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Fritz Rudolf Körper
Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit: Politische Gegenstrategien


Das Tagungsthema der Friedrich-Ebert-Stiftung „Erscheinungsformen von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit im vereinten Deutschland sowie mögliche Gegenstrategien" ist leider von hoher Aktualität. Brutale, feige Übergriffe auf Ausländer, zum Beispiel in Eggesin (Mecklenburg-Vorpommern) und Kolkmoor (Bayern), sowie der Einzug der DVU in den Brandenburger Landtag haben das auch jüngst gezeigt. Der Tagungsort Berlin sieht sich nach Angaben der Landeskommission Berlin gegen Gewalt vom Juni dieses Jahres, insbesondere im Ostteil der Stadt, mit zunehmenden rechtsextremistischen Einstellungen unter Jugendlichen wie unter Erwachsenen konfrontiert.

Lassen Sie mich zunächst etwas zur Klarstellung der Begrifflichkeiten sagen. Im Anschluß möchte ich ein aktuelles Bild zur Lage des Rechtsextremismus bundesweit und speziell in Ostdeutschland zeichnen. Schwerpunkt meiner Ausführungen werden die Möglichkeiten der Politik sein, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit zu bekämpfen - die politischen Gegenstrategien.

Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit sind Topoi, denen in Wissenschaft, Politik und öffentlicher Meinung unterschiedliche, z.T. einander ausschließende Bedeutungen beigemessen werden. Die einen subsumieren Fremdenfeindlichkeit unter Rechtsextremismus. Andere sehen beide als sich überschneidende Phänomene. Unter Extremismus fassen wir Ideologien, Einstellungen und Bestrebungen zusammen, die sich gegen den Kernbestand unserer Verfassung richten, die sog. freiheitliche demokratische Grundordnung.

Aus der Perspektive der Inneren Sicherheit ist Rechtsextremismus durch die Ideologieelemente Nationalismus und Rassismus gekennzeichnet. Die ethnische Zugehörigkeit zu einer Nation oder Rasse besitzt demnach die größte Bedeutung für das Individuum. Ihr sind alle anderen Interessen und Werte, auch die Menschen- und Bürgerrechte, untergeordnet. Rechtsextremisten

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propagieren eine „Ideologie der Volksgemeinschaft". Staat und Volk verschmelzen in einer Einheit - angeblich als natürliche Ordnung. Dieses antipluralistische System läßt für demokratische Entscheidungsprozesse keinen Raum.

Fremdenfeindlichkeit umschreibt ein Verhalten, das sich in Wort und Tat gegen alles richtet, was als von der eigenen Vorstellungswelt abweichend empfunden wird oder abweicht und als minderwertig angesehen wird. Wie es der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Peter Frisch, einmal formuliert hat: „Das Problem der Fremdenfeindlichkeit resultiert aus einer Berufung auf ein ‘deutsches Wesen’, das bestimmte nichtdeutsche Eigenschaften oder Eigenheiten nicht kennt oder ablehnt, sie auf jeden Fall aber als minderwertig ansieht."

Im deutschen Rechtsextremismus erregen aktuell vor allem gewaltbereite Rechtsextremisten Aufmerksamkeit.

Der rechtsextremistischen Parteienlandschaft in den westlichen Bundesländern steht ein organisatorisch eher schwach entwickeltes Parteienspektrum in Ostdeutschland gegenüber, das von politisch ungebundenen Wählern jedoch immer wieder Zuspruch erhält. Die Szene gewaltbereiter Rechtsextremisten und Neonazis ist überproportional im Osten entwickelt. Alle rechtsextremistischen Bestrebungen können in Ostdeutschland an den Mangel demokratischer Traditionen und spezifische DDR-Traditionen wie Antiindividualismus, staatlichen Autoritarismus, Antipluralismus, Antiamerikanismus und Antizionismus anknüpfen.

Das Wiedererstarken rechtsextremistischer Potentiale hielt 1998 an. Die Zahl der Mitglieder und Anhänger stieg auf rund 53.600. Zum Vergleich: 1996 sind es noch etwa 45.300 gewesen. Bei den Gewalttaten deuten die Zahlen für die ersten sechs Monate des Jahres 1999 einen leichten Rückgang an. Allerdings hat es gerade in den letzten Wochen einige rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten gegeben, bei denen sich die Täter durch besondere Brutalität und Menschenverachtung hervorgetan haben und bei denen in zwei Fällen das Opfer sogar an den Folgen seiner schweren Verletzungen gestorben ist. In allen Fällen standen die Täter nach dem bisherigen Ergebnis der polizeilichen Ermittlungen zum Tatzeitpunkt unter erheblichem Alkoholeinfluß.

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Ostdeutschland bleibt weiterhin regionaler Schwerpunkt rechtsextremistischer Gewalttaten. 1998 ereigneten sich dort - bei 21 % Anteil an der Gesamtbevölkerung - rund 46 % aller Gewalttaten, 1999 sind es derzeit 51 %. Ebenso konzentriert sich die Hälfte aller gewaltbereiten Rechtsextremisten in den neuen Ländern. Auf 100.000 Einwohner entfallen in den östlichen Regionen dreimal mehr gewaltbereite Rechtsextremisten als auf 100.000 Einwohner im Westen des Landes. Die gewalttätige Skinhead-Szene Ostdeutschlands wuchs in den 90er Jahren an und übertrifft heute die westdeutsche Szene sowohl im Politisierungs- und Mobilisierungsgrad als auch an Brutalität. Rechtsextremismus im Osten ist jünger, militanter und gewalttätiger.

Es bereitet Sorge, daß 1999 in Teilen der rechtsextremistischen Szene die Bereitschaft gestiegen ist, politische Ziele mit Gewalt zu verfolgen. Bislang galt das taktische Kalkül, durch Anschläge werde nur staatlicher Druck herausgefordert. Nun verlangen einzelne Akteure angesichts erfolgloser Agitation eine gewaltorientierte Strategie. Insbesondere die beiden Sprengstoffanschläge am 19. Dezember 1998 auf das Grab von Heinz Galinski und am 9. März auf die Wanderausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" heizten die Diskussion unter militanten Neonazis an. Waffen und Sprengstoffe in der rechtsextremistischen Szene stellen ein Gefahrenpotential dar. Bisher fehlte es an der Absicht, diese auch zu Anschlägen einzusetzen. Angesichts der zunehmend positiveren Äußerungen zur Anwendung von Gewalt ist aber erhöhte Wachsamkeit des Verfassungsschutzes geboten. Einzelne Rechtsextremisten oder Kleingruppen könnten sich wegen des großen Medienechos nach den Sprengstoffaktionen zu Nachahmungstaten angesprochen fühlen.

