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Ulla Schmidt
Neue Beschäftigungsfelder fördern


Das Institut der deutschen Wirtschaft schrieb in seiner Juni-Ausgabe (1999) „Wohl und Wehe des deutschen Arbeitsmarktes hängen am Dienstleistungstropf".

Hinter diesen schlichten Aussage verbirgt sich ein schwieriger Strukturwandel, der eine hohe Arbeitslosigkeit hinterlassen hat.

Glauben wir den Prognosen verschiedener Wirtschaftsinstitute, dann wird nach 2010 bis 2020 alles zum Besten werden, doch solange können die Menschen, die heute arbeitslos sind, nicht warten.

Es mag ja sein, daß wir uns mitten in einem rasanten gesellschaftlichen Wandel befinden. Das ändert nichts daran, daß die Bedeutung der Erwerbsarbeit für die gesellschaftliche Integration der Menschen nicht geringer, sondern größer geworden ist.

Arbeitslos zu sein, das bedeutet vielfach Ausgrenzung, abgleiten in Armut bis hin zu psychisch und physischen Beschwerden. Deshalb hat die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit oberste Priorität.

Entgegen vieler Annahmen sind ungelernte Arbeitslose im Durchschnitt nicht wesentlich länger erwerbslos als jene mit abgeschlossener Berufsausbildung. So beträgt der Anteil der Erwerbslosen ohne abgeschlossene Berufsausbildung 36,1 % und mit abgeschlossener Berufsausbildung 31,7 %. Die durchschnittliche Arbeitslosigkeit liegt in diesen Fällen bei 9,8 bzw. 9,3 Monaten.

Sehr viel schwieriger ist die Situation für ältere und gesundheitlich eingeschränkte Arbeitslose. In diesen Fällen ist es, so sagt es uns die Statistik, eine Frage des Alters, ob die Arbeitslosigkeit noch beendet werden kann bzw. in die Verrentung führt.

Bislang bestand ein sozialstaatlicher Grundkonsens, daß alle, die keinen adäquaten Arbeitsplatz erhalten, das Recht auf Transferleistungen haben. Wir sehen aber, daß dieser Grundsatz bei Massenarbeitslosigkeit und bei

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einer relativ hohen Zahl von Langzeitarbeitslosigkeit immer schwerer eingehalten werden kann. Entweder werden weiterhin auf Dauer eine beträchtliche Zahl von Menschen mit ständig sinkenden Leistungen finanziert oder es müssen mit sozialstaatlicher Flankierung neue Arbeitsplätze geschaffen werden.

Mit sozialstaatlicher Flankierung kann eine Schicht von „Working Poor" ebenso verhindert werden wie Lohndumping. Schließlich haben auch wir in der Bundesrepublik am Beispiel der 630-Mark-Jobs Erfahrungen mit Lohndumping gemacht. In vielen Branchen stand hier längst kein Tariflohn mehr zur Diskussion, geschweige denn, daß er gezahlt wurde.

Dies ist eine der Hinterlassenschaften der alten Bundesregierung, die Probleme nicht gelöst hat, sondern sie laufen ließ.

In der Arbeitsmarktpolitik hat sie den Schwerpunkt auf passive Leistungen gelegt und die Verteilung der Mittel nicht auf die notwendigen Zielgruppen konzentriert.

Mit der Reform des Arbeitsförderungsgesetzes, das zum 1. August 1999 in Kraft tritt, wurden bereits die richtigen Weichen gestellt. Das heißt: Wir müssen weg kommen von den passiven Leistungen hin zu aktiven Leistungen.

Wir brauchen einen motivierenden und aktivierenden Staat, der zwei Dinge leisten muß. Er muß sowohl für die gut Ausgebildeten wie auch für die Geringqualifizierten wesentliche Weichenstellungen vornehmen. Er muß soziale Sicherung mit Beschäftigungsförderung verknüpfen.

Nehmen wir den Bereich der gut bis hoch Qualifizierten, so liegen alle Hoffnungen auf den Entwicklungen der Umwelttechnik wie Recyclingverfahren, Biotechnologie und auf den Informations- und Kommunikationstechnologien. Die Medien, Informationstechnik und die Computerindustrie sind die Märkte, die auf Hochqualifizierte setzen. Hier werden Spezialisten und Spezialistinnen gebraucht. Sei es für die Einführung von Informationssystemen in Unternehmen, für Softwarelieferanten, Schulungsveranstaltungen u. a. m.

