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[Seite der Druckausgabe: 18 / Fortsetzung]

5. Aufwertungsstrategien

Das Konzept des weiblichen Arbeitsvermögens leistet den Frauen, die sich für eine angemessenere und gerechtere Bewertung ihrer Erwerbsarbeit in sozialen Dienstleistungsberufen einsetzen, einen Bärendienst: weil das Konzept auf der symbolischen Geschlechterordnung basiert und diese in ihrer Annahme der Polarität der Geschlechter, der Zweigeschlechtlichkeit und der Geschlechterhierarchie nicht kritisiert, ist es auch praktisch nicht brauchbar, um Bewertungsstrukturen zum Durchbruch zu verhelfen, die Frauen weniger diskriminieren.

Im folgenden wird der Versuch gemacht, eine alternative Strategie der Aufwertung speziell der sozialen Kompetenz in Dienstleistungsberufen zu entfalten [Anm.: Die folgenden Überlegungen entstanden in einem zur Zeit laufenden Forschungsprojekt zur Erfassung sozialer Kompetenz im beruflichen Alltagshandeln. Sie beziehen sich auf Arbeitspapiere zu diesem Projekt, die von S. Damm-Rüger, G. Notz und B. Stiegler verfaßt worden sind.]

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5.1 Die Dekodierung oder Zursprachebringung sozialer Kompetenzen

Gewerkschaftlich organisierte Frauen haben schon seit langem erkannt, daß sie die Fähigkeiten, die sie in den sozialen Berufen einsetzen, überhaupt erst einmal sichtbar machen müssen. In ihrer Kampagne zur Aufwertung der Frauenberufe im öffentlichen Dienst haben sie zunächst einmal genaue Tätigkeitsbeschreibungen verfaßt, die die alltäglichen Anforderungen in diesen typischen Frauenberufen aufzeigen (Dürk,1994). Die Vielfalt der Anforderungen und das hohe Anforderungsniveau in diesen Berufen wurde durch die Beschreibung der Frauen deutlich und öffentlich gemacht. Beides steht in krassem Widerspruch zu der tariflichen Nivellierung und bildungspolitischen Vernachlässigung, die diese Berufe treffen. Die meisten der Fähigkeiten, die die Frauen bei der von ihnen detailliert beschriebenen Berufsarbeit einsetzen, werden zwar als Kompetenzen geschätzt, aber nicht als Qualifikationen anerkannt oder bezahlt. In den Dienstleistungsberufen trifft dieses die sozialen Kompetenzen in besonderem Maße.

Das Charakteristische für den Einsatz sozialer Kompetenz in Dienstleistungsberufen ist, daß ihr Einsatz im Verborgenen erfolgt, soziale Kompetenzen sind bisher unsichtbar und unbenannt. Weder Tarifverträge noch Berufsbilder in Dienstleistungsbereichen enthalten präzise Definitionen oder Beschreibungen dessen, was die in den sozialen Dienstleistungsberufen Arbeitenden tagtäglich tun müssen, damit sie ihre Berufsaufgabe unter den je gegebenen Bedingungen erfüllen können. Die Professionalisierung, also die Abgrenzung von anderen Fachbereichen, die Definition von Zugangsvoraussetzungen für die Aufnahme des Berufes oder die Entwicklung von Weiterbildungsperspektiven erfolgt gerade nicht unter Berücksichtigung der sozialen Kompetenzen. Ihr Stellenwert im Rahmen der fachlichen Berufsinhalte wird noch nicht einmal zu bestimmen versucht. Die sozialen Kompetenzen gelten immer noch als im Prozeß der Sozialisation oder durch Haus- und Familienarbeit erworben, werden als Bestandteil des sogenannten weiblichen Arbeitsvermögens angesehen und brauchen deswegen nicht durch gezielte, strukturierte Lernprozesse hervorgebracht, gestützt oder weiter entwickelt zu werden.

