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Michael Krummacher: Drehbücher für multiethnische Stadtgesellschaften: Horror- oder Abenteuerfilme?

In meinem Beitrag versuche ich zu skizzieren: 1. die Ausgangssituation der Stadtteile mit hohem Migrantenanteil, 2. den Handlungsrahmen des Umgangs mit multiethnischen Stadtteilen sowie 3. und 4. Drehbücher für die Perspektiven „Horrorfilm" versus „Abenteuerfilm". Erkenntnisleitend sind die Fragen nach den Risiken einer Nicht-Berücksichtigung der Realitäten in multiethnischen Stadtteilen sowie nach den Ressourcen für eine sozialverträgliche interkulturelle Stadtteilentwicklung?

Hintergrund der notwendig verkürzten Aussagen bilden meine Tätigkeit als Politikdozent für soziale Berufe, gemeinsame interdisziplinäre Forschungen mit Viktoria Waltz (Raumplanerin) zum Thema „Einwanderer in der Kommune" (Krummacher/Waltz 1996) sowie mehrere Projekte, darunter aktuell eine vom Sozialministerium Nordrhein-Westfalen geförderte Begleitforschung zum Thema „Erarbeitung eines Konzeptes für die interkulturelle Arbeit in der Stadt Essen".

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1. Das Problem: „Ausländerstadtteile" sind benachteiligte Stadtteile

Die Ausgangssituation der Zu- und Einwanderung in die Bundesrepublik ist bekannt und läßt sich so zusammenfassen (Daten und Fakten vgl. Ausländerbeauftragte BuReg 1997): Die Bundesrepublik Deutschland ist de facto seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland. Gleichwohl weigert sich die gegenwärtige Bundesregierung bekanntlich hartnäckig, diesen Tatbestand anzuerkennen und gestaltend damit umzugehen.

Migration ist ein westdeutsches Großstadtphänomen. Über neun Zehntel der 7,3 Millionen registrierten „Ausländer" leben in Westdeutschland, acht Zehntel von ihnen leben in westdeutschen Großstädten. Im Durchschnitt der westdeutschen Großstädte liegt der „Ausländeranteil" derzeit bei 15% der Gesamtbevölkerung, in vielen Städten liegt er weit darüber.

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Der Status und die Lebenslagen der Großstadtbewohner ohne deutschen Paß lassen sich nicht einheitlich beschreiben. Vereinfachend gilt, sie teilen sich auf:

nach der Herkunft und dem Aufenthaltsstatus: in eine Mehrheit der Migranten aus ehemaligen Anwerbeländern, in wachsende Minderheiten der Aussiedler aus Osteuropa und abnehmende Minderheiten der Flüchtlinge unterschiedlicher Kategorien;

nach der Aufenthaltsdauer: in eine Mehrheit mit langer Aufenthaltsdauer, Bleibeabsicht und zunehmender Einbürgerungsabsicht (Einwanderer) und wachsende Minderheiten mit begrenzter Verweildauer (Flüchtlinge, Pendel- und Handelsmigranten und Illegale), über deren Lebenslagen und Interessen z.T. recht wenig bekannt ist;

nach der sozialen Lage: in eine Mehrheit mit sozialen und ökonomischen Unterschichtattributen und aktuell schlechter werdenden Lebensbedingungen (Migrationsverlierer) und eine relevanter werdende Minderheit mit sozialer Aufstiegsmobilität und Mittelstandsattributen (Migrationsgewinner);

nach der kulturellen Integration: in Teile mit großen „Integrationsfortschritten" in sprachlicher, bildungsmäßiger und alltagskultureller Hinsicht, in Teile, die sozialkulturell in ungeklärten Zwischenpositionen leben und in eine relevanter werdende Minderheit mit eher starker Betonung des Rückzuges in die eigene ethnische Gruppe.

Innerhalb der großen Städte konzentrieren sich die Migranten in bestimmten – meist benachteiligten – Stadtteilen. Dabei handelt es sich häufig um Altbauquartiere im Kernstadtbereich sowie bisweilen um Trabantensiedlungen mit hohem Sozialwohnungsanteil. In diesen Stadtteilen liegen die Migrantenanteile bereits jetzt bei 25 bis zu 50%, bei Kindern und Jugendlichen sowie auf kleinräumiger Ebene z.T. noch deutlich höher; dies alles mit steigender Tendenz.

Die meisten Stadtteile mit hohem Migrantenanteil sind räumlich und sozial als „benachteiligte Stadtteile" einzustufen. Die typische Ausgangssituation dieser Stadtteile kann vereinfacht wie folgt charakterisiert werden:

Sozialstrukturell: Es bestehen hohe Konzentrationen von unterprivilegierten Gruppen, d.h. neben Migranten hohe Anteile von Langzeitarbeitslosen, Armen, alten Menschen, Alleinerziehenden, Suchtkranken sowie deutschen und ausländischen Jugendlichen ohne Ausbildung und Arbeit (urban under

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class). Sozial mobile Einwohner wandern ab, Ausländer und Arme ziehen nach. Die ansässigen Migranten haben vergleichsweise ausgeprägte Selbsthilfepotentiale. Teile von ihnen sind sozial mobil und wirken am ehesten stabilisierend auf den Stadtteil.

