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Richard Stöss
Rechtsextremismus in West- und Ostdeutschland


Dieser kurze Überblick über den Rechtsextremismus im West- und Ostdeutschland konzentriert sich auf wesentliche Merkmale des Rechtsextremismus in beiden Teilen Deutschlands und auf seine Entwicklungsgeschichte seit 1990.

Kennzeichen des Rechtsextremismus in Westdeutschland ist Organisation, genauer: Organisationsvielfalt. Die Liste der Parteien, Jugendorganisationen, politischen, sozialen und kulturellen Verbände und sonstigen Institutionen (Presse, Verlage, regelmäßig stattfindende Kongresse etc.) ist ellenlang. Die Vielfalt beruht in erster Linie auf unterschiedlichen ideologischen und politischen Sichtweisen, womit eine weitere Besonderheit des westdeutschen Rechtsextremismus benannt ist: Andauernde Geschichts-, Theorie- und Strategiedebatten, die elitär und verbissen in einer Vielzahl von Zeitungen, Zeitschriften, Zirkularen, Broschüren, Büchern und seit einiger Zeit auch im Internet geführt werden. Dabei herrscht auch heute noch eine außergewöhnliche Fixierung auf die deutsche Geschichte vor, was diesen Debatten einen gespensterhaften, unzeitgemäßen Charakter verleiht.

Daraus ergibt sich als drittes Merkmal Zersplitterung und Rivalität. Die Parteien, insbesondere ihre Führer, wetteifern um Macht und Einfluß innerhalb des rechtsextremen Lagers, und sie konkurrieren gegeneinander um Wählerstimmen.

1989/90, als der Prozeß der deutschen Einigung begann, befand sich der westdeutsche Rechtsextremismus aber nicht nur in organisatorischer, sondern auch in ideologisch-programmatischer Hinsicht in einer prekären Lage. Der Alte Nationalismus geriet mit der sich anbahnenden nationalen Einheit in eine schwere Identitätskrise. Er hatte keine Antwort auf die Frage, was Nationalismus nach der Vereinigung beider deutscher Staaten noch bedeuten könnte. Die Rückgewinnung der ehemaligen deutschen Ostgebiete und die Wiederherstellung des „Deutschen Reichs" stellten jetzt nämlich eine absolut unrealistische, unpopuläre und zudem völkerrechtswidrige Forderung dar. So kam es, daß Republikaner und NPD bei der ersten gesamt-

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deutschen (Bundestags-) Wahl zusammen ganze 2,4 Prozent der Stimmen mobilisierten, wobei das Ergebnis im Westen mit 2,6 Prozent deutlich besser ausfiel als im Osten (1,6%). Die DVU war übrigens gar nicht erst zur Wahl angetreten.

Kennzeichnend für den Rechtsextremismus in Ostdeutschland ist subkultureller Protest.

Das Fundament des ostdeutschen Rechtsextremismus wurde in der DDR gelegt. Der Staatssozialismus beförderte die Entstehung autoritärer, nationalistischer und fremdenfeindlicher Orientierungen und war zugleich blind gegenüber rechtsextremen Ereignissen im eigenen Land. Als vermeintlich von Geburt an antifaschistischer Staat geißelte die DDR den Neofaschismus in Westdeutschland als genuinen Bestandteil des „staatsmonopolistischen Kapitalismus", übersah dabei allerdings, daß sich im Zuge des sozialen Wandels und mit wachsenden Legitimationsdefiziten der SED-Herrschaft auch in ihrem „antifaschistischen Deutschland" rechtsgerichtete Protestbewegungen entwickelten und zu subkulturellen Milieus verdichteten. Da öffentlicher Protest in einem Polizeistaat große Risikobereitschaft voraussetzt, zeichneten sich die Fußballfans und Skinheads in der DDR durch enorme Gewalttätigkeit und Brutalität aus.