Ein erster Schritt zur Aufwertung der sozialen Kompetenz in Dienstleistungsberufen wäre es demnach, die Formen, Arten und Varianten sowie das Ausmaß der Anforderungen an soziale Kompetenz in den verschiedenen Berufen zu analysieren, sie damit aus dem Verborgenen herauszuholen und auch in das Bewußtsein der beruflich Handelnden zu bringen. Dazu soll zunächst die begriffliche Differenz von Kompetenz und Qualifikation aufgezeigt und nutzbar gemacht werden, bevor ein Raster zur Erfassung sozialer Kompetenz vorgestellt wird.

Begriffe haben ihre jeweiligen Bezugssysteme, in denen sie positioniert sind und ihre Bedeutung gewinnen. Begriffe wie Qualifikation, Fähigkeiten, Eignung, Kompetenz

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gehören zum Kontext der schulischen, beruflichen und politischen Bildung und bezeichnen die auf das Subjekt bezogenen Handlungspotentiale, sich mit schulischen, beruflichen und politischen Anforderungen auseinanderzusetzten. In der wissenschaftlichen Diskussion zur Qualifizierungs- und Berufsbildungsforschung wird zwischen Qualifikation und Kompetenz unterschieden, und diese Differenz ist zur Bestimmung sozialer Kompetenz bedeutsam (Bunk u.a.1991). Qualifikation ist demnach das subjektive Handlungspotential, das als Ergebnis formalisierter und strukturierter Lernprozesse entsteht. Das bedeutet, daß die Qualifikation eines Individuums aus der Bildungs- und Lerngeschichte hergeleitet werden kann, dadurch beschreibbar und teilweise auch attestiert ist. Qualifikationen sind sowohl durch politische Regelungen, etwa durch die Gestaltung von Bildungsgängen, durch Professionalisierungsstrategien, aber auch durch die individuellen Chancen, die Bildungssysteme in entsprechender Weise zu nutzen, bestimmt. Demgegenüber wird Kompetenz als das subjektive Potential bezeichnet, das in allen nicht direkt bildungsbezogenen, organisierten Lernprozessen, also im Laufe der Sozialisation im weiteren Sinne, erworben wird. Damit bezeichnen beide Begriffe jeweils verschiedene Aspekte des subjektiven Handlungspotentials, die sich ergänzen, nicht jedoch gegeneinander aufhebbar sind. Die Notwendigkeit dieser vielleicht künstlich erscheinenden Differenzierung wird sofort deutlich, wenn man sie zur Analyse von beruflichen Situationen benutzt: Der Arbeitsalltag einer Erzieherin, einer Krankenschwester oder einer Altenpflegerin stellt hohe Anforderungen an das soziale Handlungspotential. Die Vermittlung der beruflichen Qualifikationen erfolgt in Ausbildung, in Praktika und in Kursen. Ob im Ausbildungssystem soziale Qualifikationen in ausreichendem Umfang vermittelt werden, muß bezweifelt werden. Die gesellschaftliche Bewertung dieser in formalen Bildungsprozessen erworbenen Qualifikationen schlägt sich in der Tarifierung der Berufsarbeit nieder. Die Eingruppierungen für Angestellte in den Sozialberufen zeigt deutlich, welch geringen Stellenwert die sozialen Qualifikationen überhaupt einnehmen. Zur materiellen Bewertung dieser Berufsarbeit werden ganz andere Dimensionen herangezogen, wie etwa die Durchschnittsbelegung in einer Einrichtung oder die Anzahl der unterstellten Fachkräfte. So finden selbst die in Bildungsgängen vermittelten sozialen Qualifikationen bereits in den Bewertungssystemen der Berufsarbeit kaum noch Beachtung. Analysen des konkreten Berufsalltags von Erzieherinnen, Krankenschwestern oder Altenpflegerinnen zeigen aber, daß sie nicht nur die in der formalen Aus- oder Weiterbildung erworbenen Qualifikationen anwenden, daß sie vielmehr ihr persönliches Handlungspotential ausschöpfen und soziale Kompetenzen anwenden, die sie in anderen Lebenszusammenhängen erlernt bzw. im alltäglichen Berufshandeln erworben haben. Die im beruflichen Alltag geforderten Handungspotentiale sind gerade nicht durch strukturierte oder zertifizierte Lehrgangsabschlüsse, Prüfungen oder Diplome nachzuweisen. Sie entstammen den subjektiv höchst unterschiedlichen, biogaphisch bedingten Erfahrungshintergründen der beruflich Handelnden.