Räumlich: Es bestehen oft relativ schlechte Bau- und Wohnsubstanzen mit daran gemessen überhöhten Mieten, schlechte Wohnumfeldqualitäten und Freizeitangebote sowie unzureichende soziale Infrastrukturen für alte Menschen, Kinder und Jugendliche, Singles und Familien, egal ob sie deutscher oder ausländischer Herkunft sind. Die Kultur-, Religions- und Freizeitvereine der Migranten kompensieren dies zumindest teilweise für ihre Mitglieder.

Ökonomisch: Seit langem erfolgen Desinvestitionen und Kapitalrückzüge deutscher Investoren bei Bauten und privaten Dienstleistungen mit entsprechenden lokalen Arbeitsplatzverlusten. Aber: Die Investitionen ausländischer Selbständiger haben – über die „Nischenökonomie" für Migranten hinaus – inzwischen vielfach eine ziemlich intakte Versorgungsinfrastruktur mit guten und preiswerten Angeboten für alle Einwohner geschaffen. Und: Neben staatlich geförderten behutsamen Modernisierungen wirken sich die zunehmenden Haus- und Wohnungskäufe und die baulichen Selbsthilfepotentiale von Migranten tendenziell stabilisierend auf die Wohnbausubstanz aus.

Interkulturelle soziale Kontakte: Die Nachbarschaften der deutschen Bewohner erudieren oftmals und führen bei ihnen, bei gleichzeitig wachsendem Ausländeranteil leicht zu einer resignativen bis aggressiven Festungsmentalität und Überfremdungsangst. Ein derartiges Selbstverständnis der „Alteingesessenen", gepaart mit selbstbewußterem Auftreten, der Selbstdarstellung und Vertretung eigener Bedürfnisse der Migranten (z.B. Moscheen) sowie die Cliquen- und Bandenbildung und das bisweilen aggressive Verhalten ausgegrenzter deutscher und ausländischer Jugendlicher bewirken allzuleicht eine hohe Konfliktlatenz. Dabei werden oft zu Unrecht nicht die ökonomischen, die sozialräumlichen Verhältnisse und lokalpolitischen Versäumnisse, sondern die „Ausländer" zur Ursache der Misere erklärt. Feststellbare Rückzüge von Teilen der Migrantenfamilien, aggressive Reaktionen Jugendlicher und Abwehrhaltungen populistischer Lokalpolitiker schaukeln die Konflikte hoch. Allerdings: Persönliche Kontakte im Wohnumfeld, beim Einkaufen, bei der Arbeit und in der Kneipe gibt es zuhauf und reduzieren die Konfliktlatenz im Alltagsleben sehr viel deutlicher, als dies Außenstehende und manche soziologische Analysen oft vermuten.

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Zusammenfassend zeigen unsere und andere Studien: Einerseits gilt, daß die Gesamtsituation in den benachteiligten Stadtteilen geprägt wird durch kollektive und individuelle Problem- und Notlagen, die zusammengenommen mit den räumlichen Defiziten zu massiven Konflikten und Konkurrenzen um knappe Ressourcen führen und in zunehmende Straffälligkeit, Fremdenfeindlichkeit und Gewaltbereitschaft münden können. Andererseits bestehen in den benachteiligten Stadtteilen durchaus Potentiale und endogene Ressourcen, die – sofern sie erkannt, aktiviert und gefördert werden – gute Ansatzpunkte für eine sozialverträgliche Stabilisierung und Verbesserung der Lebenslagen und zum Abbau bestehender interkultureller Konflikte bieten.

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2. Der Handlungsrahmen des Umgangs mit multiethnischen Stadtteilen

Aus demographischen, wirtschaftlichen und politischen Gründen nehmen seit Jahrzehnten und auch künftig die Migrantenanteile in unseren Städten zu, darunter besonders in den Stadtteilen mit jetzt schon hohem Migrantenanteil. Die Städte sind auf die Migranten angewiesen und können es sich im eigenen Interesse nicht leisten, sie von wirtschaftlicher, sozialer und politischer Teilhabe auszugrenzen. Die aktive Gestaltung der multiethnischen Stadtgesellschaft bildet eine Querschnittsaufgabe jeder zukunftsorientierten Stadtpolitik. Dem steht gegenüber: Der Handlungsrahmen lokaler bzw. kommunaler Migrations- und Integrationspolitik ist z.Zt. in der Tat eng.

