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Ruth Brandherm
Zusammenfassung


Das anhaltend hohe Niveau der Arbeitslosigkeit zwingt uns darüber nachzudenken, welche Maßnahmen und Strategien geeignet sind, Blockaden im Beschäftigungssystem zu beseitigen und neue Zugänge zum Arbeitsmarkt zu erschließen.

In der Arbeitsmarktpolitik setzt Walter Riester vor allem auf neue Akzente bei den aktiven Maßnahmen. Trotz notwendiger Sparmaßnahmen wird die aktive Arbeitsmarktpolitik nicht eingeschränkt. Der politische Grundsatz lautet, statt Arbeitslosigkeit soll Arbeit finanziell gefördert werden. Erste Erfolge lassen sich bereits beim Sofortprogramm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit erkennen. Insbesondere in den ostdeutschen Ländern ist die Arbeitslosigkeit der Jugendlichen zurückgegangen. Durch Reformmaßnahmen des Arbeitsförderungsrechts, die der Bundestag im Juni 1999 verabschiedet hat, soll die Effektivität der aktiven Arbeitsmarktpolitik erhöht werden. Bürokratische Verfahren und soziale Härten werden durch die gesetzlichen Änderungen beseitigt. Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen für die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen, älteren Arbeitslosen und Arbeitslosen, denen Langzeitarbeitslosigkeit droht, werden stärker auf die Anforderungen dieser Personengruppen ausgerichtet. Neben den bereits erfolgten gesetzlichen Sofortmaßnahmen wird eine grundlegendere Reform des Arbeitsförderungsrechts und eine neue Konzeption der Arbeitsmarktpolitik vorbereitet. Diese sieht eine Verstetigung und eine verläßliche finanzielle Absicherung der aktiven Arbeitsmarktpolitik vor. Zukünftig wird verstärkt Beschäftigungsförderung anstelle der Zahlung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe finanziert. Vorrangige Aufgabe ist es, Arbeitslose, insbesondere auch Langzeitarbeitslose, in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Für ältere Arbeitslose, die auf absehbare Zeit wenig Integrationschancen haben, muß über eine öffentliche Förderung von Dauerarbeitsplätzen nachgedacht werden. Geprüft wird, ob und wie die arbeitslosen Sozialhilfeempfänger in Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik einbezogen werden können. Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sieht Walter

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Riester als eine Gemeinschaftsaufgabe. Das Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit kann dazu beitragen, hier Fortschritte zu erzielen.

Der motivierende und aktivierende Staat muß nach Ansicht von Ulla Schmidt den Strukturwandel am Arbeitsmarkt sowohl für gut ausgebildete als auch für geringqualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unterstützen. Dabei müssen soziale Sicherung und Beschäftigungsförderung verknüpft werden. Bei der Schaffung von Arbeitsplätzen mit Zukunftsaussichten liegen große Potentiale im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien. Bereits heute ist hier ein Mangel an qualifiziertem Personal zu verzeichnen. Frauen sind in diesem Bereich stark unterrepräsentiert und nehmen hier ihre Chancen zur Aus- und Weiterbildung bislang zu wenig wahr. Ein für den Herbst geplantes Aktionsprogramm der Bundesregierung und Gespräche im Bündnis für Arbeit greifen dieses Thema auf. Neue Beschäftigungsmöglichkeiten können aber auch durch die Förderung von Existenzgründungen entstehen. Hierzu können sowohl staatliche Förderprogramme als auch eine innovationsfreundliche Unternehmenskultur beitragen. Wichtig ist, daß bei all diesen strukturellen Veränderungen geringqualifizierte Personen nicht ausgeschlossen und vom Arbeitsmarkt verdrängt werden. Im Vergleich zu den USA ist in Deutschland ein Mangel an regulären Arbeitsplätzen im freizeitbezogenen Dienstleistungsbereich und im Bereich der personen- und haushaltsbezogenen Dienstleistungen zu verzeichnen. Die Nachfrage der Privathaushalte nach derartigen Dienstleistungen wird entscheidend durch das Preisniveau bestimmt. Hier kann staatliche Förderung neue Märkte erschließen und dazu beitragen, daß diese Dienstleistungen zu einem auf dem Markt akzeptierten Preis angeboten werden. Beschäftigung kann auch durch bessere Bedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ausgeweitet werden. Wenn z.B. Kinderbetreuungsmöglichkeiten für unter dreijährige Kinder verbessert werden, ermöglicht dieses nicht nur alleinerziehenden Sozialhilfeempfängerinnen, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, sondern bietet auch Beschäftigungschancen im Betreuungssektor.

