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TEILDOKUMENT:
3. Vorschläge für ein ganzheitliches Einwanderungskonzept der Bundesrepublik Deutschland 3.1. Notwendigkeit einer neuen, ganzheitlichen Konzeption für eine Zuwanderungspolitik Die bisherige Ausländer- und Flüchtlingspolitik gleicht einem Scherbenhaufen. Die selbstgesteckten Ziele, z. B. die Begrenzung weiterer Zuwanderungen, konnten nicht eingelöst werden. Die sozialen Spannungen in den Gemeinden sind im letzten Jahrzehnt eher größer als kleiner geworden. Nach wie vor sind viele seit langem bei uns lebende Migranten von einer gleichberechtigten Teilhabe an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen und isolieren sich bewußt oder unbewußt von den Einheimischen. Dies ist zu einem wesentlichen Teil einer Politik geschuldet, die es versäumt hat, anzuerkennen, daß Deutschland ein Einwanderungsland geworden ist und sogar auf die Zuwanderung aus ökonomischen Gründen angewiesen ist. Als wohlhabendes Industrieland im Herzen Europas hat Deutschland darüber hinaus die Verantwortung, einen Beitrag zur Linderung der weltweiten Flüchtlingsproblematik zu leisten. Es ist die Verbindung von falschen Diagnosen und Prognosen, kurzfristigen Gesetzesinitiativen und widersprüchlichen Zielformulierungen bei gleichzeitigem Anspruch, "Herr der Prozesse" sein zu können, die die Kritik und den Mißmut vieler Bürger verständlich werden lassen. Die Politik hat es versäumt, in der Bevölkerung die Akzeptanz für eine Öffnung unserer Gesellschaft gegenüber Zuwanderungsgruppen und sich daraus entwickelnden ethnischen Minderheiten zu fördern. Statt dessen verstärkt sich der Eindruck, daß nationale Abschottungstendenzen zunehmen und ethno-zentristische Weltbilder wieder die Oberhand gewinnen. Der Parteienstreit um das Asylrecht, dessen juristische Spitzfindigkeiten nur von einer Minderheit der Bevölkerung nachvollzogen werden können, ohne daß bei diesem Streit eine gesellschaftliche Perspektive, eine gesellschaftliche Vision der weiteren Entwicklung deutlich wird, verstärkt sicherlich die Staats- und Parteiverdrossenheit vieler Bürger.
3.2. Erfordernis eines neuen politischen Selbstverständnisses
Die Vereinigung Deutschlands bringt vielfältige neue Aufgaben und Belastungen in den alten und neuen Bundesländern mit sich. Der Aufbau in den neuen Ländern erfordert eine gewaltige Kraftanstrengung, deren Größenordnung jetzt erst für alle deutlich wird. Dies darf aber nicht dazu führen, daß sich die Bundesrepublik Deutschland nur auf ihre nationalen Probleme konzentriert und ihre Verantwortung in der Staatengemeinschaft vernachlässigt. Mit der Vereinigung ist zweifellos die politische Bedeutung Deutschlands in der Welt gestiegen. Eine Abkapselung und das Erstarken nationaler Engstirnigkeiten darf nicht die Folge des Vereinigungsprozesses sein. Die Lage im "Herzen Europas" und unsere wirtschaftliche Stärke erfordern, daß wir den im Rahmen der EG eingeleiteten europäischen Vereinigungsprozeß aktiv mitgestalten und vor allem auch die ost- und südosteuropäischen Staaten bei der Neugestaltung und Demokratisierung ihrer Gesellschaften ideell und materiell unterstützen. Nur dies und nicht die Errichtung neuer Mauern kann die prognostizierten "Armutswanderungen" aus Osteuropa verhindern helfen (Hönekopp, 1992 und 1991; Biermann, 1992).
