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TEILDOKUMENT:
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3. Strategien der Frauen- und Geschlechterpolitik oder die vier Säulen: Quote, Normierung, Mainstreaming und autonome Praxis
Jede politische Institution, sei es eine Partei, eine Gewerkschaft oder ein Verband ist ein Ort, in dem ritualisierte und/oder verrechtlichte Handlungsmuster und Denkformen praktiziert werden. In diesen ist die hierarchische Geschlechterdifferenz verankert. Die Strukturen schließen Frauen weitgehend aus, Verhaltensformen bringen die wenigen oft zum Schweigen, Handlungsziele lassen Fraueninteressen weitgehend unberücksichtigt. Politische Institutionen sind so geformt, daß sie die herrschenden Geschlechterverhältnisse nicht verändern, sondern stabilisieren. Geschlechterpolitik ist nun eine Politik, die
Welche Strategien dazu geeignet erscheinen, wird im folgenden aufgezeigt.
3.1 Egalitäre Repräsentation: Quotierung
3.1.1 Die Quote beendet den Frauenausschluß
Es besteht weitgehend Einigkeit darin, daß die im Grundgesetz verankerte Gleichstellung von Frauen noch nicht erreicht ist. Wie sie allerdings inhaltlich gefüllt wird, ist bereits Gegenstand politischer Auseinandersetzungen. Der kleinste gemeinsame Nenner einer Geschlechterpolitik ist vielleicht die Anerkennung der Tatsache, daß Frauen in den politischen Entscheidungsgremien nicht genügend vertreten sind. Dazu werden Statistiken über Frauenanteile in Regierungen und Parlamenten, politischen Funktionen, Ehrenämtern und Entscheidungsorganen erstellt, und fast überall ist eine quantitative Dominanz männlicher Personen zu registrieren. Weil Demokratie nun auf dem Prinzip der vollständigen und gleichen Mitwirkung und Repräsentation aller Mitglieder einer Gesellschaft beruht, widerspricht dieses Phänomen dem Gleichberechtigungsgrundsatz. Die Ursachen für die mangelnde Repräsentation und Beteiligung werden jedoch verschieden gedeutet. Es ist noch gar nicht lange her, da galten in der politikwissenschaftlichen Forschung Frauen als unpolitisch, politisch desinteressiert und eher apathisch, kurz defizitär. Und diese Zuschreibungen wurden auch mit empirischen Forschungsergebnissen aus der Meinungsforschung untermauert. Eine politisch aktive Frau wurde als die typische Ausnahme von der Regel angesehen, die ihrerseits die politische Trägheit aller anderen nur noch bestätigte. Erst Politikwissenschaftlerinnen haben in den letzten zehn Jahren den Mythos von den politisch defizitären Frauen als diskriminierende Zuschreibung kritisiert (Sauer 1998). Sie haben gezeigt,
Um die Unterrepräsentanz von Frauen in politischen Institutionen aufzuheben, ist die Quotierung der Geschlechter eine angemessene Strategie. Sie zielt darauf, formal die Gleichheit der Geschlechter in politischen Entscheidungsgremien herzustellen. Dabei werden Frauen nicht aufgrund dessen, daß ihnen irgendwelche besonderen Merkmale, etwa weibliche Eigenschaften, Sichtweisen oder Einstellung generell zugeschrieben werden, aufgenommen, sondern vielmehr deswegen, weil sie aufgrund ihres Geschlechts quantitativ bislang offensichtlich ausgeschlossen worden sind. Die Tatsache des Ausschlusses qua Geschlecht ist die Begründung für die Geschlechterquote. Die erforderliche und herzustellende vermehrte Beteiligung von Frauen bietet allerdings keinerlei Garantie für irgendeine politische Zielsetzung, das Geschlecht ist keine Garantie für die Vertretung eines bestimmten politischen Programms. Aber, die Geschlechterparität eines Gremiums ist Beleg dafür, daß nicht aufgrund des Geschlechts diskriminiert wird. Frauen werden also nicht aufgrund irgendeiner Bestimmung von Weiblichkeit aufgenommen, sondern nur deshalb, weil das weibliche Geschlecht bislang als weniger bedeutend und damit für ausschließbar gehalten wurde. Diese formale Betrachtung ist die einzige, die die Quote wirklich begründet, jede weitere inhaltliche Begründung darf und kann sich nicht auf das Geschlecht berufen, weil sie Gefahr läuft, ins Gegenteil gewendet zu werden. Wer damit beginnt, Frauen nicht nur wegen ihres bisherigen Ausschlusses qua Geschlecht Plätze in politischen Gremien einzuräumen, wird im Konfliktfall Probleme damit haben, zu begründen, warum eine bestimmte politische Idee oder eine bestimmte politische Einstellung bzw. bestimmte Fähigkeiten nur von Frauen und nicht auch von Männern eingebracht werden können. Eine differenztheoretische Begründung der Quotierungsstrategie führt sehr bald zu empirischen Aporien: genauso wenig wie jedem konkreten männlichen Menschen patriarchale Verhaltensweisen und Sichtweisen unterstellt werden können, können auch nicht jeder weiblichen Person spezifisch weibliche Verhaltens- und Sichtweisen unterstellt werden. Wenn auch die Wahrscheinlichkeit groß ist, daß Frauen in politischen Gremien spezielle Erfahrungen, die durch die Geschlechterhierarchie geprägt sind, einbringen, kann die Begründung für eine Geschlechterparität nicht darin liegen, daß