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Das Verhältnis von sozialen Qualifikationen und sozialen Kompetenzen im beruflichen Alltag ist noch ungeklärt. Es ist sicher von Beruf zu Beruf verschieden zu bestimmen, aber auch von den speziellen Rahmenbedingungen des Arbeitseinsatzes innerhalb eines Berufes abhängig. So verweisen z.B. der für die Sozialberufe häufig festgestellte Praxisschock, von dem viele Berufsanfänger und -anfängerinnen betroffen sind, aber auch das Burn-Out Syndrom darauf, daß die beruflichen Anforderungen im Alltag nur sehr schwer allein mit den in der Ausbildung vermittelten Qualifikationen bewältigt werden können. Offenbar ermöglicht erst der Einsatz von Kompetenzen ein erfolgreiches berufliches Handeln, das auch individuell zufriedenstellend erlebt wird.

Die Unterscheidung zwischen Qualifikation und Kompetenz verweist darauf, daß die Aus- und Weiterbildungssysteme oft noch weit davon entfernt sind, eine wirkliche Berufsbefähigung zu vermitteln. Die Unterscheidung ermöglicht es aber auch wahrzunehmen, daß die Individuen in der Lage sein können, dennoch den Berufsalltag zu bewältigen bzw. auch zu verändern.

Die politische Brisanz der definitorischen Unterscheidung zwischen Qualifikation und Kompetenz liegt darin, daß real vorhandene und genutzte Handlungspotentiale beschreibbar werden und ihre Anerkennung sowie formale Aufnahme in den Qualifikationskatalog, einschließlich der entsprechend anerkannten beruflich qualifizierenden Ausbildungsschritte sowie der entsprechenden tariflichen Bewertung eingefordert werden können.

Wie ist nun soziale Kompetenz zu beschreiben? Soziale Kompetenz wird als Komplex von Fähigkeiten und Einstellungen bestimmt, die zum Umgang mit Menschen erforderlich sind (Hoets, 1993). Im folgenden werden einige Dimensionen vorgestellt, mit denen soziale Kompetenzen dekodiert, also begrifflich zur Sprache gebracht werden können:

Alltagssprachlich gibt es viele Beschreibungen von sozialer Kompetenz und dabei werden immer wieder folgende Begriffe benutzt: Kontakt aufnehmen können, Hilfe leisten können, zuhören können, konfliktfähig sein, Urteilsvermögen besitzen, Selbstbewußtsein haben, kooperieren können, kompromißbereit sein. Aus dem Bereich der Berufsforschung liegen empirische Untersuchungen vor, die zum Teil sehr heterogene Auflistungen einer Vielzahl von Fähigkeiten bringen, denen aber eine psychologische oder sozialpsychologische Dimensionierung fehlt. Geht man von einem handlungstheoretisch begründeten Ansatz aus, so läßt sich zunächst feststellen, daß der Einsatz sozialer Kompetenzen immer der Erreichung eines sozialen Handlungsziels dient. Dieser, noch formale Blick setzt sich zunächst von einer persönlichkeits-orientierten Blickweise ab, die bestimmte Fähigkeiten in ihrer Ausprägung am Individuum messen will.