3.3. Bekämpfung der Fluchtursachen
Erstes Ziel muß es sein, die Ursachen zu bekämpfen, die Menschen veranlassen, ihre Heimat zu verlassen, um in anderen Ländern Schutz zu finden (Brandt, 1991). In Abschnitt 1.3. ist bereits auf die Vielfalt der Fluchtursachen, ihrer Komplexität und die Dimensionen der Weltflüchtlingsproblematik hingewiesen worden. Es ist offensichtlich, daß diese Probleme nicht von einem Staat allein, sondern nur in einer gemeinsamen Anstrengung der wohlhabenden Länder einer Lösung näher gebracht werden können. Auf nationaler Ebene ist eine Konzeption von Entwicklungshilfe notwendig, die die ökologischen und sozialen Faktoren, die Fluchtbewegungen verursachen, stärker berücksichtigt. Erste Ansätze einer Umorientierung sind in der Flüchtlingskonzeption der Bundesregierung vom September 1990 erkennbar. Dort wird eine stärkere Verzahnung der Aktivitäten verschiedener Ministerien gefordert und als Ziel eine Entwicklungs- und Wirtschaftshilfe formuliert, die verstärkt Fluchtursachen bekämpfen will. Dies kann aber nur erreicht werden, wenn die materiellen Ressourcen für diesen Politikbereich aufgestockt werden. Die Vorgabe der Vereinten Nationen, daß jedes Land 0,7 % des Bruttosozialproduktes für Entwicklungshilfe zur Verfügung stellen soll, erreicht die Bundesrepublik Deutschland nicht. Ihr Anteil beträgt lediglich 0,39 %. Weiterhin ist eine intensivere internationale Kooperation notwendig, um Fluchtursachen wirksam bekämpfen zu können. Gremien und Institutionen, wie die Vereinten Nationen und die KSZE, und eine gemeinsame Außenpolitik der EG-Staaten müssen in ihren politischen Zielsetzungen verstärkt die Verhinderung der Fluchtbewegungen berücksichtigen.
3.4. Bekenntnis zur Einwanderungsgesellschaft
Selbst wenn die Bemühungen zur Bekämpfung der Fluchtursachen drastisch verstärkt werden, ist nicht mit schnellen Erfolgen zu rechnen. Es ist weiterhin davon auszugehen, daß entweder viele Menschen freiwillig nach Deutschland einwandern wollen oder aus den verschiedensten Gründen nach Deutschland fliehen müssen. Die Bundesrepublik Deutschland darf sich diesen Menschen nicht verschließen und muß in einem gesellschaftlich zu verantwortenden Ausmaß für diese Zuwanderungen offen sein. Daß dies nicht allein aus humanitären Gründen geboten, sondern auch für die weitere ökonomische und soziale Entwicklung unserer Gesellschaft notwendig ist, wurde oben ausgeführt. Es wird Zeit, daß wir endlich anerkennen, daß Deutschland ein Einwanderungsland - wenn auch "neuen Typs" - ist und daß ethnische Minderheiten ein fester Bestandteil unseres Gemeinwesens sind. Die Offenheit gegenüber Minderheiten erfordert ein nationales Selbstverständnis, das Volk nicht über Abstammung und Blutsverwandschaft definiert, sondern über gemeinsame Grundüberzeugungen. "Verfassungspatriotismus" und nicht deutsch-nationale Überlegenheitsgefühle sind gefordert.
3.5. Zuwanderung ist gestaltbar
Wie erwähnt, beschränkten sich die legalen Möglichkeiten, in die Bundesrepublik Deutschland einzureisen, nur auf bestimmte Gruppen von Ausländern, wie z. B. EG-Angehörige und nahe Familienangehörige hier lebender Ausländer. Ungehindert war hingegen, zumindest bis vor kurzem, der Zuzug von Aussiedlern möglich. Unsere These ist, daß die Zahl der Personen, die Asyl beantragen, sinken wird, wenn für Einwanderer und Flüchtlinge neue Wege und Formen der Einreise und der rechtlichen Absicherung des Aufenthaltes möglich werden. Gefordert ist ein umfassendes Einwanderungsgesetz, das sich auf alle Kategorien von Zuwanderern bezieht, und das mit dem Asylverfahren verzahnt werden muß. Die Initiative zu diesem Gesetz sollte von den demokratischen Parteien ergriffen werden. Dies kann dazu beitragen, die Akzeptanz der Bevölkerung für eine derartige Konzeption der Einwanderungspolitik zu erhöhen. Wichtig ist außerdem, in der Vorbereitungsphase dieses Einwanderungskonzeptes die relevanten gesellschaftlichen Gruppen, wie Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Flüchtlings- und Migrantenorganisationen, Kirchen, Wohlfahrtsverbände, Wissenschaftler usw. einzubeziehen, wie dies z.B. in Kanada der Fall ist (Immigration Canada, 1991; Körner, 1990:151 ff.). Zur Umsetzung in Verwaltungshandeln und zur laufenden Aktualisierung dieser Einwanderungspolitik bedarf es darüber hinaus neuer politischer Institutionen und Ämter, um die Rationalität politischen Handelns gewährleisten zu können. Ziel muß es sein, nicht mehr allein defensiv auf die Herausforderungen zu reagieren und restriktive Maßnahmen zur Verhinderung der Einreise zu ergreifen, sondern aktiv darüber zu entscheiden, in welchem Rahmen eine Steuerung der Zuwanderung vorgenommen werden soll (Vorstand der SPD, 1991). Die folgenden Vorschläge sind als Diskussionsanreize gedacht und bedürfen der Ergänzung und der inhaltlichen Präzisierung. Sie sollen aber die "Richtung" für zukünftige politische und gesellschaftliche Aktivitäten weisen.
