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Vera Egenberger
Das Europäische Netzwerk gegen Rassismus: Ziele und Aufgaben




Einführung

Zunächst möchte ich anmerken, daß mir die Auswahl des Titels der Tagung: Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit im vereinten Deutschland: Erscheinungsformen und Gegenstrategien" sowohl in der Terminologie als auch in der Analyse der gesellschaftlichen Realität sehr deutsch geprägt scheint.

Es steht mir nicht zu, dies zu bewerten. Ich sage dies deshalb, weil mein Arbeitshintergrund seit kurzem ein europäischer ist. Hier sprechen wir nicht von Fremdenfeindlichkeit, sondern von Rassismus. Dieses destruktive und weltverschließende Phänomen resultiert, meiner Ansicht nach, nicht ausschließlich aus rechtem Gedankengut, sondern findet sich in vielen politischen, philosophischen und gesellschaftlichen Kontexten, die oft genug sehr mittig angesiedelt sind. Ein ausschließlicher Zusammenhang von Fremdenfeindlichkeit, erwachsend aus rechtsextremistischem Gedankengut, wird nicht hergestellt, sondern nimmt die Phänomene auf breiterer Ebene wahr.

Diese Einsicht verortet Maßnahmen und Gegenstrategien auf einer anderen Ebene als die Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit in Form von Beobachtung von rechtsextremistischen Gruppierungen und gegebenenfalls deren Verbot. Diese Maßnahmen greifen aus der Sicht von vielen Nichtregierungsorganisationen erheblich zu kurz.

Eine Definition des Phänomens Rassismus fällt auf europäischer Ebene breiter aus, als dies zuweilen in der Bundesrepublik der Fall ist. Sie beinhaltet eine Diskriminierung aufgrund einer Andersartigkeit in Bezug auf die Mehrheitsgesellschaft (es ist jedoch die Frage, ob es, neben dem Konstrukt „Mehrheitsgesellschaft", so etwas wie eine Homogenität in dieser vermeintlichen Mehrheitsgesellschaft gibt). Diese Andersartigkeit kann sich auf die Hautfarbe, ethnische Herkunft, Religionszugehörigkeit oder die Herkunftskultur beziehen. Aufgrund dieser Merkmale werden Menschen aus-

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gegrenzt, diskriminiert, verprügelt und manchmal auch ermordet. Diese Auswirkungen erwachsen nicht automatisch aus einer extremistischen Ideologie, sondern sind bedauerlicherweise bei einer Mehrheit der Bevölkerung zu finden. Zum Teil ist dies blanke Arroganz zu glauben, man gehöre einfach der besseren Art von Menschen an. Bedauerlicherweise ist Rassismus auch häufig Ignoranz von durchaus gutmeinenden Menschen, die nicht die nötige Sensibilität ob eines anderen Lebenszusammenhangs aufbringen. Ich persönlich würde sogar soweit gehen, die besondere Hervorhebung von positiven Merkmalen von Fremden, die oft genug Projektionen sind, als Rassismus zu benennen.

Aufgaben und Ziele des „European Networks against Racism (ENAR)"

Eigentlich möchte ich jetzt aber über die Arbeit des Europäischen Netzwerkes gegen Rassismus berichten und welche Maßnahmen wir ansteuern, um die beschriebenen Phänomene zu minimieren. Zu sagen, daß wir sie eliminieren möchten, traue ich mich an dieser Stelle kaum, denn das scheint mir in weiter Ferne.

ENAR ist ein recht junges Netzwerk in der Reihe der europäischen Netzwerke, wie beispielsweise die Frauen-Lobby, das Migrantenforum oder das Netzwerk gegen Armut.

Die Europäische Kommission hatte 1997 das Europäische Jahr gegen Rassismus ausgerufen. In diesem Jahr sollten zum einen Projekte gegen Rassismus in Europa unterstützt werden. Zum anderen signalisierte die europäische Kommission Bereitschaft, Institutionen, die dauerhaft Rassismus beobachten oder gegen Rassismus vorgehen, aufzubauen oder zu unterstützen. Im speziellen spreche ich hier von der in Wien ansässigen Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und dem europäischen Netzwerk gegen Rassismus mit Geschäftsstelle in Brüssel.

