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Peter König:
Zusammenfassung


„Sterben ist in Deutschland nach wie vor ein Tabu. Dabei verdrängt die Tabuisierung den Weg zur Frage, wie einem Menschen bis zum letzten Tag ein ihm angemessenes Leben und ein würdevolles Sterben ermöglicht werden kann." Mit dieser Aussage formulierte der Bundestagsabgeordnete Horst Schmidbauer in seinem Einführungsreferat ein zentrales Anliegen der Tagung: Ein Tabu-Thema soll öffentlich diskutiert werden, denn die Sterbesituation in Deutschland wird als inhuman empfunden.

Was ist der Hintergrund für dieses Verständnis? Sterben wird als Teil unseres Lebens häufig ausgeblendet. Dies ist die Folge eines jahrzehntelangen Prozesses gesellschaftlicher Veränderung, in der wir die Auseinandersetzung mit Sterben und Tod an den Rand gedrängt haben: Wir erleben die Sterbesituation von Angehörigen und anderen Menschen kaum noch, denn Sterben findet überwiegend nicht zu Hause im Umfeld der Familie und Nachbarschaft statt, sondern in Institutionen, wie z.B. Krankenhäusern oder Altenpflegeheimen. Dies erleichtert es uns, Themen wie Leiden und Schmerz der Sterbenden nicht offen aufzugreifen. Wir umgehen damit auch Fragen, inwieweit in diesen Lebensabschnitten der Wunsch der Betroffenen nach persönlicher Zuwendung und fürsorglicher Begleitung besteht. Vielmehr überlassen wir es den Institutionen, hierauf Antworten zu finden, und bevorzugen es, uns hierbei selbst zurückzunehmen. Dabei hoffen wir insbesondere auf den medizinisch-technischen Fortschritt, Antworten zu finden, die uns zufriedenstellen. Aber nach bisheriger Erfahrung können über diesen Weg die psychosozialen und physischen Probleme nicht gelöst werden. Deshalb wird diese Situation von immer weniger Menschen akzeptiert, und es steigt ihre Bereitschaft, sich mit den damit verbundenen Fragen offen auseinanderzusetzen. Auch dann, wenn dadurch Emotionen berührt werden. Horst Schmidbauer sieht es nicht nur als eine Aufgabe des einzelnen, sondern der gesamten Gesellschaft an, Antworten auf diese veränderte Sichtweise zu finden, und forderte auch seine Kolleg/innen aus der Politik auf, sich diesem Thema offener als bisher zu widmen. Aber welcher Weg soll gegangen werden? Zwar gibt es in Deutschland in Krankenhäusern, Hospizen, in Altenpflegeheimen und in Selbsthilfegruppen Ansätze, über eine rein medizinische Behandlung hinaus durch persönliche Zuwendung und fürsorgliche Begleitung auf die Situation der Sterbenden einzugehen. Gleichzeitig besteht der Bedarf, mit denen in einen Gedankenaustausch einzutreten, die bereits über umfassendere Erfahrungen im gesellschaftlichen Umgang mit Sterben und Tod verfügen.

Professor Dr. Neil MacDonald vom Center for Bioethics, Montreal (Kanada), Dr. Gillian Ford vom Marie Curie Cancer Care, London (Großbritannien) und Dr. Zbigniew Zylicz vom Hospice Rozenheuvel in Rosendaal (Niederlande) trugen auf der Veranstaltung vor, welche Vorstellungen und Erfahrungen über menschenwürdiges Sterben in ihren Ländern vorliegen.

Insbesondere die Vorträge aus Kanada und Großbritannien belegen, daß in diesen Ländern stärker als in Deutschland – aber auch in den Niederlanden – mit einem Tabu-Thema gebrochen wurde und sich ein deutlich veränderter Umgang mit Sterben und Tod durchgesetzt hat. Hierbei handelt es sich um eine Form der humanen Sterbebegleitung, die in Kanada mit dem Begriff „palliative care", in Großbritannien und den Niederlanden mit dem Begriff „hospice" verbunden sind. Obwohl es zwischen diesen Ländern erhebliche Unterschiede in inhaltlicher, organisatorischer und personeller Ausgestaltung ihrer Modelle gibt, zeigen sich dennoch Parallelen:

Es hat eine Verlagerung von der rein medizinischen Behandlung zugunsten eines Modells gegeben, in dem in erster Linie psychosoziale und physische Probleme aufgegriffen werden. Dieser Ansatz, der eine Schmerztherapie einschließt, wurde insbesondere für Menschen entwickelt, die an meist unheilbaren chronischen Erkrankungen leiden, wie Krebs, Aids oder Herz- und Atemwegserkrankungen. Der Kern der Philosophie dieses Ansatzes besteht darin, den Sterbenden bis zum Tode eine hohe Lebensqualität durch persönliche Zuwendung und fürsorgliche Begleitung zu sichern. Dies betrifft nicht nur die Sterbenden, sondern auch deren Angehörige. Denn nach diesem Verständnis beinhaltet humane Sterbebegleitung auch eine enge Kommunikation mit und eine Betreuung von Angehörigen.

