FES | ||
|
|
TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausgabe: 4 / Fortsetzung] 2. Das Geschlecht und die Zweigeschlechtlichkeit als soziale und kulturelle Konstruktion In den vielfältigen Bemühungen der Frauen in den Sozialberufen zur Aufwertung der dort von ihnen eingesetzten sozialen Kompetenzen spielt die Frage nach der Geschlechtsspezifik dieser Kompetenzen eine erhebliche Rolle. Oftmals werden die sozialen Kompetenzen als spezifisch weibliche von anderen, spezifisch männlichen abgegrenzt und der Versuch unternommen, ihnen gerade als weibliche Kompetenzen mehr Anerkennung zukommen zu lassen. Demgegenüber wird aber auch eine andere Position vetreten, nach der soziale Kompetenzen als allgemein menschliche Fähigkeiten gesehen werden, die gerade durch ihre Zuweisung zum weiblichen Geschlecht ihre Abwertung erfahren. Beide Positionen können sich auf theoretische Ansätze der Frauenforschung berufen. Die soll im folgenden dargestellt werden. Wenn man die Gründe für die Abwertung des Weiblichen gegenüber dem Männlichen untersucht, muß das Geschlechterverhältnis, nicht das Geschlecht an sich, betrachtet werden. Dieses Geschlechterverhältnis wird in neueren (post-) feministischen Theorien, die sich an dem Dekonstruktionsansatz orientieren, als eine soziale und kulturelle Konstruktion, angesehen. Durch die Subjekte und die gesellschaftlichen Institutionen [Seite der Druckausgabe: 5] und Regelsysteme, in denen sie leben, wird das herrschende Geschlechterverhältnis immer wieder neu hergestellt ( vgl. Butler, 1991; Wetterer, 1992; Hagemann-White, 1993). Eine solche Sichtweise widerspricht den lange Zeit in der feministischen Theoriedebatte dominierenden Differenztheorien grundsätzlich. In den Differenztheorien bildet die Frage nach der Differenz zwischen den Geschlechtern den Ausgangspunkt theoretischer und empirischer Arbeiten. Alle differenztheoretischen Ansätze basieren auf der Annahme, daß es zwei und nur zwei Geschlechter gibt. Ihre Fragestellung richtet sich darauf, in welcher Art und Weise das Geschlecht des Individuums seine Auseinandersetzung mit seiner sozialen und dinglichen Umwelt bedingt. Differenztheoretische Ansätze können verschiedene frauenpolitische Zielsetzungen unterstützen: Die Differenz zwischen den Geschlechtern kann in einer egalitären Perspektive aufgelöst werden: sie gilt dann als Folge und Ausdruck weiblicher Benachteiligung, die politisch im Sinne einer Geschlechtergleichheit aufzuheben ist. Im Rahmen einer dualistischen Perspektive gilt es, die Andersartigkeit der Frauen aufzuwerten, der universalen Weiblichkeit Raum zu schaffen und ihr neben der Männlichkeit Geltung und machtvolle Bedeutung zukommen zu lassen. Demgegenüber stellen Theorieansätze, die sich dem Dekonstruktivismus zuordnen lassen, den Prozeß der Vergeschlechtlichung in den Mittelpunkt. In dieser Perspektive ist die Geschlechtlichkeit selbst eine Dimension, die das Subjekt sich aneignen, mit dessen polarer Ordnung es sich auseinandersetzen muß, die es für sich definieren und konstruieren muß. Die Unterscheidung zwischen der symbolischen Geschlechterordnung und der Geschlechtsidentität der einzelnen Person ist dabei ganz entscheidend: die symbolische Geschlechterordnung findet sich in den rechtlichen, kulturellen und sozialen Werteordnungen, in Bildern und gesellschaftlichen Mythen, ihre Strukturen sind beschreibbar, kulturell bedingt und historisch veränderbar. Die Beziehung zwischen dieser symbolischen Geschlechterordnung und dem Subjekt wird zum Gegenstand kritischer Forschungen gemacht, und es wird angenommen, daß Geschlechtsidentität durch die symbolische Geschlechterordnung zwar beeinflußt, aber nicht vollständig determiniert wird. Diese theoretische Wende des Blickes auf die kulturellen Prozesse der Ordnung des Geschlechterverhältnisses und die dazu