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[Seite der Druckausgabe: 1 = Titelseite]

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Thesenförmige Zusammenfassung

  1. Die statistisch erfaßbare, relativ geringe Beteiligung junger Frauen in den Gewerkschaften darf nicht als Ausdruck eines Geschlechtsmerkmals interpretiert werden. Frauen haben als Geschlechtsgruppe keine spezifischen Merkmale, Eigenschaften oder Dispositionen, die sie mehr als Männer von Gewerkschaften abhalten. Um die Differenz in der Beteiligung zwischen jungen Männern und Frauen zu erklären, muß vielmehr gefragt werden:
    • Welche gesellschaftlichen, geschlechtsspezifischen Prozesse und Identitätsangebote lassen sich finden, von denen Frauen besonders betroffen sind, mit denen Frauen sich auseinandersetzen müssen und die dazu führen können, daß junge Frauen sich in bestimmten Lebensphasen nicht in demselben Ausmaße wie junge Männer Gewerkschaften als Ort ihres Engagements suchen?
    • Welche Politik, Strukturen und Mechanismen der Gewerkschaften verstärken die Polarisierung der Geschlechter und reproduzieren die Geschlechterhierarchie, nach der Frauen als Geschlechtsgruppe die je untergeordneten und minderwertigen Rollen zukommen und nach der die Einflußnahme von Frauen weniger selbstverständlich ist als die von Männern?

  2. Das Geschlecht wirkt als Platzanweiser im Ausbildungssystem: Junge Frauen werden häufiger gar nicht oder schlechter ausgebildet als junge Männer und landen häufiger als sie in Berufen und Betriebsstrukturen, in denen gewerkschaftliche Organisierung weniger zur Betriebskultur gehört. Für junge Frauen ist die Ausbildungssituation selbst prekärer als für junge Männer und ihre Lebenssituation im Hinblick auf Zeit, Geld und Mobilität eingeengter. Alles dieses trägt dazu bei, daß sie sich weniger in Gewerkschaften engagieren.

  3. Die Anforderungen in der Adoleszenz bestehen für junge Frauen nicht nur in der Ablösung von den Eltern und der Gestaltung neuer sozialer Beziehungen. Sie betreffen auch die Neukonstitution der Geschlechtsidentität. Das traditionelle Frauenbild widerspricht der politisch aktiven Frau. Wenn sich eine junge

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    Frau in einer männlichen Organisation behaupten will, findet sie weder im traditionellen Frauenbild noch in dem der "Vereinbarkeitskünstlerin" identitätsstiftende Elemente. Die Ideologie, daß die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung ein individuell und zwar von Frauen zu lösendes Problem darstellt, verhindert die Politisierung dieser grundlegenden Frage der Geschlechterhierarchie. Die hierarchische Geschlechterdifferenz als elementarer Bestandteil gesellschaftlicher Lebensmuster wird nur bei wenigen jungen Frauen bewußt zum Gegenstand von Protest.

  1. "Politik" wird von vielen als männlich geprägtes Feld empfunden, junge Frauen haben zwar eine Nähe zu vielen Problemen, für die politische Lösungen gefunden werden müssen, die Formen allerdings, mit der die Politik diese Lösungen angeht, sind ihnen noch fremder als jungen Männern, weil sie neben der Undurchsichtigkeit der Prozesse auch ganz wenige weibliche Vorbilder dort finden, die ihre Sprache sprechen und Distanz zum politischen Geschäft formulieren. Wenn junge Frauen sich eher an unkonventionellen Politikformen beteiligen, ist dies ein Ausdruck dafür, daß es ihnen leichter fällt, ihre Anliegen gleichberechtigt dort einzubringen, wo sie Organisationsformen finden, in denen auch Männer von den traditonellen Geschlechterbildern abweichen.

  2. Gewerkschaften als Großorganisationen sind Systeme, die die hierarchische Geschlechterdifferenz selber reproduzieren und Frauen dadurch eher ausgrenzen:
    • Der herrschende Arbeitsbegriff und damit der Hauptgegenstand gewerkschaftspolitischen Denkens und Handelns grenzt die unbezahlte und privat geleistete Arbeit von Frauen aus.
    • Das hierarchische Geschlechterverhältnis wird zur Frauenfrage verkürzt, Frauen werden eher als spezielle Personengruppe definiert, denen Gewerkschaften besonderen Schutz zu gewähren haben.
    • Die Geschlechterhierarchie in der Organisation wird eher geleugnet, das Ideal der Geschlechterneutralität trotz der nachweisbaren Ausgrenzung von Frauen aus den machtvollen Positionen beschworen.

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    • Die Strukturen und Interaktionskulturen in Gewerkschaften widersprechen den Anforderungen, die junge Frauen artikulieren: sie fordern flache Hierarchien, kooperative Arbeitsformen, Transparenz und projektorientierte Arbeitsweisen. Die mangelnde Innovationskraft der Großorganisationen in diese Richtung schließt indirekt junge Frauen aus.

  1. Gewerkschaften müssen die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung in ihrer gesellschaftspolitischen Bedeutung bewerten und eine Politik entwickeln, die beide Arbeitsbereiche in ihren strukturellen Zusammenhängen im Blick hat. Dann sehen sich auch junge Frauen weniger gezwungen, diese Probleme zu individualisieren und könnten sich eher an gewerkschaftlicher Arbeit beteiligen. Junge Frauen wollen nicht als defizitäre Menschen betrachtet werden, sondern brauchen Organisationsstrukturen, in denen sie selbstverständlich und erfolgreich mitgestalten können. Dazu müssen innere Reformprozesse durchgeführt werden, die die Voraussetzung dazu schaffen, daß sich Frauen mit dem ihnen zugewiesenen doppelten Arbeitsfeld und den daraus resultierenden anderen Sichtweisen als gleichberechtigte Mitglieder an der Gestaltung der gewerkschaftlichen Politik beteiligen können.

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999

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