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[Seite der Druckausgabe: 14 / Fortsetzung]

4. Die Verknüpfung von Geschlecht und Handlungspotential: weibliches Arbeitsvermögen statt Qualifikation

Bisher wurde die Beziehung zwischen Berufen und der symbolischen Geschlechterordnung aufgezeigt. In dem Begriff der Eignung war bereits eine Schnittstelle zwischen den Berufsstereotypen, die eng mit der symbolischen Geschlechterordnung verknüpft sind, und dem subjektiven Handlungsvermögen benannt.

Im folgenden steht die Kritik an der Vergeschlechtlichung von Handlungspotentialen im Mittelpunkt, und es wird näher untersucht, wie diese mit Abwertungsmechanismen des weiblichen Geschlechtes verwoben sind. Dabei muß auch der Beitrag, den die Frauenforschung selbst dazu geleistet hat, berücksichtigt werden und zwar insbesondere durch die Prägung des Konzeptes "weibliches Arbeitsvermögen".

Das Konzept des weiblichen Arbeitsvermögens basiert auf einem differenztheoretisch orientierten Ansatz. Der von den Autorinnen Elisabeth Beck-Gernsheim und Ilona Ostner geprägte Begriff beinhaltet eine eindeutige geschlechtsspezifische Zuweisung von Handlungspotentialen. Selbst wenn die Autorinnen den einfachen Schluß von dem individuellen Handlungspotential der einzelnen Frau auf das geschlechterstereotype Handlungsvermögen gar nicht selbst ziehen, so muß die Kritik an dem von ihnen entworfenen Konstrukt bereits früher ansetzen: an der Tatsache nämlich, daß sie überhaupt die Kategorie Geschlecht benutzen, um menschliches Arbeitsvermögen zu begreifen und diese Kategorie dazu noch in der Form übernehmen, wie sie in der symbolischen Geschlechterordnung verankert ist (vgl. Kap. 2).

Den Ausgangspunkt ihrer Konstruktion des weiblichen Arbeitsvermögens bildet die auch der symbolischen Geschlechterordnung zugrundeliegende Trennung von Öffentlichkeit und Berufsarbeit einerseits und der Privat- und Familienarbeit andererseits. Bei

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dieser unkritischen Übernahme blenden sie die gesellschaftliche Determiniertheit dieser Trennung aus. Sie analysieren die beiden Arbeitsbereiche getrennt und kommen zu bestimmten, polar definierten Anforderungsstrukturen an die Arbeitskraft. Berufliche Arbeit erfordert danach instrumentelle, private eher empathische Arbeitsweisen. In einem Analogieschluß von den Anforderungsstrukturen auf die Fähigkeiten und Kompetenzen der Geschlechter, die in diesen Bereichen arbeiten, entsteht das Konstrukt des weiblichen Arbeitsvermögens. Im theoretischen Kontext der Autorinnen sollte dieser Begriff eine idealtypische Figur bleiben. Aus der Perspektive der Dekonstruktionsansätze muß selbst dieses als ein Beitrag zur Verfestigung und Stabilisierung der symbolischen Geschlechterordnung kritisiert werden. Noch bedenklicher allerdings ist die reale Nutzung des Begriffs: in der frauenpolitischen Diskussion geriet er sehr bald zu einem Beschreibungsbegriff für die reale Handlungsfähigkeit aller Frauen.

Wer diese Kategorie als Beschreibungsbegriff für reale Fähigkeiten von Frauen gebraucht, verkennt sowohl den Prozeßcharakter in der Entwicklung von Handlungspotentialen als auch die Kontextgebundenheit von Vergeschlechtlichungsprozessen und akzeptiert eine empirisch unhaltbare Widerspruchsfreiheit. Die Inhalte, mit denen das sogenannte weibliche Arbeitsvermögen aus der Hausarbeit in ihrer Abgeschottetheit von Berufsarbeit beschrieben werden, lassen sich aus der spezifischen Lebenssituation der Geschlechter in der bürgerlichen Mittelschicht zu Beginn dieses Jahrhunderts herleiten. In dieser Schicht lebte aber nur ein kleiner Teil der Bevölkerung, in anderen Teilen der Bevölkerung gab es allenfalls eine Orientierung an diesen Stereotypen, die Realität der übrigen Frauen und Männer sah völlig anders aus. Auch die Dichotomisierung und Polarisierung in der Definition der Merkmale, die das weibliche Arbeitsvermögen beschreiben, ist real nicht wieder zu finden. Zugespitzt bedeutet es, daß eine Person entweder konfliktfähig (männlich) oder konfliktvermeidend (weiblich) ist. Hier spiegelt sich die Geschlechterpolarisierung in der Beschreibung des Arbeitsvermögens wieder: die Polarisierung führt aber in eine Sackgasse, weil sie starre Zuschreibungen vornimmt, vereinseitigt und damit der Realität in keiner Weise gerecht wird.

