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2. Begriffliche Eingrenzungen und Abgrenzungen

Fremdenfeindlichkeit oder Ausländerfeindlichkeit sind zumindest auf den ersten Blick wohlbekannte Begriffe. In der sozialwissenschaftlichen wie in der öffentlichen Diskussion über die Beziehungen zwischen Deutschen und „Ausländern" gehören sie zum vermeintlich selbstverständlichen Sprachgebrauch. Dasselbe gilt für verwandte, scheinbar ähnlich eindeutige Begriffe wie „Rassismus", „Ethnozentrismus" oder „Xenophobie". Wer jedoch in öffentlichen Äußerungen und einschlägigen Veröffentlichungen zu diesen Themen nach klaren Begriffsbestimmungen sucht, stößt auf offensichtliche terminologische Ungenauigkeiten. Häufig wird auf entsprechende Festlegungen überhaupt verzichtet (vgl. auch Institut für Sozialforschung 1994; Jäger 1995; Zick 1997). Obwohl Diskussionen um Begriffe immer nur von beschränktem Wert sind, ist der Verzicht auf grundlegende begriffliche Eingrenzungen und Abgrenzungen ohne Zweifel die schlechteste Lösung. Insbesondere die sozialwissenschaftliche Forschung ist allein schon deshalb auf möglichst präzise Definitionen angewiesen, weil sie die Voraussetzung für die Bestimmung geeigneter Indikatoren sind, aufgrund derer die gemeinten Phänomene empirisch festgestellt und gemessen werden können.

Eine möglichst präzise begriffliche Bestimmung des Phänomens der Fremdenfeindlichkeit setzt zumindest drei wesentliche Klärungen voraus: erstens eine genaue Bestimmung derjenigen Personengruppen, die als „Fremde" Ziel feindseliger Tendenzen sind; zweitens eine Unterscheidung der verschiedenen Formen, in denen sich solche Tendenzen äußern; und drittens die Abgrenzung des Begriffs der Fremdenfeindlichkeit gegenüber verwandten Begriffen wie Ethnozentrismus und Rassismus.

Im Hinblick auf die Frage nach den Zielgruppen deutet sich schon im verstärkt in den Vordergrund tretenden Begriff der Fremdenfeindlichkeit eine auffällige Akzentverschiebung an. Sowohl im wissenschaftlichen als auch im öffentlichen Sprachgebrauch löst er zunehmend den der Ausländerfeindlichkeit ab. Die Gründe dafür sind leicht zu erkennen. Latent ablehnende oder offen gezeigte aggressive Abwehr orientiert sich bekanntlich nicht nur am staatsbürgerlichen Status der betroffenen Personen, sondern hauptsächlich an eher vage bestimmten Sozialmerkmalen, die sie aus der Sicht des „Einheimischen" als „fremd" ausweisen (Hahn 1994; Institut für Sozialforschung 1994; Jaschke 1994). Dem trägt der relativ offene Begriff der Fremdenfeindlichkeit Rechnung. Dessen Offenheit ist allerdings nicht ganz unproblematisch. Als „fremd" gelten zahlreichen Personen auch Behinderte, Obdachlose, emanzipierte Frauen oder Angehörige bestimmter Subkulturen. Ob die Ausgrenzung oder Diskriminierung dieser Personengruppen jedoch ebenfalls als „Fremdenfeindlichkeit" bezeichnet werden sollten, ist zumindest zweifelhaft. Hier interessieren jedenfalls nur jene fremdenfeindliche Tendenzen, die sich gegen Immigranten und deren Nachkommen richten. Ein wichtiger Ansatzpunkt der Unterscheidung ist dabei das Kriterium der ethnischen Differenzierung, durch das sich diese Form der Fremdenfeindlichkeit von anderen Formen der Abgrenzung wesentlich abhebt.

