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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausg.: 11 ] Große Herausforderungen warten in den kommenden Monaten und Jahren auf uns: Der Abbau der Rekordarbeitslosigkeit, die Senkung der immensen Abgabenbelastung der Bürgerinnen und Bürger, die Sanierung des durch Schulden ruinierten Bundeshaushaltes und die Reform der sozialen Sicherungssysteme sind nur die Spitze des Eisberges. Wir haben bei Regierungsübernahme im letzten Jahr ein finanz- und sozialpolitisches Trümmerfeld übernommen. 1,5 Billionen Mark Schulden zeugen von einer Verantwortung vergessenen Politik. Die Zinsausgaben sind mittlerweile der zweitgrößte Etatposten des Bundeshaushaltes. Schulden bedeuten immer eine Verschiebung der Lasten von der Gegenwart in die Zukunft. Wir wollen zukünftigen Generationen hingegen ein besser bestelltes Feld hinterlassen. Ich bin dagegen, daß unsere Kinder für Fehler, die wir gemacht haben, geradestehen müssen. Darum - und ich betone - nur darum - gibt es zum Konsolidierungskurs dieser Bundesregierung keine Alternative! Daß für eine sozialdemokratisch geführte Regierung Sparen kein Selbstzweck ist und die Finanzoperation schmerzhaft war, muß ich nicht besonders betonen. Die desolate Lage der Staatsfinanzen, die wir vorgefunden haben, ließ uns jedoch keine Wahl. Auch der Etat des Bundesarbeitsministeriums als der mit Abstand größte Einzelplan des Bundeshaushaltes konnte von den Konsolidierungsmaßnahmen nicht ausgeschlossen werden. Wir erbringen deshalb den weitaus größten Anteil aller Ressorts. Wir können unsere Zukunft nur dann erfolgreich gestalten, wenn alle gemeinsam mithelfen. Kaum jemand hätte uns zu Beginn der Haushaltsberatungen zugetraut, das von Finanzminister Eichel vorgegebene Einsparziel zu erreichen. Wir haben die schwierige Aufgabe kollegial und solidarisch gelöst und am Ende ein Gesamtpaket vorgelegt, das die Lasten gerecht auf alle Schultern verteilt. Ich möchte an dieser Stelle besonders betonen, daß die aktive Arbeitsmarktpolitik nicht von unseren Sparmaßnahmen betroffen ist. Die [Seite der Druckausg.: 12 ] aktive Arbeitsmarktpolitik war für uns tabu; wir führen sie auf unverändert hohem Niveau weiter. Das gilt besonders für unser Sofortprogramm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit. Es ist ein Riesenerfolg und hat mit dazu geführt, daß sich die Jugendarbeitslosigkeit im Juni dieses Jahres gegenüber 1998 um rd. 40.000 bis 50.000 verringert hat. Bis Ende Juni konnten wir rund 158.000 Jugendliche in eine Maßnahme aufnehmen, davon 40 Prozent in Ostdeutschland. Mit zuletzt 107.200 liegt auch die Bestandszahl über der 100.000er-Marke". Weit mehr als 600.000 Jugendliche wurden von den Arbeitsämtern angesprochen. Das Sonderprogramm hat dazu beigetragen, daß die Arbeitslosigkeit der Jugendlichen in den neuen Ländern doppelt so stark zurückging wie die der Arbeitslosen insgesamt. Was mich besonders freut: Rund 25 Prozent dieser Jugendlichen waren den Arbeitsämtern vorher überhaupt nicht bekannt. Das heißt, wir haben mit unserem Programm dazu beigetragen, die arbeitslosen Jugendlichen aus der Anonymität zurück in die Mitte der Gesellschaft zu holen. Darum werden wir das Programm auch im kommenden Jahr fortführen. Auch im Haushalt 2000 sind zwei Milliarden Mark für das Sofortprogramm vorgesehen. Über notwendige Schwerpunktveränderungen wird nach Vorliegen erster Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung im September entschieden. Mit dieser eindeutigen Prioritätensetzung für Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik und der Verlängerung des Jugendsofortprogramms nimmt die Rot-Grüne Koalition trotz schwieriger Haushaltslage ihre Verantwortung für die Arbeitslosen und von Arbeitslosigkeit Bedrohten wahr. Wir finanzieren lieber Arbeit statt Arbeitslosigkeit. Dabei bleibt es auch in Zukunft. Wir wollen Chancen für Jugendliche, Langzeitarbeitslose und andere Problemgruppen eröffnen und möglichst viele Arbeitslose für die neuen Anforderungen am