diese Erfahrungen sinnvoll für das Gremium sind. Der Nachweis, daß solche Erfahrungen nur und ausschließlich von Frauen und von jeder Frau einzubringen sind, ist theoretisch und empirisch schwer zu erbringen. Die Begründung für geschlechtsspezifische Quotierungen im politischen Gremium kann also nur im formalen Ausschluß des Geschlechts begründet sein, ansonsten würden Frauen in ihren vielfältigen Differenzen mißachtet. Auch Männern wird ihre Berechtigung, Positionen in der Überzahl zu besetzen, nicht deswegen abgesprochen, weil sie eine spezifische, falsche, nicht gewünschte und vor allen Dingen einheitlich getragene Einstellung besäßen, sondern, weil ihre Überzahl ein Phänomen ist, das auf den Ausschluß von Frauen hinweist. Die Umsetzungsprobleme von Quotierungsbeschlüssen sind vielfältig: In der Regel sind sie ein Lehrbuch für die Geschlechterhierarchie in dem jeweiligen politischen System und können auch als solches gelesen werden. [Seite der Druckausg.: 16] Drei typische Argumente werden im folgenden widerlegt: "Wir finden keine Frau, die Frauen wollen gar nicht." Mit dieser Frage werden Frauen selbst zu den Schuldigen für ihren Ausschluß qua Geschlecht gemacht und eine Rechtfertigung für den Ausschluß in den einzelnen Personen gesucht. In der Tat sind viele politische Entscheidungsgremien männlich dominiert, sodaß ihre Struktur im Inneren und ihre Produkte als Politik so geschlechtsspezifisch einseitig empfunden werden und Frauen zunächst keinen Zugang haben, selbst wenn er ihnen formal offensteht. In solchen Fällen ausgeprägter männlicher Dominanz ist das Quotierungsverfahren für viele Frauen besonders problematisch, setzt es sie doch einer Paradoxie aus, der sie kaum entrinnen können: Um in einem solchen Gremium mitzubestimmen, müssen sie sich als über Quote hineingekommen wahrnehmen lassen (Quotenfrau). Die Quote wird dabei als Unterstützung für in irgendeiner Weise defizitäre Frauen angesehen und nicht als Wiedergutmachung für diskriminierende Strukturen. Frauen steht es nun frei, sich das ihrem Geschlecht unterstellte Defizit als eigenes anzuziehen, dann sind sie die defizitäre Frau, die das Gremium nun endlich aufnimmt. Oder: Sie wehren sich gegen das unterstellte Defizit, dann sind sie gar nicht die Frau, die gemeint ist. Vor die Wahl gestellt, sich Defizite zuschreiben zu lassen oder die falsche Person zu sein, verzichten Frauen oft lieber auf eine Beteiligung. Die Konsequenz daraus ist allerdings, daß der Ausschluß qua Geschlecht fortgesetzt werden kann. Wenn also keine Frau zur Partizipation bereit ist, ist die Geschlechterkultur dafür verantwortlich und nicht nur die Gruppe der Frauen. Die Geschlechterkultur zu verändern, ist aber Sache beider Geschlechter. "Wir können erfahrene Männer nicht zurückweisen." Die hierarchischen Geschlechterverhältnisse führen in vielen Fällen zu dem Dilemma, daß einzelne Männer ausbaden müssen, was Generationen vor ihnen in die Strukturen hineingelegt worden ist. Am Fall des einzelnen Mannes wird deutlich, was in den unzähligen Fällen von Frauen gerade verdeckt war: Das Geschlecht ist ein Selektionsmerkmal, für Männer ein einschließendes, für Frauen ein ausschließendes. Die Geschlechterdifferenz ist politisiert, und zwar so, daß das Geschlecht von Männern keine Rolle zu spielen scheint, das Geschlecht von Frauen aber ein verdeckter Ausschlußgrund ist. Für Männer gelten spezifische Erfahrungen und Qualifikationen als Einschlußgründe, Merkmale, die viele Frauen in dieser Form gar nicht erwerben können. Ohne einen Traditionsbruch, nämlich den Ausschluß von Männern im Einzelfall, läßt sich diese Geschlechterungleichheit in politischen Gremien nicht aufheben. Die jeweils berufene oder gewählte Frau ist dann nicht als Person mit dem nicht zum Zuge kommenden Mann zu vergleichen, sondern sie ist als Stellvertreterin für das bisher ausgeschlossene Geschlecht zu sehen, und je nachdem, welchen politischen Stellenwert die Geschlechterdiskriminierung bereits hat, wird das Einzelschicksal eines Mannes auch in Kauf genommen. Frauen sind weder herzlos noch dumm, wenn sie trotz eines männlichen Einzelschicksals auf ihren Platz Wert legen, sondern sie vertreten konsequent eine Geschlechterparität. "Frauen fehlen die Voraussetzungen, um berufen zu werden." Beteiligung in politischen Gremien basiert oft auf dem Innehaben bestimmter anderer Positionen, auf dem Vorliegen von Voraussetzungen. Wenn zu einer bestimmten Zeit keine Frau solche Voraussetzungen mitbringt, so ist das zunächst ein wichtiger Indikator für Frauendiskriminierungen in anderen, den politischen Gremien vorgelagerten Bereichen. Die Gründe sind genau zu erheben und durch neue Maßnahmen zu beheben. Ebenso ist es aber auch möglich, die Berechtigung der Gesetze und Voraussetzungen zu [Seite der Druckausg.: 17] hinterfragen. Wenn sie auch nur den Anschein von Tradition und Gewohnheit haben, sind sie, weil frauenausschließend, zu revidieren, das gilt häufig für geborene Mitgliedschaften.
