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3. Risikoarmut der Frauen durch Ehevertrag



3.1 Risikoarmut der Mütter in der Ehe

Ein Vergleich zu anderen europäischen Staaten zeigt, daß der deutsche Sozialstaat nach dem Muster des „starken Ernährermodells" konstituiert ist. Indikatoren dafür sind die geringe kontinuierliche Müttererwerbstätigkeit, die abgeleitete soziale Sicherung der Mütter sowie die im Ausmaß geringe öffentliche Betreuungsleistung für Kinder. So verfestigt die Sozialpolitik die hierarchische Geschlechterordnung (Ostner 1995). In der Ehegesetzgebung des Bürgerlichen Gesetzbuches wird bei der Frage der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern das „gegenseitige Einvernehmen" vorausgesetzt. Wahlfreiheit kann allerdings nur genutzt werden, wenn beide Partner unter gleichen Bedingungen wählen. Für die meisten jungen Paare liegen jedoch diese Voraussetzungen bereits zum Zeitpunkt der Eheschließung gar nicht mehr vor. Spätestens bei der Geburt des ersten Kindes verschränken sich mangelnde Chancen auf dem Erwerbsarbeitsmarkt mit der Ideologie von der Alleinzuständigkeit der Mutter für das Kleinkind. Die traditionelle Arbeitsteilung, nach der der Mann verdient und die Frau für Mann, Kind und sich selber die unbezahlte und privat zu leistende Arbeit tut, wird nicht frei gewählt, sondern als Reaktion auch auf die realen Möglichkeiten praktiziert. Schon bei Erwerbslosigkeit des Ehemannes kommt dieses Modell an seine Grenzen. Die finanzielle Lage der Kleinfamilie wird prekär, die Höhe des Arbeitslosengeldes bezieht sich auf die Höhe des Erwerbseinkommens und berücksichtigt nicht die Anzahl der Personen, die von diesem Geld leben müssen. Bereits Bezieher mittlerer Einkommen geraten in Armut, wenn sie mehrere Kinder haben. So wächst der Anteil der Familien mit Kindern an den Sozialhilfeempfängern. Die steigende Anzahl der Kinder, die in Armut bzw. von Sozialhilfe leben, wird in letzter Zeit skandalisiert. Sie erhalten aber nicht nur deswegen Sozialhilfe, weil das Einkommen des Vaters nicht mehr ausreicht, um die Familienmitglieder materiell zu sichern, sondern auch, weil die Mutter gar kein Einkommen beziehen kann. Arm sind diese Kinder also, weil die Mutter die private unbezahlte und unterbewertete Versorgungsarbeit macht, keine Erwerbsarbeit leisten kann oder keine bekommt und der Vater nicht genügend Geld über seine Erwerbsarbeit einbringt. Der sozialstaatliche Familienlastenausgleich etwa über Steuererleichterungen ist nicht ausreichend, um die Existenzbedingungen von größeren Familien zu sichern, denn auch er basiert auf der Annahme, daß der Mann und Vater einen Ernährerlohn erwirbt. Gerade im Bereich der niedrigen Einkommen gibt es allerdings schon lange keinen Ernährerlohn mehr, also ein Entgelt, von dem mehrere Personen leben könnten, denn die Höhe der Löhne wird nicht nach dem familiären Bedarf, sondern nach der Bewertung der Arbeits- und Qualifikationsanforderungen bemessen. So verarmen Mütter, die mit Vätern im Niedriglohnsektor verheiratet sind, unabhängig von ihrer eigenen Ausbildung und Erwerbsfähigkeit, solange sie ausschließlich private Betreuungsarbeit leisten.