Entscheidend für den Erfolg dieser Modelle war eine umfassende Aus- und Fortbildung von Haus- und Krankenhausärzten, von hauptberuflichem Betreuungspersonal und ehrenamtlichen Helfern. Soweit wie möglich sollen diese unterschiedlichsten Berufsgruppen und Helfer nicht isoliert, sondern in einem Team zusammenarbeiten. In diese Teams werden Berater, Vertreter der Administration, der Hochschulen und Familienangehörige der Sterbenden im Sinne eines multidisziplinären Ansatzes integriert.

Weitere Bausteine kommen hinzu: Auf Gemeinde- oder anderer kommunaler Ebene werden Koordinierungseinrichtungen auf der Angebots- und Nachfrageseite geschaffen. Insbesondere in Kanada ist es gelungen, eigene Lehrstühle an Universitäten und Technischen Hochschulen einzurichten, die sich den Fragen humaner Sterbebegleitung widmen.

Sowohl in Kanada als auch Großbritannien und den Niederlanden ist eine Tendenz von der stationären zur ambulanten Versorgung zu beobachten. Damit wird nach Auffassung der Referenten nicht nur dem Bedürfnis der Sterbenden und deren Angehörigen Rechnung getragen, im Umfeld der Familie und Nachbarschaft zu sterben. Dieser Ansatz kommt auch den Bemühungen entgegen, die Kosten im Gesundheitswesens zu dämpfen.

Der quantitative und qualitative Versorgungsgrad der Patienten nach dem skizzierten Modell ist in den zuvor genannten Ländern unterschiedlich stark ausgeprägt. Zwar gibt es zwischen Kanada und Großbritannien auch noch deutliche Unterschiede, jedoch ist dort die Umsetzung des oben beschriebenen Modells am weitesten fortgeschritten. Nicht nur in Deutschland, sondern ebenfalls in den Niederlanden besteht hier ein erheblicher Nachholbedarf. In den Niederlanden ist Dr. Zylicz darum bemüht, ein Modell humaner Sterbebegleitung nach dem Vorbild Kanadas und Großbritanniens zu etablieren. Dadurch könnte nach seiner Auffassung auch der freiwilligen und unfreiwilligen Euthanasie entgegengewirkt werden. In Übereinstimmung mit den Referenten aus Kanada und Großbritannien sowie den Teilnehmern der Tagung interpretierte Dr. Zylicz aktive Sterbehilfe als eine Reaktion auf die gegenwärtige Situation in vielen Ländern, in denen die Umsorgung von Sterbenden nach dem Vorbild Kanadas und Großbritanniens noch nicht sehr verbreitet ist.

Die Länderberichte belegen, daß sich der Erfolg dieser Modelle nicht von selbst einstellte und in den einzelnen Ländern unterschiedliche Wege gegangen wurden:

Großbritannien gilt als das Mutterland der Hospizbewegung. Auch hier war das Thema humaner Sterbebegleitung tabuisiert. Wesentlich, wenn nicht sogar von noch größerer Bedeutung waren main-streams, die einer raschen Entfaltung dieser Bewegung entgegenwirkten: Pflege und Betreuung verloren durch die Professionalisierung der Ärzte an Bedeutung. Die medizinische Behandlung galt als das entscheidende und erfolgreichere Modell. Und der Einsatz von Pharmazeutika und High-Tech-Medizin unterstützte den Glauben an eine Heilbarkeit chronischer Erkrankungen. Dennoch gelang es Dame Cicely Saunders, eine Wende herbeizuführen. Sie gründete Ende der sechziger Jahre das „Sankt Christophers Hospice". In diesem Hospiz verfolgte sie den oben skizzierten Ansatz. Auf ihr persönliches Engagement ist es entscheidend zurückzuführen, daß die Bevölkerung und Politiker nicht nur Verständnis für neue Ansätze in der humanen Sterbebegleitung aufbrachten, sondern dies auch finanziell unterstützten.

Anders in Kanada: Auch hier war selbstverständlich das persönliche Engagement Voraussetzung für den Erfolg. Aber, die institutionelle Verankerung war anders. In Kanada wurde Mitte der siebziger Jahre ein Programm zur Sterbebegleitung gestartet, deren Initiatoren aus zwei medizinischen Fakultäten des Landes kamen. Der Erfolg dieses Programms führte zur Übernahme durch andere Universitäten, Krebszentren und Akut-Krankenhäuser.

Obwohl der Grad der Anerkennung und Unterstützung humaner Sterbebegleitung in diesen Ländern erheblich weiter fortgeschritten ist als in Deutschland, sind die Vertreter dieser Länder mit ihrer Situation unzufrieden. Insbesondere deshalb, weil trotz fortschreitender Erfolge die finanzielle Basis ungünstiger wird: Die Zahl der Patienten steigt bei gleichzeitig reduzierten Haushaltsmitteln.

Diese Sorge teilt auch der Bundestagsabgeordnete Horst Schmidbauer. Sein Bemühen geht dahin, in Deutschland auf breiterer Basis eine humane Sterbebegleitung zu etablieren, die sich an dem Vorbild Kanada und Großbritannien orientiert. Dies setzt allerdings eine angemessene Finanzierung voraus. Bis zum Zeitpunkt der Tagung war noch nicht sicher, ob die Finanzierung der Hospizarbeit durch die Bundesregierung aufrechterhalten wird. Nachrichtlich ist anzumerken, daß es ihm und seinen Bundestagskolleg/innen gelungen ist, dieses Ziel wenige Wochen nach Beendigung der Tagung doch zu erreichen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 1999

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