Mit ethnischer Differenzierung sind Formen der Grenzziehung und Distanzierung gemeint, die im Kern auf Selbst- und/oder Fremdzuschreibungen kollektiver Zugehörigkeiten und Eigenschaften beruhen (vgl. u.a. Banton 1997; Dittrich/Lentz 1994; Esser 1993, Esser 1996b; Ganter 1995). Die Eigentümlichkeit dieser Grenzziehungen liegt darin, daß sie sich an Merkmalen orientieren, die vermeintlich oder tatsächlich an die Umstände der Geburt und Herkunft gebunden sind und sich von den Eigenschaften der eigenen „Wir-Gruppe" unterscheiden. Zu diesen Merkmalen zählen unter anderem Be-

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sonderheiten der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der Kleidungsgewohnheiten oder der Wohn- und Lebensweise, die nicht als Ausdruck individueller Vorlieben, sondern als Ergebnis der Abstammung und kulturellen Prägung interpretiert werden. Als besonders oder fremd erscheinen diese Merkmale freilich immer nur im Vergleich zu den davon abweichenden Merkmalen einer oft nur diffus bestimmbaren eigenen Gruppe, deren Zugehörigkeit sich in der Vorstellung ihrer Angehörigen gleichfalls nach Herkunft und kultureller Prägung bestimmt.

Wie sich die ethnische Differenzierung zum Beispiel im Verhältnis der deutschen Bevölkerung gegenüber Türken niederschlägt, ist auch im alltäglichen Umgang unschwer zu erkennen. Ein in Deutschland geborener Sohn türkischer Zuwanderer gilt in der Regel auch unabhängig von seiner Staatsangehörigkeit, seiner subjektiven Identifikation, seiner beruflichen Position oder seiner religiösen Überzeugung als „Türke" und damit zunächst einmal als „Fremder" oder „Ausländer" Für eine solche Zuordnung genügen offenbar schon wenige Merkmale, die sich von den Gewohnheiten der „Einheimischen" - der Deutschen - unterscheiden und als „Zeichen" der Abstammung und kulturellen Prägung verstanden werden.

An solchen Differenzierungen orientierte Abgrenzungen und Distanzierungen können sich in sehr unterschiedlicher Weise äußern. Und nicht alle Äußerungsformen sind in einem strengeren Wortsinn „feindlich" oder „feindselig" Zwischen gewaltsamen Angriffen auf Asylbewerber aus Afrika und der Bezeichnung von Schwarzen als „faule Neger" liegen offensichtliche qualitative Unterschiede, die auch begrifflich und analytisch deutlich gemacht werden müssen. Im ersten Fall handelt es sich um tatsächliches Handeln, im zweiten Fall um eine abwertende Aussage. Zwischen beiden gibt es zwar mitunter starke Zusammenhänge. Doch diese sind nicht zwangsläufig; nicht jeder, der zum Beispiel Schwarze sprachlich diffamiert, begeht oder befürwortet die gegen sie gerichteten Handlungen. Zumindest in einigen Bereichen der sozialwissenschaftlichen Forschung hat sich in diesem Zusammenhang eine Unterscheidung von drei zentralen Erscheinungsformen solcher Abgrenzungen und Distanzierungen durchgesetzt, die als „Stereotype", „Vorurteile" und „Diskriminierungen" bezeichnet werden.

Stereotype sind allgemein definiert als Überzeugungen oder Annahmen über die Eigenschaften und Merkmale einer Gruppe von Personen (Stroebe 1985; Stroebe/Insko 1989; Hilton/von Hippel 1996). Diese beziehen sich entweder auf alle Angehörige dieser Gruppe oder zumindest auf deren Mehrheit. Entscheidend ist dabei der Aspekt der Generalisierung, die Verallgemeinerung bestimmter Meinungen über typische Zusammenhänge zwischen Personen und deren Eigenschaften auf alle oder die meisten Personen, die einer bestimmten Gruppe oder Kategorie zugeordnet werden. So ist zum Beispiel die Aussage „Juden sind fleißig" ein Stereotyp im Sinne einer Meinung über eine typische Verbindung zwischen einer Gruppe oder Kategorie von Personen und einem Attribut, die für alle oder die Mehrzahl der Personen, die dieser Gruppe oder Kategorie zugeordnet werden, verallgemeinert wird. Solche Stereotype gibt es nicht nur für Angehörige von Fremdgruppen („Heterostereotype"), sondern auch für die jeweilige Eigengruppe („Autostereotyp"); die Meinung: „Wir Deutschen sind ein diszipliniertes Volk" ist dafür - aus der Sicht einer Person, die sich der Gruppe der „Deutschen" zuordnet - ein Beispiel.