Unabhängig von der Wahl, die die Ehegatten bezüglich der Arbeitsteilung getroffen haben, gilt die Familiensubsidiarität: Bevor Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe gezahlt wird, haben Ansprüche auf Unterhalt an den Ehegatten bzw. sogar die eigenen Eltern und Kinder Vorrang und müssen geltend gemacht werden. Auch dann, wenn die Ehegatten, wie es in der DDR üblich war, vereinbart haben, materiell eigenständig zu sein, werden sie im Fall der Arbeitslosenhilfe bzw. des Sozialhilfebezugs aufeinander verwiesen. Die geschlechtsneutrale Regelung täuscht allerdings darüber hinweg, daß in der Mehrzahl der Fälle die Ehefrau auf ihren Mann verwiesen wird, ob das nun ihrem Ehe

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Verständnis entspricht oder nicht. Selbst wenn der Ernährerlohn ausreicht, bleibt eine Risikoarmut für die nicht erwerbstätige Ehefrau, da ihre materielle Existenz von dem Lohn des Mannes abhängig ist und von seiner Bereitschaft zu teilen. Eine Trennung von ihm realisiert dieses Armutsrisiko.

Selbst eine eigene Erwerbsarbeit, solange sie in Form ungeschützter Arbeitsverhältnisse oder Teilzeitarbeit geleistet wird, schützt Ehefrauen nur begrenzt vor Armut. Solange sie nicht einen für sie und ihre Kinder ausreichenden Existenzlohn erarbeiten, sind sie weiterhin auf das Funktionieren der Ehe angewiesen, da nur diese Beziehung sie aktuell und erst recht im Alter sichert. Der relativ hohe Anteil älterer Frauen an den Sozialhilfeempfängern und -empfängerinnen zeigt, daß diese Absicherung oft nicht ausreichend ist (vgl. Tab. 1 und 2 im Anhang).

Die Steuergesetzgebung ist ebenfalls nach dem Muster des Familienernährers und der zu unterhaltenden Gattin geprägt und trägt damit indirekt zur potentiellen Verarmung von Ehefrauen bei. Sind beide Partner erwerbstätig, stehen sie vor der Wahl der Steuerklasse, und in der Regel wählen sie die Kombination der Steuerklassen, die das Einkommen der weniger Verdienenden, meistens der Ehefrau, sofort hoch besteuert, so daß sie zunächst einen geringeren Nettoverdienst erhält. Dadurch werden aber nicht nur ihre aktuellen finanziellen Verfügungsmöglichkeiten eingeschränkt, auch die vom Nettolohn abgeleiteten Leistungen wie Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Unterhaltsgeld bei Weiterbildungsmaßnahmen nach dem Arbeitsförderungsgesetz sind sehr viel geringer. Solche Konsequenzen müssen Ehemänner wegen des höheren Nettobetrages nicht in Kauf nehmen. Der finanzielle Vorteil des Ehegatten-Splittings, also der jährliche Ausgleich der Steuerbelastungen durch Teilung der Gesamteinkommen und zweifachen Besteuerung der Hälften, kommt weder denen, die relativ wenig Steuern zahlen, noch denen, die etwa gleichviel oder gleich wenig verdienen, zugute. Wo wenig Steuerschuld anfällt, gibt es auch keinen Splitting-Vorteil. Für die Frauen, in deren Ehe der Splitting-Vorteil zum Tragen kommt, nämlich dann, wenn sie sehr viel weniger verdienen als der Ehemann, wird aber gleichzeitig durch die Splitting-Regelung die Abhängigkeit vom Ehemann zementiert. Sie erhalten nämlich die Steuergeschenke nicht aufgrund ihrer Arbeit, entweder ihrer Erwerbs- oder ihrer unbezahlten Arbeit, sondern nur aufgrund ihrer ehelichen Beziehung. Hinzu kommt, daß der Wert dieses Steuergeschenkes unklar zugeordnet bleibt, allenfalls in eine gemeinsame Kasse, in der Regel aber auf das Konto des Mannes fließt, da er die Steuererklärung abgibt. Es bedarf schon eines erheblichen Durchblicks durch das Steuersystem, wenn der Splitting-Vorteil gleichmäßig unter den Ehegatten aufgeteilt werden soll (Schwan 1996).

