FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:



[Seite der Druckausg.: 7 ]

Zusammenfassung

An kühnen Diagnosen und Mutmaßungen über Ausmaß und Ursachen der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland besteht kein Mangel. Wissenschaftliche Veröffentlichungen, aber auch Zeitungen, Nachrichtenmagazine und öffentliche Diskussionen sind voll davon. Schon bei der Einschätzung der Entwicklungstendenzen und der Verbreitung fremdenfeindlicher Einstellungs- und Verhaltensmuster gehen allerdings die Ansichten der Beobachter oft weit auseinander. Das Spektrum der Interpretation reicht von verharmlosenden Abwiegelungsversuchen auf der einen Seite bis hin zu aufsehenerregenden Schreckensszenarien auf der anderen. Ähnlich uneinheitlich ist das Angebot an Beiträgen zur Ursachenforschung und Erklärung fremdenfeindlicher Orientierungen. Sowohl in Bezug auf die grundlegenden Ansatzpunkte der Analyse als auch in Hinsicht auf die inhaltlichen Aussagen und Hypothesen offenbaren sich erhebliche Unterschiede und Gegensätze, die nicht ohne weiteres zu überbrücken sind. Es liegt auf der Hand, daß sich dies auch in den Beurteilungen unterschiedlicher Möglichkeiten zur Eindämmung fremdenfeindlicher Tendenzen niederschlägt.

Das Ziel dieser Studie besteht deshalb vor allem darin, auf der Grundlage aktueller empirischer Daten zum einen eine Einschätzung der Verbreitung und längerfristigen Entwicklung fremdenfeindlicher Orientierungen und Handlungen zu geben und zum anderen wichtige Einflußfaktoren und Ursachen der Fremdenfeindlichkeit aufzuzeigen. Aus den Ergebnissen lassen sich einige Aufschlüsse gewinnen, die nicht nur für die Beurteilung der derzeitigen Situation, sondern auch für die Suche nach geeigneten Konzepten zur Verbesserung der Beziehungen zwischen Deutschen und „Ausländern" von Interesse sind. In Bezug auf die Einschätzung der aktuellen Situation kann es aufgrund der Ergebnisse der Analysen kaum Zweifel daran geben, daß sich fremdenfeindliche Tendenzen in den vergangenen Jahren erheblich verschärft haben. Von besonderer Brisanz ist sicherlich die starke Zunahme fremdenfeindlicher Gewalt- und Straftaten. Deren Zahl ist seit 1990 dramatisch angewachsen. Nach dem Negativrekord von weit über 10.000 fremdenfeindlich motivierten Straftaten im Jahr 1993 hatte es zwar vorübergehend den Anschein, als würden sich die gegen „Ausländer" gerichteten Gewalt- und sonstigen Straftaten allmählich wieder verringern. Doch deren erneute Zunahme im vergangenen Jahr macht hinlänglich klar, daß es sich bei den fremdenfeindlichen Angriffen und Aktionen keineswegs um vorübergehende Phänomene handelt.

Diese Entwicklung der Gewalt- und Straftaten steht teilweise in einem bemerkenswerten Kontrast zur längerfristigen Entwicklung der Meinungen und Einstellungen gegenüber „Ausländern" beim Gros der deutschen Bevölkerung. Das geht aus der Analyse der Daten aus der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) hervor, die als die zuverlässigste Quelle für die Einschätzung solcher Entwicklungstrends eingeschätzt werden kann. Auf deren Grundlage zeigt sich, daß sich die Meinungen und Einstellungen der (West-) Deutschen gegenüber den zugewanderten Bevölkerungsgruppen seit 1980 insgesamt verbessert haben. Der Anteil derer, die diskriminierende Haltungen und Handlungen befürworten, ging deutlich zurück; gleichzeitig erhöhte sich der Anteil derjenigen, die solche Haltungen und Handlungen eindeutig ablehnen. Doch auch hier zeichnet sich neuerdings eine entgegengesetzte Entwicklung ab. Die Analyse der Daten aus der jüngsten ALLBUS-Erhebung von 1996 lassen jedenfalls im Vergleich zur Erhebung von 1994 eine beträchtliche Zunahme negativer Einstellungen gegenüber „Ausländern" erkennen. Insgesamt scheinen sie zwar immer noch positiver auszufallen als in den Jahren zwischen 1980 und 1990. Auch sind diejenigen, die diskriminierende Haltungen und Handlungen uneingeschränkt befürworten, nach wie vor in der Minderheit. Aber das kann kein Grund sein, diesen neuen Entwicklungstrend zu unterschätzen.