Der Begriff des Vorurteils bezeichnet hingegen eine besondere Variante von Einstellungen, die ebenfalls allgemein dadurch gekennzeichnet sind, daß sie sich auf alle oder die meisten Personen beziehen, die einer Gruppe oder Kategorie zugeordnet werden. Charakteristische Merkmale von Vorurteilen sind (a) mit Bewertungen verbundene Überzeugungen und Meinungen über die Eigenschaften und Merkmale bestimmter Personengruppen (z.B. „Neger sind faul"), (b) emotionale Reaktionen in der Beziehung zu

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bestimmten Personengruppen (z.B. Mißtrauen oder Furcht) und (c) daran orientierte Verhaltensdispositionen (z.B. Kontaktvermeidung). Über diese Charakteristika von Einstellungen im allgemeinen und Vorurteilen im besonderen besteht in der sozialwissenschaftlichen Forschung inzwischen eine weitgehende Übereinkunft (vgl. z.B. Allport 1954; Ehrlich 1979; Ganter 1997b; Harding/Proshansky/Kutner/ Chein 1969; Heckmann 1992; Stroebe/Insko 1989; Zick 1997). Häufig wird allerdings der Vorurteilsbegriff eingegrenzt auf negative, abwertende Einstellungen gegenüber Personengruppen. Dies entspricht weitgehend dem alltäglichen Sprachgebrauch und spiegelt Erkenntnisse über die Ausrichtung von Vorurteilen gegenüber ethnisch differenzierten Gruppen wider. Die Eingrenzung ist gleichwohl unglücklich, weil damit positive Einstellungen zum Beispiel gegenüber Angehörigen der Eigengruppe definitorisch ausgeschlossen sind, obwohl sie - mit umgekehrten Vorzeichen - die gleichen, bereits genannten Charakteristika aufweisen.

Während Stereotype hauptsächlich generalisierte Überzeugungen und Meinungen und Vorurteile darüber hinaus auch allgemeine Bewertungen, gefühlsmäßige Reaktionen und Verhaltensdispositionen bezeichnen, sind mit (ethnischer) Diskriminierung konkrete Handlungen und Verhaltensweisen gegenüber Personen gemeint, die an deren Zugehörigkeit zu bestimmten (ethnischen) Gruppen orientiert ist. Dazu zählen zum Beispiel Benachteiligungen beim Zugang zu begehrten Arbeitsplätzen, Wohnungen und Bildungsinstitutionen, die Verweigerung bestimmter Rechte und politischer Beteiligungsmöglichkeiten, aber auch gewalttätige Angriffe oder eher subtile Formen der Kontaktvermeidung gegenüber Personen aufgrund ihrer Zugehörigkeit oder Zuschreibung zu einer bestimmten ethnischen Gruppe. Teilweise unterliegen „nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlungen" von Personen gesetzlichen Strafandrohungen, wenn und sofern sie universalistische und Gleichheitsgrundsätze verletzen, wie sie zum Beispiel in der UN-Menschenrechtsdeklaration, in der „Straßburger Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten" vom 4. November 1950, im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (z.B. Art. 3 Abs. 3 GG) und in Strafgesetzen festgeschrieben sind.

