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Horst Schmidbauer:
Einführung


50 Jahre nach dem Nürnberger Ärzteprozeß wurde am vergangenen Wochenende die Nürnberger Erklärung verabschiedet. Zehn Thesen zur ethischen Verantwortung von Ärzten sind darin formuliert. Die 7. These lautet: „Wir erkennen in der persönlichen Zuwendung und der fürsorglichen Begleitung von Todkranken und Sterbenden eine besonders wichtige humane ärztliche Aufgabe."

Die heutige internationalen Fachtagung der Friedrich-Ebert-Stiftung trägt den Titel „Sterben als Teil des Lebens – humane Sterbebegleitung als gesellschaftliche Herausforderung". Diese gesellschaftliche Herausforderung haben über 1.600 Ärztinnen und Ärzte in Nürnberg zu ihrem Ziel erklärt. Es ist ein wichtiger Schritt hin zu diesem gesellschaftlichen Wandel.

Diese Tagung könnte ebenso gut unter der Überschrift stehen – laßt uns das Rad nicht neu erfinden. Andere Länder, vor allem Großbritannien, Kanada und die Niederlande haben ein funktionierendes System der humanen Sterbebegleitung, sind Deutschland gegenüber in der Entwicklung voraus. Ich denke, Ziel dieser Tagung ist, möglichst viel voneinander zu lernen. Vielleicht gelingt es uns dann in Deutschland besser, uns einen Teil der schmerzhaften Prozesse zu ersparen.

Was meine ich damit? Ohne die Ausführungen der Referenten vorweg nehmen zu wollen, glaube ich, daß wir in der Bundesrepublik ein bestimmtes Humanitätsniveau noch erst erreichen müssen. Ein Niveau, wie ich es z.B. im St. Christopher’s Hospice in London gesehen habe. Es ist dort geprägt vom Niveau und Engagement der Pflegekräfte, von der Ärzteschaft und 1.000 Ehrenamtlichen, aber auch von den Angehörigen, Nachbarn und Freunden der Menschen, die im St. Christopher ihren letzten Lebensabschnitt verbringen.

Dieser gesellschaftliche Wandel, von dem ich sprach, bewirkte, daß in nur fünf Jahren der Anteil der Menschen, die zu Hause starben, von 20% auf 50% stieg. Im St. Christopher’s wird das Ziel verfolgt, den Kreis auf 60% zu vergrößern.

Am Beispiel Kanada läßt sich zudem erkennen, daß es dort nicht nur eine gesellschaftliche, sondern auch eine politische und damit auch gesetzliche Akzeptanz der Hospizarbeit, dort Palliativdienste genannt, gibt. Dadurch hat die Hospizarbeit einen festen Platz in der Gesellschaft.

Ich erzähle Ihnen nun nichts Neues, wenn ich für die Bundesrepublik Deutschland Defizite aufzähle. Die Menschen sterben außerhalb der Gesellschaft. Es ist weithin akzeptiert, daß eine Familie einen Sterbenden im Krankenhaus deponiert. Wenn ich die gesellschaftliche Bewußtseinsänderung als Voraussetzung für eine funktionierende Hospizarbeit genannt habe, so fehlt es an eben dieser Grundlage. Erst in allerjüngster Zeit sind Bemühungen erkennbar, das Thema Sterben und Tod einer öffentlichen Debatte zu unterziehen. Ansätze dafür sind vor allem in Nordrhein-Westfalen erkennbar, dem einzigen Bundesland, das sich auf politischer Ebene mit der Hospizarbeit auseinander setzt. Populäre Einzelfälle, wie ein Interview in einer großen Wochenzeitschrift mit dem sterbenden Hanns Joachim Friedrichs, rücken den Tod ins öffentliche Bewußtsein. Es ist wichtig, daß ein solcher Vorgang in der Öffentlichkeit bewußt wahrgenommen wird. Es darf kein Einzelfall bleiben, damit ein gesellschaftlicher Prozeß in Gang gesetzt wird.