Die Erfahrungen mit einem Bündnis für Arbeit gehen in den Niederlanden auf das Jahr 1982 zurück. Nikolaos van Dam beschreibt das Zustandekommen des „Abkommen von Wassenaar", in dem Arbeitgeber und Arbeitnehmerorganisationen sich auf eine Begrenzung der Lohnsteigerung

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verständigten. Die Tarifparteien kamen überein, daß zur Verbesserung der Beschäftigungslage die Wiederherstellung des wirtschaftlichen Wachstums, ein stabiles Preisniveau und die Stärkung der Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen durch die Verbesserung ihrer Ertragslage nötig sei. Die besondere Leistung bestand darin, daß trotz unterschiedlicher Interessenlage ein Konsens gefunden werden konnte und daß auch die als erforderlich erachteten harten Einschnitte bei den Sozialausgaben zur Sanierung des öffentlichen Haushaltes von allen Beteiligten getragen wurde. In den Folgejahren wurde der Sanierungskurs fortgesetzt und das Steuersystem reformiert. Die Veränderungen in der Sozialpolitik folgten dem Tenor, daß strengere Kriterien für die Zahlung von Leistungen gelten. Gleichzeitig wurden organisatorische Änderungen, wie z.B. die „Ein-Schalter-Politik" eingeführt, die die Beratung, Bewilligung und Kontrolle von Sozialleistungen aus einer Hand vorsahen. Die Förderung der Eigenverantwortung zeigt sich auch im Bereich der Altersvorsorge. Das „Cappuccino-Modell" sieht vor, daß die Volksrente (der Kaffee) auf niedrigem Niveau gezahlt wird und durch die betriebliche Altersversorgung (die Sahne) und die private Zusatzversicherung (die Schokolade) ergänzt wird. Das Interesse anderer Länder am niederländischen Modell richtet sich vor allem auf die Erfolge am Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenquote in den Niederlanden sank von 11 % im Jahre 1983 auf 3,5 % im Frühjahr 1999. Durch die Ausweitung von Teilzeitbeschäftigung konnten insbesondere Frauen verstärkt in den Arbeitsmarkt integriert werden. Heute ist ein Hauptproblem die Verringerung der Langzeitarbeitslosigkeit und die Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten für Geringqualifizierte. Die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik der niederländischen Regierung mißt dem Mittelstand eine besondere Bedeutung bei und ist bemüht, Neugründungen zu erleichtern und bürokratische Hemmnisse zu beseitigen. Die insgesamt positive wirtschaftliche Entwicklung wird besonders von der privaten Nachfrage gestützt. Dies macht deutlich, daß die Konsolidierungspolitik im sozialen Bereich diese Entwicklung nicht beeinträchtigt, sondern erst ermöglicht hat.

Ausgehend von der Berliner Wirtschafts- und Arbeitsmarktsituation erörtert Walter Momper die Chancen für ein regionales Bündnis für Arbeit. Die schwierige wirtschaftliche Lage der Stadt, sie bildet inzwischen beim Wirtschaftswachstum das Schlußlicht in Deutschland, und die hohe Arbeitslosigkeit zeigen die Dringlichkeit wirksamer politischer Maßnahmen auf. Von hoher Arbeitslosigkeit sind insbesondere Geringqualifizierte, Jugendliche

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und Mitbürger ausländischer Herkunft betroffen. In Berlin gibt es einen niedrigen Anteil von sogenannten Normalarbeitsverhältnissen und eine besonders hohe Fluktuation der Beschäftigten. Im Mittelpunkt eines regionalen Bündnisses für Arbeit sollte in Berlin die Verbesserung der Übergänge zwischen Arbeitsmarkt und Qualifizierung, Teilzeitarbeit und gesellschaftlich nützlichen Aktivitäten stehen. Dazu müssen die bisherigen Maßnahmen verstärkt und neu ausgerichtet werden. Elemente eines Bündnisses für Arbeit in Berlin sollten sein: die beschäftigungswirksame Reform des öffentlichen Dienstes, die Förderung von Modellvorhaben in Unternehmen zur beschäftigungswirksamen Verkürzung der Arbeitszeit und eine Qualifizierungsoffensive, die sich an den Anforderungen der Region orientiert. Die innovativen Ansätze im Bereich der Arbeitsmarktpolitik müßten verstärkt und z.B. bestehende Pilotprojekte zur Jobrotation zu einem flächendeckenden Modellversuch ausgeweitet werden. Berlin-Brandenburg könnte als Modellregion der europäischen Beschäftigungsstrategie ausgebaut werden. Hierzu liegt das Einverständnis der EU-Kommission bereits vor. Dies würde Chancen bieten, um die Innovationsdynamik des Standortes Berlin zu steigern und zu einer Verringerung der Arbeitslosigkeit beizutragen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2000

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