Empirische Untersuchungen über das Selbstverständnis von Frauen in typischen Frauenberufen könnten nun zu der Schlußfolgerung führen, daß es wenigstens im Bewußtsein der Frauen Belege für das Konstrukt des weiblichen Arbeitsvermögens gäbe: Wenn Erzieherinnen ihre Arbeit mit der von Müttern gleichsetzen (Großmann, 1991), wenn Sekretärinnen sich als "Mädchen für alles" bezeichnen (Winker, 1994) wenn Krankenschwestern glauben, geduldiger und persönlicher Einsatz für die Patienten sei das Wichtigste (Ostner, 1985), so könnte dies so interpretiert werden, daß Frauen damit Spezifisches über ihr Arbeitsvermögen aussagen. Allerdings kann ein Blick auf die Ergebnisse von Berufsanalysen gerade dieser typischen Frauenberufe die gegenteilige Interpretation stärken: betrachtet man nämlich die Strukturmerkmale dieser Berufe, so

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müssen die Aussagen der Frauen eher als vorläufige Anpassung an defizitäre Professionalisierungsstrukturen gedeutet werden denn als Ausdruck eines spezifischen Arbeitsvermögens (Brandes, 1991).

Typische Frauenberufe zeichnen sich nämlich dadurch aus,

  • daß die Grenze zwischen berufsfachlichem und allgemeinem Wissen verwischt ist

  • daß die konkreten Arbeitsaufgaben äusserst diffus bleiben

  • daß im Prozeß der Verberuflichung sozialer Arbeit der Charakter der Lohnarbeit dieser Arbeit fehlte und auch heute noch die tarifliche Bezahlung dieser Arbeit im Vergleich zu männlichen Berufen mit vergleichbarem Qualifikationsniveau und vergleichbarer Qualifikationsdauer sehr gering ist

  • daß die Kontrollfunktionen über die Arbeit in der Regel eher bei Männern liegen

  • daß die Arbeitsphilosophie eher mit Wertvorstellungen verknüpft ist, die in privaten Lebensformen und in religiösen Kontexten verankert sind.

Untersuchungen über Berufsrückkehrerinnen zeigen demgegenüber auf, wie kompliziert und vielfältig die Beziehung zwischen den Fähigkeiten, die im sog. Privatbereich entwickelt wurden, und denen, die im Berufsalltag gefordert werden, sind (Baus u.a., 1992). Eine einfache Nutzung der Fähigkeiten, die in jahrelanger Haus- und Familienarbeit entwickelt worden sind, z.B. in einem Sozialberuf, ist nicht möglich. Vielmehr müssen die Rückkehrerinnen in einer Reihe von Lernprozessen ihre persönlichen Erfahrungen und Fähigkeiten, aber auch ihre Orientierungen und ihr berufliches Selbstverständnis, neu bestimmen, vieles dazu lernen, einiges in Frage stellen und von einer neuen Position aus begreifen lernen. (Küpper,1992). Ein weibliches Arbeitsvermögen mit hohen Anteilen sozialer Kompetenz ist demnach weder bei allen Frauen vorhanden, noch ließe es sich, wenn es vorhanden wäre, in einer Erwerbsarbeitsposition direkt einsetzen.

Auch das häufig in diesem Zusammenhang als Beleg herangezogene "andere" Führungsverhalten von Frauen, der sogenannte weibliche Führungsstil, basiert nicht auf einem weiblichen Arbeitsvermögen sondern ist, wie genauere Analysen zeigen, auf die Positionen zurückzuführen, die den Frauen zugestanden werden: Jüngere Männer praktizieren einen "weichen" Führungsstil nämlich genauso wie Frauen, wenn sie, wie die meisten Frauen in Führungspositionen, nur mittlere Leitungsaufgaben inne haben (Hadler, Domsch, 1994).

