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Günther Schultze
Zusammenfassung


Für Fritz Rudolf Körper ist die Bekämpfung von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe mit einer hohen Aktualität. Der Rechtsextremismus ist zur Zeit gekennzeichnet durch ein steigendes Personenpotential bei einer leicht rückläufigen Zahl der Gewaltdelikte. Allerdings ist eine zunehmende Gewaltbereitschaft der Täter zu registrieren, die zudem immer jünger und brutaler werden. Rechtsextremistische Verhaltensweisen und Symbole sind gerade in Ostdeutschland in die Jugendkultur eingedrungen. Eine besondere Rolle hierbei spielt die Musikszene. Die Deutsche Volksunion (DVU) ist die mitgliederstärkste und bei Wahlen erfolgreichste rechtsextreme Partei. Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ist im Osten am stärksten organisiert. Eine neue Art der Bedrohung sind die rechtsextremistischen Aktivitäten im Internet. Aktuell gibt es mehr als 320 Homepages mit steigender Tendenz. Eine Verfolgung dieser Aktivitäten ist besonders schwierig, da die Angebote auf ausländischen Servern gespeichert werden und eine Strafverfolgung nur schwer möglich ist. Der Verfassungsschutz konnte aber gerade in letzter Zeit einige anonyme Homepage-Betreiber identifizieren. In der wissenschaftlichen Forschung werden verschiedene Ursachen für den Rechtsextremismus genannt. Psychologische Ansätze betonen z.B. die Verbindung von autoritären Charakterstrukturen mit rechtem Gedankengut. Soziale Erklärungsansätze hingegen betrachten Rechtsextremismus als Reaktion auf soziale Umbrüche, die zu Individualisierungs- und Desintegrationsprozessen führen. Politische Erklärungsansätze wiederum machen für das Erstarken rechtsextremer Parteien die Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien verantwortlich. Das Phänomen des Rechtsextremismus und der Fremdenfeindlichkeit ist so vielschichtig, daß nur eine Vielzahl unterschiedlicher politischer und gesellschaftlicher Gegenstrategien erfolgreich sein kann. Die Bundesregierung hat ein „Bündnis für Demokratie und Toleranz - Gegen Extremismus und Gewalt" ins Leben gerufen. Dieses Netzwerk strebt die Zusammenarbeit verschiedener Bundesressorts, der Landesregierungen und vor allem von Nichtregierungsorganisationen an. Weiterhin wird die Forschung zum Rechtsextremismus weiter ausgebaut, um auch biographische Hintergründe von rechtsextremen Gewalttätern besser erklären zu können.

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Der Verfassungsschutz und die Polizei in Bund und Ländern müssen ihre Zusammenarbeit weiter intensivieren. Besonderes Augenmerk wird der Beobachtung des Internets zukommen. Eine Präsenz der Polizei an Brennpunkten spielt eine große Rolle bei der Bekämpfung der rechten Szenen und Cliquen. Dadurch können spontane, gruppeninterne Prozesse in der Entstehung beeinflußt werden. Der Abschreckungseffekt hängt entscheidend davon ab, daß eine konsequente und schnelle Ahndung und Strafverfolgung rechtsextremen Gewalttaten folgt. Entscheidend ist jedoch, daß vor allem den Jugendlichen im Osten eine sichere Lebensperspektive eröffnet wird. Das von der Bundesregierung beschlossene Sofortprogramm zur Vermittlung von 100.000 Jugendlichen in Maßnahmen zur Ausbildung und Beschäftigung soll dazu beitragen. Auch das Ausbildungsprogramm Ost soll präventiv wirken. Auch die in unserer Verfassung zur Verfügung gestellten Instrumentarien, Verbote von Parteien und Vereinigungen, müssen in angemessener Weise angewandt werden. Entscheidend ist jedoch, eine demokratische politische Kultur zu entwickeln, die gesellschaftlichen Fehlentwicklungen wie Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit den Nährboden entzieht.