In der rechtsextremistischen Skinheadszene verbinden sich Gewaltbereitschaft und Aggressivität mit einer diffusen neonazistischen Einstellung. Über die Musik finden viele Jugendliche Einstieg in die rechtsextremistische Szene. In den letzten Jahren verzeichnete die Skinhead-Musikszene einen Aufwärtstrend. Die Zahl der rechtsextremistischen Skinhead-Bands, Skinhead-Konzerte und Skinhead-Vertriebe wuchs erheblich an. Als Folge konsequent praktizierter Verbote ging die Zahl der Konzerte 1999 aber deutlich zurück.

Rechtsextremistische Verhaltensweisen und Symbole sind gerade in Ostdeutschland in die Jugendkultur eingedrungen und Teil des Alltagsgesche-

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hens geworden. Wenn es in den ostdeutschen Ländern rechtsextremistischen Jugendlichen gelingt, Andersdenkende durch Drohungen oder Gewalt aus Gemeinschaftseinrichtungen auszuschließen, geschieht das ohne strategische Planung, meist aus dem Kräfteverhältnis vor Ort heraus. Dennoch entspricht dies in der Tendenz der Konzeption sogenannter „national befreiter Zonen". Rechtsextremisten verstehen hierunter die politische, soziale und kulturelle Vorherrschaft über begrenzte Gebiete und Einrichtungen.

Unverändert stellt sich die Situation in der Neonaziszene dar. Dieser wird ein Potential von rund 2.400 Anhängern zugeordnet, 57 % davon in Ostdeutschland. Die beabsichtigte informationelle Vernetzung des Lagers ist trotz der vermehrten Nutzung technischer Kommunikationsmittel nur in Ansätzen gelungen. Ebenso blieb das taktische Konzept der „unabhängigen Kameradschaften", mit dem die Neonazis die Auswirkungen der Vereinsverbote seit 1992 unterlaufen wollten, nur Stückwerk. Ein Teil der Kameradschaften arbeitet unter dem Motto „Freie Nationalisten" zusammen. Sie bieten sich der NPD und ihrer Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten" (JN) als Partner für medienwirksame Kundgebungen an. Die Neonaziszene ist mit ihrer Strategie zur Durchführung der diesjährigen „Rudolf-Heß-Aktionswochen" im August gescheitert. Vereinzelte regionale Demonstrationen konnten von den Sicherheitsbehörden zumeist im Ansatz unterbunden werden. Ohne effektvolle Versammlungen ließ sich die Strategie der Heß-Aktionswochen nicht umsetzen.

In den letzten Monaten sind insbesondere mit Bezug auf Berlin immer wieder „Anti-Antifa"-Aktivitäten der Neonazis festzustellen gewesen. Dies widerspricht dem Bundestrend, wonach die „Anti-Antifa" derzeit nur eine untergeordnete Rolle spielt. Bemerkenswerterweise werden diese Aktivitäten auch von außerhalb Berlins unterstützt - dies zeigt das Interesse der Neonazis an der Bundeshauptstadt. Schon Anfang des Jahres stellte vermutlich ein süddeutscher Neonazi im rechtsextremistischen „THULE-Netz" Daten eines Mitglieds des Abgeordnetenhauses von Berlin ein. Er gab den für die „Anti-Antifa" typischen Hinweis, daß sich die „Linke" über telefonische Diskussionen oder Hausbesuche freue. Ende August wurde durch Pressemeldungen bekannt, daß die „Anti-Antifa Kurpfalz" eine ca. 40 Personen umfassende Liste politischer Gegner aus Berlin an Berliner Neonazis ver-

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sandt hat. Eine inhaltsgleiche Liste war bereits Ende Dezember 1998 in Berlin beschlagnahmt worden.

Seit dem starken Abschneiden der DVU bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt am 26. April 1998, 12,9 % der Stimmen und damit 16, jetzt noch 12 Abgeordnete, ist das rechtsextremistische Parteiengefüge in Bewegung geraten. Auch nach der Landtagswahl in Brandenburg am 5. September 1999 kann die Partei mit 5,28 % eine Fraktion mit 5 Mitgliedern bilden. Damit ist die DVU in zwei ostdeutschen und einem westdeutschen Parlament (Bremen: 1 Mandat) vertreten. Für den jüngsten Wahlerfolg in Brandenburg gibt es mehrere Ursachen, unter anderem dürfte die Wahlabsprache mit den „Republikanern" von Bedeutung gewesen sein, wonach die REP in Brandenburg auf eine Wahlteilnahme verzichten und die DVU im Gegenzug in Berlin nicht zur Wahl antritt. Ein weiterer Aspekt war der starke finanzielle Einsatz der DVU. Sie hat allein für den Brandenburger Wahlkampf 2,5 bis 3 Mio. DM aufgewandt. Schließlich dürfte auch die populistische Wahlkampfführung zu dem für die DVU positiven Ergebnis beigetragen haben: Mit simplen Slogans wie „DVU - diesmal Protest wählen!", „Laßt Euch nicht zur Sau machen!", versuchte man Protestwähler für die DVU zu gewinnen. Diesen Protestwählern wurde Kompetenz der DVU vor allem in den Bereichen Ausländerpolitik („Kriminelle Ausländer raus!"), Arbeitsmarkt („Deutsches Geld für deutsche Arbeitsplätze") und öffentliche Sicherheit/Kriminalitätsbekämpfung suggeriert. Nach Wahlanalysen verfing diese Strategie vor allem bei Männern unter 30 (16 % von ihnen haben DVU gewählt), den unter 30-Jährigen allgemein (11%) sowie den Arbeitern und Arbeitslosen (je 8 %).

Seit 1998 ist die DVU mit etwa 18.000 Mitgliedern wieder mitgliederstärkste Kraft. Rund 15 % ihrer Mitglieder sind in sechs Landesverbänden in Ostdeutschland organisiert. Die DVU hat damit im Osten von den drei rechtsextremistischen Parteien die meisten Mitglieder. Der Aufbau einer gefestigten regionalen Parteistruktur mit eigenständiger politischer Bedeutung scheitert aber vornehmlich an der dominierenden Stellung des Bundesvorsitzenden FREY.