Mit dem Fall der Mauer schwoll der Jugendprotest an, und die Milieus breiteten sich weiter aus. Der Zusammenbruch der alten Ordnung bedeutete schließlich eine starke psychische Belastung für die Ostdeutschen. Er wurde oft als Verlust von Sicherheit und Geborgenheit, als Entwertung von Qualifikationen und Lebensleistungen, als Identitätskrise erfahren. Die ökonomisch-sozialen Folgen des Systemwechsels, der Niedergang der DDR-Wirtschaft, die Massenarbeitslosigkeit und die enttäuschten Hoffnungen auf eine rasche Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen potenzierten den Druck auf die Menschen. Das Bedürfnis nach Ruhe und Ordnung, nach Stabilität und Berechenbarkeit, nach Fürsorge und sozialer Gerechtigkeit breitete sich aus und verstärkte autoritäre und fremdenfeindliche Einstellungen.

Und dies insbesondere bei jungen Leuten, die nicht fest in das DDR-System sozialisiert waren und große Probleme damit haben, sich in die neue Gesellschaft zu integrieren, die - aus der Perspektive ihrer individuellen Sozialisation - vom Regen in die Traufe gekommen sind.

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Bei der Suche nach Sündenböcken für dieses Desaster wurden rasch die Fremden im eigenen Land ausgemacht, die Ausländer und die Westdeutschen. Von letzteren fühlt man sich an den Rand der Gesellschaft gedrängt, zu Bürgern zweiter Klasse degradiert. Sozial Schwache (Ausländer, Behinderte, Obdachlose) eignen sich nicht nur als Feindbild, sondern auch besonders gut dazu, Frustrationen abzureagieren. Insbesondere bei jungen Leuten steigerte sich die Unzufriedenheit bis hin zu aggressivem Haß und teilweise sogar bis zu roher Gewalt.

So erhielten die bestehenden Subkulturen seit 1990 massenhaften Zulauf. In Ostdeutschland entstand ein Flickenteppich aus Szenen, Gruppen und Cliquen. Zwischen 1991 und 1994 erlebte die Bundesrepublik insgesamt ein Anschwellen der rassistischen Gewalt in einem bis dahin unvorstellbaren Ausmaß, wobei die Hälfte der Gewalttaten in Ostdeutschland verübt wurde. Nicht selten fanden die teilweise pogromartigen Aktionen gegen Ausländer und Asylbewerber den Beifall von Anwohnern oder Passanten.

Die rassistische Gewalt ging und geht also keineswegs allein auf das Konto isolierter Randgruppen. Ignoranz, Toleranz und die Unfähigkeit zu angemessenen Reaktionen sind in der Bevölkerung und bei Politikern, Lehrern, Sozialarbeitern und Journalisten offenbar ziemlich verbreitet. In bestimmten Regionen Ostdeutschlands besteht eine erhebliche Neigung, „national befreite Zonen" hinzunehmen. Jedenfalls sind die gewaltbereiten Subkulturen in ein latent rechtsextremes Umfeld eingelagert. Der Rechtsextremismus im Osten läßt sich mithin nicht auf ein Jugendproblem reduzieren.

Die weithin von Skinheads und deren Sympathisanten geprägten Subkulturen sind allerdings nicht fest strukturiert. Sie bestehen zumeist aus labilen Gruppen mit großer Fluktuation. Ihre Mitglieder verfügen nur ausnahmsweise über ein festgefügtes rechtsextremes Weltbild. Sie sind selten politisch interessiert und neigen kaum zu verbindlicher Mitarbeit in Organisationen oder Parteien. Der genuine Ost-Rechtsextremismus kann als ideologisch gering fundiert, schwach organisiert, spontan und besonders aggressiv charakterisiert werden. Er ist überwiegend subkulturell und bewegungsförmig orientiert. Dadurch unterscheidet er sich vom Rechtsextremismus im Westen, der traditionell auf Organisation setzt. Rechtsextremistische Skinheads, Hooligans und Gewalttäter gibt es auch im Westen, aber sie prägen das rechtsextreme Lager nicht.