Die zentralen Elemente der Migrationspolitik werden auf der Bundesebene bestimmt: Die Kommunen haben auch unabhängig von ihrem Wollen die Ideologie eines politisch definierten „Nicht-Einwanderungslandes" zu vollziehen und deren Folgen auszutragen. Die seit 16 Jahren amtierende Koalitionsregierung und die Mehrheit des Bundestages haben aus Gründen der Partei- und Koalitionsräson sowie einer selbst geschürten populistischen Opportunität alle Ansätze und Denkanstöße zu einer sinnvollen Einwanderungs- und Integrationspolitik blockiert. Die Kommunen müssen Ausländergesetze vollziehen, d.h. sie müssen mit wachsenden Ausländerzahlen umgehen, sollen ohne ausreichende Ressourcen die Integration „erwünschter" Ausländer fördern und müssen die „unerwünschten" aufspüren, schikanieren und abschieben, ohne eine wirkliche Einwanderungs- bzw. Migrantenpolitik betreiben zu können (Häußermann/Oswald 1997, S. 26). Auch eine

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vergleichsweise fortschrittliche Integrationspolitik von Bundesländern wie z.B. Nordrhein-Westfalen vermag dieses Dilemma nicht zu kompensieren.

Zuwanderungs- und Integrationschancen hängen von aufnahmefähigen Arbeits- und Wohnungsmärkten sowie von gleichberechtigten Zugangsbedingungen zu funktionstüchtigen sozialen Sicherungssystemen ab. Die spezifischen Arbeitsmärkte für Migranten und andere benachteiligte deutsche Minderheiten erudieren rasant, die Massen- und Dauerarbeitslosigkeit wächst. Die Wohnungsmärkte spalten sich und sind insbesondere im Segment der preiswerten Mietwohnungen der Großstädte kaum aufnahmefähig. Die sozialen Sicherungssysteme sind in der Krise, werden dereguliert und schließen zudem große Teile der Migranten sozial- und ausländerrechtlich aus. Auf diese marktförmig und zentralstaatlich determinierten Prozesse haben die Kommunen ebenfalls nur sehr begrenzten Einfluß. Mit ihren Folgen müssen sie umgehen, z.B. in Form zunehmender Sozial- und Sozialraumspaltung der Städte, der Herausbildung einer „urban underclass" der Ausgegrenzten, explosiv steigender Sozialhilfeausgaben, die Hand in Hand mit anderen Faktoren auf der Einnahme- und Ausgabenseite zu einer massiven Krise der kommunalen Haushalte geführt haben.

Hinzu kommt: Bei Teilen der lokalen Öffentlichkeit, der Kommunalpolitik und -verwaltung, bei Teilen der Wahlbürger sowie auch unter und zwischen den Betroffenen besteht, gelinde ausgedrückt, eine mangelnde Bereitschaft, sich differenziert mit den Problemen, Chancen und Notwendigkeiten einer interkulturellen Stadt- und Integrationspolitik auseinanderzusetzen. Die Grenzlinien zu Fremdenfeindlichkeit und Rassismus werden allzuoft überschritten. Während bei Fachpolitikern und anderen lokalen Akteuren der Migrationspolitik z.B. in Wohlfahrtsverbänden, Kirchen, Gewerkschaften, anderen Institutionen und Initiativen längst erkannt wird, daß eine aktive Migrationspolitik eine zentrale Aufgabe der Kommunen bildet und die Migranten selbst dabei eine wichtige Ressource bilden, ist dies bei den bestimmenden Rats- und Bezirksmehrheiten in zahlreichen Städten noch längst nicht der Fall. Vielmehr überwiegt in vielen Städten und ihrer Migrationspolitik ein Mix aus Abwehrhaltungen, Passivität, paternalistischer Fürsorge und folkloristischem Multikulturalismus.

Die genannten Restriktionen bestehen. Sie müssen ernst genommen werden und begründen ziemlich enge Handlungsspielräume für eine Neuorientierung der kommunalen Migrations- und Integrationspolitik. Als Alibi für fortge-

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setzte Abwehrhaltung, Passivität oder wohlwollenden Paternalismus nach dem Motto „weiter so" taugen sie nicht, sondern schaden nur. Die Städte, ihre Stadtentwicklungs- und Sozialpolitik müssen mit der Migrationsrealität offener und differenzierter umgehen, Selbsthilfepotentiale und Integration fördern sowie interkulturelles Zusammenleben einschließlich der damit zwangsläufig verbundenen Konflikte aktiv gestalten. Die ökonomischen Vorteile der Migration sind bewiesen, die ökonomisch-fiskalischen Kosten der Nicht-Integration sind es ebenfalls (vgl. von Loeffelholz/Thränhardt 1996). Noch mehr dürfte dies für die sozialen Folgekosten einer anhaltenden Nicht-Integration gelten. Die Kommune, die Stadt ist der zentrale Ort, wo die Chancen der Migration, aber auch Benachteiligungen, Diskriminierungen und Spannungen gelebt werden. Vor allem dort müssen und können Änderungen eingeleitet werden – ganz unabhängig von der Notwendigkeit anderer Bundesgesetze. Ein hervorragender Ansatzpunkt bietet dafür eine behutsame stadtteilbezogene Stadtentwicklungs- und Sozialpolitik zur Stabilisierung und sozialverträglichen Verbesserung der Lebenslagen in den multiethnischen Stadtteilen. Sie könnte zum „Abenteuerfilm" für gelingendes interkulturelles Zusammenleben werden. Demgegenüber dürfte eine „laissez-faire-Politik" des Sich-Selbst-Überlassens in den „Horrorfilm" der Situationen amerikanischer Ghettos oder französischer Vorstädte münden. Das gleiche gilt m.E. für die oft diskutierten forcierten Aufwertungsstrategien mit ihrem Ziel einer besseren „sozialen Mischung". Derartige Aufwertungsstrategien führen, wenn sie erfolgreich sind, zu sozialen Verdrängungen und lösen damit verschärfte Ghettoeffekte in anderen Stadtteilen aus.