Die vereinzelten Wahlabsprachen mit der DVU wirken sich für die REP stets zu deren Ungunsten aus. Mehrere aufeinanderfolgende Wahlniederlagen fanden im Ergebnis der Landtagswahl in Thüringen am 12. September 1999 ihre Fortsetzung: mit lediglich 0,8 % verfehlte die Partei auch das Quorum

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für einen Anspruch auf staatliche Teilfinanzierung (1 %). Zur Zeit sind die REP noch im Landtag von Baden-Württemberg mit 14 Abgeordneten vertreten.

Von den rund 15.000 Mitgliedern der REP sind ebenfalls etwa 15 % in Ostdeutschland organisiert. Der Bundesvorsitzende SCHLIERER und der überwiegende Teil der Parteiführung halten trotz wiederholter Kritik weiterhin am Abgrenzungsbeschluß gegenüber anderen rechtsextremistischen Parteien fest. Ungeachtet dessen traf die Partei für die diesjährigen Wahlen in Brandenburg, Berlin, Hessen und Bremen eine Wahlabsprache mit der DVU.

Als aktionsbetonte Gruppierung, die sich von den zwei rechtsextremistischen Konkurrenzparteien abgrenzt, agiert die NPD. Mit einer Vielzahl von medienwirksamen Großveranstaltungen und Demonstrationen, oftmals in enger Abstimmung mit Neonazis, macht die Partei auf sich aufmerksam. Dennoch blieb sie bei Wahlen weiterhin bedeutungslos. Bei der Wahl in Brandenburg erhielt sie 0,7 %, in Thüringen 0,2 % und in ihrer „Hochburg" Sachsen 1,4 %. Auffallend ist, daß 40 % der etwa 6.000 NPD-Mitglieder in den ostdeutschen Landesverbänden organisiert sind.

Es wird damit deutlich, daß die rechtsextremistischen Parteien in Ostdeutschland unterschiedlich verankert sind: während die DVU bei Wahlen die größte Zustimmung erfährt, ist es der NPD gelungen, prozentual zur Gesamtmitgliederzahl die meisten ostdeutschen Mitglieder zu gewinnen. Allein die REP haben nach wie vor eine äußerst schwache Position in den ostdeutschen Ländern.

Sorgen bereiten die Aktivitäten von Rechtsextremisten im Internet. Sie haben ihre Präsenz in allen Bereichen des Internet sprunghaft ausgebaut. Inzwischen betreiben alleine deutsche Rechtsextremisten über 320 Homepages mit weiterhin steigender Tendenz. Sie speichern ihre in der Regel anonym betriebenen Homepages häufig auf ausländischen Servern, insbesondere in den USA. In dem Glauben, so vor einer Identifizierung sicher zu sein, stellen sie dort unbekümmert in großer Menge strafrechtsrelevante Inhalte wie volksverhetzende Lieder und Texte, Bombenbauanleitungen und Hakenkreuzsymbole ein. Solche Angebote sind dem Zugriff deutscher Strafverfolgungsbehörden in aller Regel entzogen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat in letzter Zeit nach zeitaufwendigen, aber letztlich er-

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folgreichen Recherchen anonyme Homepage-Betreiber identifiziert, die auf ihren Seiten strafbare Inhalte eingebunden hatten - unter anderem Mordaufrufe gegen politische Gegner bzw. Andersdenkende. Die Darstellung der Exekutivmaßnahmen in den letzten Wochen in den Medien hat, dem ersten Anschein nach, neben einer zum Teil erhöhten Neugier vor allem zu einer Verunsicherung innerhalb der rechtsextremistischen Internetszene geführt. So zeigten sich einzelne rechtsextremistische Nutzer des Internet deutlich überrascht, daß es den Sicherheitsbehörden trotz der Anonymisierung gelungen ist, Betreiber zu identifizieren.

Bevor ich mich den politischen Gegenstrategien zuwende, möchte ich kurz auf mögliche Ursachen rechtsextremistischer und fremdenfeindlicher Orientierungen eingehen.

Denn nur wenn die Ursachen erkannt sind, können beide Phänomene wirksam und vor allem gezielt bekämpft werden.

Trotz einer Vielzahl einschlägiger Untersuchungen steht eine wissenschaftlich abgesicherte, eindeutige und zugleich umfassende Aussage über die Ursachen von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit aus - es kann sie wahrscheinlich auch nicht geben. Die Forschung geht Ursachen und Motive in vielfach verschränkter Weise an. Je nach methodischem Ansatz wird dabei der Schwerpunkt auf einen als zentral erscheinenden Teilbereich des Rechtsextremismus gelegt.

Psychologische Erklärungsansätze, wie sie insbesondere von einer Forschungsgruppe um den Soziologen Adorno begründet wurden, stellen die im Individuum wurzelnden Ursachen in den Vordergrund. Sie sind eng mit der Frage einer über die Familie vermittelten autoritären Charakterstruktur verbunden. Vorurteile werden als Ausdruck eines autoritären Charakters gesehen. Diesen kennzeichnen u.a. starre Bindung an konventionelle Werte, autoritäre Unterordnung, aggressive Wendung gegen anders Lebende, Geringschätzung von Sensibilität, Orientierung an Über-Unterordnungsverhältnissen, Destruktivität und Zynismus. Gegenüber dem Mächtigen erweist sich die autoritäre Persönlichkeit als unterwürfig und gehorsam, gegenüber allem Schwachen gebärdet sie sich überlegen und aggressiv. Psychologische Erklärungsansätze sind insbesondere für Charakterstrukturen fremdenfeindlicher Straftäter von Bedeutung.

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Soziale Erklärungsansätze knüpfen demgegenüber an die Auswirkungen gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse an: Rechtsextremismus als Reaktion auf soziale Umbrüche. Besonders nachhaltige Auswirkungen werden der Umbruchsituation in Ostdeutschland zugeschrieben. Der Ansatz des Pädagogen Heitmeyer von Desintegrations- und Modernisierungsopfern ist in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung. Rechtsextremismus ist demnach durch zwei miteinander verknüpfte Grundelemente gekennzeichnet: die Ideologie der Ungleichheit der Menschen und die Gewaltperspektive und -akzeptanz. Untersuchungsobjekt waren für Heitmeyer rechtsextremistische Orientierungen bei Jugendlichen - ein sehr wichtiger Bereich, aber dennoch ein Teilbereich.