Der Europäische Ausschuß für Beschäftigung und soziale Sicherheit kam in seinem kürzlich vorgelegten Bericht über die Schaffung von Arbeitsplätzen mit Zukunftsaussicht zu dem Ergebnis, daß das größte Potential im Bereich

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der Informations- und Kommunikationstechnologie liegt. Daß sich damit ein struktureller Wandel vollzieht, dürfte unstrittig sein. Menschen aller Altersgruppen müssen auf diesen Wandel vorbereitet werden, damit sie die Möglichkeit haben, daran teilzunehmen.

Tatsache ist, daß die Mehrheit der Erwerbstätigen bereits heute ihren Lebensunterhalt mit „Informationstätigkeit" im weitesten Sinne verdient. Immer weniger Menschen sind eigenhändig mit der eigentlichen Produktion und Fertigung von Waren beschäftigt. Aber immer mehr Erwerbstätige steuern Fertigungsmaschinen und lesen Kontrollwerte von den Bildschirmen ab.

Die damit möglicherweise verbundenen Beschäftigungseffekte werden dennoch unterschiedlich eingeschätzt. Die einen befürchten bereits, daß auf dem Weg von der Industrie- zur Informations- und Dienstleistungsgesellschaft andere Länder den größten Nutzen haben werden. Die anderen weisen darauf hin, daß rechtzeitig der Nachwuchs für die neue Informationsgesellschaft gefördert werden muß.

Die EU-Kommission geht in ihrem vor kurzem vorgelegten Bericht über „Beschäftigungsmöglichkeiten in der Informationsgesellschaft" davon aus, daß in der europäischen Gemeinschaft derzeit ca. 500.000 Stellen aus Qualifikationsgründen nicht besetzt werden können. Der Mangel an qualifiziertem Personal ist inzwischen zu einem Problem geworden.

Eine kurzfristige Besserung ist kaum in Sicht, denn die Zahl der Studierenden in den Studiengängen Nachrichtentechnik/Elektrotechnik und Informatik stagnierte im letzten Jahr. Obendrein sind Frauen in diesen Bereichen auch noch stark unterrepräsentiert. Das betrifft ganz besonders die Bereiche Maschinenbau und Informatik. Frauen sollten sich daher umorientieren und ihre Chancen in der Aus- und Weiterbildung wahrnehmen.

Wenn hier nicht bald „Speck dran kommt" - so sagte mir kürzlich ein System-Marketing-Manager -, dann wird er Arbeitsplätze außerhalb Europas schaffen müssen. Diese und ähnliche Aussagen machen deutlich: Wer die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland erhalten will, muß neue Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen und vorhandene Arbeitsplätze sichern. Diejenigen, die diesen Weg zügig zurücklegen, werden am ehesten überdurchschnittliche wachstums- und beschäftigungsfördernde Wirkun-

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gen erzielen. Dazu brauchen wir aber auch Frauen und Männer, die bereit und interessiert sind, sich diesen Beschäftigungsfeldern zuzuwenden.

Die Bundesregierung hat schnell gehandelt. Sie hat bereits am 16. Dezember 1998 beschlossen, daß bis zum Herbst ein Aktionsprogramm „Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts" vorgelegt werden soll. Gleichzeitig wird im Rahmen des Bündnis für Arbeit auch über die Beschäftigungspotentiale und über den Fachkräftemangel geredet. Schließlich muß auch in diesem Bündnis nach Möglichkeiten gesucht werden, um die damit verbundenen Probleme zu lösen.

Auch die Bundesanstalt für Arbeit führt bereits Gespräche mit Firmen- und Verbandesvertretern der Informationswirtschaft. Hierbei geht es um die Frage, wie der gegenwärtige und künftige Fachkräftebedarf gedeckt werden kann. Für die notwendige Weiterbildung wurden (wie im Vorjahr) ca. 1 Mrd. DM zur Verfügung gestellt. Ziel ist es, Erwerbslose für Berufe aus dem Informations-, Kommunikations- und Telekommunikationsbereich zu qualifizieren.