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3. Entwicklungsperspektive „Horrorfilm"

Die Perspektiven „Horrorfilm" versus „Abenteuerfilm" haben wir 1996 in einem Negativ- und einem Positiv-Szenario „Nordstadt 2010" ausführlich und anschaulich beschrieben (Krummacher/Waltz 1996, S. 20–77). Hier müssen Stichworte zur Perspektive „Horrorfilm" genügen:

Ökonomisch: Die Einkommens- und Kaufkraftverluste der Bewohner sowie die Desinvestitionen bei privaten Dienstleistungen und Instandsetzungen im Wohnungsbau schreiten voran. Ausländische Betriebe können sich infolge unzureichender betriebswirtschaftlicher Kenntnisse, fehlender Beratung und Förderung und mangelndem Nachwuchs nicht halten. Viele gehen pleite. Ihr Mut zum Neuanfang sinkt. Weitere Arbeitsplatzverluste, leere Ladenzei

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len bis auf Spielhallen, Kneipen und Billigsupermärkte sowie eine schlechtere Versorgungssituation sind die Folge.

Räumlich: Der Instandsetzungsstau bei den Wohnungen und im Wohnumfeld bewirkt spiralförmig weiteren baulich-räumlichen Verfall und miserable Wohnverhältnisse. Das Müllaufkommen und nachlässiger Umgang damit nehmen zu. Standardisierte Wohnumfeldverbesserungen ohne Bürgerbeteiligung verfallen rasch. Drogenspritzen, Hundekot und Bierbüchsen machen die Nutzung von Spielplätzen und Freiflächen kaum noch möglich.

Sozialstrukturell: Der Trend zur Konzentration von verarmten „A-Gruppen" (Ausländer, Arbeitslose, Alleinerziehende, arme alte Menschen) setzt sich fort. Wer kann, meidet das Stigma des Armenghettos und wandert ab. Armutsverdrängte aus anderen Stadtteilen, Neuzuwanderer und „Illegale" wandern zu.

Infrastrukturell: Die sozialen Infrastrukturen wurden infolge des „Sozialsparzwangs" jahrelang ausgedünnt. In kommunalen und weltanschaulich neutralen Kindertagesstätten, in staatlichen Haupt- und Sonderschulen und den verbliebenen Jugendzentren sind die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen ausländischer Herkunft. Sie und die verbliebenen deutschen Kinder sind als „spracharm" zu bezeichnen. In den Kindertagesstätten und Schulen in religiös-privater Trägerschaft konzentrieren sich als Folge von Quotierungen die deutschen Kinder und Jugendlichen mit Aufstiegschancen. Sonst boomen nur die Armutsküchen, die Schuldnerberatung und Obdachlosenunterkünfte.

Kommunikation: Die interkulturellen und intersozialen Kontakte der Stadtteilbewohner werden geprägt durch Isolation von Individuen und ganzer sozialer Gruppen, Versagens- und Konkurrenzängsten, Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit, Desinteresse und Abwehr gegenüber anderen Gruppen und lokalpolitischen sozialen Prozessen. Dies führt gegenseitig zur Herausbildung fundamentalistischer Festungsmentalitäten gegenüber den jeweils als „andersartig" empfundenen Gruppen. Die aktiven deutschen und ausländischen Jugendlichen „bewältigen" ihre Ausgrenzung und Entwertung durch Bandenbildung, Straffälligkeit und setzen sich in aggressiven Revierkämpfen in Szene.

Politischer und sozialer Ausdruck davon sind: bei den deutschen Wahlberechtigten eine geringe Wahlbeteiligung und hohe Stimmenanteile für

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rechtsextreme Parteien; bei den ausländischen Nicht-Wahlberechtigten ethnische Rückzüge und Stärkung nationalistischer und/oder religiös-fundamentalistischer Positionen aus dem Herkunftsland.

Zusammenfassend gilt: Wenn abstiegsbedrohte oder absteigende deutsche Bevölkerungsgruppen in den multiethnischen Stadtteilen mit Einwanderern um den öffentlichen Raum, um Arbeits-, Wohnungsmarkt- und Bildungschancen weiter konkurrieren, braut sich eine explosive Mischung zusammen, die dann nur kleiner Anlässe bedarf, daß sie zum Ausbruch von offener Gewalt und Rassismus zunächst in den Armutsquartieren führt. Die unbewältigten Konflikte dieser Stadtteile können ordnungspolitisch und polizeistaatlich räumlich ghettoisiert bzw. begrenzt werden. Eine latente Bedrohung der Mittelstands- und Reichenwohnquartiere mit daraus folgenden Festungsmentalitäten, v.a. aber eine Verringerung der Lebensqualität in den Städten wird dann aber mit Sicherheit eintreten.