[Seite der Druckausg.: 8 ]

Immerhin umfaßt diese Minderheit, die diskriminierenden Haltungen und Handlungen uneingeschränkt zustimmt, nach groben Schätzungen rund 20% der westdeutschen und mehr als 25% der ostdeutschen Bevölkerung. Geht man davon aus, daß entsprechende Meinungen und Einstellungen in Umfragen häufig abgeschwächt oder vertuscht werden, ist anzunehmen, daß deren Anteile noch deutlich höher liegen.

Im Einzelnen zeigen sich indessen markante Unterschiede in den Meinungen und Einstellusngen gegenüber unterschiedlichen Gruppen von „Ausländern". Vor allem Asylbewerber, aber auch Immigranten aus der Türkei stoßen offenbar auf besonders ausgeprägte Vorbehalte und soziale Distanzen. Hingegen scheinen zum Beispiel Italiener oder deutschstämmige Aussiedler aus Osteuropa weitaus eher akzeptiert oder zumindest toleriert zu werden. Diese Unterschiede spiegeln sich auch in den Bewertungen der Zuzugsmöglichkeiten für verschiedene Gruppen potentieller Zuwanderer wieder. Die Einstellungen zur Zuwanderung sind im Zeitraum zwischen 1990 und 1996 generell restriktiver geworden. Selbst die uneingeschränkten Zuzugsmöglichkeiten von Arbeitnehmern aus den Mitgliedsländern der Europäischen Union sowie von Aussiedlern werden nur von einer Minderheit befürwortet. Am stärksten sind von der restriktiven Haltung jedoch Asylsuchende und Arbeitnehmer aus Ländern außerhalb der Europäischen Union, zu denen ja unter anderem die Türkei zählt, betroffen. Der Anteil derjenigen, die den Zuzug von Asylsuchenden und Arbeitnehmern aus Nicht-EU-Staaten begrenzen oder gar ganz unterbinden wollen, liegt bei fast 90%, wobei die Bereitschaft zur Aufnahme von Asylsuchenden noch relativ größer zu sein scheint.

In Übereinstimmung mit diesen Befunden lassen auch Erfahrungsberichte von Angehörigen unterschiedlicher Zuwanderergruppen darauf schließen, daß neben Asylsuchenden vor allem Immigranten aus der Türkei und – in geringerem Maß – aus dem ehemaligen Jugoslawien am stärksten von fremdenfeindlichen Haltungen und diskriminierenden Handlungen betroffen sind. Dagegen haben sich zum Beispiel die Einstellungen und Verhaltensweisen gegenüber Italienern oder Griechen, die vor einigen Jahrzehnten ebenfalls eher skeptisch bis ablehnend waren, offenbar deutlich zum Positiven gewandelt. Das schlägt sich zum Beispiel auch in einer Zunahme persönlicher Kontakte zu Deutschen sowie in der Zunahme gemischt-nationaler Ehen nieder, die sich im übrigen – in schwächerem Ausmaß - auch für die Gruppe der Türken feststellen läßt. Diese Indizien einer Verbesserung der Beziehungen zwischen Deutschen und „Ausländern" können freilich über die weiterhin bestehenden Belastungen nicht hinwegtäuschen, die sich aus der anhaltend starken Verbreitung fremdenfeindlicher Tendenzen innerhalb der deutschen Bevölkerung ergeben. Eine besonders schwerwiegende Belastung stellen dabei sicherlich die Gewalt- und sonstigen Straftaten dar, die sich unmittelbar gegen die körperliche Unversehrtheit und Menschenwürde von „Ausländern" richten. Aber auch die subtilen, eher unterschwelligen Formen der Abgrenzung oder Diskriminierung werden für die Lebensgestaltung der zugewanderten Bevölkerungsgruppen im allgemeinen nicht folgenlos bleiben. Der oft kritisch betrachtete Rückzug ins ethnische Milieu oder die Gründung von Organisationen zum Schutz der eigenen ethnischen Gruppe sind dabei nur einige mögliche (aber nicht zwangsläufige oder allein dadurch begründete) Reaktionsweisen, an denen sich besonders drastisch die eventuellen Konsequenzen verdeutlichen ließen.