Das Grundmuster des hierarchischen Geschlechterverhältnisses, das Ernährermodell, basiert auf drei Voraussetzungen. Zum einen muß der Verdienst des Ehemannes so hoch sein, daß er den Unterhalt für seine Ehefrau sowie den der Kinder deckt. Zum anderen muß der Ehemann bereit sein, seinen Verdienst und sein Einkommen partnerschaftlich mit Ehefrau und Kindern zu teilen und zum dritten muß für alle Beteiligten eine gemeinsame Lebensführung, ein Zusammenleben, erträglich sein. In vielen Fällen sind alle Voraussetzungen erfüllt, in anderen fehlt die eine oder andere. Ein wesentliches Element des Geschlechterverhältnisses, nämlich die patriarchale Überordnung des Männlichen über das Weibliche, prägt oft auch die Beziehungen zwischen einem einzelnen Mann und einer einzelnen Frau. Weil die Verfügung über Geld auch immer zu einer Machtfrage in Beziehungen werden kann, besteht die Gefahr, daß der Mann als derjenige, der es nach dem klassischen Muster verdient, die geschlechtsspezifische Hierarchie ausnutzt und die Minderwertigkeit des Weiblichen durch Ausübung von Gewalt und Mißbrauch

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demonstriert. 15 Prozent aller Caritas-Klientinnen geben als Grund für ihre Trennung vom Ehemann dessen Gewalttätigkeit oder sexuellen Mißbrauch an (Caritas-Untersuchung 1997). Fliehen Mütter mit ihren Kindern vor dieser Situation, geraten sie in eine Armutsspirale: Zunächst erhalten sie in der Regel plötzlich keinerlei finanzielle Unterstützung mehr von ihrem Ernährer. Selbst ohne eigenes Einkommen, haften sie für die Schulden, die in ihrer Ehezeit entstanden sind, selbst ohne Wohnung, sind sie zur Mietzahlung für die ehemalige Ehewohnung verpflichtet und weil sie als verheiratet gelten, erhalten sie geringere Sozialhilfe, zumindest in Ostdeutschland, weil ihnen hier kein Mehrbedarf zugestanden wird. Diese Frauen sind noch nicht aus ihrer Ehe herausgegangen, müssen allerdings ihre körperliche Unversehrtheit und die ihrer Kinder schützen. In diesen Extremfällen zeigt sich am deutlichsten, welches Armutsrisiko in der patriarchalen Eheverfassung liegt.

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3.2 Risikoarmut der Mütter nach der Ehe



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3.2.1 Armutsrisiko der Mütter im Alter

Die Altersarmut der Frauen, ein besonders in den sechziger Jahren stark beachtetes Problem, war und ist immer noch Folge des Ernährermodells im Erwerbs- und Sozialsystem der Bundesrepublik. Zunächst aufgrund ihrer privaten Betreuungsarbeit, später aufgrund mangelnder Eingliederungsmöglichkeiten in das Erwerbssystem sind Frauen die Chancen zum Aufbau einer eigenständigen Alterssicherung nach männlichem Muster genommen. Überleben sie ihren Ehemann, bleibt ihnen, sofern er eine Alterssicherung besaß und sie selbst keine neue Ehe eingehen, die 60-prozentige Witwenrente. Wenn sie sich wiederverheiraten, etwa um in den besonderen Schutz der Ehe durch den Sozialstaat zu kommen, entfällt ihre Witwenrente. Ein Zeichen, wie sehr die Frauen auf den männlichen Ernährer verwiesen werden und der Staat nur in den Zeiten eintritt, in denen sie keinen solchen vorzuweisen haben. In den letzten Jahren wurden minimale Anrechnungen der privaten Betreuungsarbeit in der Altersversorgung eingeführt. Allerdings führen sie in keinem Fall zu Existenzsicherungen, private Betreuungsarbeit erhält immer noch die Abhängigkeit vom Ernährer. Weil in der letzten Zeit immer mehr Frauen, die eine eigenständige Alterssicherungen aufgebaut haben, ins Rentenalter kommen, hat sich die materielle Versorgungslage alter Frauen insgesamt etwas gebessert. Dennoch waren 1993 noch 76 Prozent der über 65jährigen Sozialhilfeempfänger und -empfängerinnen Frauen. Die Altersarmut ist also relativ zurückgegangen, dennoch bleibt sie ein spezifisches Problem von Frauen, wenn sie sich auf eine Ehe nach dem Ernährermodell eingelassen haben.