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1989/90 trafen beide Spielarten des Rechtsextremismus aufeinander - der organisierte des Westens und der subkulturelle des Ostens. Die westdeutschen Organisationen, insbesondere Neonazis, NPD und Republikaner, witterten im expandierenden Rechtsextremismus der zusammenbrechenden DDR ein neues Rekrutierungsfeld. Sie erklärten Ostdeutschland folglich zum bevorzugten Aufmarschgebiet. Dies lief de facto auf den Versuch hinaus, den ostdeutschen Rechtsextremismus zu institutionalisieren.

Unmittelbar nach der Öffnung der Mauer bemühten sich Repräsentanten fast aller westdeutschen Organisationen, Anhänger und Mitglieder in der DDR zu gewinnen. Und sie warteten schon bald mit zweifelhaften Erfolgsmeldungen auf, die offenbar auch Eingang in die Statistiken der Verfassungsschützer gefunden haben. 1992 wurden für Republikaner und DVU jeweils 3.000 Mitglieder und weitere 1.200 für die übrigen Organisationen gemeldet. Selbst wenn diese Angaben der Wahrheit entsprochen haben sollten, was bezweifelt werden muß, war der Organisationsgrad niedriger als im Westen. Wichtiger noch: Der Anteil der Aktiven war verschwindend gering.

Und auch bei Wahlen stießen die Parteien auf wenig Resonanz, von Landtagsmandaten waren sie weit entfernt. Die DVU begann vergleichsweise spät mit dem Parteiaufbau und nahm überhaupt erst 1998 an Wahlen in Ostdeutschland teil. Im Westen überwand die Frey-Partei dagegen 1991 in Bremen und 1992 in Schleswig-Holstein die Sperrklauseln, und die Republikaner zogen in Baden-Württemberg 1992 und 1996 mit jeweils rund 10 Prozent in den Landtag ein. In Hamburg kamen die rechtsextremen Parteien 1993 und 1997 wenigstens gemeinsam über die Fünf-Prozent-Hürde, in Bayern erreichten die Republikaner 1990 4,9 Prozent und 1994 noch 3,9 Prozent. Vergleichbare Ergebnisse schienen für den Osten illusorisch. Warum?

Mit der Übertragung der westlichen Parteistrukturen auf den Osten war automatisch der Export der ideologisch-programmatischen Konflikte und der persönlichen Rivalitäten zwischen den Parteiführern verbunden. Die Geschichte des organisierten Rechtsextremismus in Ostdeutschland besteht denn auch weithin in der Bewältigung von Problemen, die aus dem Westen eingeschleppt wurden. Den Richtungsstreit zwischen den Parteien sahen viele ostdeutsche Kameraden als Intrigenspiel westdeutscher Funktionäre an. Und auf die Rückgewinnung der ehemaligen deutschen Ostgebiete

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waren die Ostdeutschen ebensowenig scharf, wie auf Vorträge über die „Auschwitz-Lüge" oder über die Verantwortung der Briten für den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. In den neuen Bundesländern hatte man andere Sorgen.

Während sich die Wahlparteien der Alten Rechten - zunächst erfolglos - auf den latenten Rechtsextremismus im Osten, auf das tolerante Umfeld der gewaltbereiten Subkulturen, konzentrierten, suchten die Neonazis direkten Kontakt zu Skins, Faschos, Hools etc. Weil zwischen beiden durchaus Anknüpfungspunkte bestanden, kam es zunächst auch in größerem Umfang zu Kooperationen. Die Neonazis verfügten nämlich aus früherer Zeit über Erfahrungen im Umgang mit derartigen Subkulturen im Westen, hatten praktische Kenntnisse in der Durchführung von öffentlichen Aktionen, vor allem aber im Umgang mit Polizei und Verfassungsschutz, und sie brachten eine Programmatik mit, die nicht nur nationalistisch, sondern eben auch sozial und scheinbar links ausgerichtet war und daher der Mentalität der jungen Leute aus den Subkulturen eher entsprach als die Programme der altrechten Opas. So entwickelte sich eine symbiotische Beziehung (eine Beziehung zum gegenseitigen Nutzen), die es den westdeutschen Neonazis ermöglichte, das diffuse rechtsextreme Weltbild ihrer Kameraden im Osten neonazistisch zu formen, Kader zu bilden und organisatorische Strukturen zu errichten.