In diesem sich bereits abzeichnenden rasanten Wandel liegen Chancen und Risiken. Wir stehen damit vor einer großen Herausforderung. Schon Erich Kästner sagte: „Leben ist eben, seien wir ehrlich, immer ein bißchen lebensgefährlich."

Wichtig ist mir, daß die Frauen hierbei nicht zu spät kommen. Hier liegt eine große Chance, daß Frauen mitgestalten und mit dazu beitragen können, den festgestellten Fachkräftemangel zu überwinden.

Die Bundesregierung, namentlich die Bundesfrauenministerin und die Ministerin für Wissenschaft und Forschung, haben bereits Maßnahmen ergriffen bzw. vorbereitet, um die Chancen für Frauen in diesen Zukunftsberufen zu verbessern.

Vorgesehen ist:

  • eine Informationskampagne gemeinsam mit der Wirtschaft und den Verbänden, um Frauen für Ingenieur- und IT-Ausbildungen zu gewinnen;
  • im Rahmen der Initiative „Frauen geben Technik mehr Impulse" ein Kompetenzzentrum „Frauen in der Informationsgesellschaft und Tech-

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    nologie" aufzubauen. Das Zentrum soll breite Informations-, Beratungs- und Vernetzungsaufgaben wahrnehmen;

  • mit der bundesweiten Ausdehnung der Aktion „Frauen ans Netz" - gemeinsam mit der Wirtschaft, Bildungseinrichtungen und den Medien - die Zugangsmöglichkeiten von Frauen zum Internet zu verbessern und ihre beruflichen Chancen in diesem Bereich aufzuzeigen;
  • in dem geplanten Aktionsprogramm „Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft im 21. Jahrhundert" der Bundesregierung die Verbesserung der Berufschancen von Frauen zu einem durchgängigen Schwerpunkt zu machen.

So gesehen können und müssen Frauen die Chancen der neuen Technologien nutzen, und das muß nicht nur in Form von Erwerbsarbeit sein.

Bis 2010, so lautet die Prognose, wird sich der Anteil der Selbständigen verdoppeln. Für die heutige und zukünftige Existenzgründer-Generation müssen wirtschaftliche Förderprogramme geschaffen werden. Die rot-grüne Bundesregierung hat daher mit der Deutschen Ausgleichsbank ein Förderprogramm mit einer Laufzeit von 10 Jahren verabredet, mit dem Existenzgründungen von Frauen gefördert werden. Im Rahmen dieses Existenzgründungsprogramms werden 400 Mio. DM zur Verfügung gestellt, die insbesondere auf Klein- und Mittelunternehmen ausgerichtet sind. Start- und Fremdkapital soll die Grundlage bilden, damit Produkte und Dienstleistungen in die Tat umgesetzt werden können.

Dabei können viele mithelfen. Mentorinnen, Partnerschaften und ggf. Kapitalbeteiligungen renommierter Unternehmen können zu den besten „Business-angels" werden und damit zu einer innovationsfreundlichen Unternehmenskultur beitragen.

Sie sehen, es ist vieles möglich und notwendig, damit die Entwicklung zur Informationsgesellschaft gelingt.

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Zusammengefaßt geht es darum,

  • den Rationalisierungsdruck aufzufangen;
  • alternative Arbeitsplätze zu schaffen über die Förderung von Existenzgründungen;
  • Forschungsförderung zu intensivieren, damit die neuen Möglichkeiten der Informationstechnologie wirtschaftlich genutzt werden können, um Arbeitsplätze zu schaffen oder bestehende zu sichern;
  • im Bereich der Informations- und Kommunikationstechniken besser zu qualifizieren;
  • neue Berufsbilder zu entwickeln;
  • in High-Tech-Feldern, wie Multimedia, Telekooperation oder Computer-Simulation auszubilden;
  • die Medienkompetenz zu fördern;
  • die Initiative „Schulen ans Netz" auszuweiten.

Es geht aber auch um eine neue Verteilung des Arbeitsvolumens und dabei um attraktive Teilzeitangebote, flexible Arbeitszeitmodelle und damit auch um die Telearbeit.

Der technologische Wandel führt allerdings auch zu einem Ausleseprozeß, bei dem die Geringqualifizierten ohne aktive Arbeitsmarktpolitik auf der Strecke bleiben.