Vor allem aus Gerichtsverhandlungen ist bekannt, daß der Nachweis einer Diskriminierung oft erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Ähnliches gilt auch für die sozialwissenschaftliche Forschung. Es ist zwar weitgehend unstrittig, daß mit Diskriminierungen im wesentlichen „nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlungen" gemeint sind. Doch im Detail zeigen sich deutliche Unschärfen. Eine Ungleichbehandlung bei der Vergabe von Arbeitsplätzen aufgrund unterschiedlicher beruflicher Qualifikationen stellt zum Beispiel keine Diskriminierung im engeren Wortsinn dar; wenn aber ein Angehöriger einer ethnischen Minderheit bei gleicher oder besserer Qualifikation im Vergleich zu einem „Einheimischen" bei der Arbeitsplatzvergabe übergangen wird, handelt es sich um eine Diskriminierung (vgl. Allport 1954: Kap. 4; Esser 1993). Inwieweit aber das eine oder das andere der Fall ist, läßt sich oft nicht leicht feststellen. Indes können Unterschiede der beruflichen Qualifikation ihrerseits das Ergebnis unterschiedlicher Bildungschancen sein, die systematisch mit ethnischen Differenzierungen verknüpft sind, so daß von einer „indirekten Diskriminierung" gesprochen werden kann (Esser 1993: 50).

Unklarheiten ergeben sich des weiteren im Hinblick auf als „legitim" erachtete oder in Gesetzen verankerte Ungleichbehandlungen. Besonders offensichtlich werden sie im Fall der konstitutionellen Definition der Staatsbürgerschaft, über die der Zugang zu bestimmten politischen Beteiligungsrechten und wohlfahrtsstaatlichen Gütern maßgeblich gesteuert wird. In wohl fast allen (modernen) Staaten beinhalten die rechtlichen Regelsysteme an Abstammung und Herkunft gebundene Festlegungen über die Ungleichbehandlung von Personengruppen, die ebenfalls als eine Form ethnischer Diskriminierung

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zu bezeichnen sind, obwohl solche Diskriminierungen an anderer Stelle ausdrücklich verboten sind (vgl. u.a. Bös 1993; Cesarani/Fulbrook 1996; Hammar 1990). Solche Formen der Diskriminierung sind vor allem gemeint, wenn von einer im Einklang mit dem geltenden Normen- und Rechtssystem stehenden „institutionalisierten Diskriminierung" (Esser 1993: 50) die Rede ist.

Die Einzelheiten und historischen Hintergründe des deutschen Staatsbürgerschaftsrechts und die daraus legitimierte „institutionalisierte Diskriminierung" gegenüber „Ausländern" sind bereits mehrfach ausführlich dargestellt worden (vgl. Brubaker 1992; Hoffmann 1994); sie werden an dieser Stelle nicht erneut ausgeführt. Hier stehen die eher alltäglichen Handlungen und Verhaltensweisen gegenüber „Fremden" im Vordergrund, die als ethnische Diskriminierung zu bezeichnen sind. Letztlich sind es in erster Linie solche Handlungen und Verhaltensweisen, denen das Hauptaugenmerk gilt oder zumindest gelten sollte, weil sie für das alltägliche Zusammenleben zwischen „Einheimischen" und „Fremden" von besonderer Bedeutung sind. Weshalb interessieren dann aber überhaupt noch Stereotype oder Vorurteile? Insbesondere zwei Gründe sind dafür maßgeblich. Der erste Grund ist inhaltlicher Art und ergibt sich aus der verbreiteten Annahme eines engen Zusammenhangs zwischen Stereotypen und Vorurteilen einerseits und diskriminierendem Handeln andererseits. Der zweite Grund ist primär pragmatischer Art: Meinungen und Einstellungen bzw. Stereotype und Vorurteile sind leichter und zuverlässiger für größere Bevölkerungsgruppen festzustellen als tatsächliche Handlungen bzw. Diskriminierungen (vgl. Abschnitt 3).