Arbeitsmarkt qualifizieren. Auch die notwendigen Konsolidierungsmaßnahmen haben wir so ausgestaltet, daß sie sozialpolitisch verantwortbar sind. Mittelfristig werden sie [Seite der Druckausg.: 13 ] die notwendigen Strukturreformen, wie etwa die Annäherung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, erleichtern. Besonders wichtig ist, daß im Gegensatz zur Regierung Kohl keine Kürzungen in der Höhe von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe erfolgen. Arbeitslose müssen wie alle Bezieher von Sozialleistungen ihren Beitrag zum Sparpaket dadurch leisten, daß die Steigerungen von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Unterhaltsgeld in den nächsten beiden Jahren auf die Preissteigerungsrate begrenzt werden. Auf eine Kürzung der zum Lebensunterhalt notwendigen Leistungen, wie sie die Regierung Kohl 1983, 1993 und 1996 vorgenommen hatte, wurde bewußt verzichtet. Unser Grundsatz lautet: Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren! Und der Grundsatz gilt auch für diese Bundesregierung, wenn gespart werden muß. Deshalb werden Bund und Bundesanstalt für Arbeit 1999 zusammen 45,3 Milliarden Mark für aktive Arbeitsmarktpolitik ausgeben. Außerdem wollen wir die Effektivität der aktiven Arbeitsmarktpolitik erhöhen. Um das zu erreichen, haben wir erste Reformmaßnahmen auf dem Gebiet des Arbeitsförderungsrechts auf den Weg gebracht, die noch in diesem Sommer in Kraft treten sollen. Das von uns am 24. Juni 1999 im Deutschen Bundestag endgültig verabschiedete SGB III-Änderungsgesetz hat drei Schwerpunkte:
Mit der verbesserten und zielgenaueren Ausrichtung der aktiven Arbeitsförderungsleistungen wollen wir insbesondere die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen, älteren Arbeitslosen, aber auch von solchen Arbeitslosen erleichtern, denen Langzeitarbeitslosigkeit droht. Diese Arbeitslosen gehören zu den Hauptzielgruppen der Arbeitsmarktpolitik. Ihre Integration in reguläre Beschäftigung ist besonders schwierig. Dem wollen wir durch flexiblere und besser auf die besonderen Vermittlungsprobleme dieser Personengruppen abgestimmte Arbeitsförderungsleistungen frühzeitig entgegenwirken. Damit leisten wir zugleich einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung der Beschäftigungspolitischen Leitlinien der Europäischen Union. Lassen Sie mich an dieser Stelle nur die wichtigsten arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen anführen:
Mein Ziel ist es, die vorhandenen und neuen Instrumente genauer und wirksamer als bisher umzusetzen. Mitnahmeeffekte werden so weit wie möglich ausgeschlossen. Dies können die beschäftigten Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die mit ihren Beiträgen die Mittel für die Arbeitsförderung aufbringen, mit Recht erwarten. Deshalb konzentrieren wir die Förderung von Strukturanpassungsmaßnahmen in Wirtschaftsunternehmen in den neuen Bundesländern und Berlin (West) stärker als bisher auf arbeitsmarktpolitische Zielgruppen. Denn vieles spricht dafür, daß bisher ein Teil der Fördermittel von Betrieben in Anspruch genommen wird, die ohnehin Arbeitnehmer eingestellt hätten. Wir wollen dies korrigieren, ohne die Chancen der Arbeitslosen auf einen Arbeitsplatz zu vermindern. Deshalb soll dieses Förderinstrument künftig verstärkt jugendlichen Arbeitslosen, Langzeitarbeitslosen, älteren Arbeitslosen und Menschen, die behindert sind, die Chance eines Wiedereinstiegs in den Beruf eröffnen. Neben diesen arbeitsmarktpolitischen Schwerpunkten haben wir weitere wichtige Regelungen für Arbeitslose und Arbeitsämter beschlossen:
Über diese arbeitsmarktpolitischen Sofortmaßnahmen hinaus bereiten wir eine grundlegende Reform des Arbeitsförderungsrechts vor. Bei dieser Reform werden wir uns von folgenden Grundsätzen leiten lassen:
Für die große SGB III-Reform werden wir bis Ende 1999 Eckpunkte vorlegen. Das Gesetzgebungsverfahren kann dann im kommenden Jahr begin [Seite der Druckausg.: 18 ] nen. Mit diesem Vorhaben streben wir eine Neukonzeption der Arbeitsmarktpolitik an. Dabei geht es uns insbesondere um eine bessere Verzahnung mit der Strukturpolitik sowie um eine Überprüfung und Weiterentwicklung des arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums zur schnelleren Reintegration von Langzeitarbeitslosen. Auch eine grundlegende Überarbeitung der bislang stark umstrittenen Entlohnungs- und Arbeitsbedingungen bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gehört zu diesem Themenkomplex. Ebenfalls ein brisantes Thema ist die Frage, wie wir künftig Langzeitarbeitslosen besser helfen können. Die grundsätzliche Orientierung dabei war und ist für mich eindeutig: Vorrangige Aufgabe ist es, durch Qualifizierung und den Einsatz aller arbeitsmarktpolitischen Instrumente, auch Langzeitarbeitslose in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Allerdings wissen wir auch, welche Grenzen einem solchen Versuch insbesondere bei jahrelang Arbeitslosen oftmals gesetzt sind. Deshalb müssen wir darüber nachdenken, ob wir uns - ausschließlich begrenzt auf ältere Arbeitslose - stärker einer Schaffung öffentlich finanzierter Dauerarbeitsplätze öffnen. Ebenfalls im Rahmen der umfassenden SGB III-Reform werden wir die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in der aktiven Arbeitsförderung herstellen. Dabei geht es vor allem um die Gleichbehandlung von Arbeitslosen mit und ohne Familienpause beim Zugang zu bestimmten arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Nicht zuletzt muß in eine umfassendere Reform des Arbeitsförderungsrechts auch die Frage einbezogen werden, ob und in welchem Umfang es künftig möglich ist, arbeitslose Sozialhilfeempfänger stärker in die Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik einzubeziehen und wer hierfür die Finanzierung übernehmen soll. Auch die Zusammenarbeit zwischen Arbeits- und Sozialämtern ist in diesem Zusammenhang sicherlich noch verbesserungsfähig. Es sind jedoch noch erhebliche politische, rechtliche, finanzielle und organisatorische Fragen zu klären, bevor eine Entscheidung über die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe getroffen werden kann. Dies erfordert einen erheblichen Zeitaufwand. Hierbei setze ich auf die Unterstützung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe. [Seite der Druckausg.: 19 ] Beschäftigungspolitik hat zwei Seiten: Sie kann jenes Trampolin bereitstellen, das die Arbeitslosen wieder in den Arbeitsmarkt hineinspringen läßt. Sie hat aber auch die Verpflichtung, sozial integrativ zu wirken. Das Wichtigste aber ist: Erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik muß Brücken in den ersten Arbeitsmarkt bauen. Sie muß helfen, die Arbeitslosigkeit signifikant zu senken. Aber lassen Sie mich an dieser Stelle ausdrücklich sagen: Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Niemand schafft es allein. Alle gesellschaftlichen Gruppen - Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und Interessenverbände - sind aufgerufen, mit uns an einem Strang zu ziehen. Wir können nur die Rahmenbedingungen setzen und dort aktiv helfen, wo die Not am größten ist. Darum setze ich auch große Hoffnungen in das Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit. Das Bündnis ist der richtige Ort, um zu Fortschritten bei Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu kommen. Natürlich trägt auch die Bundesregierung ihren Teil dazu bei. Wir sind uns darüber im Klaren, daß nicht alle unsere Maßnahmen so populär sind wie unsere Steuersenkungen. Aber eine Politik, die allzu geneigt ist, Partikularinteressen nachzugeben, läuft in Gefahr, das Gemeinwohl aus dem Auge zu verlieren. Gerade in einer Demokratie muß es möglich sein, geradlinige Entscheidungen zu treffen. Ich bin sicher, daß die Bürgerinnen und Bürger genau das von uns erwarten. Es ist allerdings auch die Aufgabe der Politik, die Beweggründe für diese Entscheidungen offenzulegen und zu vermitteln. Ich hoffe, daß ich dieser - nicht immer leichten - Aufgabe hier gerecht geworden bin. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2000 |