in einem Spannungsverhältnis stehende Geschlechtsidentität führt unter anderem zu Untersuchungen, die nach den Inhalten der symbolischen Geschlechterordnung interkulturell und historisch fragen. Sie kommen zu dem Ergebnis, daß Merkmale, die in der einen Kultur oder zu früheren Zeiten als weiblich bezeichnet wurden, in der anderen Kultur oder in anderen Zeiten als männlich bezeichnet werden, daß also die konkrete Bedeutung des Männlichen und des Weiblichen nicht generell und immer gleich ist. Gerade historische Studien zeigen, daß nicht der Inhalt, sondern die Struktur der polaren und hierarchischen Geschlechterordnung als durchgängig zu bezeichnen sind. Was jeweils gerade als weiblich bezeichnet wird, gilt [Seite der Druckausgabe: 6] immer als sekundär, nachrangig, unterworfenes oder wenigstens als vom Männlichen Abhängiges, während das jeweils als männlich Bezeichnete immer als primär, dominant und unabhängig gilt. Diese Struktur wird überall und immer neu sowohl in Interaktionen als auch in Mechanismen und Regelwerken, in Institutionalisierungsprozessen z.B. in Kultur und Wissenschaft, wiederhergestellt. Wenn der Prozeß der Genese von Geschlechtlichkeit im Mittelpunkt der Betrachtung steht, bedeutet das auch eine kritische Auseinandersetzung mit der symbolischen Geschlechterordnung selbst: Die symbolische Geschlechterordnung läßt sich durch folgende Merkmale charakterisieren:
[Seite der Druckausgabe: 7]
Sozialisationsprozesse werden unter dieser Perspektive neu gedeutet. Individuen müssen danach lernen, sich im symbolischen System der Zweigeschlechtlichkeit zu bewegen, und sie werden zu Mann oder Frau nicht etwa, weil sie von Natur aus zu dem einen oder anderen Geschlecht gehören sondern weil sie sich die kulturelle Zweigeschlechtlichkeit aneignen müssen. Sie müssen in Konfrontation mit den geschlechtsspezifisch wirkenden Ausgrenzungs- und Eingrenzungsmechanismen gesellschaftlicher Institutionen und [Seite der Druckausgabe: 8] Regelsysteme handlungsfähig werden und bleiben. Die Identitätsentwicklung erfolgt danach in Auseinandersetzung mit der symbolischen Geschlechterordnung. Eine völlige Angleichung an die in der symbolischen Geschlechterordnung verankerten Weiblichkeitsmerkmale bzw. Männlichkeitsmerkmale ist dabei nur eine unter vielen möglichen Varianten, die als Ergebnis von Sozialisationsprozessen auftreten können. Durch empirische Studien, besonders zum Sozialverhalten, aber auch zur Erfassung bestimmter Persönlichkeitsmerkmale ist belegt, daß die Differenz innerhalb der Geschlechter vielfach weitaus häufiger und gravierender ist als die zwischen den beiden Geschlechtern (Gildemeister, 1988). Das Geschlecht wird also nicht als die Grundlage der Sozialisationsprozesse bezeichnet, sondern als deren Gegenstand. Die Unterscheidung von "sex" als biologischem Geschlecht und "gender" als sozialem Geschlecht wird überflüssig, die Zweigeschlechtlichkeit wird als kulturelle Konstruktion gefaßt. Mit dem Begriff des "Gender doing" wird der Prozeß bezeichnet, der das eigene und das jeweils andere Geschlecht hervorbringt, der die Geschlechterbeziehung thematisiert und realisiert. Gender doing bedeutet, daß die symbolische Geschlechterordnung die Interaktionen zwischen den Individuen berührt, beeinflußt, aber gerade nicht völlig determiniert. Es geht darum, die Herstellungsbedingungen und die Wirkungen der symbolischen Geschlechterordnung näher zu definieren und den Blick auf die Veränderungsprozesse, die Brüche und Wandlungen dieser Ordnung zu lenken. Eine solche Sichtweise überwindet manche Einseitigkeiten in der feministischen Theoriediskussion (vgl. Landweer, 1993).
[Seite der Druckausgabe: 9]
unumkehrbaren Weichen für die Geschlechtsidentität stellen. Die soziale Kategorie Geschlecht wird dabei gerade nicht als eine Instanz in der Psyche verankert. |