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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausgabe: 18 / Fortsetzung] 5. Aufwertungsstrategien Das Konzept des weiblichen Arbeitsvermögens leistet den Frauen, die sich für eine angemessenere und gerechtere Bewertung ihrer Erwerbsarbeit in sozialen Dienstleistungsberufen einsetzen, einen Bärendienst: weil das Konzept auf der symbolischen Geschlechterordnung basiert und diese in ihrer Annahme der Polarität der Geschlechter, der Zweigeschlechtlichkeit und der Geschlechterhierarchie nicht kritisiert, ist es auch praktisch nicht brauchbar, um Bewertungsstrukturen zum Durchbruch zu verhelfen, die Frauen weniger diskriminieren. Im folgenden wird der Versuch gemacht, eine alternative Strategie der Aufwertung speziell der sozialen Kompetenz in Dienstleistungsberufen zu entfalten [Anm.: Die folgenden Überlegungen entstanden in einem zur Zeit laufenden Forschungsprojekt zur Erfassung sozialer Kompetenz im beruflichen Alltagshandeln. Sie beziehen sich auf Arbeitspapiere zu diesem Projekt, die von S. Damm-Rüger, G. Notz und B. Stiegler verfaßt worden sind.]
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5.1 Die Dekodierung oder Zursprachebringung sozialer Kompetenzen
Gewerkschaftlich organisierte Frauen haben schon seit langem erkannt, daß sie die Fähigkeiten, die sie in den sozialen Berufen einsetzen, überhaupt erst einmal sichtbar machen müssen. In ihrer Kampagne zur Aufwertung der Frauenberufe im öffentlichen Dienst haben sie zunächst einmal genaue Tätigkeitsbeschreibungen verfaßt, die die alltäglichen Anforderungen in diesen typischen Frauenberufen aufzeigen (Dürk,1994). Die Vielfalt der Anforderungen und das hohe Anforderungsniveau in diesen Berufen wurde durch die Beschreibung der Frauen deutlich und öffentlich gemacht. Beides steht in krassem Widerspruch zu der tariflichen Nivellierung und bildungspolitischen Vernachlässigung, die diese Berufe treffen. Die meisten der Fähigkeiten, die die Frauen bei der von ihnen detailliert beschriebenen Berufsarbeit einsetzen, werden zwar als Kompetenzen geschätzt, aber nicht als Qualifikationen anerkannt oder bezahlt. In den Dienstleistungsberufen trifft dieses die sozialen Kompetenzen in besonderem Maße. Das Charakteristische für den Einsatz sozialer Kompetenz in Dienstleistungsberufen ist, daß ihr Einsatz im Verborgenen erfolgt, soziale Kompetenzen sind bisher unsichtbar und unbenannt. Weder Tarifverträge noch Berufsbilder in Dienstleistungsbereichen enthalten präzise Definitionen oder Beschreibungen dessen, was die in den sozialen Dienstleistungsberufen Arbeitenden tagtäglich tun müssen, damit sie ihre Berufsaufgabe unter den je gegebenen Bedingungen erfüllen können. Die Professionalisierung, also die Abgrenzung von anderen Fachbereichen, die Definition von Zugangsvoraussetzungen für die Aufnahme des Berufes oder die Entwicklung von Weiterbildungsperspektiven erfolgt gerade nicht unter Berücksichtigung der sozialen Kompetenzen. Ihr Stellenwert im Rahmen der fachlichen Berufsinhalte wird noch nicht einmal zu bestimmen versucht. Die sozialen Kompetenzen gelten immer noch als im Prozeß der Sozialisation oder durch Haus- und Familienarbeit erworben, werden als Bestandteil des sogenannten weiblichen Arbeitsvermögens angesehen und brauchen deswegen nicht durch gezielte, strukturierte Lernprozesse hervorgebracht, gestützt oder weiter entwickelt zu werden. Ein erster Schritt zur Aufwertung der sozialen Kompetenz in Dienstleistungsberufen wäre es demnach, die Formen, Arten und Varianten sowie das Ausmaß der Anforderungen an soziale Kompetenz in den verschiedenen Berufen zu analysieren, sie damit aus dem Verborgenen herauszuholen und auch in das Bewußtsein der beruflich Handelnden zu bringen. Dazu soll zunächst die begriffliche Differenz von Kompetenz und Qualifikation aufgezeigt und nutzbar gemacht werden, bevor ein Raster zur Erfassung sozialer Kompetenz vorgestellt wird. Begriffe haben ihre jeweiligen Bezugssysteme, in denen sie positioniert sind und ihre Bedeutung gewinnen. Begriffe wie Qualifikation, Fähigkeiten, Eignung, Kompetenz [Seite der Druckausgabe: 20] gehören zum Kontext der schulischen, beruflichen und politischen Bildung und bezeichnen die auf das Subjekt bezogenen Handlungspotentiale, sich mit schulischen, beruflichen und politischen Anforderungen auseinanderzusetzten. In der wissenschaftlichen Diskussion