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4. Entwicklungsperspektive „Abenteuerfilm"

Bei der Entwicklungsperspektive „Abenteuerfilm" für gelingendes interkulturelles Zusammenleben müssen zunächst die Ressourcen und Potentiale der Migranten in den multiethnischen Stadtteilen angesprochen werden. Die Beschränkung darauf in diesem Beitrag entspricht meinem Thema und schließt Selbsthilfepotentiale der deutschen Bewohner nicht aus. Anderenfalls wäre mein Plädoyer für eine sozialverträgliche Erneuerung benachteiligter Stadtteile auch absurd.

Untersuchungen in mehreren Städten und Stadtteilen mit hohem Migrantenanteil zeigen, daß eine kommunale Integrationspolitik der „Hilfe zur Selbsthilfe" auf bedeutenden Selbsthilfepotentialen und Ressourcen der Migranten aufbauen kann. Ihre wirtschaftlichen Potentiale, ihre mitgebrachten Erfahrungen aus den Herkunftskulturen, die ich verkürzt mit dem Begriff der „Solidargemeinschaft" umschreibe, ihre bikulturellen Erfahrungen in der Auseinandersetzung zwischen Herkunftskultur und Mehrheitskultur stellen Ressourcen dar, auf die die Kommunen nicht verzichten sollten (Krummacher/Waltz 1998). Wenn sie erkannt und gefördert werden, könnten sie zur Stabilisierung gerade der benachteiligten Stadtteile und zur Durchbrechung verhängnisvoller Armutskreisläufe beitragen. Stichwortartig seien genannt:

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Wirtschaftliche Selbsthilfe: Ausländische Gewerbebetriebe dienen nicht nur der Erweiterung des Konsumangebots und der Sicherung von spezifischer Grundversorgung im Stadtteil. Sie stellen auch eine Erweiterung der Ausbildungsmöglichkeiten dar und bieten Beschäftigung. Die Kommune sollte durch Beratung und Förderung dieses Potential unterstützen, damit ökonomische Ressourcen des Stadtteils ausweiten und den Dialog mit anderen Gewerbetreibenden fördern. Vom Land Nordrhein-Westfalen geförderte Modellprojekte wie „Transfers" des Zentrums für Türkeistudien (ZfT) bieten hierzu gute Voraussetzungen.

Selbsthilfe im Wohn- und Wohnumfeldbereich: Mehrere Untersuchungen zeigen, daß viele Migrantenhaushalte ihre Wohnverhältnisse verbessern wollen. Eine Voraussetzung dafür bilden verbesserte Zugangschancen zum Wohnungsmarkt. Dafür sind sie auch bereit, angemessene Mieten zu bezahlen. Hinzu kommen ihre vorhandenen Selbsthilfepotentiale wie handwerkliche Fähigkeiten, Nachbarschafts- und Verwandtschaftshilfen, die nicht nur bei der Nutzung und Renovierung von Wohnungen, sondern auch bei Wohnungsmodernisierungen wirksam werden könnten. Darüber hinaus könnte ihre z.T. durchaus vorhandene Sparkraft und Investitionsbereitschaft zum Wohnungs- und Hauskauf genutzt werden, wenn durch gute Beratung gezielt unterstützt werden. Auch hierfür könnten Modellprojekte entwickelt werden, wie ich sie in der Stadt Essen vorgeschlagen habe. In der Regel haben länger ansässige Migrantenhaushalte sehr konkrete Vorstellungen über soziale und kulturelle Notwendigkeiten im öffentlichen und halböffentlichen Raum und Erfahrung in der Nutzung von freien Plätzen. Im Wohnumfeld sollten sie als Spezialisten ihres Umfeldes ebenso gehört und beteiligt werden wie andere Bevölkerungsgruppen natürlich auch.

Selbsthilfe und Leben im Verein: Migrantenvereine erfüllen in der Regel ein Menge notwendiger integrierender und identitätsstiftender Aufgaben im Stadtteil. Sie können durch deutsche Institutionen und Migrationsdienste nicht ansatzweise ersetzt werden. Sie vermitteln Heimat und Identität durch die Pflege von Herkunftskultur, Sprache und Religion. Sie bieten Freizeitaktivitäten für Kinder, Jugendliche, alte Menschen, Frauen und Männer. Sie beraten und bilden, und sie helfen in schwierigen Lebenslagen mit Rat und Tat. Zunehmend entwickeln sich die Vereine auch zu (Basis-)Interessenvertretungen gegenüber deutschen Institutionen und wecken das Interesse für lokalpolitische Aktivitäten und den Austausch mit der Mehrheitsgesellschaft.

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Eine stärkere Partizipation und Förderung der Migrantenvereine ist daher wichtiger Bestandteil eines kommunalen Migrationskonzeptes. Die in diesem Zusammenhang oft vorgenommene Etikettierung, die Moscheevereine seien nicht integrationsbereit und überwiegend fundamentalistisch, ist nach unseren Untersuchungen falsch und vorurteilhaft.