Das Signal der Europäischen Kommission, ein solches Netzwerk zu unterstützen, wurde rasch von hauptamtlichen Aktivisten gegen Rassismus, die bereits alte Hasen in der Zusammenarbeit mit der Kommission sind, aufgegriffen. Ein Kontakt zu Nichtregierungsorganisationen in den Mitgliedslän-

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dern der Europäischen Union wurde aufgenommen, um anzuregen, runde Tische einzuberufen. Es sollten möglichst viele Nichtregierungsorganisationen aus dem nationalen und regionalen Kontext und mit unterschiedlichsten Hintergründen eingeladen werden. Zu Beginn des Jahres 1998 wurden in allen Ländern runde Tische durchgeführt mit dem Ziel, die beteiligten Nichtregierungsorganisationen dauerhaft in einem nationalen Netzwerk zusammenzubringen. Bislang war nur in einzelnen Ländern der EU eine Kooperation zwischen Nichtregierungsorganisationen umgesetzt worden. Für die Bundesrepublik Deutschland im besonderen läßt sich sagen, daß das Interesse an Vernetzung zwar schon lange bestanden hatte, es jedoch bis zur Initiative dieser runden Tische schwierig blieb, gemeinsam zu arbeiten. Dies scheint sich weitgehend geändert zu haben. Und das zu meiner Freude nicht nur in Deutschland.

Im Oktober 1998 wurde dann in Brüssel eine Gründungsveranstaltung des Europäischen Netzwerkes gegen Rassismus durchgeführt. Etwa 250 Delegierte von Nichtregierungsorganisationen, aus allen EU-Staaten, haben gemeinsam die Ziele und Grundsätze des Netzwerkes diskutiert. Hieraus möchte ich gerne einige Kernstücke zitieren und mit der bereits begonnenen Arbeit der Geschäftsstelle ergänzen:

Das Netzwerk wird sich für die Bekämpfung von Rassismus sowie die Förderung von Gleichbehandlung einsetzen. Es wird die Zusammenarbeit regionaler, nationaler und europäischer Initiativen unterstützen.

Dies wird in drei Bereichen angegangen:

1. Informationsaustausch

Das Sekretariat des ENAR wird über die Aktivitäten seiner assoziierten Gruppen auf dem laufenden sein und diese Informationen an Interessierte weitergeben. Informationen über europäische Haushaltslinien werden regelmäßig verbreitet. Sprich: zur Zeit durchforsten wir die Internet-Seiten der europäischen Kommission, um alle irgendwie mit Antirassismusarbeit in Verbindung stehenden Haushaltslinien zu ermitteln. Diese werden bis Anfang nächsten Jahres in einer Übersicht zusammengefaßt und dann regelmäßig ergänzt.

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Die für Anträge bei der Europäischen Kommission zumeist notwendigen europäischen Partner können wir weitervermitteln. Informationen über aktuelle politische Geschehnisse und Entscheidungen auf der europäischen Ebene werden an die nationalen runden Tische weitergeleitet. Wir werden darüber hinaus Materialien, wie beispielsweise Lobbyarbeit angegangen werden kann, für Organisationen anbieten, die nicht täglich mit solchen Geschäften hantieren.

Hier gilt es sehr, die jeweiligen nationalen Bedürfnisse und Zusammenhänge zu berücksichtigen. Es ist zwar wunderbar, daß Organisationen der „schwarzen Minderheiten" in Großbritannien von Wegen zur Selbststärkung und Befähigung (empowernment) sprechen. Diese Diskussion ließe sich jedoch kaum auf die türkische Minderheit in der Bundesrepublik übertragen. Die historische Entwicklung von Einwanderung war einfach anders.

Deshalb lassen wir den jeweiligen runden Tischen die Möglichkeit, die für sie brauchbaren Elemente und Hilfestellungen zu nutzen.

2. Verbindung von Initiativen und Netzen auf nationaler Ebene

Durch regelmässige Treffen der auf regionaler und nationaler Ebene organisierten assoziierten Gruppen im Netzwerk haben sie die Möglichkeit, sich über ihre Arbeit auszutauschen, als auch diese zu koordinieren. So können sich Initiativen austauschen über gute und hoffentlich auch schlechte Erfahrungen im Einsatz von unterschiedlichsten Methoden. Eine Offenheit im Umgang mit wenig Erfolg versprechenden Methoden könnte helfen, die Qualität der Antirassismusarbeit von einem „gut gemeinten Einsatz für Hilfsbedürftige" zu einem professionellen Arbeitsansatz zu bringen. Ich persönlich meine, daß wir genau diese Professionalität brauchen, um eine Gesellschaft vorurteilsfrei und integrierend zu gestalten. Darüber hinaus läßt sich eine parallele oder gar doppelte Arbeit vermeiden. Über diese Vernetzung der Initiativen hegt ENAR die Hoffnung, neue Strategien zur Bekämpfung von Rassismus zu entwickeln.