3.1.2 Effekte erhöhter Beteiligung von Frauen in Entscheidungsgremien
Wer von einer essentiellen Differenz zwischen Männern und Frauen ausgeht und sie zur Grundlage der Betrachtung macht, sieht Weiblichkeit als Ressource zur Verbesserung der Politik an und setzt darauf, daß Frauen in ihrem Anderssein neue Impulse und andere Werte in die bislang männlich geprägten Strukturen und Inhalte einbringen. Nicht zuletzt die Theorien über eine weiblichen Moral (Gilligan 1982) bestärkten Hoffnungen, daß mehr Frauen in der Politik auch eine andere Politik machen. Frauen werden als weniger verdorben, emotionaler, moralisch besser angesehen und als komplementäre Wesen zu Männern definiert, die endlich, wenn sie in den Entscheidungsgremien partizipieren, den von Männern bisher verdrängten Werten Gewicht verleihen können. Die Frage, wie eine weibliche Politik aussieht und ob es einen weiblichen Politikstil gibt, ist Gegenstand vieler Studien, die sich auf Frauen in der Politik beziehen. Ob Frauen ein anderes Selbstbild in ihrer politischen Arbeit haben als Männer, ist empirisch mit "Jain" zu beantworten (Sauer 1994). Eine bei allen Frauen gleiche weibliche Geschlechtsidentität läßt sich nicht finden, nicht alle Politikerinnen verhalten sich gleich, haben dieselben Vorstellungen von sich als Frau, ja wollen aufgrund ihres Geschlechts etwas besonderes, anderes sein. Längst nicht alle leiten aus einem weiblichen Geschlechterstereotyp ihre politischen Verhaltensweisen oder spezifischen Orientierungen ab. Viele fühlen sich eher ihren Vätern und deren Werten, also den männlichen Orientierungen, verbunden. Die Befunde sind keinesfalls eindeutig. Mit Recht wird auch der Ansatz, nach dem geschlechtsspezifisch Anderen zu suchen, kritisiert und gegen die Differenztheorie aufgeführt, daß Geschlecht keine Kategorie zur Beschreibung von Wesen und Identität sein kann, sondern eine Strukturkategorie zur Analyse von Besonderheiten, die gesellschaftlich hergestellt werden und mit denen sich Individuen auseinanderzusetzen haben. Wann, wo und auf welche Weise das Geschlecht im politischen Beteiligungsprozeß welche Bedeutung bekommt, ist nun kulturell-historisch je verschieden. Schon der Vergleich zwischen Bundesrepublik Deutschland und DDR zeigt, daß sehr verschiedenartige Erfahrungen vorhanden sind. Während für politisch handelnde Frauen in der DDR ihr Geschlecht beim Eintritt in die Politik keine große Rolle spielte und sie sich als 16- bis 18 jährige nicht als besonderes" Geschlecht fühlten, ist politische Beteiligung für Frauen in der Bundesrepublik viel stärker von der Balance zwischen Frau-Bleiben und Politik-Machen geprägt. Sie fühlen sich eher fremd (Penrose 1994, Schöler-Macher 1994). Andererseits gibt es auch in der Bundesrepublik jüngere Frauen, die sich in Institutionen eher als Mitspielerinnen mit hohem Kapital fühlen, die lernen, die Regeln für sich zu nutzen und sich nicht als Fremde zu verstehen versuchen (Hasenjürgen 1996). Es kommt demnach auf den historischen und kulturellen Kontext an, ob Weiblichkeit als Identitätsproblem im Widerspruch zum politischen Kontext erlebt wird. So wenig, wie die Geschlechterdifferenz die Begründung für die Quote hergeben kann, sondern die Geschlechterhierarchie herangezogen werden muß, so wenig darf aus der Tatsache, daß nicht alle Frauen, die in politischer Verantwortung stehen, die Geschlechterhierarchie in Frage stellen und Frauenpolitik machen oder machen wollen, geschlossen werden, daß dann auch ihre Beteiligung nicht unbedingt erforderlich ist. Die empirischen Studien über Politikerinnen zeigen sehr eindeutig, daß Frauen die Zweitrangigkeit ihres Geschlechts zu spüren bekommen und auch selber spüren. Auf [Seite der Druckausg.: 18] der Ebene der Geschlechterbeziehungen erfahren alle die Selbstverständlichkeit, mit der Männer über Frauen hinwegreden, die Verantwortung an sich ziehen, indem sie Ritterlichkeit ausüben, Frauen in ihre Obhut nehmen, kurz, das ganze Spielfeld der geschlechtsspezifischen Interaktionsformen in Gruppen und Gremien und deren Umfeld. Selbst wenn sie nicht diese direkt diskriminierenden Erfahrungen thematisieren, ist die Kritik der politisch verantwortlichen Frauen an Umgangsformen in der Politik sehr verbreitet. Die individuelle Reaktion darauf ist jedoch nicht bei allen gleich: Einige versuchen, die Erfahrungen zu vergessen, und gehen bewußt darüber hinweg. Manche Frauen in männlich dominierten Organisationen identifizieren sich gerade mit der traditionellen Geschlechterrolle, nutzen weibliche Attribute wie Schmuck, bestimmte Kleidung und vermeiden es, männliches Dominanzverhalten zu kritisieren. Das ist nicht immer Ausdruck weiblicher Schwäche", sondern oft das Ergebnis eines bestimmten Abwägungsprozesses, den Frauen immer wieder neu vollziehen müssen: Befunde aus der Frauenforschung belegen, daß Frauen in männlichen Berufspositionen die Männer in denselben Positionen irritieren und diese Irritation männlichen Denkens und Fühlens aushalten müssen. Wenn diese Frauen dann ihre Identität nicht in traditionellen Geschlechtsrollenattributen unterstreichen, verstärkt sich die Irritation, weil dann auch die traditionell männliche Identität in Frage gestellt wird, die sich ja gerade aus der Andersartigkeit gegen Frauen konstituiert. Diese Infragestellung gängiger Repräsentations- und Interaktionsformen ist für viele Männer eine enorme Provokation, auf die sie mit vernichtender Mißachtung reagieren. Sie sprechen diesen Frauen, die so etwas auslösen, einfach das Geschlecht ab. "Das ist keine Frau mehr." Frauen, die sich in männlich geprägten Institutionen durchsetzen wollen, müssen kalkulieren, wie viel Provokation sie sich und anderen zumuten können. Für Frauen in der Politik kommt erschwerend hinzu, daß sie mit den Männern der je eigenen Fraktion auch über gemeinsame politische Ziele verbunden sind, die durchzusetzen sie sich gegenseitig brauchen. Andere Frauen bemühen sich, gegen männliches Dominanzverhalten anzugehen und durch Selbstbehauptung die geschlechtsspezifischen Unterdrückungsversuche außer Kraft zu setzen. Diese Frauen wollen einen Beitrag zur Veränderung von Umgangsformen zwischen Männern und Frauen leisten. Sie sehen diese Umgangsformen als Ausdruck der Geschlechterhierarchie und versuchen, sie zu verändern. Sie nehmen ihre persönlichen Erfahrungen nicht als private, sondern als Indikator eines Strukturmerkmals genau der gesellschaftlichen Strukturen, in denen sie politisch handelnd tätig sind. Die Einbindung einzelner Frauen in politischen Gremien ist also keine Garantie für eine andere Kultur des Umgangs, für eine andere Politik nach außen. Dennoch zeigen Erfahrungen und Studien aus den nordischen Ländern, daß es so etwas wie das Gesetz der kritischen Masse gibt: sind in einem Gremium