Allein die tatsächlichen oder auch nur potentiellen Gefährdungen, denen ein großer Teil der in Deutschland lebenden Bevölkerung durch fremdenfeindliche Tendenzen ausgesetzt ist, sollte Grund genug sein, die Suche nach geeigneten Maßnahmen zur Eindämmung der Fremdenfeindlichkeit voranzutreiben. Vorschläge gibt es dazu genügend. Doch nur wenige beruhen auf überzeugenden, empirisch fundierten Erkenntnissen über die vordringlichen Ursachen und die voraussichtlichen Wirkungen der vorgeschlagenen

[Seite der Druckausg.: 9 ]

Lösungen. Vor allem die Bestimmung der hauptsächlichen Ursachen und typischen Entstehungsbedingungen fremdenfeindlicher Tendenzen bereitet nach wie vor große Schwierigkeiten und ist auch innerhalb der sozialwissenschaftlichen Forschung umstritten. Die Übersicht über die unterschiedlichen Erklärungsansätze macht dies deutlich. Ähnliche Unklarheiten ergeben sich bei der Einschätzung der Erfolgschancen verschiedener Lösungsvorschläge, zumal selbst für bereits erprobte Maßnahmen bislang noch keine systematischen Auswertungen der unter unterschiedlichen Bedingungen erzielten Wirkungen vorliegen.

Aus dem vorliegenden Bericht ergeben sich gleichwohl einige Hinweise auf wichtige Ansatzpunkte für die weitere Suche nach geeigneten Möglichkeiten der Reaktion auf fremdenfeindliche Tendenzen. Sie resultieren einerseits aus den Erkenntnissen über die Hintergründe fremdenfeindlicher Gewalttaten und andererseits aus den eigenen empirischen Analysen auf der Basis der ALLBUS-Daten von 1996. In Hinsicht auf die offenen Gewalttaten ist offensichtlich und wohl hinlänglich bekannt, daß sie zum überwiegenden Teil von männlichen Jugendlichen begangen werden, von denen die meisten informellen Cliquen mit relativ diffusen ideologischen Ausrichtungen angehören. Viele der Täter gehen noch zur Schule oder absolvieren eine Lehre. Im Gegensatz zu einigen gängigen Klischees handelt es sich also nicht nur um Arbeits- und Erwerbslose und auch nicht nur um „sozial Deklassierte" oder „Modernisierungsverlierer". Wenngleich unter den Tätern Jugendliche mit relativ geringem Bildungsniveau und Kinder von Familien der Unterschicht und unteren Mittelschicht überrepräsentiert sind, wäre es wohl kurzschlüssig, fremdenfeindliche Gewalttaten ausschließlich auf sozialstrukturelle und/oder familiäre Problemlagen zurückführen zu wollen. Eine ebenso zentrale Bedeutung dürfte zwei anderen Aspekten zuzumessen sein: Das ist zum einen die hitzig diskutierte generelle Zunahme der von Kindern und Jugendlichen begangenen Kriminalitätsdelikte im allgemeinen und der Gewalttaten im besonderen, die sich bekanntlich nicht nur gegen „Ausländer" richten, und zum anderen die Tatsache, daß es in manchen Jugendcliquen inzwischen fast schon „cool" zu sein scheint, sich abschätzig über „Ausländer" auszulassen und mit rechtsradikalen Parolen zu provozieren. Diese Entwicklungen können nicht nur mit individuell erfahrenen Krisensituationen erklärt werden, sondern resultieren auch aus gruppeninternen Dynamisierungsprozessen, die wesentlich von den gruppenspezifischen Anforderungen an den Erwerb sozialer Anerkennung gesteuert werden.

Ausgehend von dieser Einschätzung ist es fraglich, ob fremdenfeindliche Gewalttaten allein dadurch wirksam verhindert werden können, daß zum Beispiel das Lehrstellenangebot erhöht oder die beruflichen Perspektiven von Jugendlichen verbessert werden. Auch Appelle an moralische Normen und Bemühungen um eine den Prinzipien der Aufklärung verpflichtete Erziehung dürften es schwer haben, sich gegen die Eigendynamik gruppeninterner Prozesse der wechselseitigen Beeinflussung und Verhaltensbestätigung innerhalb spezifischer Jugendcliquen durchzusetzen. Selbst polizeiliche Ermittlungen und gerichtliche Verurteilungen wegen begangener Straftaten erhöhen möglicherweise noch das Prestige innerhalb der Gruppe. Das heißt nicht, daß die immer wieder vorgeschlagenen sozialpolitischen, erzieherischen und rechtlichen Maßnahmen zur Eindämmung fremdenfeindlicher Gewalttaten von vornherein zum Scheitern verurteilt sind. Doch deren Erfolgschancen werden wesentlich davon abhängen, ob es gelingt, jenen Jugendcliquen, in denen Fremdenfeindlichkeit soziale Anerkennung verschafft, attraktive Alternativen entgegenzusetzen. Das gilt vor allem, aber nicht nur für die östlichen Bundesländer, wo die Lücken im Freizeitangebot für Jugendliche verstärkt - und mit offenbar zunehmendem Erfolg - von rechtsradikalen Organisationen für ihre Zwecke ausgenutzt werden.