Politische Erklärungsansätze konzentrieren sich auf Erscheinungsformen wie Gründung und Entwicklung rechtsextremistischer Parteien sowie ihre Resonanz bei Wahlen. Rechtsextremistische Parteien wirken unter bestimmten Rahmenbedingungen erfolgreich. Politische Unzufriedenheit ist in diesem Zusammenhang der wichtigste Faktor.

Politische Unzufriedenheit ist häufig Ergebnis einer als ungerecht wahrgenommenen sozialen Ungleichheit in der Verteilung zumeist materieller, aber auch immaterieller Güter. Wichtig ist dabei nicht allein die objektiv gegebene Lage, sondern ihre subjektive Verarbeitung - insbesondere der Vergleich mit anderen Bezugsgruppen. Arbeitslosigkeit, Armut, aber auch konjunkturelle regionale Strukturkrisen lassen Gefühle der Benachteiligung und Ausgrenzung entstehen und wecken bzw. fördern Vorurteile gegen Fremde und Schwache. Sie begünstigen die Suche nach autoritären Konzepten. Von Bedeutung sind zudem Mißstände in den allgemeinen Lebensbedingungen der Menschen (Wohnverhältnisse, nachbarschaftliche Beziehungen, soziale Kontakte und soziale Versorgung, kulturelle Infrastrukturen und Freizeitangebote). Da soziale Krisenlagen überwiegend ökonomisch bedingt sind, fehlt es häufig zugleich an ausreichenden finanziellen Mitteln für öffentliche Einrichtungen, welche zum einen die Lebensbedingungen der Betroffenen verbessern, aber zudem auch zur unverzichtbaren Entwicklung und Förderung von Sozialverhalten beitragen können.

Aber auch dies allein erklärt nicht die Hinwendung zu rechtsextremistischen Auffassungen. Diese tritt erst dann ein, wenn die vorgenannten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen auf ein entsprechendes innergesellschaftliches Einstellungspotential treffen und so die politische Richtung

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erhalten. Voraussetzung ist daher eine dementsprechende politische Kultur, d.h. bestimmte Einstellungen, Auffassungen und Verhaltensweisen von Bürgern zur Politik. Die politische Kultur wird dabei von der jeweiligen Geschichte und durch aktuelle politische, soziale und wirtschaftliche Prozesse beeinflußt. In Ostdeutschland wirkte die autoritäre Staatsverfassung der DDR in einer überhöhten Erwartungshaltung an den Staat und mangelndem Verständnis dafür, daß Demokratie durch Spannung, Widerspruch, Interessengegensätze und Konflikte gekennzeichnet ist, nach. Eine - auch Fremdem gegenüber - offene Einstellung konnte nicht geübt werden.

Isoliert betrachtet bleiben diese Erklärungsmuster Idealtypen - die reine Lehre. Das Phänomen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit ist so umfassend, daß jeder Ansatz, der die Motive zu erklären versucht, seinerseits differenziert sein muß und die einzelnen Faktoren der unterschiedlichen Herangehensweisen integriert.

Damit komme ich zu den Möglichkeiten und Notwendigkeiten politischen Handelns im Kampf gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit.

Ich habe versucht zu schildern, wie vielschichtig die Ursachen und Motive sind: Zielorientierte Gegenstrategien, die am Ursachenkern ansetzen, verlangen ein entsprechendes Maß an Differenzierung. Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus sind gesellschaftsübergreifend und müssen auch genauso bekämpft werden - gesellschaftsübergreifend. Politik und Regierende sind damit aus ihrer Verantwortung keinesfalls entlassen. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß Politik allein nie alle Problembereiche angehen kann - und auch nicht sollte. Innerhalb der Familien werden z.B. wesentliche Grundsteine für die Persönlichkeit der Heranwachsenden gelegt. An diesem Punkt möchte ich mich auf diesen Hinweis beschränken. Ich werde später näher auf Themen wie Wertevermittlung eingehen.

Wenn Personen, Institutionen aus verschiedenen Bereichen von Staat und Gesellschaft ihre Verantwortung ernst nehmen - der überwiegende Teil tut dies - und jeweils für das eigene Aufgabengebiet Maßnahmen zur Eindämmung und Bekämpfung von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit ergreifen, ermöglicht nur eine Zusammenführung dieser einzelnen Ansätze es, Synergieeffekte nutzbar zu machen, Reibungsverluste zu vermeiden sowie Informationen und Erfahrungen auszutauschen.

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Wer das eindrucksvolle und systematisch aufgebaute Programm dieser Tagung genau liest, stößt bei der Präsentation der Darstellungsebenen der Strategien, Bündnisse und Initiativen gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit auf eine Lücke: Neben der europäischen Ebene werden die Landesebene, die kommunale Ebene und auch die betriebliche Ebene behandelt. Die nationale Ebene fehlt.

Lassen Sie mich die Chance dieser Lücke nutzen und einige Bemerkungen zum von der Bundesregierung geplanten Bündnis für Demokratie und Toleranz - gegen Extremismus und Gewalt machen.

Die Idee dieses Bündnisses geht zurück auf die Koalitionsvereinbarung vom Herbst 1998. Ziel dieses Bündnisses war von Anfang an, durch systematische Verknüpfung laufender Maßnahmen und Projekte und eine entsprechend öffentlichkeitswirksame Kampagne einen höheren Mobilisierungsgrad der Bevölkerung im Kampf gegen politischen Extremismus und Fremdenfeindlichkeit zu erreichen. Damit wollte und will die Bundesregierung das Rad nicht neu erfinden, wohl aber Synergien und gegenseitige Informationsgewinne durch Netzwerkbildung ermöglichen.

Dieses Netzwerk strebt die Zusammenarbeit verschiedener Bundesressorts, der Landesregierungen und vor allem NGO als Akteure auf der kommunalen Ebene an. Zugleich sollen solche bürgerschaftlichen Initiativen zur Mitarbeit gewonnen werden, die als Akteure an der Basis an vielen Orten bereits aktiv sind, ohne daß die Öffentlichkeit hiervon bisher ausreichend Kenntnis genommen hat. Die Bundesländer sind über die Fachministerkonferenzen eingebunden. Unverzichtbares Element des angestrebten Bündnisses ist die Teilnahmebereitschaft der Kirchen, gesellschaftlichen Spitzenverbände und weiterer NGO. Gerade die Bereitschaft der von mir eingeladenen gesellschaftlichen Organisationen erfüllt mich mit großer Zufriedenheit.