3.6. Flüchtlingspolitik
Aus unseren in Abschnitt 2.5 dargelegten Überlegungen ergibt sich die Notwendigkeit, über verschiedene Aspekte des Asylrechts und der Asylpolitik neu nachzudenken. Die Diskussion allein um die Beibehaltung, Veränderung oder Abschaffung des Artikels 16 GG greift zu kurz. Auch heute schon sind weitere rechtliche Bestimmungen internationaler Abkommen, denen die Bundesrepublik Deutschland beigetreten ist, bindend. Wichtig wäre eine Neuordnung der Asylpolitik, die mit einer ganzheitlichen Einwanderungspolitik verzahnt werden müßte. Unstrittig ist dabei unter den demokratischen Parteien, daß politisch Verfolgten auch in Zukunft Asyl in der Bundesrepublik Deutschland gewährt werden soll. Wichtig ist, daß eine europäische Harmonisierung der Asylpolitik angestrebt werden soll. In diesem Zusammenhang wird zu prüfen sein, ob der Artikel 16 GG in der jetzigen Form beibehalten werden kann, oder ob er einer Ergänzung bedarf. Im Folgenden wollen wir aus unserer Sicht auf einige Aspekte hinweisen, die dabei berücksichtigt werden sollten. Der dem Artikel 16 GG Abs. 2 S. 2 zugrundeliegende Flüchtlingsbegriff ist relativ eingeengt. Die Anerkennungsquote ist daher inzwischen auf ca. 10 % incl. der Anerkennungen vor Gericht gesunken. Dagegen durften 1989 57 % der abgelehnten Asylbewerber auf Grund anderer internationaler Abkommen (z.B. Genfer Flüchtlingskonvention, Europäische Menschenrechtskonvention) in der BRD bleiben. In der öffentlichen Diskussion werden diese Fakten nur sehr selten genannt, so daß viele Bürger den Eindruck eines massiven Asylmißbrauchs erhalten. Daher muß eine Diskussion darüber geführt werden, wie der Flüchtlingsbegriff über die inhaltlichen Bestimmungen in Artikel 16 GG hinaus definiert werden kann, um in ihrer Existenz bedrohte Menschen, die laut Definition des Artikels 16 GG nicht politisch verfolgt sind, aufzunehmen. Daß dies dringend erforderlich ist, zeigt ein Blick in die Statistik der Asylbewerber von 1991: Von den 256.112 Asylsuchenden kamen allein 74.854 aus Jugoslawien; dies heißt, daß die Zunahme der Zahl der Asylbewerber gegenüber 1990 (193.063 Personen) fast ausschließlich auf die Destabilisierung des ehemaligen Staates Jugoslawien infolge des Bürgerkrieges zurückzuführen ist. Flucht wegen eines Bürgerkrieges reicht aber in Deutschland nicht als Grund aus, um nach Artikel 16 GG als politisch Verfolgter anerkannt zu werden. Auch der Flüchtlingsbegriff der Genfer Flüchtlingskonvention deckt diese Asylsuchenden nicht ab. Flüchtlinge aus Bürgerkriegsregionen werden aber zur Zeit trotzdem in das für sie in der Regel aussichtslose Asylverfahren getrieben, weil ihnen kein anderes Aufenthaltsrecht zuerkannt wird. In diesen Fällen wäre es sinnvoller, eine vorübergehende Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen, ohne