesondere im Osten, aber auch immer mehr im Westen betreiben, führt bei vielen der bestehenden und erst recht bei zusätzlichen Maßnahmen in aller Regel zu negativem Grenznutzen, solange das Instrumentarium nicht zielgenauer und stärker auf den ersten Arbeitsmarkt ausgerichtet gestaltet wird.

Einige Tendenzen aus den neuen Bundesländern sollen hier aufgezeigt werden. Das Defizit der Bundesanstalt für Arbeit in den neuen Bundesländern beläuft sich kumuliert von 1991 bis 1996 auf über 210 Mrd. DM. Dieser

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Betrag wurde zu 70% durch Überschüsse bei den Beiträgen in Westdeutschland gedeckt. Das heißt: Einigungsbedingte Transfer-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik wurde zum größten Teil zu Lasten westdeutscher Arbeitskosten finanziert. Aber dieser fehlgesteuerte Finanztransfer ist nur die eine Seite. Schaut man sich die Instrumente gerade in Ostdeutschland genauer an, so muß man zu dem Schluß kommen, daß hier umgedacht werden muß. Seit 1990 sind mehr als 3 Mio. Ostdeutsche in von der BA finanzierten Kursen umgeschult oder weitergebildet worden. Auch wenn es anfangs sicherlich Bildungsdefizite gegeben hat, so ist doch heute offensichtlich, daß es nicht an ausgebildeten Fachkräften mangelt, sondern an rentablen Arbeitsplätzen. Ganz aktuell befinden sich noch 250.000 ostdeutsche Arbeitslose in Weiterbildungsmaßnahmen der Arbeitsämter. In Westdeutschland sind es nur 40.000 mehr, bei fast dreimal so vielen Arbeitslosen im Westen und 4,5mal so vielen Erwerbstätigen. Es stellt sich die Frage:

Für welche Qualifikationen wird in diesem Umfang im Osten noch geschult? Die Strukturprobleme lassen sich damit jedenfalls nicht lösen. Gerade im Osten, wo die Produktivität noch wesentlich niedriger ist als im Westen, hängt dies nicht nur mit den zu hohen Tariflöhnen zusammen, sondern auch mit der hohen Belastung durch Personalzusatzkosten, und dazu trägt die Arbeitslosenversicherung mit 6,5% Beitragssatz bei.

Ebenfalls nicht beschäftigungsfördernd, sondern nur statistikbereinigend hat die millionenfache Frühverrentungspraxis durch Zahlung von Altersübergangsgeld und Vorruhestandsgeld gewirkt. Sozialpolitisch erwünscht haben auch diese Maßnahmen die Arbeitskosten- und Steuerbelastung erhöht. Da diese Sonderinstrumente für die neuen Bundesländer auslaufen, sollte das Augenmerk aber einem anderen Sonderinstrument für den Osten gelten: die vorrangige Unterbringung von Arbeitslosen in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Gerade durch die Zuspitzung der Zugangsvoraussetzung für ABM auf Problemgruppen des Arbeitsmarktes wird evident, daß die Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt nicht in größerem Ausmaß gelingen kann. Daneben treten Wettbewerbsverzerrungen und Verdrängungseffekte auf. Im Garten- und Landschaftsbau in Ostdeutschland sind 110.000 Beschäftigte in ABM oder werden durch produktive Lohnkostenzuschüssen nach §249h AFG gefördert. Im privatwirtschaftlichen Sektor sind nur 13.600 Arbeitnehmer tätig. Hinzu kommt, daß nur 0,7% der geförderten Beschäftigten in Maßnahmen tätig sind, die durch Vergabe an Unternehmen gekommen sind. 38% der geförderten Beschäftigten im Garten- und Land-

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schaftsbau und 49% im Baugewerbe sind in ABS-Gesellschaften angestellt. Die ABS-Gesellschaften waren als Übergangslösung gedacht, um Entlassene aufzufangen, aber nicht um Strukturen zu verhärten.