Ausländerbeiräte: Ausländerbeiräte müssen bei allen ihren in Untersuchungen festgestellten Schwächen ernst genommen und genügend unterstützt werden bei der Erfüllung ihres Auftrages. Ihr wichtigstes Potential besteht darin, daß sie als Minderheitenvertreter der Einwohner ohne deutschen Paß aus eigener Kenntnis den Rat und die Verwaltung beraten, Fehlentscheidungen und Reibungsverluste vermeiden helfen können. Sie könnten so auf Integrationsdefizite rechtzeitig aufmerksam machen und dazu beitragen, daß soziale Konflikte und Fehlentwicklungen frühzeitig erkannt und verhindert werden. Bei stärkerer Akzeptanz seitens der Kommunalpolitik können sie ebenfalls helfen, die Migranten zu motivieren, sich stärker an Fragen der Kommunal- und Lokalpolitik zu beteiligen, ihre spezifischen Bedürfnisse zu formulieren und sinnvolle Maßnahmen zu begründen.

Die klassische sozialpolitische Aufgabe der Städte besteht darin, ihre Ressourcen auf die verschiedenen Gruppen ihrer Einwohner mit dem Ziel gleichwertiger Lebensbedingungen sozial und räumlich gerecht zu verteilen und dabei besonders die Gruppen und Sozialräume zu berücksichtigen, die von sozialer Ausgrenzung bedroht oder bereits betroffen sind. Das heißt auch: Soziale Kommunalpolitik muß die fortschreitende Spaltung der Stadt in reiche, wohlhabende und benachteiligte Stadtteile erkennen und zum Ausgangspunkt sozialer Ausgleichsstrategien nehmen. So weit, so gut. Nun ist aber eindeutig festzustellen, daß wir – angesichts der rasant fortschreitenden Sozialspaltung der Gesellschaft und der Städte – von einer „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse" in den Stadtteilen weiter denn je entfernt sind. Hinzu kommt: In bezug auf benachteiligte Stadtteile ist in der Stadtentwicklungspolitik noch immer das Ziel der Aufwertung über die Herstellung einer „gesunden sozialen Mischung" weit verbreitet. Dies äußert sich u.a. in der Auffassung, daß der Ausländeranteil im Stadtteil eine bestimmte Prozentmarke nicht überschreiten dürfe, daß Maßnahmen zur Dekonzentration bis hin zum Zuzugstopp von Migranten und anderen unterprivilegierten Gruppen ergriffen sowie Anreize zum Zuzug mittelständischer Bewohnerschichten entwickelt werden müßten. Derartige Strategien sind in

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der Praxis entweder an der Wirklichkeit der kleinräumigen Wohnungs- und Arbeitsmärkte abgeprallt oder sie haben über Verdrängungen zur Neuentstehung von Ghettos an anderem Ort geführt. Darüber hinaus verkennen sie, daß bei der sozialräumlichen Konzentration von Migranten zwischen freiwilliger und erzwungener Konzentration zu unterscheiden ist und es inhuman ist, freiwillige Konzentrationen unterbinden zu wollen. Ganz offensichtlich kann Stadtpolitik soziale Ungleichheit, Anderssein und unterschiedliche Lebensstile nicht einfach wegreparieren.

Was folgt daraus für Strategien zur Erneuerung benachteiligter Stadtteile und im engeren Sinn für die Ausländerstadtteile (Fritz/Thies 1997, S. 319ff.; Froessler 1994)?

  1. Beim Postulat der Herstellung „gleichwertiger Lebensverhältnisse" kann es nicht um Vereinheitlichung sozialer Milieus im Sinne einer „gesunden sozialen Mischung gehen". Entsprechende Ziele waren immer falsch. Anderssein, unterschiedliche Lebensstile und freiwillige Konzentrationen nicht nur der Migranten müssen anerkannt und respektiert werden.
  2. Das Festhalten am Postulat sozialer Ausgleichsstrategien für benachteiligte Gruppen und Sozialräume bleibt zweifellos richtig, muß aber im Hinblick auf die gegenwärtige Situation und konkrete „Vor-Ort-Situationen" konkretisiert und herabgezont werden. Die primären Ziele lauten zunächst: Verhinderung weiterer sozialer und räumlicher Ausgrenzung, Stabilisierung und behutsame Erweiterung der Handlungs- und Lebenschancen der verschiedenen Bewohnergruppen, eher einfache, aber nützliche materielle Verbesserungen, Sozialstrukturerhalt statt aufwendiger Aufwertungsstrategien mit ihren Verdrängungseffekten.
  3. Natürlich droht die Beschränkung auf das Stabilisierungsziel mißbraucht zu werden für eine „laissez-faire-Strategie" des Sich-Selbst-Überlassens und/oder für „Billige-Jakob-Lösungen" für Arme und Ausgegrenzte. Eine Gratwanderung ist angesichts knapper Finanzen zweifellos gegeben. Deshalb muß politisch eingeklagt werden, daß Stabilisierung nicht Status-quo-Erhalt, sondern Überwindung sozialer Erosion und Erweiterung von Lebenschancen heißt. Die Alternative heißt: Abrutschen ganzer Stadtteile und ihrer Bewohner ins soziale Abseits. Die sozialen Folgekosten derartiger Prozesse dürften – wie im „Drehbuch Horrorfilm" angedeutet – teuer werden.