mindestens 30% Frauen, so steigt die Wahrscheinlichkeit, daß Umgangsformen und Regularien in Frage gestellt und verändert werden. So gelang es Frauen in Skandinavien, sowohl die Umgangsformen innerhalb der politischen Institutionen als auch die Argumente im politischen Diskurs zu verändern, als sie mehr als 30% der Sitze inne hatten (Dahlerup 1991). Die Europäische Kommission setzt ebenso darauf, daß eine erhöhte Beteiligung von Frauen eine höhere Gender-Sensibilität des Outputs politischer Gremien bewirkt (Euro. Kom. 1997, S. 4). Nicht zuletzt werden die Rahmenbedingungen, unter denen politische Gremien zu arbeiten gewohnt sind, berührt, wenn Frauen, nicht qua Geschlecht, aber aufgrund ihrer geschlechtsspezifisch zugewiesenen Lebenssituation den politischen Normalarbeitstag in Frage stellen. Um die Vereinbarkeit politischer Arbeit mit der Betreuung von Kindern und Hilfebedürftigen herzustellen, drängen sie auf kürzere Sitzungen, andere Sitzungszeiten und effektivere Formen der politischen Präsentation. Je mehr Frauen vertreten [Seite der Druckausg.: 19] sind, desto eher wird eine von ihnen diese Vereinbarkeit einfordern und so eher werden wiederum andere Frauen dies unterstützen. An dieser Stelle scheint die quantitative Besetzung von Positionen mit der Chance der Durchsetzung spezifischer inhaltlicher Positionen verknüpft: Gerade da, wo die Umstände voll und ganz auf die Lebenssituation von Männern ohne Verpflichtung zu privater unbezahlter Arbeit abgestellt sind, werden Frauen gar nicht anders können als neue Bedingungen zu fordern, um mitmachen zu können, es sei denn, sie führen ein ähnliches Leben wie die Männer. Die skandinavischen Erfahrungen zeigen aber auch, daß die Durchsetzung der von Frauen eingebrachten Themen und Vorstellungen mit der Quote noch nicht garantiert ist. Erst über die konsequente Rekrutierung von Frauen, die auch ein Gender-Bewußtsein haben, das sich auf die politischen Ziele ihrer Organisation und auf deren Strukturen bezieht, und über Bündnispolitik kann dies erreicht werden. Eine weiterer Beleg für eine Schnittstelle von quantitativer Beteiligung von Frauen und der inhaltlichen Gestaltung von Politik ist die Bündnispolitik der Frauen. Daß sie auch quer durch Parteien hindurchgehen kann und erfolgreich ist, beweist in der Bundesrepublik Deutschland die parlamentarische Entscheidung über Vergewaltigung in der Ehe und den Schwangerschaftsabbruch. In diesen Fragen haben Parlamentarierinnen ihre Loyalität gegenüber der eigenen Partei teilweise aufgegeben und die Bedeutung des Geschlechts an erste Stelle gestellt. Sie haben primär als Frauen aus der Betroffenheit durch eine spezielle Form der Geschlechterhierarchie entschieden. Ohne die berechtigte Hoffnung, daß das Frauenbündnis seine Position auch mehrheitlich durchsetzen wird, wäre es wohl kaum zu diesem Bündnis gekommen. Das zeigt, daß erst die reale Mehrheit der Frauen solche Entscheidungen zustande bringt.
3.2 Legalisierung und Normierung
Geschlechterverhältnisse spiegeln sich auch in Gesetzen und Normen wider. Sie zu verändern, ist immer schon eine Strategie von Frauen gewesen. Das formale Prinzip der geschlechterbezogenen Chancengleichheit oder das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ist im Grundgesetz verankert. In politischen Organisationen und in Gremien, die geschlechterparitätisch besetzt werden sollen, sowie in Institutionen, in denen Diskriminierung abgebaut werden soll, kann dieser Grundsatz aufgegriffen und konkretisiert werden. In den je spezifischen Regelwerken, Satzungen, Richtlinien, Leitbildern oder Vereinbarungen ist er hineinzunehmen, damit die geschlechtsbezogene Chancengleichheit eine Zielgröße ist, der sich die Organisation selbst verpflichtet fühlt. Ob es sich um eine zu reformierende Verwaltung, um eine Partei oder eine Gewerkschaft handelt: die Erfahrung zeigt, daß es meist ein langwieriger Prozeß ist, eine solche Selbstverpflichtung nach innen und außen herzustellen. In der Regel ist allerdings die Diskussion um die Verankerung geschlechtsbezogener Chancengleichheit im normativen Regelwerk auch ein wichtiger Teil der Verankerung des Ziels in der Organisationskultur. Diese Diskussion dient der Sensibilisierung aller Beteiligten für die Geschlechterfrage an dem je spezifischen Ort. Im Rahmen dieser Diskussionen wird über Begriffe diskutiert werden müssen. Es ist zu entscheiden, welcher Begriff benutzt werden soll:
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Jeder dieser Begriffe muß im Kontext einer politischen Organisation genau definiert werden, und nur die Beteiligten können letztlich vereinbaren, was es nun konkret bedeuten soll. Allerdings sind die gewählten Begriffe für die Zielsetzung nicht beliebig. Das Bewußtsein von der Geschlechterfrage und die Geschlechtertheorie, unter der sie gesehen wird, spiegeln sich nämlich in den Begriffen wider: Wer z. B. Frauenpolitik sagt, will Politik für Frauen machen, Antidiskriminierungspolitik benennt dagegen, worum es geht, wer Lesben- und Schwulenpolitik sagt, will Politik für diese Gruppen machen, Antiheterosexismuspolitik sagt demgegenüber, was es zu verändern gilt. Die traditionelle begriffliche Zieltrias der Frauenpolitik
basiert auf der Annahme einer Geschlechterdifferenz und will sie auch nur teilweise verändern: Chancengleichheit muß nicht von jedem und jeder genutzt werden, Partnerschaft verträgt sich auch mit dem Ernährermodell und Frauenförderung kann sich vor allem auf die Erleichterung der traditionellen Arbeitsteilung der Geschlechter für die Frauen beziehen. Demgegenüber setzt der Begriff der Gleichstellung auf einen Zustand, in dem keine ungleichen Positionen aufgrund des Geschlechts zulässig sein sollen. Geschlechterdemokratie spricht von der Ermächtigung beider Geschlechter zur Aushandlung von Normen und politischen Zielsetzungen und emanzipatorische Geschlechterdemokratie betont die Veränderungen, die für beide Geschlechter anstehen. Normen und Leitbegriffe sind sehr abstrakt, dennoch bieten sie Voraussetzungen für konkrete Politik. Die Entwicklung einer Politik des Mainstreaming ist ohne die Verankerung von Chancengleichheit in den Vertragstexten der europäischen Staaten nicht denkbar. Politische Aktivitäten können sich auf solche Normen berufen, von ihnen legitimiert werden und nicht zuletzt bieten sie auch einzelnen Frauen, die sich diskriminiert fühlen, eine Bezugsgröße und ermutigen sie, sich gegen Diskriminierung zu wehren. Normative Festlegungen sind, wenn sie gültig gemacht worden sind, allerdings nicht automatisch auch wirksam, wie die vielen Studien zum Rechtsbewußtsein zeigen (vgl. Lautmann 1986). Wenn aber die Umsetzung von Normen und Leitbildern nicht automatisch funktioniert, stellt sich die Frage nach den geeigneten Strategien der Umsetzung.