Aber solange wir in Deutschland das Sterben nicht als einen Teil des Lebens sehen, lebt ein Sterbender immer noch im Ghetto. Sterben ist in Deutschland nach wie vor ein Tabu. Dabei verdrängt die Tabuisierung den Weg zur Frage, wie einem Menschen bis zum letzten Tag ein ihm angemessenes Leben und ein würdevolles Sterben ermöglicht werden kann.

Wir stehen in Deutschland, und das schon seit langer Zeit, am Anfang. Ich will hier nicht versuchen, abschließend zu klären, warum wir dies in der Bundesrepublik nicht ändern. Ich kann nur aus meiner Sicht einige Aspekte aufzählen, die zu dieser Situation beitragen.

Der demographische Wandel wird immer noch von der Bevölkerungsmehrheit ausgeblendet. Menschen werden heutzutage immer älter und nehmen die meiste Zeit ihres Lebens aktiv am sozialen Leben teil. So weit, so gut. Geht dieses Leben zu Ende, fehlen in unserer Gesellschaft Antworten auf die Fragen, wie denn dieses Leben zu Ende gehen soll. Die Konzeptionslosigkeit zeigt eine Zahl: Obwohl der weit überwiegende Teil der Bevölkerung am liebsten in häuslicher, zumindest aber in vertrauter Umgebung sterben möchte, stirbt ein Großteil im Krankenhaus oder im Pflegeheim. Dabei kann in Deutschland nach Stadt und Land differenziert werden: In den Großstädten in der Anteil der im Krankenhaus Sterbenden wesentlich höher, als in ländlich strukturierten Gegenden. Daß Krankenhäuser und Pflegeheime auf eine weitgehend humane Betreuung Sterbender so nicht eingestellt sind, ist eine Binsenweisheit.

Das deutsche Krankenhaus ist eine kurativ arbeitende Einrichtung. Seine hochtechnisierte Struktur ist darauf ausgerichtet, Menschen zu heilen und als geheilt zu entlassen. In der modernen Klinik begegne ich dem Bewußtsein einer erwarteten Unsterblichkeit. Deshalb erlebe ich immer wieder, daß in deutschen Krankenhäusern versucht wird, auch wenn das Leben zu Ende geht, gegen den Tod zu kämpfen. Ein Arzt will den Tod besiegen und empfindet oftmals persönliches Versagen, wenn einer seiner Patienten stirbt. Daß ein Mensch den Wunsch haben kann, seinem Tod in Würde zu begegnen, kommt in dieser Welt nicht vor.

Ich denke, zudem wird die Diskussion um die aktive Sterbehilfe obsolet, wenn es uns gelingt, den Sterbenden als einen Teil der Gesellschaft zu begreifen, den wir auf dem letzten Teil seines Weges begleiten. Damit sind wir bei der Definition der Hospize: Hospize bejahen das Leben. Hospize leben aus der Überzeugung und der Hoffnung, daß sich Patienten, deren Familie und Freunde soweit geistig auf den Tod vorbereiten können, daß sie bereit sind, ihn anzunehmen.

Ich bin der Auffassung, daß Tod und Leben einander bedingen. Dabei sind Sterben und Tod sehr vielfältig – jeder stirbt seinen eigenen Tod. Wenn ein Mensch stirbt, hat er oftmals eine lange Geschichte körperlicher und seelischer Leiden hinter sich. Enorme Bedeutung hat hier die Schmerztherapie: Die psychologischen Probleme eines Sterbenden sind ohne Schmerztherapie nicht zu überwinden. Nur über eine gelungene Schmerztherapie kann ein Zugang zum sterbenden Menschen gefunden werden.

Ein Sterbender verändert in der letzte Phase seines Lebens seine Wünsche. Die Wünsche des sterbenden Menschen wahrzunehmen, sie ernst zu nehmen bedeutet, im Sterben seine Würde zu wahren, ihn so sterben zu lassen, wie wir alle leben möchten: unserer selbst gemäß. Wir müssen also dem Sterbenden endlich als jemanden begreifen, den wir nicht am Leben halten, sondern der im Leben steht.