Hier möchte ich Ihnen ein Beispiel anführen:

Die Europäische Kommission hat im Jahr 1997 einen Aktionsplan gegen Rassismus für kommissionsinterne Arbeitszusammenhänge zusammengestellt. Dieser beinhaltet die Bereiche Justiz, den Bereich der Arbeit, Erzie-

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hung, Forschung und eine Mainstreaming Strategie (Antirassismus als Querschnittsaufgabe). Dies schien dem sich gründenden runden Tisch Deutschlands, dem „Netz gegen Rassismus - für gleiche Rechte" für die Bundesrepublik nicht spezifisch genug. Ende 1998 und im Laufe des Jahres 1999 haben sich VertreterInnen des „Netzes" in einer Redaktionsgruppe zusammengefunden, um einen alternativen Aktionsplan für die Bundesrepublik zusammenzustellen. Dieser beinhaltet die Bereiche Bildung und Ausbildung, Arbeit und Beschäftigung, rechtliche Gleichstellung, Akzeptanz und Zusammenleben und die Vernetzungsarbeit und Kampagnen. Dieser Aktionsplan umfaßt eine nahezu flächendeckende Zustandsbeschreibung von Diskriminierung in der BRD und benennt konkrete Vorschläge, wie, gemeinsam mit den jeweiligen Akteuren in Ministerien, den Medien, der Polizei und in gesellschaftlichen Gruppen für eine offene und integrierende Gesellschaft gearbeitet werden kann. Dieser Aktionsplan ist nun fast so weit, an die Öffentlichkeit zu gehen, und wird als Diskussions- und Handlungsgrundlage genutzt werden. Dies ist meines Wissens das erstemal in der Bundesrepublik, daß sich eine Vielzahl von Nichtregierungsorganisationen im Bereich der Antirassismusarbeit zusammen tun, um ein solches Vorhaben anzugehen.

3. Lobbying und Kampagnen

Assoziierte Gruppen des Netzwerkes glauben, daß es möglich ist, Einfluß auf politische Entscheidungen, die oft genug Grundlage für diskriminierende Praxis sind, zu nehmen. Wir werden Kontakt zu VertreterInnen der nationalen als auch des Europaparlamentes aufnehmen, um Standpunkte und Einschätzungen zu Gesetzesentwürfen gemeinsam zu diskutieren.

Hier würde ich gerne das Beispiel der Implementierung des Artikels 13 des Amsterdamer Vertrages anbringen. Eine intensive Lobbyarbeit von Seiten einiger europäischer NGOs seit 1994 machte die Aufnahme einer Antidiskriminierungsklausel in den Amsterdamer Vertrag möglich. Dieser Amsterdamer Vertrag ist, nach der Annahme einer Ratsrichtlinie, bindend für die Mitgliedsländer der Europäischen Union. Soweit nicht bereits vorhanden, müssen dann alle Mitgliedsländer dafür Sorge tragen, daß eine Antidiskriminierungsklausel in nationales Recht aufgenommen wird. Die Ausgestaltung dessen liegt selbstverständlich in den Händen der jeweiligen Regierun-

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gen. Wenn es die Nichtregierungsorganisationen auf nationaler Ebene schaffen, Einfluß auf die Ausgestaltung der Antidiskriminierungsklauseln zu nehmen, scheint mir eine praktikable Lösung auch im Sinne der von Rassismus betroffenen Menschen, erheblich wahrscheinlicher. Genau dies ist für das Jahr 2000 voraussichtlich vorgesehen. Voraussichtlich deshalb, weil das entsprechende Gremium des Netzwerkes, dies zu entscheiden, das „jährliche europäische Treffen" erst Ende November tagen wird.

Die Struktur und die einzelnen Gremien des Europäischen Netzwerkes gegen Rassismus sind der Übersicht auf der folgenden Seite zu entnehmen.