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3.3 Initiative und Kontrolle: Mainstreaming
3.3.1 Definition von Mainstreaming
Der Mainstreaming-Ansatz der Frauen- und Geschlechterpolitik ist auf EU-Ebene am klarsten ausgearbeitet. Um ihn richtig zu begreifen, müssen die dort gegebenen Rahmenbedingungen genau betrachtet werden. Vorschnell wird nämlich Mainstreaming als neueste, modernste Form gegenüber einer als veraltet angesehenen Frauenförderung gelobt, nicht selten, um der als Frauenförderung mißachteten Strategie dann die Ressourcen und Machtmittel nehmen zu können. Mainstreaming setzt voraus,
Mainstreaming bedeutet dann konkret die Aktivierung aller Potentiale zur Herstellung der Chancengleichheit. Auf europäischer Ebene sind dies besonders
Zur Herstellung der Chancengleichheit werden verschiedene Ansätze genutzt:
Eine wichtige Aktivität im Rahmen von Mainstreaming ist das Gender-Controlling, also die Analyse jeder politischen Aktivität unter der Fragestellung, welchen Beitrag sie zur Chancengleichheit leistet:
Entscheidend ist die Idee, die das Mainstreaming trägt: Die Geschlechterfrage wird als ein wesentliches Kriterium bei der Lösung sozialer, wirtschaftlicher und umweltpolitischer Probleme angesehen. Die scheinbare Geschlechtsneutralität vieler Problemstellungen wird als solche erkannt und die Geschlechterbezüge werden deutlich gemacht bzw. erarbeitet. Das hat zur Konsequenz, daß nicht Frauen spezielle Sitzungen zu ihren Pro- [Seite der Druckausg.: 22] blemen abhalten, sondern daß in allen Sitzungen das spezielle Problem der Geschlechter behandelt wird. Ein solcher Anspruch ist der Tragweite geschlechtshierarchischer Verhältnisse in allen Teilbereichen der Gesellschaft angemessen, das Einlösen dieses Anspruchs jedoch ist ein Prozeß. Im Idealfall
3.3.2 Voraussetzungen von Mainstreaming Mainstreaming ist eine Strategie, die das Einlassen auf Institutionen und das Mitmachen innerhalb dieser Institutionen voraussetzt, eine nicht ganz unumstrittene Voraussetzung, denn die Frauenbewegung als starke politische Kraft lebte gerade von der kritischen Distanz zur etablierten Politik und ihren Institutionen. Sie kämpft um Freiräume und die Erweiterung des Politischen, um das, was bislang privat gehalten wurde. Eine feministische Gegenöffentlichkeit ist durch Frauen in den Institutionen sicher nicht herzustellen. Mainstreaming paßt sich einerseits also den vorgegebenen Lösungskalkülen an und ist dadurch auch immer beschränkt, andererseits nutzt es die gegebenen Kalküle für die Geschlechterfrage. Und diese Nutzung kann neue Potentiale eröffnen. Gerade wenn die vorhandenen Kalküle daraufhin geprüft werden, an welchen Stellen sie geschlechtsspezifische Auswirkungen produzieren, dann werden Veränderungen sichtbar, die sonst im Nebel des "Normalen" gar nicht zur Debatte stehen. Solche Analyse des "Gendering-Prozesses" ist höchst anspruchsvoll und keine einfache Aufgabe. Mainstreaming ist eine Strategie der Geschlechterpolitik. Diese Strategie entlastet keineswegs von der politischen Debatte und Entscheidung über die Art der Veränderung des Geschlechterverhältnisses. Die quantitative Gleichstellung der Geschlechtergruppen ist dabei in vielen Fällen noch kein Beleg für reale Chancengleichheit. Wer Geschlecht als Strukturkategorie zur Analyse von geschlechtsspezifischen Herrschaftsverhältnissen benutzt, muß über den Nachweis statistischer Ungleichheit der Geschlechter weit hinausgehen. Ohne eine ausgewiesene Gesellschaftstheorie und eine Theorie der Geschlechterverhältnisse lassen sich nämlich die ausgewiesenen Geschlechterdifferenzen in Arbeitsmarkt-, Gesundheits-, Wohlfahrtsstatistiken nicht interpretieren. Die schlichte Forderung, daß Männer- und Frauenanteile in jeder zählbaren Weise gleichzumachen sind, trägt nicht weit. Selbst wenn z. B. genauso viele Frauen wie Männer Top-Positionen innehätten, sich aber gleichzeitig der bereits absehbare Trend verstärkt, daß diese Frauen auf Kinder verzichten, während Männer durchaus Väter sind, ist der Männer-Frauen-Vergleich unzureichend: Er müßte durch einen Vergleich von Vätern und Müttern vertieft werden. Ebenso zeigen die mangelhaften Erfolge aller Bemühungen, junge Frauen in sogenannten Männerberufen zu fördern, daß die korrespondierende [Seite der Druckausg.: 23] Strategie, nämlich junge Männer in traditionellen Frauenberufen zu fördern, bislang fehlt. Auch in den nordischen Ländern ist diese Strategie bislang fehlgeschlagen. Es ist allerdings logisch, daß die quantitativ stärkere Besetzung von Männerplätzen durch Frauen nur möglich ist, wenn Männer auch Frauenplätze besetzen. Dies aber sind politische Entscheidungen, zu deren Durchsetzung Mainstreaming als Strategie geeignet ist, die aber keineswegs durch Mainstreaming ersetzt werden können: Wenn Verfahren kontrolliert und Zielgrößen ermittelt werden, müssen die Kriterien der Kontrolle bereits gegeben sein, diese lassen sich allerdings nur aus einer klaren Analyse der Geschlechterverhältnisse und einer visionären Geschlechterperspektive entwickeln. Ein wirksamer Mainstreamingprozeß hat darüberhinaus drei wichtige Voraussetzungen. Er erfordert