In dem Bündnis wird der Bund nicht unmittelbar für Projekte an der Basis verantwortlich sein. Vielmehr sieht er seine Rolle darin, Impulse zu geben und Initiativen anzuregen. Die entscheidenden Akteure sind diejenigen vor Ort, in der Regel also auf kommunaler Ebene. Wir werden im weiteren Verlauf der Konferenz hierzu ja noch konkrete Beispiele hören.

Die Bundesregierung und hier vor allem das Bundesinnenministerium, unternimmt große Anstrengungen, um die Gefahr des Rechtsextremismus

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sowohl in den Köpfen „Ewig-Gestriger" als auch junger Menschen in der gewaltbereiten Szene weiter einzudämmen.

Für den Bereich des Bundes, der - wie gerade geschildert - eine der drei Ebenen des Bündnisses bildet, hat mein Haus konkrete Handlungsfelder in einer ressortübergreifenden Konzeption zur verstärkten Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Fremdenfeindlichkeit zusammengefaßt. Diese Maßnahmen sind als ein Beitrag des Bundes Bestandteil des Bündnisses.

Ich habe die Bedeutung der Ursachenforschung für die Auswahl der Bekämpfungsansätze geschildert. Die Ursachenforschung ist ein dynamischer Prozess fortlaufender Systematisierung. Wir werden zukünftig Forschungsergebnisse sowohl zwischen den beteiligten Bundesressorts - Familien-, Justiz- und Innenministerium - als auch der kriminologischen Zentralstelle, einer Forschungs- und Dokumentationsstelle der Justizministerien des Bundes und der Länder, stärker vernetzen. Im Innenministerium soll eine Datenbank aufgebaut werden, die zusätzlich zur Beschreibung der einzelnen Forschungsprojekte inhaltliche Stellungnahmen und Kommentare enthält. Dieser Sekundäranalyse kommt auch insoweit Bedeutung zu, als sie über die Erkenntnisgewinnung in die Lage versetzt, die Politik jederzeit fundiert zu beraten. Auf ein aktuell von uns in Auftrag gegebenes Forschungsprojekt möchte ich an dieser Stelle hinweisen. Mit Unterstützung der Volkswagen-Stiftung konnte an das Deutsche Jugendinstitut in München ein Forschungsprojekt zu Struktur, biographischen Hintergründen und Motivation fremdenfeindlicher, antisemitischer und rechtsextremistischer Straftäter in Deutschland vergeben werden. Wir knüpfen damit an ein Forschungsprojekt aus dem Jahre 1994 zur Analyse fremdenfeindlicher Straftäter an. Von der gegenüber damals breiteren empirischen Basis erhoffen wir uns weitere Erkenntnisse über Motive für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.

Die Aufklärung des Rechtsextremismus bildet einen Schwerpunkt im Aufgabenspektrum des Verfassungsschutzes in Bund und Ländern. Angemessene Reaktion und Bekämpfung setzen auf Seiten des Staates wie der Öffentlichkeit Wissen voraus. Diese Information zu liefern ist Sache des Verfassungsschutzes, der Aufklärung im Vorfeld strafbarer Handlungen betreibt und als interessenunabhängiges Frühwarnsystem helfen soll, Straftaten zu verhindern. Besonderes Augenmerk verdient derzeit die gewaltbereite rechtsextremistische Szene. Deren Beobachtung wird der Verfassungsschutz noch intensivieren.

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Die extremistischen Internetaktivitäten stellen die Sicherheitsbehörden vor aufwendige Ermittlungen. Die entsprechenden Arbeitseinheiten des Bundesamtes für Verfassungsschutz werden personell und technisch weiter verstärkt. Um die - in letzter Zeit mehrfach erfolgreiche - Aufklärungsarbeit der Sicherheitsbehörden zu erleichtern, habe ich das Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik mit der Entwicklung einer sogenannten intelligenten Suchmaschine beauftragt.

Aber nicht immer - und das sage ich genauso deutlich - ist das Ergebnis für uns zufriedenstellend. Die Internationalität des Internet konfrontiert uns mit einer Vielzahl von Strafrechtssystemen, die gerade im Hinblick auf die Gebiete rechtsextremistischer, fremdenfeindlicher und antisemitischer Propaganda kaum kompatibel sind. Mein Haus hat genauso wie die Sicherheitsbehörden wiederholt und mit Erfolg über Vermittlung amerikanischer Partnerbehörden wie über private Initiativen an Provider appelliert, Seiten mit Hetzpropaganda zu sperren. Wir würden uns in dieser Frage aber häufig ein offeneres Ohr wünschen. Andererseits müssen wir den herausragenden Stellenwert des Grundrechts der Meinungsfreiheit gerade im angloamerikanischen Bereich respektieren.

Die Indizierung, Beschlagnahmung und Sicherstellung von CDs und anderen Tonträgern mit volksverhetzenden Inhalten sowie die Unterbindung entsprechender Konzerte ist ein wichtiges Instrument der Bekämpfung rechtsextremistischer und fremdenfeindlicher Orientierungen. Von 1992 bis Ende des letzten Jahres hat die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften rund 140 Tonträger mit Skinhead-Musik indiziert. Länderübergreifende Durchsuchungen in Geschäftsräumen von Vertreibern rechtsextremistischer Skinhead-Musik führten 1998 zur Sicherstellung mehrerer Zehntausend rechtsextremistischer CDs. Inzwischen haben sich alle Bundesländer in dieser Frage auf eine rigide Praxis geeinigt. Der Vertrieb von einschlägigen CDs wird durch rechtzeitigen polizeilichen Zugriff immer wieder erheblich reduziert. Solche Zugriffe setzen jedoch eine frühzeitige Information und Kenntnis der Sicherheitsbehörden und einen zeitnahen Informationsaustausch untereinander voraus. Dies ist umso wichtiger, als Veranstalter die Behörden gezielt desinformieren. Diese Exekutivmaßnahmen werden wir konsequent fortsetzen, da wir uns der Gefährlichkeit dieser Musikrichtung bewußt sind.

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Die hier angerissenen Aufgaben des Verfassungsschutzes im Bereich des Rechtsextremismus verdeutlichen, daß die Politik ohne Unterstützung dieses Frühwarnsystems nicht in der Lage wäre, auf die Gefahren von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit angemessen zu reagieren.