Möglichkeiten zur Entwicklung potentieller Beschäftigungsbereiche für Geringqualifizierte zeigt uns ein Strukturvergleich mit den USA. In den USA sind beispielsweise zwei Wirtschaftsbereiche erkennbar, in denen Beschäftigungspotentiale existieren:

  1. Die freizeitbezogenen Dienstleistungen, wie z. B. Gastgewerbe, Kultur, Sport, Erholung. Würde in Deutschland ein gleichermaßen dichtes Angebot vorliegen, so könnten hier nach Arbeitsmarktprognosen 1,9 Mio. zusätzliche Arbeitsplätze entstehen.
  2. Der Bereich Handel, Instandhaltung, Reparaturen. Auch hier, so wird prognostiziert, sind bei einer hohen Bedarfsdeckung 1,5 Mio. zusätzliche Arbeitsplätze zu erwarten.

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In diesen Arbeitsfeldern finden wir heute zum großen Teil die Beschäftigten in 630-Mark-Jobs. Mir liegt viel daran, daß in diesen Branchen die Entwicklung wieder in die andere Richtung geht, in der zunehmend reguläre Arbeitsplätze entstehen. Dafür gibt es zwischenzeitlich auch positive Tendenzen.

Dennoch bleibt, daß wir in dem einen oder anderen Dienstleistungssektor Nachholbedarf haben. Dies bezieht sich sowohl auf die weitere Entwicklung des Tourismus als auch auf den Ausbau der personen- und haushaltsbezogenen Dienstleistungen. Um Arbeitslosigkeit abzubauen, muß die Nachfrage in diesen Arbeitsmarktsegmenten gestützt bzw. gefördert werden.

Insbesondere bei den haushaltsbezogenen Dienstleistungen hat sich gezeigt, wenn es keinen marktgerechten Preis für diese Dienstleistungen gibt, werden die damit verbundenen Tätigkeiten auf dem „schwarzen Arbeitsmarkt" abgerufen.

Der Zusammenhang zwischen niedrigen Preisen und einer höheren Nachfrage der Privathaushalte ist unübersehbar. Gleichzeitig können wir davon ausgehen, daß die Nachfrage steigt, wenn ein Großteil der Haushalte sich diese Dienstleistungen leisten kann.

Solange die gesellschaftlichen Vorstellungen so geprägt sind, daß die Nachfrage nicht mit dem Angebot übereinstimmt, muß der Staat als Handlungsträger aktiv werden.

Dies gilt insbesondere dann, wenn die lokale und regionale Nachfrage nach Dienstleistungen beeinflußt werden kann und das Angebot nicht dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt ist.

Gelingt es allein in diesem Bereich, durch öffentlich-private Finanzierung neue Beschäftigungspotentiale zu entwickeln, dann sinken die Kosten der Arbeitslosigkeit. Folglich können die Kosten der Arbeitslosigkeit wiederum in Beschäftigung umgewandelt werden.

Von Bedeutung für die Nachfrage nach Dienstleistungen dürfte auch die Einkommenssituation breiter Bevölkerungsschichten sein. In einer Phase stagnierender realer Einkommen ist zu erwarten, daß steigende Kosten bei der normalen Lebenshaltung erst einmal zu einem Verzicht bei der Inanspruchnahme gewisser Dienstleistungen führen, die leicht durch eigene Leistung ersetzt werden können.

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Die Geldbeutel breiter Bevölkerungsschichten lassen wenig Spielraum für eine Ausweitung der Konsumausgaben. Wertschätzung und damit Zahlungsbereitschaft für in der Regel teure Serviceleistungen sind dadurch gering. Wenn in einer derartigen Situation der Wettbewerb über den Preis - und nicht über Qualität und Service - geführt wird, dann erleben wir weiterhin einen Serviceabbau zugunsten von Selbstbedienung. In einer solchen Situation können Leistungen, die derzeit durch den Haushalt selbst erbracht werden, nur in den Markt verlagert werden, wenn sich die Einkommenssituation der Haushalte - und zwar breiter Bevölkerungsschichten - verbessert.