Das Problem der Differenz von Experten und Laien, das sich nicht zuletzt auch am Problem der Fachsprache zeigt, wird im Mainstreaming sehr deutlich: Die Querschnittsaufgabe Gleichstellung erfordert das Allround-Wissen in allen Fachbereichen und das je spezifische und detaillierte Wissen aus der Geschlechterforschung. Je mehr Fachwissen da ist, desto leichter kann es in Verbindung mit den Gender-Kenntnissen zur kritischen Analyse beitragen. Fachwissen innerhalb der verschiedensten Bereiche ist für die Gleichstellungsarbeit im Mainstreaming unerläßlich, und es ist nicht selbstverständlich, daß dieses Wissen in einer Person vereint ist. Gleichstellungsbeauftragte z. B. müssen sich oft einer Übermacht an Experten gegenüber behaupten. Einerseits muß die Gleichstellungsbeauftragte Expertinnen hinzuziehen dürfen, um das Ungleichgewicht etwas auszugleichen, andererseits muß sich auch das Expertenwissen öffnen und transparent werden bzw. die Defizite erkennen, die im Bereich der Geschlechterfrage bestehen. Neben dem Fachwissen ist auch ein anderes Wissen erforderlich, nämlich das Prozeß- oder Verfahrenswissen. Die Bewegung der Frauen in den Institutionen zeigt deutlich, daß Frauen das schon seit Jahrzehnten erkannt haben. So haben Gewerkschafterinnen zunächst ihre Erfahrungen und Kenntnisse mit der Organisationsstruktur ihrer Gewerkschaft ausgetauscht, sich darin gegenseitig fit gemacht und bestärkt, um dann ihre Anliegen entsprechend durchzusetzen (Pilwousek 1998). Die Gewerkschafterinnen, die aus den Anfängen der Bewegung erzählen, kannten die Spielregeln ihrer Organisation, die Antragshandhabung, das Lobbying und die vielen kleinen taktischen Züge, die dazugehören. Beides haben sie gebraucht: einerseits den Prozeß des gegenseitigen Austauschens und der Zielformulierung ihrer Interessen innerhalb der Gewerkschaft, zum anderen die Kenntnisse der Organisation, der Spielregeln und der taktischen Züge.
Wie jedes Ressort über Fachwissen verfügt, gibt es auch die Verfügung über Gender-Kenntnisse: Die Erkenntnisse über die geschlechtshierarchischen Verhältnisse werden immer umfangreicher und erschöpfen sich nicht in der Kenntnis von Ergebnissen aus [Seite der Druckausg.: 24] Umfragen über das, was Frauen wollen. Gender-Studies an Universitäten haben ein umfangreiches Curriculum und sind in anderen Ländern viel weiter entwickelt als in der Bundesrepublik Deutschland. Daß die herrschenden Wissenschaften androzentrische Blickweisen haben, also die Lebenssituation von Frauen ausblenden und die von Männern zur Norm erheben, kann als erwiesen gelten, und es gibt bereits eine Fülle von Erkenntnissen, die auf einer feministischen kritischen Perspektive basieren. Gender-Kompetenz ist also die Fähigkeit zum Umgang mit den vielfältigen Erkenntnissen aus der Frauen- und Geschlechterforschung und mit den Erfahrungen von Frauen. Die Nutzung dieses Wissens setzt allerdings das Bewußtsein voraus, daß das Geschlechterverhältnis ein politisches Problem ist, das der gesellschaftlichen Lösung und nicht der privaten, individuellen bedarf. Gender muß als Strukturkategorie verstanden werden, die alle gesellschaftlichen Verhältnisse durchzieht. Gender-Kompetenz in Mainstreaming-Verfahren bedeutet aber auch, daß bestehende Erkenntnislücken ausgewiesen werden. Je mehr der kritische Geschlechterblick in allen Bereichen geschärft wird, desto deutlicher kommt auch zum Vorschein, wie wenig detailspezifische Erkenntnisse vorhanden sind. In diesen Fällen müssen neue Erhebungsfragen formuliert werden, Datenanalysen gefordert werden und vorhandenes Wissen unter veränderten Fragestellungen analysiert werden. Der Ausweis solcher Wissenslücken oder Hinweis auf die fehlenden Daten im Mainstreaming-Prozeß heißt jedoch nicht, daß die Frauen in den entsprechenden Gremien diese Daten beizubringen haben. Vielmehr ist es Aufgabe der jeweiligen Institutionen, der Abteilungen oder der Verwaltungseinheiten, die das infrage stehende Projekt zu verantworten haben. Zur Gender-Kompetenz im Mainstreaming-Prozeß gehört jedoch nicht nur die Präsenz von Erkenntnissen und die Fähigkeit, Lücken zu finden, sondern auch die Kompetenz im Umgang mit den Geschlechterbeziehungen. Wer in gemischtgeschlechtlichen Gruppen arbeitet, braucht sowohl das Wissen um geschlechtshierarchische Beziehungsmuster, frauendiskriminierende Redeweisen und verbale wie nonverbale Umgangsformen als auch die Fähigkeit, sich diesen gegenüber zu behaupten und sie zu verändern. Wenn zum Beispiel die Geschlechterproblematik an den letzten Tagesordnungspunkt zurückgestellt wird, korrespondiert das häufig mit der Zurückweisung der Argumente, die Frauen generell und speziell zu Geschlechterfragen einbringen oder mit der demonstrativen Protektion von anderen Frauen, die gerade dies nicht tun. Wenn männliche Mitglieder eines Gremiums eine solche geballte Gegenmacht aufbauen, so müssen Frauen ihr standhalten, sie durchschauen und ihr entgegenwirken. Gleichzeitig geht es darum, männlichen Mitgliedern ihre eigenen Verhaltensweisen transparent zu machen, damit sie begreifen, daß sie mit ihrem Verhalten auch die Politik eines Gremiums beeinflussen. Frauen brauchen darüber hinaus die Fähigkeit, die Abwertungen, die ihnen als Geschlecht gelten, nicht als Abwertung der eigenen Person zu erfahren.