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3.2.2 Armutsrisiko der Mütter nach der Ehe

Jede dritte Ehe scheitert, die finanziell besonders Betroffenen sind die Frauen, insbesondere die Mütter kleiner Kinder. Entscheiden sich Frauen zur Trennung oder trennt sich ihr Partner, kann für sie die Armutsspirale in Gang kommen, weil die alten Ansprüche aus der ehelichen Beziehung nicht ausreichen, Ansprüche aus anderen Systemen sozialer Sicherung aber nicht vorhanden sind.

Untersuchungen haben ergeben, daß jede vierte Frau mit minderjährigen Kindern im Laufe ihres Lebens mindestens einmal alleinerziehend ist, ein Hinweis auf die Labilität des traditionellen Musters einer lebenslangen Beziehung zwischen Mann und Frau, Vater und Mutter (Gutschmidt 1991).

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Nach der Trennung schnellen die Kosten in die Höhe, während die Einkommenslage der Mütter sich extrem verschlechtert: Sie müssen oft eine neue Wohnung suchen und bezahlen. Die Kinderbetreuung schlägt entweder durch den Verzicht auf eigenes Einkommen oder durch Gebühren bzw. Gehälter für Betreuungspersonen zu Buche. Schulden aus zerrütteten Beziehungen werden oft den Frauen aufgedrückt, weil die Männer einfach verschwinden. So müssen viele Frauen nach der Trennung Kredite aufnehmen, teilweise um überhaupt leben zu können, teilweise um diese Altlasten aus der Ehe zu tilgen. Dabei müssen sie versuchen, eine Überschuldung zu vermeiden, was häufig nicht gelingt, und die Armutsgefährdung wächst. Während sie im gemeinsamen Haushalt noch durch sparsame Lebensführung und Verzicht dafür sorgen konnten, daß die Lebenshaltungskosten bewältigt wurden, sind sie nach der Trennung selbst unter extremem Verzicht und bei höchster Sparsamkeit dazu nicht mehr in der Lage. Eine andere Lösung, nämlich die neue Bindung an einen Partner, trägt im Prinzip dasselbe Risiko wie die Bindung an den alten. Sie verlieren nicht nur den Unterhaltsanspruch aus der alten Ehebeziehung. Genauso wie die Witwe ihre Witwenrente verliert, wenn sie wieder heiratet, verliert die getrennt lebende Ehefrau den Unterhaltsanspruch an ihren Ex-Gatten, wenn sie sich wieder bindet, selbst dann, wenn sie den neuen Partner nicht heiratet, sondern nur mit ihm zusammenlebt. Darüber hinaus werden sie wiederum als durch einen männlichen Ernährer gesichert angesehen, was etwa bei der Anspruchsprüfung auf Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe zum Tragen kommt.

Verschärft wird die Lage für Mütter mit kleinen Kindern, wenn das Erziehungsgeld nach zwei Jahren fortfällt und diese Mütter plötzlich mit 600 Mark weniger dastehen, die Kinder aber noch keinen öffentlichen Betreuungsplatz bekommen können. Dann ist ihnen die Erwerbsarbeit wieder verschlossen, eine Absicherung für die Betreuungsarbeit aber ebenfalls nicht vorhanden bzw. kann nicht in ausreichendem Maße realisiert werden. Eigene Unterhaltsansprüche sind befristet (maximal drei Jahre nach der Trennung) und abhängig vom Wohlverhalten (beim Zusammenleben mit einem anderen Partner erlöschen sie), in zwei Drittel aller Fälle werden sie überhaupt nicht realisiert. Ebenso armutsgefährdend ist die Begrenzung der Zahlungen aus der Unterhaltsvorschußkasse: maximal 36 Monate und bis zum Höchstalter des Kindes von 16 Jahren. Auch das Kindergeld erhält die alleinerziehende Mutter nur zur Hälfte, wenn der Vater Unterhalt zahlt. Darüber hinaus wird es auf die Sozialhilfe angerechnet.