Das ENAR-Sekretariat kooperiert sehr intensiv mit den sogenannten nationalen runden Tischen. Alle Organisationen, seien es Migrantenorganisationen, Kirchen und Wohlfahrtsverbände, Informationsstellen, Antidiskriminierungsbüros, Graswurzelorganisationen oder Gewerkschaften, können sich ins nationale Netzwerk einbringen und haben automatisch Teil am europäischen. Eine formale Mitgliedschaft oder Mitgliedsbeiträge gibt es nicht. Eines haben alle Gruppen gemeinsam: Sie arbeiten aktiv für die Vermeidung von Diskriminierung von Minderheiten und Einwanderern.

Wir erwarten von diesen runden Tischen, daß Informationen, relevant oder interessant auch für andere, weitergegeben werden auf die regionale und europäische Ebene und im Idealfall auch auf die lokale Ebene durchsickern. Das Sekretariat seinerseits sieht, wie bereits angesprochen, die Informa-
tionsweitergabe von der europäischen auf die nationale Ebene als eine seiner Aufgaben an.



Kooperationen mit anderen Organisationen

Auf europäischer Ebene gibt es darüber hinaus eine Zusammenarbeit des ENAR mit anderen Netzwerken, die ebenfalls gegen Diskriminierung von Frauen, Behinderten, Einwanderern aus Drittstaaten etc. arbeiten, und mit europäischen Organisationen wie der starting line group, der Beobachtungsstelle gegen Rassismus in Wien und anderen. Außerdem arbeiten wir mit der Europäischen Kommission zusammen, die uns nicht nur einen Gutteil des ENAR Haushaltes zukommen läßt. Sie verfolgt, und das ist recht neu, die Strategie, in der Phase der Erarbeitung von Kommissiondirektiven, gemeinsam mit Netzwerken von Nichtregierungsorganisationen in der

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Struktur des Europäischen Netzwerkes gegen Rassismus (ENAR)

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Migrations- und Antidiskriminierungsarbeit, Ideen und Positionen auszutauschen, um diese in Vorlagen für das Parlament einfließen zu lassen.

Eine weitere Sache ist die Weltkonferenz. Wie Sie vermutlich wissen, wird in 2001 eine Weltkonferenz zu Rassismus in Südafrika stattfinden. Im Vorlauf und zur Vorbereitung werden sogenannte Regionalkonferenzen, was in diesem Sinne Kontinentalkonferenzen sind, durchgeführt. In der Regel sind dies hochoffizielle Regierungstagungen. Nichtregierungsorganisationen haben aber bei der europäischen Regionalkonferenz, in der zweiten Hälfte des Jahres 2000, die Möglichkeit, vor dem Beginn der Regierungskonferenz, ein NGO Forum durchzuführen. Diese wird zur Zeit unter der Mitwirkung von ENAR vorbereitet.

Lassen Sie mich, bevor ich zum Ende komme, noch kurz den Unterschied zwischen ENAR und der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit beschreiben. Wie bereits angedeutet, wurde letztere im Rahmen des „Europäischen Jahres gegen Rassismus" 1997, auf die Initiative der Kommission mit Unterstützung der Regierungen der EU Mitgliedsländer gegründet. Sie hat die Aufgabe, jährlich über die Situation in den Mitgliedsländern zu berichten und Vorschläge und Maßnahmen zur Nichtdiskriminierung zu erarbeiten. Dies geschieht im Arbeitszusammenhang und in enger Kooperation mit den Regierungen, der Kommission, der Wissenschaft und den Nichtregierungsorganisationen. Es wird, neben vielen anderen Aktivitäten, ein technisches Netzwerk mit dem Namen RAXEN aufgebaut werden, das den Zugang zu Daten und Statistiken, Forschungen und Experten ermöglichen soll.

Ich denke, es wird deutlich, daß die Beobachtungsstelle einen offiziellen Charakter hat, im Gegensatz zu ENAR, das, und da nehme ich mir den Titel der Nachmittagssitzung zur Hilfe, das Ziel hat, Rassismus zu bekämpfen. Die Strategie ist die politische Lobbyarbeit, die im Verbund des Netzwerkes umgesetzt werden wird. Wir erhoffen uns daraus, daß Entscheidungsträger in der Politik die Initiative aufnehmen, um ihren Teil für eine gewalt- und diskriminierungsfreie Gesellschaft beizutragen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2000

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