Wegen der tendenziell organisationsfeindlichen Mentalität in den ostdeutschen Subkulturen konnten die Neonazis ihr Ziel jedoch nur teilweise erreichen. Aber es ist ihnen gelungen, schlagkräftige kleine Kadergruppen mit geschulten Aktivisten aufzubauen, die durchaus in der Lage waren, für einzelne Vorhaben eine größere Anhängerschaft in den Szenen zu mobilisieren. So war ein außerordentlich gefährlicher Kern von militanten Neonazis entstanden, der durchaus den Grundstock für einen neuen Rechtsterrorismus hätte abgeben können, wären sie nicht durch staatliche Repression zerschlagen worden. Die wichtigsten Vereinigungen wurden zwischen 1992 und 1995 verboten. Damit waren die Institutionalisierungsabsichten der westdeutschen Neonazis (vorerst) gescheitert. Diese Verbote hatten jedoch keine Auswirkungen auf das Szenen- und Cliquenwesen, das weiter expandierte.

Im dem Maß, wie die staatlichen Repressionsmaßnahmen gegen die Neonazis griffen, begann in den neuen Bundesländern eine Strategiedebatte

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unter dem Stichwort „Organisation durch Desorganisation". Durch dezentrale Organisation in autonomen Kameradschaften wollte man den Strafverfolgungsbehörden möglichst wenig Angriffsflächen bieten. Mitte der neunziger Jahre setzten aber auch - gegenläufige - Bestrebungen der NPD und ihrer Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) ein, die Anhänger der verbotenen neonazistischen Organisationen zu integrieren und eine Avantgarderolle im Bereich der Subkulturen zu übernehmen.

Die NPD hat sich mittlerweile in programmatischer und strategischer Hinsicht zu einer überwiegend neonazistischen (genauer: national- und sozialrevolutionären) Partei entwickelt, die seit 1997 ihre Mitgliederschaft in Ostdeutschland vervielfachen konnte. Bei der Bundestagswahl 1998 mobilisierte sie im Osten immerhin knapp 70.000 Wähler, was prozentual zwar kaum ins Gewicht fiel, für eine gewaltbereite, systemoppositionelle Partei aber doch beachtlich war (und ein erhebliches Gefährdungspotential erkennen ließ). Einiges spricht dafür, daß die NPD ihre Wähler in erster Linie aus den jugendlichen Subkulturen bezog.

Die altrechten Wahlparteien DVU und Republikaner blieben zunächst erfolglos. Beide mußten im Osten zwischen 1992 und 1997 kontinuierlich Mitgliederverluste hinnehmen, die Republikaner von angeblich 3.000 auf knapp 1.400, die DVU von angeblich 3.000 auf knapp 500.

Sieht man einmal von der extrem hohen Gewaltbereitschaft in den neuen Bundesländern ab, dann war der Osten bis weit in die neunziger Jahre hinein keineswegs die Heimstatt des bundesdeutschen Rechtsextremismus. In den alten Bundesländern waren bis dahin das rechtsextreme Einstellungspotential, die Bereitschaft zur Wahl einer rechtsextremen Partei und der Organisationsgrad von Rechtsextremisten wesentlich größer als in den neuen Ländern.

Damit bin ich bei dem wesentlichen Merkmal angelangt, daß die Entwicklung des bundesdeutschen Rechtsextremismus von 1990 bis heute prägt: Die Gewichtsverlagerung von West nach Ost.

Betrachten wir zunächst den latenten Rechtsextremismus: Wir wissen aus Umfragen, daß rechtsextreme Einstellungen noch 1994 im Westen weiter verbreitet waren als im Osten. 1998 verfügten dann aber 17 Prozent der Ostdeutschen und nur 12 Prozent der Westdeutschen über ein rechtsextremes Weltbild.