Betrachtet man all diese Regelungen, so entsteht der Eindruck, daß alleinerziehende Mütter in jeder Lebenslage finanziell knapp gehalten werden, die verschiedenen Quellen für den Lebensunterhalt immer wieder versickern und gesellschaftlich keine verläßliche Existenzsicherung für die Kinder und diejenigen, die für sie sorgen, vorhanden ist. Der Unterhalt aus der ehelichem Beziehung wird als vorrangig angesehen und die staatlichen Absicherung bei ihrem Fehlen ist nicht koordiniert. Das Zusammenleben von Mann und Frau wird stets als Abhängigkeitsverhältnis konstruiert, dem sowohl Mann als auch Frau sich nur durch Erwerbsarbeit entziehen können. Fällt jedoch private Betreuungsarbeit an, gerät die Frau unweigerlich in Abhängigkeit, wenn sie diese Arbeit alleine leistet. In dieser Abhängigkeit vom Mann ist aber nur solange materiell gesichert, wie die Beziehung hält bzw. solange sie keine Beziehung zu einem anderen Mann aufnimmt. Sobald sie das tut, erlöschen ihre Ansprüche aus der alten Ehe. und auch der Staat sichert sie nur in dem Fall, in dem der neue Mann nicht dazu in der Lage ist. Ihre private Betreuungsarbeit begründet keinerlei unabhängige und beziehungsüberdauernde Ansprüche auf Existenzsicherheit.

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Frauen geraten aufgrund ihrer meist auch selbst gewollten Zuständigkeit für die Kinder oft in eine Zwickmühle, die durch die mangelnde Abstimmung von Erwerbssystem und Sozialsystem gebaut wird: Wegen der Knappheit öffentlicher Kinderbetreuungsplätze ist eine für sie notwendige bevorzugte Aufnahme in öffentliche Einrichtungen an den Nachweis eines Arbeitsplatzes gebunden, eines Arbeitsplatzes, den Mütter aber erst annehmen können, wenn sie die Kinder versorgt wissen. Ein ähnliches Dilemma besteht für alleinerziehende Mütter kleiner Kinder beim Arbeitslosengeldbezug. Nur wer dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht, ist berechtigt, Arbeitslosengeld zu beziehen: Diese Voraussetzungen können alleinerziehende Mütter aber kaum erfüllen, wenn sie keine Kinderbetreuungsplätze haben. Hier zeigt sich wiederum, wie dieses soziale Sicherungssystem auf den Familienernährer abgestimmt ist. Probleme mit der Kinderbetreuung sind gar nicht vorgesehen, weil dafür die von ihm miternährte Ehefrau zur Verfügung steht. Für die erwerbslos gewordenen alleinerziehenden Mütter kleiner Kinder ist der Sozialhilfebezug die Folge. Diese Leistungen des Sozialstaates stellen sie allerdings schlechter, da sie z.B. Möglichkeiten beruflicher Fördermaßnahmen verlieren. Wer private Betreuungsarbeit für Kinder oder Pflegebedürftige leistet, wird systematisch aus dem Erwerbssystem und seinen Sicherungen herausgehalten und verliert die dort geleisteten finanziell besser gestalteten und zukunftssichernden Unterstützungen. Trotz guter Qualifikation aus Schule und beruflichen Bildungssystemen münden viele alleinerziehende Mütter in den unteren Bereich des Erwerbssystems mit schlechten Verdiensten und geringeren Verbesserungsmöglichkeiten, und die potentielle Armutsspirale im Hinblick auf das Alter beginnt.

Auch für die ehemaligen Ehemänner kann der Unterhaltsanspruch der getrennt lebenden Frauen bzw. der geschiedenen zum Armutsrisiko werden. Hier zeigt sich, daß das Ernährermodell auch für viele Männer eine Fiktion ist: Der Ernährerlohn reicht oft schon nicht bei gemeinsamer Haushaltsführung, erst recht nicht nach einer Trennung. Nur weniger Männer verdienen so viel, daß sie ohne größere Einschränkungen auch nach der Trennung von der Ehefrau weiterhin in ihrem alten Lebensstandard leben können. Allerdings sind sie durch den Selbstbehalt von 1.500 bis 1.800 DM bzw. die Pfändungsgrenzen vor dem Sozialhilfebezug geschützt. Sie verarmen in geringem Ausmaße als die Frauen, wenn sie eine Erwerbsarbeit haben und ihnen dabei eine gewisse Existenzsicherung zugebilligt wird. Die Armut der Frauen wird öffentlich, weil sie auf staatliche Unterstützung angewiesen sind.