daß ein Asylverfahren eingeleitet wird. Eine zweite Möglichkeit besteht darin, diese Flüchtlinge im Rahmen des Kontingentflüchtlingsgesetzes aufzunehmen. Dieses 1980 geschaffene rechtliche Instrumentarium erlaubt es, Flüchtlingsgruppen Einreise und Aufenthalt in Deutschland zu ermöglichen, ohne daß sie das Asylverfahren durchlaufen müssen. Sie sind Asylberechtigten rechtlich gleichgestellt. Bis heute wurde von dieser Möglichkeit nur in einem geringen Maße Gebrauch gemacht. Bis zum 31.12.1989 wurden im Rahmen humanitärer Hilfsorganisationen für Flüchtlinge folgende Kontingente eingeräumt (BMI, 1991: 73): Südostasien 38.332 (eingereist: 33.680), Chile 2.500 (eingereist: 1.456), Argentinien 400 (eingereist: 88), Kuba 277 (eingereist: 4) und Kurden 87 (eingereist: 87). Im Zuge einer europäischen Harmonisierung des Asylrechts ist es jedoch erforderlich, den Flüchtlingsbegriff der Genfer Flüchtlingskonventionen zur Basis der Entscheidungen auch in Deutschland zu machen, wie es übrigens bis Mitte der 70er Jahre üblich war. Es muß weiterhin gewährleistet sein, daß eine individuelle Prüfung eines jeden Falles erfolgt und daß die Entscheidungskriterien vereinheitlicht werden. Hierzu könnte eine europäische Dokumentationsstelle, bei der die relevanten Informationen und Daten über die einzelnen Länder abrufbar sind, sehr hilfreich sein. An dieser Stelle verweisen wir nochmals auf die Darstellung in Abschnitt 2.5, aus der hervorgeht, daß mit keiner verfahrensrechtlichen Regelung die Zuwanderung von Flüchtlingen begrenzt werden kann. Wichtig ist hier die wirksame Bekämpfung der Fluchtursachen. Außerdem versprechen wir uns von einer Einwanderungspolitik, daß z.B. "Armutsflüchtlingen" ein anderer, legaler Weg der Zuwanderung eröffnet und dadurch der Druck auf das Asylverfahren vermindert wird. Wenn es gelingt, eine europäische Harmonisierung des Asylrechts und der Asylpolitik auf einem hohen Niveau zu erreichen, ergeben sich weitere Möglichkeiten der politischen Steuerung. Ebenso wie in Deutschland eine Verteilung der Asylbewerber auf die einzelnen Bundesländer anhand bestimmter Kriterien erfolgt, könnte europaweit verfahren werden. Ziel ist eine gerechte Verteilung der Lasten entsprechend der jeweiligen finanziellen, organisatorischen und wirtschaftlichen Kapazitäten der Länder innerhalb der EG (Welt, 1992b). Interessant ist der Vorschlag der Kommission der SPD/Saar, eine Koppelung der Zuteilungsquoten innerhalb der EG und der Aufwendungen für Entwicklungshilfe vorzunehmen. Bei Überschreiten der Soll-Vorgabe von 0,7 % des Bruttosozialproduktes für Entwicklungshilfe könnte die Quote verringert, im anderen Fall erhöht werden. Hierdurch verstärkte sich der Druck auf die einzelnen Länder, die Bekämpfung der Fluchtursachen intensiver in Angriff zu nehmen.