Auf der Grundlage der Annahme einer engen Verbindung zwischen Stereotypen, Vorurteilen und Diskriminierung wird oft - und zumeist ohne nähere Erläuterung - die Konsequenz gezogen, die Kenntnis der Vorurteile genüge, um Diskriminierungen zu erklären oder vorherzusagen (und umgekehrt). Mitunter werden die begrifflich markierten Unterschiede vollständig verwischt. Die dadurch entstehenden Unklarheiten sind hauptsächlich deshalb problematisch, weil damit meistens die Neigung verbunden ist, einen komplexen empirischen Zusammenhang analytisch zu verdecken. Bereits seit den 40er Jahren ist bekannt, daß zwischen Einstellungen und tatsächlichem Verhalten eine große Kluft bestehen kann. Einige Untersuchungen ergaben eine hohe Einstellungs-Verhaltenskonsistenz, andere zeigten nur sehr schwache Zusammenhänge auf. Der Gesamteindruck ist zumindest uneinheitlich (vgl. Benninghaus 1976; Dovidio/Brigham/Johnson/Gaertner 1996; Eckes/Six 1994; Meinefeld 1977). Das gilt auch für die Beziehung zwischen Vorurteilen und diskriminierendem Verhalten: Nicht jeder, der Vorurteile gegenüber Ausländern äußert, verhält sich ihnen gegenüber notwendig auch diskriminerend; und umgekehrt kann sich jemand gegenüber einer Personengruppe diskriminierend verhalten, obwohl er ihnen gegenüber im allgemeinen eher positiv eingestellt ist.

Die Ursachen für diese Befunde sind eigentlich leicht auszumachen. Schon aus relativ einfachen handlungstheoretischen Konzepten wird deutlich, „daß Handlungen erst aus der Kombination von motivationaler Zielausrichtung, subjektivem Wissen über die Angemessenheit einer möglichen Handlung, Perzeption der Handlungssituation und (nicht zuletzt) der Berücksichtigung möglicher negativ bewerteter Folgen der Handlung (also: der ‘Kosten’ der Handlung) vorhersagbar werden" (Esser 1980: 142). Vorurteile (und Stereotype) können in Bezug auf diskriminierendes Handeln eine wichtige Rolle spielen, indem sie die „Definition der Situation" beeinflussen und bestimmte Verhaltensdispositionen aktivieren; aber sie sind in der Regel nur ein Bestimmungsgrund des Handelns. Daneben kommt zum Beispiel auch materiellen Interessen, der wahrgenommenen Befürwortung oder Mißbilligung eines Handelns durch wichtige Bezugspersonen oder eventuellen rechtlichen Sanktionen ein großes Gewicht zu. Nur unter sehr speziellen

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Bedingungen ist, wie neuere Untersuchungen zeigen, ein enger Zusammenhang zwischen Vorurteilen und Diskriminierungen zu erwarten (vgl. z.B. Ajzen 1993; Esser 1996a; Fazio 1990).

Diese Erkenntnisse unterstreichen die Notwendigkeit der angeführten begrifflichen Unterscheidungen, die nach wie vor in zahlreichen Beiträgen über Fremdenfeindlichkeit - auf Kosten der analytischen Präzision - schlicht übergangen werden. Gleichzeitig lassen sie den Schluß zu, daß es weiterhin gute Gründe für eine Beschäftigung mit Stereotypen und Vorurteilen gibt, auch wenn das Interesse in erster Linie dem tatsächlichen Handeln und Verhalten gilt. Es sollte dabei nur im Blick gehalten werden, daß sich aus jenen Meinungen und Einstellungen nicht notwendig auf tatsächliche Diskriminierungen schließen läßt (und umgekehrt). Stereotype, Vorurteile und Diskriminierungen stellen unterschiedliche Aspekte oder Dimensionen ethnischer Grenzziehungen dar, die untereinander mehr oder weniger enge Verknüpfungen aufweisen und jeweils auch unterschiedlich stark fremdenfeindlich ausgerichtet sein können. Vor diesem Hintergrund lassen sich im übrigen auch die ebenfalls oft nur diffus bestimmten Konzepte „Ethnozentrismus" und „Rassismus" näher fassen.