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3.3 Risikoarmut der Mütter ohne Ehe

Ende 1994 bezogen 21,5 Prozent aller alleinerziehenden Mütter laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. Verlaufsorientierte Studien zeigen, daß sie die Gruppe bilden, die auch am längsten im Sozialhilfebezug verbleiben (Leibfried u.a. 1995). Diese Mütter haben entweder nie geheiratet, sogenannte ledige Mütter» oder sie konnten ihren Unterhaltsanspruch an den Vater ihrer Kinder nicht realisieren. Mütter wagen ein Leben ohne Ehemann weitaus häufiger als Väter ein Leben ohne Ehefrau: Nur 14 Prozent aller Alleinerziehenden sind Männer, und diese Gruppe ist materiell sehr viel besser gestellt und hat durchschnittlich weniger und ältere Kinder. Der Anteil jüngerer lediger Mütter mit kleinen Kindern stieg in den letzten Jahren überproportional, insbesondere in Ostdeutschland. Dort war dieses Lebensmuster schon seit langem weitaus verbreiteter als in Westdeutschland, allerdings konnten ostdeutsche Mütter vor der Wende auf eine ausreichende öffentliche Kinderbetreuung zurückgreifen.

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Empirische Untersuchungen dieser Sozialhilfeempfängerinnen zeigen, daß sie teilweise die staatliche Sozialhilfe selbstbewußt in Anspruch nehmen und sie als gerechten Lohn für die Betreuungsarbeit betrachten, der sie vor der persönlichen Abhängigkeit von dem Vater der Kinder bewahrt (Mädje, Neusüß 1994). Es gibt durchaus Mütter, die die patriarchale Ehe ablehnen und Alleinerziehen als gewollte Lebensform gewählt haben. Aus diesem Selbstbewußtsein der Frauen darf jedoch nicht die falsche Schlußfolgerung gezogen werden, daß die materiellen Lebensbedingungen deswegen in Ordnung sind und der Skandal vertuscht wird, daß die private Betreuung für Kinder in die gesellschaftlich definierte Armutszone führt. Ganz offensichtlich werden die Frauen, die die gesellschaftlich gewünschte Strategie der Armutsbekämpfung, also eine Ehe, verweigern, bestraft, sie werden zu „Langzeitfällen" in der Sozialhilfe und fallen unter die Diskriminierung und Ausgrenzung, die auch als Abschreckung gesellschaftlich produziert wird. Und: Nicht alle alleinerziehenden Mütter haben diese Lebensweise selbst gewählt. Viele leiden unter den eingeschränkten materiellen Bedingungen und leisten persönlich sehr viel Verzicht, damit wenigstens ihre Kinder die Armut nicht so spüren (Haupt, Schubert 1995). Solange die Kinder klein sind, gelten sie als unvermittelbar, obschon 33,7 Prozent aller alleinerziehenden Mütter volltags erwerbstätig sind (zum Vergleich verheiratete Mütter: 16,9 Prozent) und sind damit von den beiden üblichen Einkommensquellen abgeschnitten: Ihnen fehlt der Ernährer, und die Erwerbsarbeit ist ihnen verschlossen. Vollends paradox wird diese Situation, wenn sie als Sozialhilfeempfängerinnen dennoch in die „Hilfe zur Arbeit" - also die Zwangsarbeit der Sozialhilfeempfänger und -empfängerinnen einbezogen werden sollen. Verweigern sie diesen Dienst, so droht ihnen eine bis zu 25-prozentige Leistungskürzung ihres eh schon mageren Lebensunterhalts. Diese Mütter ruhen sich nicht im sozialen Netz aus und sind arbeitsscheu, vielmehr verweigern sie es bewußt oder sind nicht in der Lage, das Ernährermodell als Ernährte zu leben. Dafür aber straft sie der Sozialstaat, wiederum ein deutliches Zeichen für die Konstituierung eines traditionellen Geschlechtermodells.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999

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