Der Verfassungsschutz arbeitet dabei eng mit der Polizei in Bund und Ländern zusammen. Der polizeilichen Bekämpfung des Rechtsextremismus sowohl im Bereich der Prävention als auch der Repression kommt gesteigerte Bedeutung zu. In einem besonderen Maßnahmenkatalog haben die zuständigen Gremien diese Handlungsfelder gemeinsam mit polizeiinternen Schulungsmaßnahmen zusammengestellt. Konzepte der Aus- und Fortbildung, der sozialen Betreuung und der Personalführung sind dabei wichtiger Bestandteil. Die Polizei ist sehr viel unmittelbarer mit dem Phänomen rechtsextremistischer und fremdenfeindlicher Gewalt konfrontiert als andere. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dürfen und werden mit den zahlreichen Eindrücken nicht allein gelassen. Sie sind hinsichtlich des Phänomens in hohem Maße sensibilisiert.

Eine starke offene Präsenz der Polizei an Brennpunkten spielt eine große Rolle. Dies ist eine Aufgabe der von allen ostdeutschen Ländern eingerichteten Spezialeinheiten zur Bekämpfung des Rechtsextremismus. Die Präsenz der Einsatzkräfte schreckt ab. Wortführer und Gruppenmitglieder können aus ihrer Anonymität herausgelöst werden und offen angesprochen werden. Die Bildung neuer Gruppen soll so genauso verhindert werden wie die Verfestigung bereits existierender Personenzusammenschlüsse. Dieser Gedanke ist ganz entscheidend, wenn man sieht, wie viele Straftaten gerade aus Gruppen heraus begangen werden. Häufig entwickeln sich die fremdenfeindlichen Straf- und Gewalttaten spontan. Hierbei spielen gruppeninterne dynamische Prozesse der Enthemmung durch erheblichen Alkoholkonsum, wechselseitige Bestärkung aggressiver Affekte, Stimulierung über Musik mit rechtsextremistischen, ausländerfeindlichen Inhalten ebenso eine wichtige Rolle wie lokale Konfliktlagen, aber auch die Beeinflussung der öffentlichen Meinung durch rechtsradikale Parolen. Diese Gruppen, Cliquen und Subkulturen aufzubrechen muß vorrangiges Ziel sein. Um diese Gruppenstrukturen, die vereinzelt personell und „politisch" in bestimmten Gebieten und Einrichtungen vorherrschen, aufbrechen zu können, werden alle zur Verfügung stehenden Mittel, wie Einschleusen in potentielle Tätergruppen, Abschöpfen von Informanten, Observation, verdeckte Datenermitt-

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lung, zusammenwirken müssen. Eminent wichtig ist aber auch der enge Kontakt der Sicherheitsbehörden zu den lokalen Jugendämtern, die oft Kenntnis über die einschlägigen Jugendlichen haben.

Nach Ermittlung eines Tatverdächtigen hängt der Abschreckungseffekt ganz entscheidend davon ab, wie schnell die Strafe folgt. Das beschleunigte Verfahren und bei jugendlichen Straftätern das vereinfachte Jugendverfahren können in geeigneten Fällen diese Abschreckung erreichen.

All dies ist Gegenstand des vorgenannten Maßnahmenkatalogs. Auf seine konsequente Anwendung werde ich in der Innenministerkonferenz hinwirken.

Das Strafgesetzbuch gibt uns mit dem Staatsschutzstrafrecht sowie den Tatbeständen der allgemeinen Kriminalität ausreichende rechtliche Instrumente an die Hand, um im Wege des Strafrechts gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit vorzugehen.

Zur direkten Einflußnahme auf den Täter sind dabei besonders der Täter-Opfer-Ausgleich und die Wiedergutmachung der Tatfolgen geeignet. In hierfür geeigneten Fällen aus dem Umfeld von Fremdenfeindlichkeit und in Einzelfällen vielleicht auch von Rechtsextremismus sollte diese Möglichkeit genutzt werden, um dem Täter das konkrete Schicksal aufzuzeigen, das hinter seiner auf schematischen Denkmustern beruhenden Gewaltbereitschaft steht.

Nicht nur wegen der aktuell großen Zahl jugendlicher rechtsextremistischer Straftäter - ihr Anteil liegt bei 2/3 - sondern auch aus Verantwortung gegenüber der heranwachsenden Generation, muß es wieder gelingen, im Kindergarten, im Hort, in den Schulen und der Berufsausbildung Offenheit, Toleranz und Respekt gegenüber ausländischen und anders lebenden Menschen als selbstverständlich zu vermitteln. Jugendliche sind besonders anfällig für ideologische Parolen, gepaart mit autoritär orientierten Ansprüchen. Das ist in West- und Ostdeutschland gleich. Im Osten hat aber die Umbruchsituation für die jungen Menschen zusätzlich zu einer fundamentalen Veränderung ihrer Lebenswelt geführt und große Verunsicherungen bewirkt. Jugendliches Verhalten reflektiert immer auch gesellschaftliche Entwicklungen. Die rechtsextremistische, fremdenfeindliche Gewaltbereitschaft Jugendlicher ist auch Ausdruck dafür, daß viele Menschen im Osten in der

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pluralistischen und demokratischen Zivilgesellschaft der Bundesrepublik „noch nicht angekommen sind".

In der Bildungspolitik muß ein offener Dialog geführt werden und Toleranz und Mitmenschlichkeit gefördert werden. Dies setzt vor allem ein großes Engagement bei der Aus- und Weiterbildung der Lehrer voraus.

An dieser Stelle will ich etwas ansprechen, was ich als kulturelle Prävention bezeichne und was mir sehr wichtig erscheint. Für die charakterliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, für die Festigung ihres Charakters, ist eine musische Erziehung nach meiner Überzeugung unverzichtbar. Sie trägt ebenso wie der in der Freizeit betriebene Sport entscheidend dazu bei, Sozialverhalten zu erlernen. Dieses ist für ein gedeihliches Zusammenleben unabdingbar.