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Zur ersten genaueren Erfassung von Fähigkeitsbündeln kann man von folgenden Dimensionen ausgehen:

  1. Kommunikations- und Kontaktfähigkeit
  2. Kooperationsfähigkeit
  3. Einfühlungsvermögen
  4. Fähigkeit zur Selbstreflexion
  5. Kritik- und Konfliktfähigkeit
  6. Kompromiß- und Durchsetzungsfähigkeit

Zur genaueren Erfassung sozialer Kompetenzen muß der Blick auch auf die Art und Weise des Umgangs mit den Gefühlen, den eigenen und denen der Interaktionspartner, gelenkt werden. Soziologische Analysen der Gefühls- oder Emotionsarbeit (Hochschild, 1990, Gerhards, 1988, Dunke, 1988) versuchen, die psychischen und interaktionsbezogenen Prozesse zu beschreiben, die das berufliche Handeln prägen. Gefühlsarbeit ist nicht in allen Berufen gleichermaßen erforderlich, allerdings scheint die Tendenz dahin zu gehen, daß sie in vielen Berufen immer stärker in den Vordergrund rückt. Die Gefühlsebene wird in diesen Analysen als vollwertige Handlungsdimension begriffen, der Umgang mit Emotionen als Arbeit definiert. Hochschild zeigt am Beispiel der Stewardessen, daß die Norm, sich natürlich zu verhalten, eine ständige Veränderung der eigenen Gefühle verlangt und damit als fachliche Anforderung gelten kann. Gefühlsarbeit bezeichnet das gezielte Einsetzen emotionaler Signale für ein definiertes Ziel. Typisch für dieser Perspektive ist, daß die Person zu ihren Gefühlen eine kritische Distanz einnimmt und bewußt mit ihnen umgeht, ja sie einzusetzen lernt. Je weniger Einfluß die beruflich Handelnden auf die Situationsdefinition haben, desto höhere Belastungen sind mit der Gefühlsarbeit verbunden. Die Belastungen können soweit gehen, daß die beruflich Handelnden auf physiologisch stützende Copingstrategien in Form der Einnahme von Psychopharmaka zurückgreifen. Psychopharmakaeinnahme gilt als Indikator für die andauernde Störung der emotionalen Identität. Das bedeutet, daß es in Berufssituationen dazu kommen kann, daß die beruflich Handelnden sich ständig verleugnen müssen, um ihre beruflichen Handlungen durchzuführen.

Ein entscheidendes Element sozialer Kompetenz kann aus der berufssoziologischen und berufspädagogischen Debatte abgeleitet werden. Hier wird darauf hingewiesen, daß soziale Kompetenzen im wesentlichen auch dazu gebraucht werden, um soziale Verantwortung übernehmen zu können und Veränderungen im Bereich beruflicher und betrieblicher Rahmenbedingungen gemeinsam mit anderen durchzusetzen (Lempert, 1994).

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5.2 Vergeschlechtlichung bei der Definition sozialer Kompetenz rückgängig machen

Es ist gezeigt worden, daß der Prozeß der Vergeschlechtlichung von Berufen und von Handlungsvermögen immer mit der Entwertung und Entmachtung der den Frauen zugeschriebenen Berufe und Kompetenzen verbunden ist. Solange die Zuordnung von Berufen und Kompetenzen noch in der als vermeintlich naturgegebenen Kategorie Geschlecht begründet wird, bleiben variable Zuordnungen ausgeschlossen. Die Verknüpfung von Geschlecht und Kompetenz, Geschlecht und Qualifikation, Geschlecht und Beruf muß deshalb auf zwei Ebenen analytisch und konkret aufgehoben werden:

  1. auf der Ebene des beruflichen Selbstverständisses, also in der Selbstinterpretation der beruflich Handelnden;

  2. auf der Ebene von Professionalisierungsprozessen, also bei der Bildung und Veränderung von Berufsstrukturen.