An dem Jahr 1995 zeigen sich die gegenläufigen Tendenzen zwischen Arbeitsmarktpolitik und Beschäftigungslage: Im letzten Jahr ist erstmals seit der Einheit die Beschäftigung in den neuen Bundesländern nachhaltig gestiegen, während gleichzeitig der Umfang arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen zurückgenommen wurde. Im Westen wurde gleichzeitig mehr Arbeitsmarktpolitik betrieben, der Beschäftigungsabbau hielt hier aber trotzdem an.

Unter Berücksichtigung dieser Fakten kommt das Institut für Wirtschaftsforschung Halle, das nicht unter dem Verdacht steht, einseitig Partei zu ergreifen, zu dem Schluß:

„Auch das arbeitsmarktpolitische Ziel, mit dem zweiten Arbeitsmarkt eine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt zu bauen, wird in der Praxis kaum verwirklicht. Realistisch betrachtet haben die meisten Betroffenen eine Chance in einfachen Tätigkeitsbereichen. Gerade dort aber zeigt sich in Ostdeutschland, wie der zweite Arbeitsmarkt das Entstehen von Arbeitsplätzen im ersten Arbeitsmarkt verhindert, weil er sich massiv auf Tätigkeitsbereiche ausdehnt, in denen auch privatwirtschaftliche Unternehmen operieren. [...] Auch eine noch so effiziente Gestaltung der ABM-Förderung darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, daß das eigentliche Unterbeschäftigungsproblem nur auf dem ersten Arbeitsmarkt gelöst werden kann." [Fn.1: Schneider, H. in: Wirtschaft im Wandel 11/1996.]

Das Unternehmerinstitut der Arbeitsgemeinschaft schreibt in einer Studie von 1995:

„Als Ergebnis bleibt festzuhalten, daß die arbeitsmarktpolitischen Instrumente des AFG nicht geeignet waren, dem Problem der Massenarbeitslosigkeit nachhaltig beizukommen, da ihnen der Ursachenbezug fehlt. Vielmehr resultieren aus der Anwendung dieser Instrumente Fehlentwicklungen, die das Arbeitsmarktgefüge nachhaltig stören. Infolgedessen sollte auf einen Großteil dieser Maßnahmen besser verzichtet werden, was über die einsparungsbedingte Reduzierung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung schon alleine positive Beschäftigungskonsequenzen hätte. Darüber hinaus ist die Wiederherstellung marktlicher Strukturen am Arbeitsmarkt anzu-

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streben, was diesen in die Lage versetzen würde, aus sich selbst heraus wieder zum Gleichgewicht zu finden und exogene Schocks leichter zu absorbieren. Zu diesem Zwecke ist eine weitreichende Deregulierung im bundesdeutschen Arbeitsrecht anzustreben, die Rigiditäten abbaut und die Flexibilität des gesamten Systems wiederherstellt. Das Arbeitsförderungsgesetz fördert und verstetigt gegenwärtig die Arbeitslosigkeit, die es verhindern will." [Fn.2: Unternehmerinstitut e.V.: Arbeitsförderung als Förderung von Arbeitslosigkeit, Bonn 1995.]

Das alte AFG hat einen falschen Weg gewiesen. Erste Schritte hin zu einer stärkeren Ausrichtung am ersten Arbeitsmarkt und mehr Eigeninitiative der Arbeitslosen sind im Arbeitsförderungs-Reformgesetz (AFRG) verankert. Auf diesem Weg muß man weiter voranschreiten und die ersten Reformschritte nicht auf sich beruhen lassen.

Entscheidend bleibt aber der Grundsatz: Mehr Beschäftigung kann nur von der Wirtschaft geschaffen werden, die Arbeitslosigkeit kann nur dadurch bekämpft werden, daß die Rahmenbedingungen verbessert werden. Dazu gehören bessere rechtliche Rahmenbedingungen im Arbeits- und Sozialrecht, beschäftigungsfördernde moderate Tarifabschlüsse, eine genügende Spreizung und Flexibilität der Tariflandschaft, eine verbesserte Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik. Dann kommt es auch zu Wachstum, das notwendige Bedingung für Beschäftigungszuwächse ist.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2000

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