Eine wichtige Prävention gegen Gewalt und Extremismus ist zudem eine sichere Lebensperspektive. Daher ist es vordringlich, die insbesondere in Ostdeutschland hohe Jugendarbeitslosigkeit abzubauen, den jungen Menschen das Gefühl zu vermitteln, daß ihre Fähigkeiten und ihre Einsatzbereitschaft gebraucht werden, daß sie Bestandteil dieser Gesellschaft sind und nicht ausgegrenzt werden. Das von der Bundesregierung beschlossene Sofortprogramm zur Vermittlung von 100.000 Jugendlichen in Maßnahmen zur Ausbildung, Qualifizierung und Beschäftigung trägt dazu bei. Ende August waren bereits weit über 100.000 Jugendliche vermittelt, fast 40 % davon in Ostdeutschland. Wir haben beschlossen, das Programm im kommenden Jahr fortzuführen und hierfür 2 Mrd. DM zur Verfügung zu stellen. Auch das von der Bundesregierung mit den Regierungen der ostdeutschen Länder vereinbarte Ausbildungsprogramm Ost 1999 zur Förderung zusätzlicher Ausbildungsplätze für noch nicht vermittelte jugendliche Bewerber hilft, diesen jungen Menschen eine berufliche Perspektive zu bieten.

Das rechtsextremistische Potential findet sich hauptsächlich bei Jugendlichen mit eher niedrigen Bildungsabschlüssen, die unter hoher Verunsicherung, Zukunftsängsten, Orientierungslosigkeit und enttäuschten Erwartungen leiden. Die Frustration entlädt sich bei einem Teil in Aggressionen gegenüber vermeintlich Schwächeren wie beispielsweise Ausländern und Aussiedlern. Die vorgenannten Initiativen zur Sicherung beruflicher Perspektiven sind ein Ansatz, dem entgegenzuwirken. Ein weiterer wichtiger Schritt sind

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Maßnahmen zur Verbesserung des Zusammenlebens von Ausländern und Deutschen.

Das neue Staatsangehörigkeitsmodell ist ein Integrationsangebot an unsere ausländischen Mitbürger. Das Optionsmodell ermöglicht es den in Deutschland geborenen Kindern ausländischer Eltern, sich von Beginn an vollständig mit ihrem Heimatland Deutschland zu identifizieren. Mit der Verkürzung der Einbürgerungsfristen für die seit langem hier lebenden Ausländer wird das Signal gesetzt, daß all jene, die sich zum demokratischen Rechtsstaat bekennen, als gleichberechtigte Staatsbürger willkommen sind. Diese Reform bietet den Boden für die Integrationsmöglichkeit und -bereitschaft hier lebender Ausländer. Sie können das ausgrenzende „Fremdsein" ablegen, sich als in Deutschland dazugehörend fühlen und in die Gesellschaft einfügen. Dies kann Vorbehalte abbauen und zum inneren Frieden beitragen. Wir alle wissen, daß Integration nur dann gelingen kann, wenn der Wille dazu auf beiden Seiten - auf Seiten der ausländischen wie der deutschen Bevölkerung - vorhanden ist.

Um diese Bereitschaft zu fördern, ist es wichtig, die Menschen über die Neuerungen zu informieren. Die Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen tut dies mit bundesweiten Aktionen. Sie setzt sich darüber hinaus für den Abbau solcher Strukturen ein, die geeignet sein könnten, Fremdenfeindlichkeit zu fördern. Die Unterstützung vorhandener sowie die Anregung neuer zivilgesellschaftlicher Gruppen ist in diesem Zusammenhang insbesondere für Ostdeutschland von entscheidender Bedeutung.

Wichtig ist aber nicht nur Information über rechtliche Neuerungen. Fremdes wird häufig abgelehnt, weil über den Hintergrund fremder Kulturen nichts oder doch viel zu wenig bekannt ist. Es muß gelingen, Verständnis für die Andersartigkeit von Kulturen zu erzeugen. Nur so kann den von Rechtsextremisten geschürten Vorurteilen der Nährboden entzogen und das von ihnen vermittelte Gefühl der Bedrohung kollektiver und individueller Identität verringert werden. Die Bildungspolitik bietet die Chance, Fremdenfeindlichkeit mit Aufklärung über andere Kulturen entgegenzuwirken. Im Umgang mit Menschen einer anderen Kultur ist ihre spezifische Wahrnehmung, das Denken, Werten und Handeln wichtig. Dieser interkulturelle Dialog muß gesucht werden.

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Die Förderung der sprachlichen, beruflichen und sozialen Integration ausländischer Arbeitnehmer und ihrer Familien ist daneben ein wichtiger Schritt, um Diskriminierung und Ghettobildungen vorzubeugen.

Damit Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit gesellschaftsumfassend bekämpft werden können, müssen möglichst weite Teile der Gesellschaft über die von beiden Phänomenen ausgehenden Gefahren informiert und aufgeklärt werden - sowohl der Einzelne direkt als auch mittelbar über Multiplikatoren aus den Bereichen Schule, Jugend- und Sozialarbeit. Dies ist vor allem Aufgabe der Öffentlichkeitsarbeit meines Hauses, der Einrichtungen für politische Bildung und des Verfassungsschutzes. Die Zielgruppe Jugend, die es dabei besonders zu erreichen gilt, wollen wir über Schüler- und Jugendzeitschriften, Infomappen, Computerspiele und Diskussionsforen im Internet direkt ansprechen. Daneben werden auch weiterhin Seminare und Informationsmaterialien für Lehrer und Elternvertreter angeboten.

Schließen möchte ich mit dem Hinweis auf jene Regelungen, welche die Verfassung selbst zum Schutz der Demokratie vorsieht. Dieses Regelwerk kann ohne die unbegrenzte Toleranz gegenüber auch zutiefst verfassungsfeindlichen Bestrebungen in der Weimarer Republik nicht verstanden werden. Die Instrumente der streitbaren Demokratie sind an strenge Voraussetzungen gebunden, und es entspricht langjähriger Übung, sie erst dann einzusetzen, wenn Maßnahmen der Prävention, primär die argumentative Auseinandersetzung mit verfassungsfeindlichen Ansichten und Bestrebungen, nicht wirken.

Zu diesem Instrumentarium zählen in erster Linie das Verbot einer Partei durch das Bundesverfassungsgericht gemäß Artikel 21 Abs. 2 GG oder einer Vereinigung durch die Innenressorts in Bund oder Ländern nach Artikel 9 Abs. 2 GG sowie der Ausspruch der Grundrechtsverwirkung durch das Bundesverfassungsgericht gemäß Artikel 18 GG. Artikel 79 Abs. 3 GG erklärt überdies unter anderem die Achtung der Menschenwürde sowie den Grundsatz der Gewaltenteilung, die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung sowie der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht für unabänderlich. Damit soll verhindert werden, daß die Verfassung erneut als Scheinlegitimation für totalitäre Bestrebungen dienen kann.