3.7. Aussiedlerpolitik
Nach dem Zweiten Weltkrieg war es eine wichtige Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland, Vertriebene und Flüchtlinge aus den ehemaligen Ostgebieten aufzunehmen. Artikel 116 des Grundgesetzes war Ausdruck unserer moralischen Verpflichtung, für die infolge des Krieges heimatlos gewordenen Menschen Verantwortung zu übernehmen, ihnen die deutsche Staatsangehörigkeit und damit die Zuwanderungsmöglichkeit in die BRD zu erhalten. Heute entspricht dieser Artikel, der als Kriegsfolgenrecht zu bewerten ist, nicht mehr der geschichtlichen Entwicklung. Die Einleitung demokratischer Reformprozesse in Osteuropa, der deutsch-polnische Vertrag von 1991 und die deutsch-russischen Absprachen der letzten Zeit lassen die Annahme, daß Aussiedlern wegen ihres Bekenntnisses zur deutschen Kultur nach wie vor ein Vertreibungsdruck vorhanden sei, als nicht mehr gerechtfertigt erscheinen. Weitere Gründe, die Aussiedlerpolitik zu ändern, führt das SPD/Saar Positionspapier (S.21) auf: "Nach dem Beitritt der DDR und den damit verbundenen verfassungsrechtlichen Änderungen, der Endgültigkeit der Grenzen sowie der Wiedererlangung der völkerrechtlichen Souveränität ist der Übergangscharakter des Grundgesetzes beendet. Danach ist aber auch das Staatsangehörigkeitsrecht Gesamtdeutschlands in Einklang mit dem vom Bundesverfassungsgericht beschriebenen völkerrechtlichen Grundsatz zu bringen: 'Nach allgemeinem Völkerrecht unterliegt die Bestimmung des Kreises seiner Staatsangehörigen durch einen Staat bestimmten Grenzen, die sich unter anderem aus der Existenz der Personalhoheit anderer Staaten ergeben'. Im Staatsangehörigkeitsrecht und damit auch Artikel 116 GG sind folglich alle Vorschriften aufzuheben, die als Übergriff in die Personalhoheit anderer Staaten verstanden werden müssen." Die bevorzugte Behandlung gegenüber anderen einreisewilligen Ausländern ist nicht mehr gerechtfertigt. Den Aussiedlern aus Ost- und Südosteuropa sollte kein Rechtsanspruch auf Einwanderung mehr eingeräumt werden. Sie sollten ebenfalls in die Einwanderungsgesetzgebung miteinbezogen werden, und es sollten für sie jährliche Einwanderungsquoten, die auch die wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen in den einzelnen Ländern berücksichtigen, gebildet werden.
3.8. Einwanderungsgesetz
Wir schlagen vor, ein Einwanderungsgesetz zu verabschieden, welches festlegt, welchen Personengruppen die Einwanderung und Einreise nach Deutschland gestattet wird, wie die rechtsstaatlichen Aufnahmeverfahren organisiert werden sollen und wie eine Eingliederung der Neueinwanderer in unsere Gesellschaft unterstützt und gefördert werden kann. Die erste Komponente des Planungsprozesses muß sein, eine Höchstgrenze der Einwanderungen festzulegen, für die unsere Gesellschaft die wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen eines menschenwürdigen Lebens gewährleisten kann. Zur Bestimmung dieser Zahl ist eine Abstimmung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden und relevanten gesellschaftlichen Gruppen notwendig. Zu denken ist hierbei an längerfristige Konzepte, z. B. Fünfjahrespläne, wie sie auch in den klassischen Einwanderungsländern wie USA und Kanada entwickelt wurden, um jährliche Schwankungen ausgleichen zu können (Immigration Canada, 1991; Fix, Passel, 1991). Ohne in diesem Papier eine exakte Zahl nennen zu wollen, denken wir, daß sich langfristig die jährliche Zuwanderung von 300.000 bis 500.000 Personen als für unsere Gesellschaft vertretbar erweisen wird. Wichtig ist zu betonen, daß diese Zahl nicht wissenschaftlich ableitbar ist, sondern sich aufgrund politischer Entscheidungen ergeben und im Rahmen parlamentarischer demokratischer Verfahren legitimiert werden muß. Es ist sicherzustellen, daß die Länder und Gemeinden in angemessener Weise in den Planungs- und Entscheidungsprozeß einbezogen werden. Über die aktuellen Entwicklungen der Zuwanderungen sollte die Bundesregierung einmal