Der Rechtsextremismus in West- und Ostdeutschland unterscheidet sich. Richard Stöss sieht den Rechtsextremismus in Westdeutschland geprägt durch vielfältige Organisationen, die untereinander in Konkurrenz stehen und zum Teil anachronistische Geschichts- und Theoriedebatten führen. Kennzeichnend für den Rechtsextremismus in Ostdeutschland ist hingegen subkultureller Protest. Sein Fundament wurde in der DDR gelegt. Bereits dort entstanden subkulturelle Milieus, die sich durch Gewalttätigkeit und Brutalität auszeichneten. Die prekäre wirtschaftliche und soziale Lage in Ostdeutschland seit 1990 bewirkte, daß diese Subkulturen sehr starken Zulauf erhielten. Die Mitglieder dieser Szene verfügen nur selten über ein festgefügtes rechtsextremes Weltbild. Seit der Vereinigung ist von seiten der westdeutschen Organisationen der Versuch zu beobachten, den ostdeutschen Rechtsextremismus zu institutionalisieren. Die westlichen Neonazis suchten direkten Kontakt zu Skins, Faschos, Hools etc. Es entstand auf diese Art ein gefährlicher Kern von militanten Neonazis. Diese wurden jedoch zwischen 1992 und 1995 durch staatliche repressive Maßnahmen zerschlagen. Insgesamt ist von 1990 bis heute eine Gewichtsverlagerung des Rechtsextremismus von West nach Ost erfolgt. Heute zeigen Meinungsumfragen, daß 17% der Ostdeutschen und nur 12% der Westdeut-

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schen über ein rechtsextremes Weltbild verfügen. Eine derartige Verschiebung der Gewichte zeigt sich auch bei den Ergebnissen der Bundestags- und Landtagswahlen. Die Ursache für diese Entwicklung ist in der stärkeren Unzufriedenheit, der Systemverdrossenheit und dem Zukunftspessimismus seit Mitte der 90er Jahre in den ostdeutschen Ländern zu suchen. Die rechten Parteien stellen ihre Programmatik zunehmend auf diese Situation ein. Sie greifen soziale Probleme des Ostens auf und integrieren sie in ihre Programmatik. Sie verpacken ihre nationalistischen Einstellungen hauptsächlich in fremdenfeindlich gewendete soziale Forderungen. Auch in Ostdeutschland zeichnet sich mithin die Entwicklung von subkulturell geprägten Milieus hin zu Institutionalisierungsprozessen der rechten Szene ab.

In europäischen Diskussionszusammenhängen wird weniger von Fremdenfeindlichkeit als vielmehr von Rassismus gesprochen. Für Vera Egenberger liegt Rassismus dann vor, wenn Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ethnischen Herkunft, Religionszugehörigkeit oder der Herkunftskultur diskriminiert und ausgegrenzt werden. Das Europäische Netzwerk gegen Rassismus (ENAR) wurde im Oktober 1998 in Brüssel gegründet. Das Sekretariat des ENAR hat die Aufgabe, die assoziierten Mitglieder über die relevanten Aktivitäten zu informieren. Wichtige Fakten und Entscheidungen auf europäischer Ebene werden an die nationalen runden Tische weitergeleitet. Außerdem ist geplant, Materialien, wie z.B. politische Arbeit organisiert werden kann, zu erstellen. Initiativen und Bündnisse auf regionaler und nationaler Ebene werden vernetzt. Es soll ein Erfahrungs- und Informationsaustausch zwischen den verschiedenen europäischen Ländern ermöglicht werden. Und schließlich ist es ein herausragendes Ziel, daß Nichtregierungsorganisationen einen größeren Einfluß auf politische Entscheidungen erhalten. Gesetzentwürfe auf nationaler und europäischer Ebene sollen analysiert und auf diskriminierende Regelungen durchleuchtet werden. Ein Beispiel ist die Implementierung des Artikels 13 des Amsterdamer Vertrages. Dieser Artikel enthält eine Antidiskriminierungsklausel und ist mithin in Zukunft für alle Mitgliedsländer der Europäischen Union verbindend. Die einzelnen Länder müssen dafür Sorge tragen, daß er in nationales Recht umgesetzt wird. ENAR wird sich mit dieser Aufgabe befassen und seinen Einfluß geltend machen. ENAR arbeitet eng mit anderen europäischen Organisationen, wie z.B. der Beobachtungsstelle gegen Rassismus in Wien, zusammen.