Rassismus" bezeichnet einen Spezialfall ethnischer Grenzziehung, der dadurch charakterisiert ist, daß er an vermeintlich stabilen biologischen Unterschieden zwischen Personengruppen, den sogenannten „Rassen", orientiert ist. Vor allem im angelsächsischen und im französischen Sprachraum, aber auch in der deutschen Diskussion wird der Unterschied häufig vernachlässigt oder mit sprachlichen Neuschöpfungen wie „Neorassismus" (Castles 1992) oder „differenzialistischen Rassismus" (Taguieff 1987) in der Schwebe gehalten. Ein wesentlicher Grund dafür liegt wohl in der Tatsache, daß die Übergänge zwischen ethnischer und rassistischer Grenzziehung in der empirischen Analyse tatsächlich oft nur schwer zu markieren sind; die Ideologie des sogenannten „Ethnopluralismus" der Neuen Rechten ist dafür nur ein Beispiel (vgl. dazu Jaschke 1994; Pfahl-Traughber 1997; Schwagerl 1993). Gleichwohl sollte der Begriff des Rassismus für Einstellungen, Verhaltensweisen und Ideologien reserviert werden, die sich auf eigentlich längst widerlegte Behauptungen genetisch bedingter Differenzen zwischen hierarchisch abgestuften Bevölkerungsgruppen beziehen. Von ethnischer Grenzziehung wäre hingegen schon dann zu sprechen, wenn - oft ebenfalls fragwürdige - Vorstellungen von (vermeintlich) relativ stabilen herkunftsbedingten und kulturellen Besonderheiten bestimmter Bevölkerungsgruppen im Spiel sind.

Mit Ethnozentrismus schließlich ist eine eigentümliche Ausrichtung ethnischer Grenzziehungen gemeint, die sich sowohl auf Vorurteile als auch auf diskriminierendes Handeln beziehen kann. Bezeichnet wird damit im sozialwissenschaftlichen Sprachgebrauch ein Syndrom, das im wesentlichen charakterisiert ist (a) durch die Tendenz, Denkmuster, Verhaltensregelmäßigkeiten und sonstige Gewohnheiten der Eigengruppe als „natürliche" Standards anzusehen, an denen „Fremde" gemessen und beurteilt werden; (b) durch die Auf- bzw. Überbewertung der Eigengruppe bei gleichzeitiger Abwertung der Fremdgruppe(n); und (c) durch eine damit einher gehende Bevorzugung der Angehörigen der Eigengruppe gegenüber Personen, die dieser Gruppe nicht angehören (vgl. Fuchs/Gerhards/Roller 1993; LeVine/Campbell 1972). Während ethnische Grenzziehung auch vergleichsweise harmlose Vorstellungen vom Bestehen einer ethnisch begründeten Differenz beinhalten kann, bezeichnet demnach der Begriff des Ethnozentrismus eine eindeutig einseitige Einstellungs- und Verhaltensorientierung zugunsten der Eigengruppe, die mit Distanz, Antipathie und Diskriminierung gegenüber den „Fremden" verbunden ist.

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Damit sind in aller Kürze die wichtigsten definitorischen Eingrenzungen und Abgrenzungen vorgenommen, die zur begrifflichen Ordnung des Untersuchungsfelds nötig sind. Die Darstellung grundlegender Verfahren zur Messung unterschiedlicher Aspekte der Fremdenfeindlichkeit und Distanzierung gegenüber „Ausländern" wird ebenso darauf aufbauen wie die nachfolgenden Abschnitte über aktuelle Entwicklungen und Ursachen fremdenfeindlicher Tendenzen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999

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