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Für die Erneuerungsprozesse müssen die jetzigen Bewohner der multiethnischen Stadtteile gewonnen werden, diesen Prozeß mitzutragen und mitzugestalten, die deutschen Bewohner genauso wie die Migranten. Dies erfordert aufwendige und schwierige Beteiligungs- und Aushandlungsprozesse, echte Mitentscheidungsspielräume und unmittelbar erkennbare materielle Verbesserungen. Anerkennung und nicht Stigmatisierung des „Ausländer-Ghettos" ist notwendig, insoweit es sich um freiwillige versus arbeits- und wohnungsmarktbedingte erzwungene Konzentrationen der Migranten handelt. Ihre wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Potentiale, die von ihnen geschaffenen multikulturellen Infrastrukturen und Raumnutzungen sind herauszuarbeiten, um sie für den Stabilisierungs- und Erneuerungsprozeß wirksam werden zu lassen. Einige zentrale Prinzipien einer solchen Erneuerungspolitik könnten folgende sein: Kommunale Sozialpolitik muß in den Stadtteilen beginnen. Der Stadtteil muß als zentrale Ebene von Integration, Identitätsbildung – aber auch deren Verhinderung – begriffen und in der kommunalen Politik und Planung berücksichtigt werden. Notwendige Voraussetzungen dazu bilden eine kleinräumige und prozeßhafte Sozialberichterstattung und Stadtentwicklungsplanung mit dem Ziel des Erhalts der Sozialstruktur, des Schutzes vor Spekulation, der Schaffung ausreichenden Wohnraums und der Gewährleistung angemessener privater und sozialer Infrastrukturen.

Stadtteile sind Orte des Wohnens und Orte der Existenzsicherung durch Arbeit: Das erfordert eine lokale Beschäftigungspolitik, die die Zusammenhänge von Wohnen und Arbeiten, Bauen und Ausbilden erkennt, daran anknüpfend kombinierte Beschäftigungs- und Ausbildungsprojekte entwickelt, die auf die realen Qualifikationen und Bedürfnisse der Quartiersbevölkerung zugeschnitten sind. Die Förderung der lokalen ethnischen Ökonomie kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Wohnbezogen sind einfache, bedarfsorientierte Verbesserungen der Wohn- und Wohnumfeldbedingungen nötig. Vordringlich ist eine Bestandspolitik, die Instandsetzungsrückstände beseitigt und einfache Teil-Modernisierungen vornimmt. Neubauten müssen den Sozialstrukturerhalt beachten, d.h. vor Aufwertungsspekulationen schützen. Wohnumfeldverbesserungen müssen die realen Bedarfe in bezug auf Spielplätze, Grünflächen, Kommunikations- und Rückzugsräume, Dreck- und Müllbeseitigung unter wirklicher Beteiligung der Quartiersbevölkerung beachten. Standardisierte Blumenkübel-Möblierungen und vordergründiges Face-Lifting helfen wenig. Hinzu kommt die

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Berücksichtigung der besonderen Wohnbedürfnisse bestimmter Gruppen, z.B. von Migranten, Alleinerziehenden, arbeits- und wohnungslosen jungen Menschen etc., d.h. das Ausprobieren auch neuer Wohn- und Bauformen mit neuen Formen der Bewohner-Selbsthilfe und -Beteiligung.

Stadtteile sind Orte der sozialen Ausstattung und des sozialen Austausches: In enger Zusammenarbeit von Stadtentwicklung, Wohnungsgesellschaften, sozialen Diensten/Ämtern und stadtteilorientierter Gemeinwesenarbeit ist es notwendig, vorhandene soziale Netzwerke, aber auch Konflikte zu entdecken, Selbsthilfepotentiale und Nachbarschaftshilfen zu stärken sowie sozialräumliche Mindestbedingungen für eine friedliche Konfliktaustragung zu schaffen. Das erfordert u.a. Basiskenntnisse über Gruppen-

und interethnische Konflikte (z.B. zwischen Türken und Kurden) sowie deren Berücksichtigung z.B. bei der Wohnungsbelegung. Nötig ist die Schaffung und Förderung multikultureller Räume zur Begegnung, zum Rückzug, zum Mit- und zum Nebeneinander sowie zur aktiven Gestaltung durch die unterschiedlichen Minderheiten.