jährlich dem Bundestag einen Bericht vorlegen. Dieser sollte dann ausführlich diskutiert werden, so daß eine parlamentarische Kontrolle des Verwaltungshandelns möglich ist. Jährliche Einwanderungsquoten können gebildet werden für: - Aussiedler, - Neueinwanderer anderer Länder, - Kontingentflüchtlinge, - Familienangehörige bereits bei uns lebender Ausländer, wobei in diesem Fall der Verwandtschaftsgrad ausschlaggebend sein sollte. Bestehende rechtliche Garantien, wie Ehegatten- und Kindernachzug bis 16 Jahre, sollten nicht eingeschränkt werden. Um diese Wanderungsbewegungen in den Plan aufnehmen zu können, sollten vorherige Antragsteilungen erwogen werden. Die Zahl der Asylberechtigten des Vorjahres und der aufgrund anderer rechtlicher Regelungen in Deutschland verbleibender Flüchtlinge sollte bei den Planungen des kommenden Jahres berücksichtigt werden, so daß langfristig die Höchstgrenze nicht überschritten wird. Dieses Verfahren kann nur funktionieren, wenn die Asylverfahren möglichst schnell abgeschlossen werden und in diesem Verfahren auch festgestellt wird, ob jemand aufgrund anderer rechtlicher Regelungen im Land bleiben darf. Eine Beschleunigung der Verfahren und Bündelung der Entscheidungen in einer Hand ist dringend erforderlich. Jemand, der in diesem Verfahren abgelehnt wurde, muß die Bundesrepublik Deutschland verlassen und darf nicht mehr über die Quotenregelung Zugang nach Deutschland erhalten. Diese Koppelung ist notwendig, um die beabsichtigte Wirkung einer Entlastung der Asylverfahren auch wirklich zu erreichen. Die Wanderungen innerhalb der Europäischen Gemeinschaften sollten u.E. bei dem geplanten Einwanderungsgesetz unberücksichtigt bleiben. Angesichts des Ziels ein vereinigtes Europa zu errichten, in dem die Bürger frei ihren Arbeitsplatz und Wohnsitz wählen können und nationale Staatsbürgerschaften an Bedeutung verlieren werden, halten wir eine Einbeziehung von EG-Bürgern in die Zuwanderungsplanungen politisch nicht für adäquat. Bei den Kriterien, nach denen die Auswahl der Zuwanderer erfolgt, sollten humane Aspekte Priorität vor arbeitsmarktpolitischen Erwägungen haben. Es kann nicht das Ziel sein, den Entwicklungsländern gerade die qualifiziertesten und motiviertesten 20-40jährigen Ausreisewilligen zu entziehen, um die Lücken unseres Arbeitskräftepotentials zu schließen. Die in anderen Einwanderungsländern entwickelten Kriterien zur Auswahl der Zuwanderer können nicht einfach auf die Bundesrepublik Deutschland übertragen werden. Vielmehr gilt es, Auswahlkriterien zu entwickeln, die unserer geschichtlichen Entwicklung, unserer geographischen Lage und unserer Verpflichtung gegenüber den Migrantengruppen, die bereits in Deutschland leben, Rechnung tragen. Allerdings sollten die in den klassischen Einwanderungsländern entwickelten Verfahren und Kriterien zur Steuerung der Zuwanderung analysiert und auf ihre Anwendbarkeit für die Bundesrepublik Deutschland überprüft werden. In Kanada z.B. erfolgt die Auswahl der Zuwanderer nach auf die Person bezogenen Kriterien. Hierbei werden sowohl arbeitsmarktbezogene Faktoren, wie Schulbildung und Beruf als auch soziale Aspekte, wie familiäre Bindungen berücksichtigt. Die einzelnen Kriterien werden gewichtet, so daß jedem Bewerber eine Punktezahl zugeordnet werden kann, die als Entscheidungsgrundlage dient. Der Vorteil eines derartigen Verfahrens ist, daß die Entscheidungen transparent sind und nur geringe Ermessensspielräume bestehen. Neben dieser auf individuellen Faktoren beruhenden Auswahl hat Kanada aber auch Kontingente für "humanitäre" Immigration, d.h. Flüchtlingseinwanderung, eingerichtet (Körner, 1990:151 ff.). Zu einem derartigen Neubeginn einer Einwanderungspolitik gehört eine großzügige "Altfallregelung" für Asylsuchende der Vergangenheit sowie eine Reform des deutschen Staatsbürgerrechts. Eine Beschleunigung der Asylpolitik scheitert im Moment allein daran, daß sich über 400.000 unerledigte Anträge beim Bundesamt