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Das weibliche Arbeitsvermögen als konstruierte Vergeschlechtlichung von Handlungspotentialen verkennt die empirische Vielfalt und Differenz der Fähigkeiten zwischen Frauen, genauso wie es die Ähnlichkeit von Fähigkeiten zwischen Männern und Frauen verkennt.

Die Vergeschlechtlichung des Arbeitsvermögens hat nun eine ganz praktische Konsequenz für die gesellschaftliche Bewertung der Arbeitskraft. Die Tarifverträge als Regelinstitutionen geben Auskunft über den Grad der Bedeutung von Berufsgruppen und den Stellenwert der jeweils geleisteten Arbeit: der männliche Facharbeiter im Produktionssektor steht symbolisch und faktisch an der Spitze der Bewertungsskala. Im für Frauen zugänglichen Segment des Arbeitsmarktes gibt es nirgendwo ein vergleichbares Modell. Alle Berufe, deren Anforderungsprofile auf das sogenannte weibliche Arbeitsvermögen abgestimmt sind, also insbesondere die Berufe mit personenbezogenen Dienstleistungen, sind real minderbewertet. Der Bezug auf das sogenannte weibliche Arbeitsvermögen legitimiert dabei die relativ niedrige Bewertung dieser Erwerbsarbeit von Frauen:

  • Die tariflich festgesetzten Löhne sind im Vergleich zu anderen Berufsgruppen niedriger - weibliches Arbeitsvermögen erscheint als natürliche Gabe, die Frauen qua Geschlecht mitbringen. Weil sie dieses Vermögen in den privat organisierten Arbeitsbereichen unbezahlt verausgaben, erscheint eine höhere Bezahlung im Erwerbsarbeitsbereich nicht erforderlich.

  • Die Berufsstrukturen erschweren ein berufliches Weiterkommen, typisch sind die Sackgassen, nicht die Durchlässigkeit der hierarchischen Strukturen. - Weibliches Arbeitsvermögen gilt nicht als Potential, mit dem eine Karriere angestrebt wird.

  • Ausbildung und Berufserfahrung werden beim Wechsel des Berufsfeldes abgewertet,- weibliches Arbeitsvermögen wird als persönliches, nicht als fachlich bezogenes Potential behandelt.

  • Die Arbeitsaufgaben werden gleichzeitig auch an fachfremde Personen und Hilfskräfte delegiert - weibliches Arbeitsvermögen erscheint qua Geschlecht, nicht qua Berufsausbildung und Berufserfahrung vorhanden zu sein.

Diese Aspekte der Minderbewertung sollen am Beispiel des Erzieherberufes konkretisiert werden ( Karsten,1994):

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  • Die tarifliche Eingruppierung dieser Berufsgruppe ist bei weitem niedriger als die vergleichbarer Berufsgruppen in einem typischen Männerberuf, z.B. dem Ingenieur (Dürk, 1992).

  • Die Berufsstrukturen im Erziehungsbereich sind so, daß der Aufstieg auf eine mittlere Leitungsfunktion beschränkt bleibt und in der Leitung einer Einrichtung seine höchste Stufe erreicht hat.

  • Wenn eine Erzieherin ihren Arbeitsplatz wechselt und sich in einem anderen Bereich z. B. im Sozialamt bewirbt, wird sie hier nicht etwa als Fachkraft eingesetzt. Ihre Ausbildung wird nicht anerkannt und ihr werden minderwertige Stellen zugewiesen.

  • Die Umsetzung des novellierten Kinder- und Jugendhilfegesetzes z. B. in Nordrhein-Westfalen sieht vor, daß die jeweils 2. Kraft in der Kindergruppe einer Kinderbetreuungseinrichtung keine pädagogische Qualifikation haben darf. Begründet wird dies mit den ansonsten zu hohen Personalkosten. Damit wird offensichtlich angenommem, daß die Arbeit der 2. Kraft in einer Kindergruppe ohne Ausbildung zu leisten ist. Stillschweigend wird jedoch davon ausgegangen, daß es sich bei dieser zweiten Kraft um eine weibliche Person handelt, der ein weibliches Arbeitsvermögen zugeschrieben wird, damit die Arbeit in der Gruppe funktioniert. An den Einsatz eines Mannes ohne jede Berufsausbildung ist wohl kaum gedacht.

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999

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