zur Qualifizierungs- und Berufsbildungsforschung wird zwischen Qualifikation und Kompetenz unterschieden, und diese Differenz ist zur Bestimmung sozialer Kompetenz bedeutsam (Bunk u.a.1991). Qualifikation ist demnach das subjektive Handlungspotential, das als Ergebnis formalisierter und strukturierter Lernprozesse entsteht. Das bedeutet, daß die Qualifikation eines Individuums aus der Bildungs- und Lerngeschichte hergeleitet werden kann, dadurch beschreibbar und teilweise auch attestiert ist. Qualifikationen sind sowohl durch politische Regelungen, etwa durch die Gestaltung von Bildungsgängen, durch Professionalisierungsstrategien, aber auch durch die individuellen Chancen, die Bildungssysteme in entsprechender Weise zu nutzen, bestimmt. Demgegenüber wird Kompetenz als das subjektive Potential bezeichnet, das in allen nicht direkt bildungsbezogenen, organisierten Lernprozessen, also im Laufe der Sozialisation im weiteren Sinne, erworben wird. Damit bezeichnen beide Begriffe jeweils verschiedene Aspekte des subjektiven Handlungspotentials, die sich ergänzen, nicht jedoch gegeneinander aufhebbar sind. Die Notwendigkeit dieser vielleicht künstlich erscheinenden Differenzierung wird sofort deutlich, wenn man sie zur Analyse von beruflichen Situationen benutzt: Der Arbeitsalltag einer Erzieherin, einer Krankenschwester oder einer Altenpflegerin stellt hohe Anforderungen an das soziale Handlungspotential. Die Vermittlung der beruflichen Qualifikationen erfolgt in Ausbildung, in Praktika und in Kursen. Ob im Ausbildungssystem soziale Qualifikationen in ausreichendem Umfang vermittelt werden, muß bezweifelt werden. Die gesellschaftliche Bewertung dieser in formalen Bildungsprozessen erworbenen Qualifikationen schlägt sich in der Tarifierung der Berufsarbeit nieder. Die Eingruppierungen für Angestellte in den Sozialberufen zeigt deutlich, welch geringen Stellenwert die sozialen Qualifikationen überhaupt einnehmen. Zur materiellen Bewertung dieser Berufsarbeit werden ganz andere Dimensionen herangezogen, wie etwa die Durchschnittsbelegung in einer Einrichtung oder die Anzahl der unterstellten Fachkräfte. So finden selbst die in Bildungsgängen vermittelten sozialen Qualifikationen bereits in den Bewertungssystemen der Berufsarbeit kaum noch Beachtung. Analysen des konkreten Berufsalltags von Erzieherinnen, Krankenschwestern oder Altenpflegerinnen zeigen aber, daß sie nicht nur die in der formalen Aus- oder Weiterbildung erworbenen Qualifikationen anwenden, daß sie vielmehr ihr persönliches Handlungspotential ausschöpfen und soziale Kompetenzen anwenden, die sie in anderen Lebenszusammenhängen erlernt bzw. im alltäglichen Berufshandeln erworben haben. Die im beruflichen Alltag geforderten Handungspotentiale sind gerade nicht durch strukturierte oder zertifizierte Lehrgangsabschlüsse, Prüfungen oder Diplome nachzuweisen. Sie entstammen den subjektiv höchst unterschiedlichen, biogaphisch bedingten Erfahrungshintergründen der beruflich Handelnden. [Seite der Druckausgabe: 21] Das Verhältnis von sozialen Qualifikationen und sozialen Kompetenzen im beruflichen Alltag ist noch ungeklärt. Es ist sicher von Beruf zu Beruf verschieden zu bestimmen, aber auch von den speziellen Rahmenbedingungen des Arbeitseinsatzes innerhalb eines Berufes abhängig. So verweisen z.B. der für die Sozialberufe häufig festgestellte Praxisschock, von dem viele Berufsanfänger und -anfängerinnen betroffen sind, aber auch das Burn-Out Syndrom darauf, daß die beruflichen Anforderungen im Alltag nur sehr schwer allein mit den in der Ausbildung vermittelten Qualifikationen bewältigt werden können. Offenbar ermöglicht erst der Einsatz von Kompetenzen ein erfolgreiches berufliches Handeln, das auch individuell zufriedenstellend erlebt wird. Die Unterscheidung zwischen Qualifikation und Kompetenz verweist darauf, daß die Aus- und Weiterbildungssysteme oft noch weit davon entfernt sind, eine wirkliche Berufsbefähigung zu vermitteln. Die Unterscheidung ermöglicht es aber auch wahrzunehmen, daß die Individuen in der Lage sein können, dennoch den Berufsalltag zu bewältigen bzw. auch zu verändern. Die politische Brisanz der definitorischen Unterscheidung zwischen Qualifikation und Kompetenz liegt darin, daß real vorhandene und genutzte Handlungspotentiale beschreibbar werden und ihre Anerkennung sowie formale Aufnahme in den Qualifikationskatalog, einschließlich