Stadtteile sind Orte der Teilhabe am gesellschaftlichen und politischen Leben: In dieser Hinsicht haben die Bewohner benachteiligter Stadtteile erfahrungsgemäß schlechte Karten. Viele von ihnen sind bildungsbenachteiligt, schlecht informiert und politisch durchsetzungsschwach; die Mehrheit der Migranten hat außerdem keine Wahlrechte. Die Entwicklung und Förderung von Beteiligungsmodellen und -formen muß das berücksichtigen. Die praktizierten formellen Formen der Bürgerbeteiligung, Anhörungen und z.T. auch die „Runden Tische" der lokalen Akteure werden dem oft nicht gerecht. Wenn die durchsetzungsschwachen Gruppen wie Beiräte, Migrantenvereine und Initiativen überhaupt beteiligt werden, machen sie dennoch die Erfahrung, daß sich die sprach-, bildungsgewohnten und leistungsstarken Akteure durchsetzen. Das heißt: Bei dieser Form fehlen bislang wirksame Ausgleichsmechanismen für die schwachen Akteure. Notwendig sind daher relativ aufwendige Beteiligungsverfahren, echte Mit-Entscheidungsspielräume sowie Bürgeranwälte und intermediäre Instanzen. Gemeint sind konkrete Projekte und Moderatoren, deren Hauptaufgabe darin besteht, einerseits zwischen „oben und unten", andererseits zwischen den verschiedenen Bewohnergruppen zu vermitteln. Neben ihrer Anwaltsfunktion besteht ihre Aufgabe nicht darin, bestimmte Planungslösungen „nach unten" zu verkaufen, nicht darin, Konflikte zu vertuschen, sondern darin, in

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einem offenen Beteiligungsprozeß Bedürfnisse, Selbsthilfepotentiale und Konflikte zu erkennen, Beratung zu leisten, Lösungen auszuhandeln, materielle Ressourcen einzufordern und damit Beteiligung und Konfliktaustragung mit friedlichen Mitteln überhaupt erst möglich zu machen. Kooperations- versus Konfliktorientierung sind dabei keine Handlungsalternativen. Kooperation und Kompromißsuche sind zweifellos zwingend, politische Einmischung, bisweilen auch gezielte Skandalisierung sind nötig, um glaubwürdig zu bleiben und Lösungen herbeizuführen.

Es braucht kaum betont zu werden, daß die Verwirklichung der genannten Prinzipien bei der Erneuerung der benachteiligten multiethnischen Stadtteile nicht umsonst zu haben ist. Nötig sind die Bündelung und Vernetzung von ausreichenden materiellen Ressourcen, d.h. Investitionen, Beschäftigungsprojekte, Räume, Baumaterial, Arbeitsmittel etc., von planerischem und sozialpädagogischem Fachpersonal, Einfühlungs- und Managementkompetenz sowie nicht zuletzt Zeit für Beratung, Beteiligung und Lösungssuche.

Als Beispiel dafür bietet das nordrhein-westfälische Landesprogramm für „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf" gute Anhaltspunkte. Seine programmatischen Ziele sind: sozialräumliche Prioritätensetzung in bezug auf benachteiligte Stadtteile, Bündelung vorhandener Finanzen und Instrumente, Konzentration auf besonders benachteiligte Bevölkerungsgruppen sowie Kooperation, Vernetzung und Diskurs zwischen Kommune, lokalem Gewerbe, Wohnungswirtschaft, Trägern der Sozialarbeit sowie den Bewohnern. Der praktische Erfolg dieser programmatischen Absichten, die Umkehr vom „Horror- zum Abenteuerfilm" muß sich in der Umsetzung erweisen. Ein finanziell hoch gefördertes Projekt wie „Duisburg-Marxloh" kann dazu wichtige Erfahrungen bieten. Das wichtigste Ergebnis solcher Projekte könnte langfristig sein: die allmähliche Fundierung eines multikulturellen Bewußtseins in der Kommunalpolitik, bei allen anderen Akteuren und bei den Bürgern und Bürgerinnen selbst.

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Literatur

Ausländerbeauftragte BuReg – Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen (1997): Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Ausländerfragen über die Lage der Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland 1997, Bonn.

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Fritz, Hartmut, Reinhard Thies (1997): Armutsbekämpfung in benachteiligten Lebensräumen, in: Walter Hanesch (Hrsg.), Überlebt die soziale Stadt?, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 319–344.

Froessler, Rolf (1994): Stadtviertel in der Krise. Innovative Ansätze zu einer integrierten Quartiersentwicklung in Europa, Dortmund: ILS-Schriften 87.

Häußermann, Hartmut, Ingrid Oswald (1997): Zuwanderung und Stadtentwicklung, in: Hartmut Häußermann, Ingrid Oswald (Hrsg.), Zuwanderung und Stadtentwicklung, Opladen: Westdeutscher-Verlag, S. 30–41.

Krummacher, Michael, Viktoria Waltz (1996): Einwanderer in der Kommune. Analysen, Aufgaben, Modelle für eine multikulturelle Stadtpolitik, Essen: Klartext-Verlag.

Krummacher, Michael, Viktoria Waltz (1998): Kommunale Migrations- und Integrationspolitik, im Erscheinen (Herbst 1998), in: Berthold Dietz, Dieter Eißel, Dirk Naumann (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Sozialpolitik, Leverkusen (Leske & Budrich).

Loeffelholz, Hans-Dietrich von, Dietrich Thränhardt (1996): Kosten der Nichtintegration ausländischer Zuwanderer, Düsseldorf: MAGS-Nordrhein-Westfalen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999

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