für die Anerkennung von Flüchtlingen in Zirndorf stapeln und eine Bearbeitung der Fälle Jahre dauern wird. Unter anderem ist dies darauf zurückzuführen, daß bis heute viele der genehmigten Planstellen nicht besetzt sind. Großzügige rechtliche Regelungen dieser "Altfälle", verbunden mit dem Angebot der sozialen und beruflichen Integration, sollten erwogen werden. Weiterhin sollte das Einbürgerungsrecht liberalisiert werden. Mit der Ermöglichung einer doppelten Staatsangehörigkeit wäre vielen Migranten der zweiten und dritten Generation geholfen und eine große Zahl heutiger Ausländer würde binnen kurzem Inländer. Außerdem sollte das Prinzip eingeführt werden, daß in Deutschland Geborene die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten. Hier sollte das französische Verfahren als Beispiel dienen. Ein Einwanderungsgesetz darf sich nicht nur darauf beschränken, festzulegen, welchen Personen die Einreise nach Deutschland erlaubt wird und welchen nicht. Zentraler Bestandteil eines derartigen Gesetzes müssen Maßnahmen und Angebote sein, die dazu beitragen, die soziale, ökonomische und politische Gleichberechtigung der Einwanderer zu verwirklichen. Hierzu bedarf es spezieller Förderprogramme zur beruflichen und sprachlichen Qualifizierung der Zuwanderer. Auf die langjährigen Erfahrungen der Wohlfahrtsverbände und anderer Organisationen, die Integrations- und Lernangebote für Ausländer durchführten, kann bei der Neukonzeption zurückgegriffen werden.
3.9. Institutionelle Rahmenbedingungen
Zur Konzipierung und Durchführung dieser neuen Zuwanderungspolitik werden neue Institutionen benötigt. Wichtig ist, daß diesem Politikbereich eine hohe Priorität eingeräumt wird, daß seine defensive, lediglich auf Abwehr ausgerichtete Zielvorgabe geändert und in der Öffentlichkeit für Akzeptanz für die neue Politik geworben wird. Es ist notwendig, neue Politik- und Verwaltungsstrukturen einzurichten: Auf Bundesebene sollte ein ressortübergreifendes "Bundesamt für Migration und Integration" geschaffen werden. Seine Aufgaben sind die Konzeption der Zuwanderungspolitik sowie die Koordination der Aktivitäten anderer beteiligter Ministerien (Bade, 1992b; Vorstand der SPD, 1991). Die Planungen der Zuwanderungen und die vorgeschlagenen Integrationskonzepte sollten dabei wissenschaftlich fundiert sein. Diesem Bundesamt sollte eine "Ständige Kommission für Migration und Integration" zugeordnet sein, wie sie die zurückgetretene Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Frau Funcke, in ihrem letzten Bericht vom März 1991 forderte. Mitglieder dieser Kommission sollten u. a. sein: Vertreter der Parteien, Staatssekretäre der betroffenen Ministerien, Vertreter des Bundesrates, Vertreter der kommunalen Spitzenverbände, Vertreter der Gewerkschaften und Arbeitgeber, Wohlfahrtsverbände, Wissenschaftler und Vertreter der zugewanderten Bevölkerung. Als Aufgaben dieser Kommission werden u.a. genannt: - Fremdenfeindlichkeit entgegenwirken; - die einheimische Bevölkerung über die Bedeutung und die Leistungen der Zuwanderer informieren; - Dokumentation und Forschung in diesem Bereich unterstützen; - grundlegende Konzeptionen für die Integrations- und Migrationspolitik formulieren, die sich auf alle Politik und Lebensbereiche erstrecken. Für jedes Bundesland sollte ein/e Ausländerbeauftragte/r ernannt werden. Auf kommunaler Ebene sollten die Kompetenzen und Aufgaben der Ausländerbeauftragten erweitert werden. Als Beispiel für eine derartige Neuorientierung könnte das "Amt für multikulturelle Angelegenheiten" in Frankfurt dienen (Wolf-Almanasreh, 1992). Auf europäischer Ebene sollte ebenfalls ein Amt für Migrationsfragen eingerichtet werden, das eine koordinierende Funktion zwischen den einzelnen Staaten wahrnehmen kann. Wichtig ist, daß das Europaparlament und die nationalen Parlamente stärker als bisher an den Entscheidungsprozessen beteiligt werden. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 1998 |