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Eine derartige Verschiebung der Gewichte zeigt sich auch beim Wahlverhalten. Bei den Bundestagswahlen 1990 und 1994 waren die Zweitstimmenanteile für rechtsextreme Parteien im Westen größer (2,6% : 1,6% bzw. 2,0% : 1,3%), 1998 lag dann aber der Osten vorne. Während DVU, NPD und Republikaner in den alten Bundesländern gemeinsam 2,9 Prozent erreichten, brachten sie es in den neuen Ländern auf 5,0 Prozent, in Brandenburg auf 5,1 Prozent und in Sachsen sogar auf 5,7 Prozent. Den Durchbruch schaffte bekanntlich die DVU bei den Landtagswahlen 1998 in Sachsen-Anhalt (12,9% und 16 Mandate), und bei der diesjährigen Landtagswahl in Brandenburg überwand sie wiederum die Fünf-Prozent-Hürde, allerdings mit einem deutlich schlechteren Ergebnis als in Sachsen-Anhalt.

Die Ursache für diese Gewichtsverlagerung dürfte in dem dramatischen Stimmungswandel zu finden sein, der sich nach der Bundestagswahl 1994 in Ostdeutschland vollzogen hat. Unzufriedenheit, Zukunftspessimismus und Systemverdrossenheit sind in dieser Zeit stark angewachsen. Die - gewiß weithin überzogenen, vom Westen aber auch geschürten - Erwartungen an die Segnungen der kapitalistischen Wohlfahrts- und Konsumgesellschaft sind in herbe Enttäuschung umgeschlagen. Damit verbesserten sich die Erfolgsbedingungen für Rechtsaußen-Parteien (übrigens auch für die PDS).

Aber es waren nicht nur die gesellschaftlich-politischen Rahmenbedingungen, die rechtsextreme Wahlerfolge begünstigten, auch die rechtsextremen Parteien in Ostdeutschland haben sich in programmatischer und strategischer Hinsicht gewandelt.

Vor allem die NPD, aber auch die DVU, hatten aus den Erfahrungen der Neonazis gelernt, daß sich die Ostdeutschen bei Wahlen nicht mit typischer Westprogrammatik mobilisieren lassen. So fanden allenthalben programmatische Revisionen statt, die die vermeintlichen oder tatsächlichen Interessen und Bedürfnisse im Osten in das Zentrum der Wahlkämpfe stellten.

Die NPD gab sich im Dezember 1996 auf dem Parteitag in Ohrel (Niedersachsen) ein neues Programm, das großes Gewicht auf wirtschafts- und sozialpolitische Fragen legt, kapitalismuskritisch und ethnopluralistisch ausgerichtet und weithin in einem nationalrevolutionären Duktus gehalten ist. Die „nationale Frage" war nachrangig geworden, ebenso der Revisio-

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nismus. Von zentraler Bedeutung ist die soziale Frage, die weithin (neo)rassistisch gelöst werden soll. Mit Formulierungen, wie

    „Jeder Deutsche hat das Recht auf Arbeit. Arbeitsplätze sind zuerst an Deutsche zu vergeben. Männer und Frauen sind im Arbeitsleben unter Berücksichtigung des Leistungsprinzips gleich zu behandeln."

dürfte die NPD vielen jungen Rechtsextremisten in Ostdeutschland aus dem Herzen sprechen. Die „Sozialisten" in der sächsischen NPD gingen in einem Flugblatt noch einen (für die Gesamtpartei sicherlich nicht repräsentativen) Schritt weiter und knüpften unmittelbar an die DDR-Identität an:

    „Die NPD (...) ist eine moderne und revolutionäre Partei, die sich im Interesse aller anständigen Deutschen der Zerstörung unseres Landes durch die Politiker des internationalen Großkapitals entgegenstellt. Die Politik der Bundesregierung bewerten wir als kapitalistischen Extremismus und Fundamentalismus...