Dies gilt auch für einfache handwerkliche Dienstleistungen. „Do it yourself" und der Wachstumsboom der Baumärkte ist sicherlich nicht nur Ausdruck einer modernen Form der Freizeitgestaltung, sondern auch Ausdruck zu hoher Angebotspreise und einer schwachen Einkommenssituation. Dies führt dazu, daß einfache handwerkliche Tätigkeiten (die wenig spezifische Qualifikation erfordern, sonst könnte man es kaum selbst machen) in Eigenleistung erbracht werden, um die finanziellen Mittel zur Deckung anderer Bedürfnisse frei zu haben.

Vor diesem Hintergrund ergibt sich ein notwendiger Regulierungsbedarf, der landauf, landab immer wieder mit dem Niedriglohnsektor beschrieben wird.

Der Ausbau von Dienstleistungen durch staatliche Förderung darf aber genau das nicht zum Ziel haben. Weder bei den haushalts- und personenbezogenen Dienstleistungen noch in der Tourismusindustrie kann es bei einer flankierenden Förderung darum gehen, die Tariflöhne zu unterlaufen. Unser Ziel muß es sein, zum einen die bisherige Schwarzarbeit abzubauen und zum anderen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze zu den üblichen tariflichen Konditionen zu schaffen.

Um dies zu erreichen, müssen neue Wege gegangen werden, damit die Expansionsbarriere durchbrochen wird. D. h., wir müssen neue Märkte über eine strukturpolitische Subvention erschließen. Das kann durch gestaffelte Zuschüsse zu dem Arbeitnehmerbeitrag in der Sozialversicherung ab der 630-Marks-Grenze geschehen, um den sprunghaften Anstieg der Arbeitnehmer-Belastung zu mildern, damit z. B. Teilzeitbeschäftigung bis zum Einkommenssegment von 1.400 attraktiver wird.

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Staatliche Förderung kann sich aber auch auf Dienstleistungsagenturen konzentrieren, die haushaltsbezogene Dienstleistungen anbieten.

In dem Koalitionsvertrag der rot-grünen Bundesregierung wurde deshalb vereinbart, „daß die Beschäftigungschancen des Dienstleistungssektors besser genutzt werden" sollen, indem „Haushaltsdienstleistungen und private Dienstleistungsagenturen gefördert" werden. Denkbar wäre, daß hierbei auch Existenzgründungsprogramme genutzt werden, damit diese Dienstleistungen zu einem auf dem Markt akzeptierten Preis eingekauft werden können. Es wird also auf die Kombination unterschiedlicher Förderwege ankommen, um die Nachfrage und das Angebot professioneller Dienstleistungen in diesem Bereich zu steigern. Gleichzeitig muß aber auch die Weiterqualifizierung der Beschäftigten ermöglicht werden.

Abschließend möchte ich noch einen Bereich nennen, der allzu häufig bei der Diskussion um neue Arbeit vergessen wird. Arbeitsmarktpolitik hat auch immer etwas mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu tun. Das ist hinreichend bekannt und besonders für die Mütter ein Problem. Würde dieses Problem endlich auf Landes- und kommunaler Ebene so gelöst werden, daß Kinder aller Altersgruppen die erforderliche Betreuung erhalten, dann wären auch hier erhebliche Beschäftigungseffekte zu erwarten.

Ich höre allzu oft die Klagen der Kommunen über die hohe Zahl der Sozialhilfeempfängerinnen. Sozialhilfeempfängerinnen - und dies betrifft insbesondere Alleinerziehende - wird nicht zugemutet, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen; aus dem einfachen Grund, weil es keine Kinderbetreuung für die unter dreijährigen Kinder gibt. Solche Fälle werden mir fast täglich vorgetragen. Diese Frauen würden gerne erwerbstätig sein, haben oft eine Teilzeitarbeit in Aussicht, aber keinen Betreuungsplatz für ihr Kind.

Auch hier liegen noch Expansionschancen. Das betrifft in mehrfacher Hinsicht Frauen. Die Erhöhung der Frauenerwerbsquote würde nicht nur die Zahl der Arbeitslosen verringern, sondern gleichzeitig die Kaufkraft stärken. Das betrifft sowohl die arbeitslose Erzieherin als auch die Mutter, die unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht erwerbstätig sein kann. Das ist ein Kreislauf, den es sich lohnt zu durchbrechen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2000

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