Mainstreaming braucht die Unterstützung von Frauenzusammenhängen. Auf EG-Ebene bedeutet Mainstreaming unter anderem, die Koordinierungspotentiale dieser Ebene zu nutzen. Damit ist genau benannt, wovon Mainstreaming leben kann: von der Sensibilität der Frauen für ihre jeweilige Situation und der Stärkung ihrer Netzwerke. Es gibt viele Formen, ein solches Networking zu betreiben, entscheidend ist, daß Frauen die Orte, die Zeit und die Mittel bekommen, sich zu einer bestimmten frauen- und geschlechtsspezifischen Problematik auszutauschen und daran zu arbeiten. Ohne einen Ort, ohne die Zeit und die organisatorischen Mittel für die Arbeit an der Geschlechterfrage in der jeweiligen Organisation bleiben sowohl Mainstreaming-Politik ohne legiti- [Seite der Druckausg.: 25] mierenden Unterbau als auch Gleichstellungsbeauftragte einsame Kämpferinnen. Die Definitionsmacht von Problemen ist im Mainstreaming-Prozeß nicht automatisch gegeben. Dazu brauchen die dort arbeitenden Frauen und Männer politisch legitimierte Vorgaben, die wiederum durch andere Prozesse herbeigeführt werden müssen als durch den Mainstreaming-Prozeß selber. Mainstreaming heißt dann, daß allen Operationen im politischen Raum der "Zwangsgedanke": Was bedeutet dieses für das Geschlechterverhältnis? eingegeben wird. In diesem Zwang liegt bereits eine gewisse Macht, allerdings nicht in dem Sinne, daß dadurch die Gleichstellung der Geschlechter oder die Aufhebung der geschlechtshierarchischen Verhältnisse gesichert wäre.
3.3.3 Ansätze zu einer Realisierung von Mainstreaming
Die Voraussetzungen für den Idealfall einer Mainstreamingpolitik sind jedoch noch lange keine politische Realität, weder auf der EU-Ebene noch in den nordischen Ländern, die in der Gleichstellungspolitik bereits seit längerer Zeit nach dem Mainstreaming-Prinzip verfahren (Laxén 1997). So werden in Schweden und Dänemark zur Zeit Projekte entwickelt, deren Ziel es ist, Methoden des Mainstreaming zu erarbeiten. Die systematische Analyse der Gleichstellungsimplikation ist ohne Instrumente, die dem jeweiligen Feld angepaßt sind, nicht möglich. Spezielle Datenerhebungen, Mittelflußanalysen, Analysen von Entscheidungsverläufen, Tests, Checklisten und Seminarkonzepte sind immer auf die jeweilige politische Maßnahme abzustimmen. In der Bundesrepublik gibt es für den Bereich der betrieblichen Personalentwicklung bereits Ansätze, die dem Mainstreaming-Prinzip entsprechen, und zwar im Rahmen des Total-E-Quality. Das Ziel ist klar: Frauen sollen in dem Umfang an allen Stellen im betrieblichen System präsent sein können wie Männer. Bereits ein scheinbar so simples Ziel ist nicht mit einer Maßnahme oder einem speziellen Schritt zu erreichen, es erfordert vielmehr die detaillierte Analyse von vielen Prozessen, Verfahren und Vorgehensweisen, die wiederum betrieblich sehr heterogen sind. Eine spezifische Gestaltung von Personalauswahl und Stellenbesetzungsverfahren, die Frauen fördern soll, wird hier entwickelt. Diese Praktiken sind vielfältig und verändern die üblichen, geschlechtsunsensiblen Verfahren (Krell 1998). Mainstreaming oder Gender-Controlling in der Mittelvergabe bedeutet, daß geprüft wird, ob die Hälfte der verfügbaren Mittel an Frauen fließt, eine statistisch erfaßbare Größe. Stimmt das Ergebnis nicht mit dem Ziel überein, müssen in einem weiteren Schritt Förderkriterien und Vergabepraktiken überprüft und verändert werden, solange sie Frauen daran hindern, an den Mitteln zu partizipieren. Auch das Vorhalten von Sondertöpfen nur für Frauen, wie es bei europäischen Fonds mit 15% der Mittel angestrebt wird, ist eine Maßnahme im Sinne des Mainstreaming, die dazu führen soll, daß Frauen gleichgestellt werden. Positive Aktionen für Frauen haben in der Mainstreaming-Strategie ihren Platz, wenn ihr Stellenwert in der Gleichstellungspolitik klar ist. So erfordert beispielsweise die Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewaltverhältnisse sowohl die Veränderung von Rahmenbedingungen wie etwa die finanzielle Abhängigkeit von Ehefrauen, als auch konkrete Hilfen für die von Männergewalt betroffenen Frauen und ihre Kinder bis hin zur Therapie der Täter. Formal gibt es Gender-Control-Maßnahmen bereits seit langem in vielen Kommunen und Ländern. Dort haben Frauen durchgesetzt, daß in Gesetzesentwürfen, Kabinettsvorlagen oder Verordnungen obligatorisch die Frage zu beantworten ist, welche Auswirkungen das Vorhaben auf Frauen hat. Auf den ersten Blick ist dies eine konkrete Form des Gender-Controlling. Allerdings zeigt die Praxis, daß es viel zu wenig greift: Die [Seite der Druckausg.: 26] Frauenbeauftragten müssen erfahren, daß in 99% der Fälle die Frage mit "keine Auswirkungen" beantwortet wird (vgl. Senatsverwaltung Berlin 1998, S. 71). Damit ist der formalen Pflicht Genüge getan. Es besteht, wie diese formale Pflichterfüllung zeigt, ein hohes Maß an Unwissen über die Gendering-Prozesse, über die verborgenen Mechanismen geschlechtsspezifischer Diskriminierung. Auch die Idee, mit Checklisten, in denen potentielle Diskriminierungsmechanismen aufgelistet sind, die Beantwortung der Frage zu erleichtern, ist zwischen den Frauenbeauftragten umstritten. Die Befürchtung, daß eine erneute Formalisierung wiederum die gleichen formalen Reaktionen hervorruft, liegt auf der Hand. Jung (1998) analysiert die Versuche von Verwaltungen, das "Fremde" in diesem Falle die Problematik geschlechtshierarchischer Verhältnisse zu integrieren, und sie nennt die Mechanismen der Formalisierung und Verrechtlichung. Gleichstellungsstrategien wie die Aufstellung von Meßgrößen und Standards, die Forderung nach Berichterstattung und die Kontrolle von Rechtsverstößen passen sich genau diesem Mechanismus an. Bleiben sie die einzigen, werden sie kaum durchschlagende Erfolge haben. Um keine "zahnlose Tigerin" (a.a.O., S. 202) zu bleiben, muß die Gleichstellungspolitik die Systemgrenzen der Verwaltungen sprengen können: Momente der Unberechenbarkeit und Innovation, der Präsentation des ganz anderen sind erforderlich, um die männlich geprägten Institutionen zu verändern und um der anderen Hälfte der Bürgerinnen Raum zur Gestaltung zu eröffnen. In der Position der Frauenbeauftragten wird damit noch einmal dieses Dilemma der herrschenden Gleichstellungspolitik deutlich: Ursprünglich als Kontrollinstanz für ein weitgehendes Antidiskriminierungsgesetz vorgesehen, verblieb die Position, obschon das Gesetz nicht durchgesetzt werden konnte. Dadurch erhielt die Gleichstellungsbeauftragte eine doppelte Funktion: die der Kontrolle der - bisher unzulänglichen - Gleichstellungsnormen und die der Initiative, mit der sie etwas erreichen soll, wenn die Normen nicht greifen. Persönlicher Einsatz der Gleichstellungsbeauftragten bleibt damit der entscheidende Faktor, denn das Gesamtsystem der Verwaltung hat sich die Gleichstellungsidee nicht zu eigen gemacht. So wird die Kontrolleurin leicht zur Verantwortlichen und anstelle derjenigen, die gegen Regeln verstoßen, selber angeprangert. Als Teil der Verwaltung spielt sie die Rolle des schlechten Gewissens, als Person ist sie ein sichtbares Zeichen für ein demokratisches Defizit innerhalb der Institution. Sie bleibt so lange eine notwendige Mahnerin, bis die Systeme der Verwaltung die Geschlechterproblematik wirklich als handlungsleitende Idee integriert haben - Mainstreaming-Strategien können diesen Integrationsprozeß tragen.
3.4 Orte für Frauen zur Selbstverständigung, Rückbesinnung und autonomen Praxis
Die Frauenbewegung als die gesellschaftliche Praxis der Schaffung autonomer Räume für Frauen ist der sichtbare Beweis dafür, daß von Frauen Gedachtes und Gefühltes unsichtbar gehalten wurde und daß die Bezugnahme von Frauen aufeinander produktiv und innovativ ist. Sie hat ein Muster geschaffen, das auch für Frauen, die nicht dazugehören, zum kritischen Impuls wird. In Organisationen und Institutionen haben Frauen ihre eigenen Gruppen, Abteilungen oder Gremien gegründet, um sich über ihre Interessen zu verständigen und um von dort aus Einfluß zu nehmen. Ihre Kritik richtet sich immer nicht nur auf die Diskriminierung ihrer Interessen, sondern auch auf die politische Kultur der jeweiligen Organisation, wenn sie frauenausschließende und frauenverachtende Züge trägt. Von männlich geprägten Organisationen Verdrängtes ans Tageslicht zu bringen, die hierarchischen Geschlechterverhältnisse zu verdeutlichen, das ist das [Seite der Druckausg.: 27] Anliegen der Frauen, die sich an eigenen Orten zusammentun. Sie kehren sich dabei nicht verbittert von patriarchalen Institutionen ab, sondern ziehen vielmehr die Energie aus ihren eigenen Zusammenhängen und verfolgen mit langem Atem antipatriarchalische Strategien. Wie die neuen Geschlechtertheorien nun nahelegen, ist das Frau-Sein nun keine hinreichende Basis für die Formulierung frauen- oder geschlechterpolitischer Ziele. Diese lassen sich nicht einfach aus einem globalen und einheitlichen Fraueninteresse ableiten. Eine solche Vorstellung herrschte eher in Köpfen von Männern, die sich selbst zu Frauenpolitikern ernannten. Vielmehr sind Diskriminierungen des Geschlechts und die geschlechtsspezifischen Innovationen sehr vielfältig, teils verborgen, teils unterschiedlich individuell erfahren. Darin liegt der Grund, daß es Räume für Frauen und gegebenenfalls für Männer geben muß, in denen ein je spezifischer Konsens untereinander gefunden werden kann. Das bedeutet, daß unter den je gegebenen Bedingungen und mit den je vorhandenen Erfahrungen der handelnden Frauen die Verständigung über Ziele ihrer Politik erfolgen muß. Ein solcher Ort ersetzt nicht ein quotiertes Gremium, er ist keine Alternative zum Mainstreaming, vielmehr bietet er den Rückhalt und die Rückkoppelung für die frauen- und geschlechterpolitischen Handlungen an anderen Stellen. Eigenständige Frauengremien dienen darüber hinaus der Diskussion um die Evaluation der Strategien der Durchsetzung gemeinsam gefundener Ziele. Sie bilden eine Unterstützung, aber auch ein kritisches Forum für die Frauen, die in quotierten Gremien oder in Mainstreaming-Prozessen arbeiten. Sie können deren Wirkungsmacht ergänzen, wenn sie eigene Ressourcen haben oder mobilisieren. Die Frauen in den quotierten Gremien müssen sich mit den Regeln der dortigen Politik auseinandersetzen, ihre Grenzen zu Innovationen sind enger. Die Phantasie in den Frauengruppen ist demgegenüber weiter, und wenn sie eigenständig über Mittel wie Öffentlichkeit und finanzielle Ressourcen verfügen, können sie auch eine autonome politische Praxis verfolgen. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 1999 |