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Eine Verwirkung der Grundrechte der Meinungs- und Pressefreiheit, der Lehrfreiheit, der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, des Briefgeheimnisses und des Eigentums ist bisher viermal - und in allen vier Fällen gegen Rechtsextremisten - beantragt, aber vom BVerfG in keinem Fall ausgesprochen worden. Problematisch war jeweils der Nachweis einer fortgesetzten staatsfeindlichen politischen Betätigung - somit die Gefährlichkeit der Person für die Zukunft. Diese ist schwer zu prognostizieren.

Das Bundesverfassungsgericht hat 1952 die nationalsozialistische „Sozialistische Reichspartei" (SRP) und 1956 die „Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD) gemäß Artikel 21 Abs. 2 GG für verfassungswidrig erklärt.

Das am häufigsten zum Schutz der Demokratie eingesetzte Instrument ist das Vereinsverbot des Artikels 9 Abs. 2 GG i.V.m. dem Vereinsgesetz. Seit Inkrafttreten des Vereinsgesetzes im Jahre 1964 hat der Bund zehn rechtsextremistische bzw. neonationalsozialistische Vereinigungen verboten, davon die Hälfte seit 1992. Die Länder haben im gleichen Zeitraum 14 Verbote gegen rechtsextremistische Vereinigungen ausgesprochen - davon zehn seit 1992.

Die Verbote im Neonazibereich zeigen bis heute eine lähmende Wirkung. Die Stagnation in der Neonaziszene, die auch in diesem Jahr mit der Koordination der Heß-Aktionswochen überfordert war, belegt dieses.

Auf rechtsextremistische, fremdenfeindliche Gewalttaten gibt es nur eine probate Reaktion: eine konsequente, schnelle Ahndung und Strafverfolgung. Das sage ich mit aller Deutlichkeit. Dazu kann es keine Alternative geben.

Der Staat hat die Verpflichtung, die Rechtsordnung durchzusetzen, darin darf er sich nicht beirren lassen. Rechtsfreie Räume darf es nicht geben.

Aber das allein reicht nicht aus.

Zum einen, weil sich Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit nicht auf die Gewalttaten reduzieren lassen. Zum anderen, da es neben der staatlichen Sanktion in Gestalt des Strafrechts wichtig ist, daß die Täter auf ein gesellschaftliches Klima stoßen, in dem ihrem Handeln Widerstand entgegengesetzt wird. Rechtsextremistischen und fremdenfeindlichen Gewalttätern darf nicht der Eindruck vermittelt werden, das Motiv ihres gewalttätigen Handelns werde von Teilen der Bevölkerung geteilt. Anders ausge-

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drückt: sie führten etwas aus, was andere denken. Dies kann nur eine Gesellschaft leisten, in der über grundlegende Werte wie Toleranz, Zivilcourage, Respekt, Selbstverantwortung und Gemeinsinn Einigkeit besteht. In einem solchen Klima können sich Fehlentwicklungen wie Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit schwerer ausbreiten.

Erforderlich ist ein Konsens bei Bürgerinnen und Bürgern über diese grundlegenden Werte und Prinzipien des demokratischen Verfassungsstaates - mithin eine demokratische, politische Kultur. Diese ist vor allem im Osten des Landes noch nicht ausreichend entwickelt. Das darf angesichts der Vielzahl beharrlicher Schwierigkeiten, die mit dem Wechsel von einer Diktatur in eine freiheitliche Demokratie verbunden sind, nicht verwundern. Deren Komplexität wird vielfach unterschätzt.

Das Aufwachsen in einem autoritären, verordnet antifaschistischen System, welches die geringe Zahl ausländischer Vertragsarbeiter gezielt von der Bevölkerung isoliert hat, prägt. Diese Einflüsse werden zwangsläufig weitergegeben. Der Zusammenbruch dieses Systems und die anschließende Vereinigung, und damit vielfach unveränderte Übertragung westdeutscher Strukturen auf ostdeutsche Verhältnisse, haben die Menschen zutiefst verunsichert und belastet. Die Erwartungen an den Staat sind vor dem Hintergrund der Erfahrungen eines alles vorbestimmenden und vorschreibenden staatlichen Systems z.T. überhöht. Daraus entstehen Enttäuschungen.

Es sind dies Faktoren, die bis in die Mitte der Gesellschaft zu Unruhe und Beunruhigung führen; außerhalb des Verfassungsbogens artikulieren sie sich in einem häufig gewaltbereiten Extremismus. Die Resistenz gegen gesellschaftliche Fehlentwicklungen wie Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit wächst in dem Maße, in dem sich aus individuellen Überzeugungen, persönlichen Vorbildern, ein breiter gesamtgesellschaftlicher demokratischer Grundkonsens entwickelt. Die Frage, ob und ggf. was der Staat zu einem solchen Grundkonsens beizutragen hat, diese Frage ist oft gestellt und widerstreitend beantwortet worden.

Auf staatlichem Verordnungswege läßt sich dieses Wertebewußtsein nicht erzwingen. Vielmehr muß es erlebt und gelebt werden. Die Rolle des Staates ist es, innerhalb seines Kompetenzrahmens auf allen Ebenen für die Werte unserer Ordnung einzutreten sowie Familien und Schulen, die am Beginn der Entwicklung der heranwachsenden Generation wertbildend und

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wertvermittelnd tätig werden, immer wieder durch positive Impulse unterstützend zu begleiten. Das „Bündnis für Demokratie und Toleranz - gegen Extremismus und Gewalt" wird solche Impulse geben.

Diese Entwicklung fordert viel Geduld und Beharrlichkeit. Wir dürfen dabei angesichts bitterer Rückschläge nicht resignieren - denn solche wird es auch zukünftig geben. Dieses Wertebewußtsein muß nicht nur entwickelt werden - es muß auch fortlaufend wertstabil gehalten werden. Diese auf Dauer angelegte Aufgabe stellt sich in gleicher Weise in West- wie in Ostdeutschland. Zahlreiche Beispiele für Bürgersinn, Engagement und Zivilcourage in der jüngeren deutschen Vergangenheit geben mir die Überzeugung, daß es gelingt, eine demokratische politische Kultur zu entwickeln und dauerhaft zu wahren.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2000

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