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Das Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit im Land Brandenburg ist im Mai 1997 auf Initiative der Landesregierung gegründet worden. Nach Wolfram Meyer zu Uptrup ist sein Ziel die Vernetzung der relevanten großen gesellschaftlichen Institutionen und der gemeinsame Kampf gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit und die mit ihnen einhergehende Gewaltbereitschaft. Das Aktionsbündnis führt regelmäßige Mitgliederversammlungen durch und organisiert Fachkonferenzen. Bei konkreten Projekten entwickelte sich eine Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsvereinen. Initiativen in den Städten und Dörfern können durch eigene Fördermittel unterstützt werden. Es gelang dem Bündnis, wichtige Themen in die öffentliche Diskussion einzubringen und ein Netzwerk zwischen der Regierung und Nichtregierungsorganisationen und lokalen Initiativen zu knüpfen. Die politischen Grenzen der Aktivitäten wurden während der Landtagswahl 1999 in Brandenburg sichtbar. Es war geplant, eine Kampagne zu starten, die gegen die Wahl von rechtsextremen Parteien aufrief. Diese konnte nicht durchgeführt werden, weil die Landesregierung in Wahlzeiten zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet ist. Zur Zeit wird überlegt, ob eine neue Rechtsform diese Restriktionen beheben kann. Aktionsbündnisse gegen Gewalt und Rechtsextremismus sollten vorab prinzipielle Fragen klären: Zur erfolgreichen Konzeption gehört, daß die Ziele genau definiert werden. Auch über die Aktionsformen sollte Klarheit geschaffen werden. Wie das Beispiel Brandenburg zeigt, ist die Unabhängigkeit von Bündnissen dann notwendig, wenn von NGOs Einfluß auf politische Entwicklungen und Entscheidungen genommen werden soll. Weiterhin ist von entscheidender Bedeutung, wer Mitglied in den Bündnissen ist, welche Rechte die Mitglieder haben und wer es nach außen vertritt.

Rostock-Lichtenhagen hat traurige Berühmtheit erlangt. Michael Hugo schildert die Geschehnisse im August 1992, als das „Sonnenblumenhaus" brannte und die eingeschlossenen VietnamesInnen um ihr Leben bangten. Im Sommer 1998 beabsichtigte die NPD, zum Abschluß des Bundestagswahlkampfes eben in diesem Haus ihre Abschlußkundgebung abzuhalten. Die Medien zeigten großes Interesse für dieses geplante Ereignis. Hiergegen entwickelte sich ein breites Aktionsbündnis in Rostock, dem über 60 Organisationen angehörten. Als Name wurde gewählt „Bunt statt Braun", und das Logo war ein Symbol der ostdeutschen Bürgerrechtsbewegung, „der Schmetterling". Die Kundgebung der NPD konnte zwar nicht verhindert

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werden, fand aber lediglich in der Peripherie Rostocks statt. Entscheidend war, daß mehr als 10.000 Menschen an der Gegendemonstration teilnahmen. Die wichtigen Repräsentanten der Kommune beteiligten sich. Die große Medienpräsenz bewirkte auch, daß dieser Tag ein anderes Bild von Rostock in die Öffentlichkeit transportiert hat. Aus dieser Initiative sind vielfältige Aktivitäten erwachsen, wie z.B. interkulturelle Friedensfeste, ein Kinder- und Jugendpreis für Musik und Literatur und ein Preis für Zivilcourage. Das veränderte Klima in Rostock erkennt man auch daran, daß alle Parteien im Kommunalwahlkampf ihre Plakate mit dem Logo der Initiative „Bunt statt Braun" überklebten. Heute ist der Verein „Diên Hông - Gemeinsam unter einem Dach" in einem neuen multifunktionalen Begegnungszentrum untergebracht, und es sind hier mehr als 60 Arbeitsplätze entstanden. So werden z.B. Qualifizierungs- und Umschulungsmaßnahmen für Nichtdeutsche und Deutsche angeboten. Wichtig ist, daß die kommunalen Initiativen ergänzt werden durch bundes- und landespolitische Rahmenbedingungen.

Der gewerkschaftliche Ansatzpunkt zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit liegt in erster Linie im Betrieb und am Arbeitsplatz. Für Volker Roßocha gehören fremdenfeindliche Einstellungen und diskriminierendes Verhalten in vielen Betrieben und Verwaltungen zur Alltagskultur: Abfällige und menschenverachtende Äußerungen gehören zum Umgangston, in Gesetzen und Verordnungen verbergen sich Diskriminierungen von Nichtdeutschen, oder Betriebe greifen zu nicht gerechtfertigten arbeitsrechtlichen Konsequenzen. Es gibt inzwischen zahlreiche Betriebe, die Betriebsvereinbarungen über Maßnahmen zur Gleichbehandlung und Sanktionen bei diskriminierendem oder rassistischem Verhalten abgeschlossen haben. Weiterhin können Betriebe sensibilisiert werden, Diskriminierungen bei Einstellungen und Aufstiegen auszuschließen. Auch die innerbetrieblichen Ausbildungspläne können so umgestaltet werden, daß gegenseitiges Verständnis und Toleranz gelernt werden. Ziel ist es, Vorbehalte und Vorurteile bei allen Beschäftigten, auch bei Migranten selbst, abzubauen. Ein wichtiges Instrument zum Zurückdrängen von fremdenfeindlichen Einstellungen und Verhaltensweisen ist ein ausgebautes Beschwerdesystem. Neben der betrieblichen Ebene sind die Gewerkschaften in zahlreichen Bündnissen und Initiativen gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit vertreten.

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© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2000

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