    Zu 1:

    Auch im Bewußtsein der beruflich Handelnden spiegelt sich die gesellschaftliche Verdrängung und Abwertung sozialer Kompetenzen, ihre Nicht-Anerkennung als Qualifikation in den Berufsbildern, Tarifverträgen und Laufbahnverordnungen wider. Studien über den Berufsalltag von Krankenschwestern machen deutlich, daß viele Krankenschwestern das Stereotyp des Berufes, das mit dem Weiblichkeitsstereotyp eng verknüpft ist, als Orientierung für ihr eigenes berufliches Handeln übernommen haben (Stahr u.a.1991, Baus u.a.1992). Sie leiden unter der Nicht-Realisierbarkeit ihrer Motivation zu helfen, sie leiden unter den Bedingungen, die es ihnen nicht ermöglichen, ihre Arbeitsphilosophie umzusetzen. Die reale Situation im Berufsalltag auf der Station macht aber die Realisierung der stereotypen Vorstellungen fast unmöglich: Nur unter hohem Einsatz von Energie und Motivation, geschickter Anwendung von speziellen Strategien und bei Überwindung von Widerständen können sie ihre Vorstellungen auch nur ansatzweise umsetzen: So ist z.B. das helfende und geduldig geführte Gespräch mit dem Kranken, das im Stereotyp als zentrale Pflegehandlung gilt, und im Weiblichkeitsstereotyp zu den besonderen Befähigungen der Frauen gehört, im realen Stationsalltag kaum möglich. Durch Prioritätensetzungen des medizinischen Betriebes wird es darüberhinaus abgewertet, indem es immer nur dann zugelassen wird, wenn alle anderen, für wichtiger gehaltenen Pflegehandlungen erfüllt sind. Darüberhinaus sind es oft die Aufgaben, die als Zuarbeit zu den ärztlichen Aktionen auftreten, die für die Pflegenden zu hohen konflikthaften Situationen führen, da sie die Pflege im Sinne von patientenorientierter Unterstützung oft verunmöglichen oder erschweren. Das heißt, daß die Ste-

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    reotype, weder die Geschlechter- noch die Berufsstereotype, der beruflichen Realität entsprechen. Mit ihrer normbildenden Kraft verschärfen sie vielmehr die Konflikte der Berufstätigen noch zusätzlich. Die widerständige Realität gerät den Berufstätigen zum doppelten Verdruß: sie können weder den übernommenen Normen des Berufsstereotyps (eine Krankenschwester hilft dem Patienten), noch denen des Weiblichkeitsstereotyps (eine Frau wendet sich den Schwächeren zu ) aufgrund der realen Bedingungen entsprechen. Auch das verbreitete Burn-Out-Syndrom kann als Reaktion auf die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit gedeutet werden. Oft interpretieren die beruflich Handelnden ihre fatale Situation als persönliches Versagen, als individuelles Problem, als eigene Schuld, aus der sie dann auch die individuellen Konsequenzen ziehen: sie geben den Beruf auf, entweder um sich der vermeintlich einfacheren Arbeit in der Familie zu widmen oder aber, um sich eine andere, weniger belastende Berufsarbeit zu suchen. Eine Veränderung des beruflichen Selbstverständnisses bedeutet die Aufhebung der Vergeschlechtlichung und die Abkehr von dem Berufsrollenbild, nach dem die in den Pflegeberufen geforderte Geduld, Empathie und Selbstverleugnung als weibliche Kompetenz bezeichnet werden. Gleichzeitig bedeutet es die Hinwendung zu professioneller Autonomie, zur Profilierung von Fachwissen und Anerkennung der Lohnabhängigkeit der Profession (Dines u.a.,1989).