Wie soll das im Idealfall praktisch aussehen? Kernstück meiner Auffassung von Hospizarbeit ist der Grundsatz „ambulant vor stationär". Es muß den Familien ermöglicht werden, den Sterbenden ein zu Hause zu geben. Dieses Zuhause können die Familien, die Nachbarn und Freunde nur schaffen, wenn sie für den Sterbenden eine optimale schmerztherapeutische Versorgung, professionelle Pflege, praktische, psychologische und seelsorgerische Hilfe erhalten können, die auch nach dem Tod nicht jäh abbricht, sondern weitergeführt wird.

Der Kristallisationspunkt dieser Betreuung ist das stationäre Hospiz, das immer dann aufgesucht werden kann, wenn Probleme auftreten. Eine optimale Betreuung erfolgt interdisziplinär und muß rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche verfügbar sein. Fachlich müssen in der Hospizarbeit gründliche Erfahrungen und Kenntnisse in der Symptomkontrolle vorliegen, besonders in der Schmerzbekämpfung. Ich verweise ausdrücklich auf die Palliativmedizin.

Hospizarbeit beginnt dabei schon im Krankenhaus. Dort findet eine erste Kontaktaufnahme der Familien mit dem Hospiz statt. Das Krankenhaus sollte dabei für die Hospizarbeiter ein selbstverständlicher Stützpunkt sein, von dem aus sie bei den Familien Vertrauen erwerben können.

Natürlich gibt es aber auch in der Bundesrepublik viele Initiativen zur humanen Sterbebegleitung. Krankheiten wie Krebs oder auch HIV/AIDS haben in den letzten Jahren in Teilen der Bevölkerung zu einem Bewußtseinswandel geführt.

In einer Zeit, in der sich Einsatzbereitschaft und Engagement wandeln und in allen Bereichen immer weniger Personen sich zur ehrenamtlichen Mitarbeit bereit finden, ist der Hospizbewegung aus dem Stand heraus gelungen, eine große und derzeit stetig wachsende Anzahl von Menschen zu erreichen und zur ehrenamtlichen Arbeit zu bewegen. In der Bundesrepublik engagieren sich mindestens 10.000 Hospizhelfer in den Hospizstationen. Ich finde, dies ist eine beeindruckende Zahl, die Anlaß zur Hoffnung gibt.

Allerdings wird dieses Engagement von Seiten der Politik nicht honoriert. Bei der einsetzenden Amerikanisierung des Sozial- und Gesundheitswesens paßt die Hospizarbeit nicht ins Bild. Das zeigt sich daran, daß die schon erbärmlich geringe Finanzierung der Hospize vom Gesetzgeber aus dem Pflichtenkatalog der Gesetzlichen Krankenversicherungen herausgenommen wurde. Wir reden dabei von lächerlichen Pauschalbeträgen von z.B. DM 170,–/Tag. Der Vergleich mit dem konservativ geführten England zeigt, daß dort 40% der Kosten durch das Gesundheitswesen getragen werden. In der Bundesrepublik erklärt hingegen der Gesetzgeber die Finanzierung der Hospize als gesetzwidrig. An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, daß gesicherte Untersuchungen belegen, daß durch die Hospizbetreuung 40% der Kosten bei der Versorgung Sterbender gespart werden können.

Ich denke, es ist Aufgabe der Politik, gegen die Amerikanisierung der Gesellschaft anzugehen und die Hospizbewegung gesetzlich und institutionell zu dokumentieren. Leider stieß ich bei meiner bisherigen Arbeit dabei auf taube Ohren. Ich habe im Winter 1993 eine Kleine Anfrage zur Versorgung sterbender Menschen in Deutschland an die Bundesregierung gerichtet. Die Antwort der Bundesregierung hat mich erschüttert, da die Bundesregierung nicht nur über keine Daten und kein Konzept verfügte, sondern tiefes Desinteresse zur Schau trug.

Damit kann ich mich als Bundestagsabgeordneter nicht zufrieden geben. Ich sehe meine Aufgabe darin, die solidarischen, sozialen und humanen Elemente der Hospizarbeit zu fördern. Eine öffentliche Diskussion muß angestoßen werden, Menschen müssen überzeugt werden, um den gesellschaftlichen Bewußtseinswandel zu befördern. Die Hospizbewegung muß auf Bundesebene verankert werden. Ich denke, die heutige Veranstaltung ist ein Schritt in die richtige Richtung.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 1999

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