der entsprechend anerkannten beruflich qualifizierenden Ausbildungsschritte sowie der entsprechenden tariflichen Bewertung eingefordert werden können. Wie ist nun soziale Kompetenz zu beschreiben? Soziale Kompetenz wird als Komplex von Fähigkeiten und Einstellungen bestimmt, die zum Umgang mit Menschen erforderlich sind (Hoets, 1993). Im folgenden werden einige Dimensionen vorgestellt, mit denen soziale Kompetenzen dekodiert, also begrifflich zur Sprache gebracht werden können: Alltagssprachlich gibt es viele Beschreibungen von sozialer Kompetenz und dabei werden immer wieder folgende Begriffe benutzt: Kontakt aufnehmen können, Hilfe leisten können, zuhören können, konfliktfähig sein, Urteilsvermögen besitzen, Selbstbewußtsein haben, kooperieren können, kompromißbereit sein. Aus dem Bereich der Berufsforschung liegen empirische Untersuchungen vor, die zum Teil sehr heterogene Auflistungen einer Vielzahl von Fähigkeiten bringen, denen aber eine psychologische oder sozialpsychologische Dimensionierung fehlt. Geht man von einem handlungstheoretisch begründeten Ansatz aus, so läßt sich zunächst feststellen, daß der Einsatz sozialer Kompetenzen immer der Erreichung eines sozialen Handlungsziels dient. Dieser, noch formale Blick setzt sich zunächst von einer persönlichkeits-orientierten Blickweise ab, die bestimmte Fähigkeiten in ihrer Ausprägung am Individuum messen will. [Seite der Druckausgabe: 22] Zur ersten genaueren Erfassung von Fähigkeitsbündeln kann man von folgenden Dimensionen ausgehen:
Zur genaueren Erfassung sozialer Kompetenzen muß der Blick auch auf die Art und Weise des Umgangs mit den Gefühlen, den eigenen und denen der Interaktionspartner, gelenkt werden. Soziologische Analysen der Gefühls- oder Emotionsarbeit (Hochschild, 1990, Gerhards, 1988, Dunke, 1988) versuchen, die psychischen und interaktionsbezogenen Prozesse zu beschreiben, die das berufliche Handeln prägen. Gefühlsarbeit ist nicht in allen Berufen gleichermaßen erforderlich, allerdings scheint die Tendenz dahin zu gehen, daß sie in vielen Berufen immer stärker in den Vordergrund rückt. Die Gefühlsebene wird in diesen Analysen als vollwertige Handlungsdimension begriffen, der Umgang mit Emotionen als Arbeit definiert. Hochschild zeigt am Beispiel der Stewardessen, daß die Norm, sich natürlich zu verhalten, eine ständige Veränderung der eigenen Gefühle verlangt und damit als fachliche Anforderung gelten kann. Gefühlsarbeit bezeichnet das gezielte Einsetzen emotionaler Signale für ein definiertes Ziel. Typisch für dieser Perspektive ist, daß die Person zu ihren Gefühlen eine kritische Distanz einnimmt und bewußt mit ihnen umgeht, ja sie einzusetzen lernt. Je weniger Einfluß die beruflich Handelnden auf die Situationsdefinition haben, desto höhere Belastungen sind mit der Gefühlsarbeit verbunden. Die Belastungen können soweit gehen, daß die beruflich Handelnden auf physiologisch stützende Copingstrategien in Form der Einnahme von Psychopharmaka zurückgreifen. Psychopharmakaeinnahme gilt als Indikator für die andauernde Störung der emotionalen Identität. Das bedeutet, daß es in Berufssituationen dazu kommen kann, daß die beruflich Handelnden sich ständig verleugnen müssen, um ihre beruflichen Handlungen durchzuführen. Ein entscheidendes Element sozialer Kompetenz kann aus der berufssoziologischen und berufspädagogischen Debatte abgeleitet werden. Hier wird darauf hingewiesen, daß soziale Kompetenzen im wesentlichen auch dazu gebraucht werden, um soziale Verantwortung übernehmen zu können und Veränderungen im Bereich beruflicher und betrieblicher Rahmenbedingungen gemeinsam mit anderen durchzusetzen (Lempert, 1994).
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5.2 Vergeschlechtlichung bei der Definition sozialer Kompetenz rückgängig machen
Es ist gezeigt worden, daß der Prozeß der Vergeschlechtlichung von Berufen und von Handlungsvermögen immer mit der Entwertung und Entmachtung der den Frauen zugeschriebenen Berufe und Kompetenzen verbunden ist. Solange die Zuordnung von Berufen und Kompetenzen noch in der als vermeintlich naturgegebenen Kategorie Geschlecht begründet wird, bleiben variable Zuordnungen ausgeschlossen. Die Verknüpfung von Geschlecht und Kompetenz, Geschlecht und Qualifikation, Geschlecht und Beruf muß deshalb auf zwei Ebenen analytisch und konkret aufgehoben werden:
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