    Diese Veränderung des beruflichen Selbstverständnisses ist ein komplizierter Prozeß : die beruflich Handelnden müssen einerseits selbstbewußt auf die bisher unbenannten, unbeachteten und für selbstverständlich gehaltenen sozialen Kompetenzen verweisen, sie aus dem Schatten der Verdrängung herausholen und als unverzichtbaren Bestandteil des Arbeitsprozesses definieren. In den Pflegeberufen muß dazu eine realistische und geschlechtsneutrale Definition von Qualifikationen, insbesondere für die Realisierung der Pflege nach dem Pflegeprozeßmodell, erarbeitet und ihre Anerkennung durchgesetzt werden (Bischoff, 1992). Die früher als hausarbeitsnah deklarierten Kompetenzen wie Empathie und Ganzheitlichkeit gewinnen dabei eine veränderte Qualität: ihre Trainierbarkeit und ihre von den Arbeitsbedingungen abhängige Einsetzbarkeit müssen in den Mittelpunkt der Betrachtungen gerückt werden. Empathie wird dabei nicht mehr als natürliche Begabung der Frauen angesehen, sondern als ein Element der Gefühlsarbeit, die mit speziellen Methoden erlernt werden kann. Das Geschlecht der beruflich Handelnden spielt in diesem Prozeß keine entscheidende Rolle: selbst wenn es zutrifft, daß Frauen eher dazu bereit sind, Berufe zu ergreifen, in denen Gefühlsarbeit zu leisten ist, darf daraus nicht der Schluß gezogen werden, daß es an dem den Frauen zugeschrieben geschlechtsspezifischen Arbeitsvermögen läge. Dieser Schluß ist eine vorschnelle Naturalisierung und reproduziert die geschlechtsspezifischen, gesellschaftlichen Zuweisungsprozesse von Arbeit. Demgegenüber zeigt die Realität, daß auch Männer Liebe, Wärme, Geduld und Zärtlichkeit, soziale Kompetenzen einsetzen können, auch wenn es für sie schwieriger sein mag, weil es eine bewußte Distanz vom männlichen Geschlechtsste-

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    reotyp voraussetzt. Die Analysen über die Gefühlsarbeit verweisen jedoch auf individuelle Mechanismen und Lernprozesse, die nicht geschlechtsspezifisch geprägt sind. Die als weiblich bezeichneten Fähigkeiten dürfen nicht als weibliches Arbeitsvermögen konserviert werden, sondern ihre Sichtbarmachung muß der Professionalisierung dienen, die geschlechtsspezifischen Bezüge müssen aufgehoben und im Sinne allgemein menschlicher Qualifikationen beschrieben werden. Dabei muß die naive Bindung von Orientierungen zum Wohl des Mitmenschen an das Geschlecht zunächst gelöst werden, gleichzeitig aber die Bedeutung dieser Orientierung für die Berufsarbeit nicht etwa geleugnet werden. Vielmehr muß es Bestandteil eines entsprechenden beruflichen Selbstverständnis bleiben. Konkret heißt das, daß Krankenschwestern auf die verborgenen und nicht anerkannten Anforderungsstrukturen ihrer Arbeit, die sie tun wollen und die sie für richtig und angemessen halten, verweisen. Dabei müssen sie die Pflege als autonomen Arbeitsbereich gegenüber der Medizin profilieren. Aus der berechtigten Kritik an der Verabsolutierung der Apparatemedizin, an der mangelhaften Orientierung der Institutionen an den Ressourcen von Patienten und Klienten gewinnen sie die Perspektive für eine patientennahe Pflege (Holthaus u.a.1992). Diese Kritik speist sich allerdings nicht aus dem Widerspruch zwischen einem vermeintlich weiblichen Arbeitsvermögen und den Rahmenbedingungen der beruflichen Arbeit, sondern vielmehr aus der rationalen Analyse von Heilungsprozessen. Das Pflegekonzept im ganzheitlichen patientennahen und humanitären Sinne findet seine Begründung in dem Gegenstand beruflichen Handelns, wird aus der Interpretation des Genesungsprozesses und nicht aus der vermeintlichen Eignung der Frauen, die einen Pflegeberuf ausüben, entwickelt.