[Seite der Druckausg.: 10 ]

Obwohl die Bekämpfung fremdenfeindlicher Gewalttaten aus naheliegenden Gründen als besonders dringlich gelten muß, ist die Notwendigkeit einer Eindämmung der vergleichsweise subtilen Formen der Fremdenfeindlichkeit kaum hoch genug zu bewerten. Zumindest darüber dürfte ein relativ großer Konsens bestehen. Für die Suche nach geeigneten politischen Konzepten sind nach den hier vorgelegten empirischen Analysen insbesondere drei Aspekte zentral, von denen sich gezeigt hat, daß sie auf wichtige Determinanten fremdenfeindlicher Tendenzen verweisen, nämlich das Bildungsniveau, die soziale Lage und persönliche Kontakte zu „Ausländern". Ein hohes Bildungsniveau ist offenbar immer noch die stärkste Barriere gegen fremdenfeindliche Orientierungen. Ebenso scheinen eine günstige berufliche Stellung und die damit zumeist einher gehenden Privilegien der sozialen Lage eher positive Haltungen gegenüber „Ausländern" zu begünstigen. Auch persönliche Kontakte zu Immigranten tragen im allgemeinen dazu bei. Damit sind freilich nur sehr grob mögliche Ansatzpunkte für die Entwicklung sinnvoller politischer Konzepte benannt. Konkrete Handlungsempfehlungen lassen sich daraus nicht unmittelbar ableiten. Das wird vor allem am Beispiel der persönlichen Kontakte deutlich. Wenngleich Deutsche, die in der Nachbarschaft oder am Arbeitsplatz persönliche Beziehungen zu „Ausländern" haben, im Durchschnitt eine relativ geringere Tendenz zu fremdenfeindlichen Orientierungen aufweisen, kann daraus nicht zwangsläufig geschlossen werden, daß persönliche Kontakte in jedem Fall diese Wirkung nach sich ziehen. Vieles wird von den spezifischen Bedingungen abhängen, unter denen die Beziehungen aufgenommen werden. Versuche, Fremdenfeindlichkeit durch die Erweiterung von Kontaktmöglichkeiten einzudämmen, werden deshalb allenfalls dann erfolgreich sein können, wenn es gelingt, diese Bedingungen klar zu bestimmen und im politischen Zielkonzept umzusetzen.

Darüber hinaus muß mit einigen weiteren Einflußfaktoren gerechnet werden, deren Wirkungen bei der Suche nach geeigneten Wegen zur Eindämmung fremdenfeindlicher Tendenzen zu beachten sind. Dazu ist unter anderem auch die populistische Aufbereitung „der Ausländerproblematik" in manchen Medien und Politikerkreisen zu zählen. Wenngleich zu bezweifeln ist, daß dadurch Fremdenfeindlichkeit erst erzeugt wird, so steht es dennoch außer Frage, daß die bekannten, eigentlich längst abgedroschenen Phrasen einen stabilisierenden und legitimierenden Einfluß auf mehr oder weniger fest verankerte fremdenfeindliche Attitüden haben können. Daß dies letztlich zu einer Verschärfung negativer Haltungen gegenüber „Ausländern" führen kann, ist anzunehmen, wird aber von einigen Politikern und Medienvertretern offensichtlich gern in Kauf genommen. Ob die vermeintlich „volksnahen" Botschaften auf Resonanz stoßen, dürfte allerdings nicht zuletzt davon abhängen, inwieweit sie auch vom unmittelbaren sozialen Umfeld für „richtig" erachtet und geteilt werden. Gerade der Einfluß sozialer Bezugsgruppen und Milieus auf die Entstehung und Stabilisierung fremdenfeindlicher Meinungen und Einstellungen ist indes in der sozialwissenschaftlichen Forschung bislang weitestgehend vernachlässigt worden. Doch es gibt genügend Anhaltspunkte, die dafür sprechen, daß diese relativ eigenständige, selbst vom Bildungsniveau und sozialen Status unabhängige Auswirkungen nach sich ziehen können.

Je größer das Wissen über solche Einflußfaktoren und Wirkungsmechanismen ist, um so genauer kann vermutlich auch das Gewicht der hier analysierten Determinanten fremdenfeindlicher Einstellungs- und Verhaltensmuster bestimmt werden. Und dies wiederum ist eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung geeigneter Konzepte zur Eindämmung fremdenfeindlicher Tendenzen. Versuche einer Ursachenbekämpfung ohne klare, hinreichend gesicherte Kenntnisse der Ursachen standen nämlich immer schon auf ziemlich wackligem Boden. Zumindest das ist sicher.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999

TOC Next Page