    In der Tradition der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung stehend und in der Geschichte des deutschen Volkes verwurzelt, wenden wir uns gegen alle volks- und kulturzerstörenden Maßnahmen der EU-Administration, der Bundesregierung und der Landesregierungen. In den Kommunen erleben wir mit Zwangsprivatisierungen, Ausgliederungen von Dienstleistungen, Schließung kommunaler Einrichtungen, Abstoßen kultureller Institutionen und Massenentlassungen unter den einfachen Mitarbeitern die Folgen einer radikal kapitalistischen Politik...

    Deshalb sehen wir unseren unmittelbaren Gegner in den Führungsmannschaften von CDU/CSU, SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen. Da auch die Führungskräfte der Republikaner, der DVU und anderer Gruppen auf die Seite der Parteien des Großkapitals gerückt sind und sich mit diesen Parteien in einem bösartigen Antikommunismus gegen die Bürger der Ex-DDR einig sind, sehen wir keine politische Gemeinschaft mit ihnen. Mit Sorge erfüllt uns, daß sich Tendenzen in der Führung der PDS ausbreiten, sich dem politischen Geschäftsgebahren der Altparteien anzupassen, ihre Wähler zu verraten und sich immer abwertender zur Geschichte der DDR zu äußern.

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    Wir Mitglieder der NPD in Sachsen stehen zur ganzen deutschen Geschichte und auch zur Geschichte der DDR. Die Mehrheit unserer Mitglieder ist im 8. Jahr des Beitritts der DDR zur BRD der Meinung, daß die DDR das bessere Deutschland war. Wir wollen deshalb die positiven Erfahrungen aus der DDR in die deutsche Politik einbringen...

    Schluß mit der Diskriminierung der Sachsen durch die Westdeutsche Landesregierung in Dresden! ... Für eine neue Nationale Front des demokratischen Deutschlands in Sachsen! (DESG-inform, 6/1998)"

Auch die DVU hatte vor den Wahlen 1998 ihre Programmatik verändert und legte den Schwerpunkt ihrer Agitation nun auf aktuelle innenpolitische Themen. Damit sprach auch sie die unmittelbaren Sorgen und Probleme der Menschen an. Mehr noch als die NPD verzichtete sie auf expansionistische Formulierungen und verpackte ihren Nationalismus hauptsächlich in - fremdenfeindlich gewendete - soziale Forderungen. In einem Flugblatt, das Bestandteil ihrer Massenaussendungen war, hieß es:

„Die DVU will, was die Mehrheit der Deutschen will.

  • Deutsche Arbeitsplätze zuerst für Deutsche!
  • Deutsches Geld zuerst für deutsche Aufgaben!
  • Die D-Mark soll bleiben!
  • Kriminalität hart bekämpfen!
  • Ausländerbegrenzung durchsetzen."

Im „DVU-Wahlprogramm 1998" hieß es listig:

    „Überfremdung: Deutschland muß das Land der Deutschen bleiben! Auch im Interesse der mehrheitlich anständigen und rechtschaffenen Ausländer. Es darf keine Benachteiligung Deutscher gegenüber Fremden im eigenen Land geben!"

Der DVU-Chef Frey, der sein Vermögen unter anderem mit dem Revisionismus gemacht hatte und weiterhin noch macht, verzichtete nun mit Blick auf die Mentalität der Ostdeutschen nahezu völlig auf derartige Elemente in der Programmatik seiner Partei.

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Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß sich seit Mitte der neunziger Jahre die Bedeutung der Parteien in Ostdeutschland vergrößert hat. Der Rechtsextremismus läßt sich hier nicht mehr nur als subkulturell, ideologisch gering fundiert, schwach organisiert und besonders aggressiv charakterisieren. Daneben vollzogen sich Institutionalisierungsprozesse, die ihren Abschluß noch nicht gefunden haben dürften. Dafür sprechen auch neuere Pressemeldungen über eine Intensivierung der Zusammenarbeit von NPD und Teilen der Skinhead-Bewegung.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2000

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