    Zu 2:

    In den Sozialberufen gibt es in den letzten Jahren eine starke Bewegung, Professionalisierungsprozesse voranzutreiben. Der sogenannte Kita-Streik, ein Streik der Erzieherinnen in Berliner Kindertagestätten, die machtvollen Demonstrationen, in denen der Pflegenotstand öffentlich gemacht wurde und viele gewerkschaftliche Aktionen, in denen Frauen über die engen Berufsgrenzen hinweg die Diskriminierungsstrukturen ihrer Berufe thematisiert haben, sind Belege dafür, daß sich nicht nur das berufliche Selbstverständnis von Frauen wandelt, sondern daß sie auch nach diesem Selbstverständnis ihre beruflichen Strukturen verändern wollen. Sie tragen ihre Forderungen zur Aufwertung, Höherbewertung und insbesondere zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen öffentlich vor (Winter 1994). Auch in anderen europäischen Ländern gibt es Aktionen und Streiks von Frauen in den Sozialberufen und wie Bode (1993) für die französischen Krankenschwestern nachzeichnet, wehren sich die Frauen, die ein neues Selbstverständnis von sich und ihrer Arbeit gewonnen haben, immer auch gegen althergebrachte Stereotype, geschlechtsspezifische Zuweisungen und Diskriminierungen ihrer Arbeit. Wenn Frauen laut sagen, daß ihre Geduld am Ende ist, so demonstrieren sie damit ihre Entschlossenheit, den ihnen zugewiesenen Berufssystemen eine ent-

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    cheidende Stütze zu entziehen: ihre Geduld, jedwede Arbeitsbedingungen zu ertragen und auch ihre Geduld, soweit sie als Wesensmerkmal unentgeltlich ausgenutzt wird (Rabe-Kleberg, 1993). Eingefordert wird der Prozeß der Strukturangleichung der sogenannten Frauenberufe an die für andere, sogenannte Männerberufe normalen Bedingungen und zwar hinsichtlich der Bezahlung, des Verhältnisses von Ausbildung und Prestige, im Hinblick auf die Möglichkeiten der lebenslangen Ausübung des Berufes und im Hinblick auf die Verwissenschaftlichung des Erwerbs und der beruflichen Kenntnisse selbst.

    Die Struktur der sogenannten Frauenberufe und damit auch die Unterbewertung sozialer Kompetenzen besitzt allerdings eine in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzende Funktion für die geschlechtshiearchische Arbeitsteilung, die den Frauen in ihren Kämpfen um die Aufwertung der sozialen Kompetenz entgegenschlägt: wenn Frauen die Arbeitsbedingungen für eine lebenslange Ausführbarkeit ihrer Berufe einfordern, verbindet sich damit gleichzeitig die Forderung nach einer lebenslangen Erwerbsperspektive für Frauen. Diese lebenslange Erwerbsarbeit kann jedoch nicht nach dem Muster der männlichen Erwerbsbiographie gestaltet werden. Die Veränderung der Berufsstrukturen in den sogenannten Frauenberufen kann nur gelingen, wenn sich gleichzeitig auch in den Berufsstrukturen der sogenannten Männerberufe und Positionen etwas entsprechendes verändert. Die Strukturen sind nämlich eng mit der bestehenden Organisation und der Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit zwischen den Geschlechtern verwoben. Je mehr Arbeit in den privaten Raum geschoben wird, je tiefer polare Geschlechterbilder verbreitet werden, desto schwieriger ist es, die Berufsstrukturen der sogenannten Frauenberufe zu verändern. Aber auch das Umgekehrte gilt: je weniger unbezahlte private Arbeit in Erziehung und Pflege zu leisten ist, je mehr sich Geschlechterpolaritäten auflösen bzw. die Frage nach dem Geschlecht an Bedeutung für die Berufsstrukturen verliert, desto leichter werden sich auch die Berufstrukturen verändern lassen. Ebenso stellt die Aufwertung der sozialen Kompetenzen und ihre Anerkennung als Qualifikationen das herrschende Bewertungssystem von Fähigkeiten infrage: wenn technische und soziale Kenntnisse und Fähigkeiten in Berufssystemen gleichwertig behandelt werden, so relativiert sich die herausragende Position der bislang als männlich bezeichneten Qualifikationen. Bewertungssysteme dürfen aber nicht weiterhin auf Geschlechterstereotypen Bezug nehmen sondern müssen in dem je realen Arbeitsprozeß verankert werden, damit die Aufwertung der den Frauen zugeschriebenen sozialen Kompetenzen gelingen kann.


    © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999

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