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TEILDOKUMENT:
1. Überblick über die Zuwanderungen nach Deutschland seit 1945 1.1. Vertriebene und Flüchtlinge aus den ehemaligen Ostgebieten, der SBZ und der DDR (1945-1960) Seit Mitte der 30er Jahre bis Ende des Zweiten Weltkrieges sind in Deutschland die industriellen Kapazitäten infolge der Rüstungskonjunktur und der Kriegswirtschaft in sehr starkem Maße ausgeweitet worden. Die damit zusammenhängende Erhöhung der industriellen Produktion war nur mit Hilfe der ausländischen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen möglich gewesen. Ihre Zahl belief sich im Sommer 1944 auf etwa 7,7 Mio. Dagegen blieb die Zahl der erwerbstätigen deutschen Frauen während des Krieges relativ unverändert. Die ausländischen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen kehrten nach Kriegsende in ihre Heimatländer zurück. Die heimkehrenden deutschen Soldaten konnten die dadurch entstehenden Lücken in den Betrieben nur unvollständig ausfüllen. In der ersten Nachkriegszeit lagen deshalb große Teile der Produktionsanlagen still Als 1948 die Währungsreform durchgeführt wurde und der wirtschaftliche Aufschwung in den drei Westzonen Deutschlands begann, zeigte sich, daß diese Industriekapazität von großem Nutzen war. Zwei Faktoren kamen ergänzend hinzu: Einmal floß Kapital infolge der amerikanischen Auslandshilfe im Zuge des Marshallplanes nach Deutschland, und zweitens war eine ausreichende Zahl von Arbeitskräften vorhanden. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, daß bis 1950 8,3 Mio. Vertriebene und Flüchtlinge aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und der sowjetisch besetzten Zone (SBZ) in die (alte) Bundesrepublik Deutschland gekommen waren. Auch zwischen 1950 und 1960 entfielen mehr als 90 % des Bevölkerungszuwachses der Bundesrepublik Deutschland auf Flüchtlinge und Vertriebene. Die Gruppe der Vertriebenen und Flüchtlinge machte 1960 fast ein Viertel der Gesamtbevölkerung der damaligen Bundesrepublik Deutschland aus. Von 1949 bis 1961 kamen mindestens 2,7 Mio. Menschen aus der damaligen DDR als "Republikflüchtlinge" nach Westdeutschland (Bade, 1992b: 402). Aus diesen Daten wird deutlich, daß die Flüchtlinge und Vertriebenen die entstandenen Arbeitskräftelücken ausgefüllt haben. Ohne sie wäre also schon in den 50er Jahren ein erhebliches Defizit an Arbeitskräften entstanden. Herbert (1986: 182) führt aus: "Ohne das 'Wirtschaftswunder' wäre die Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen, ohne deren zusätzliches Arbeitskräftepotential wäre das 'Wirtschaftswunder' nicht möglich gewesen." Allen Wanderungsbewegungen ist es jedoch eigen, daß der Prozeß der Integration der Migranten nicht linear und reibungslos verläuft. Diese Feststellung trifft auch auf die Eingliederung der Flüchtlinge und Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und aus der damaligen SBZ bzw. DDR zu. Gerade angesichts der aktuellen Diskussion um die Aufnahme von Asylbewerbern erscheint es wichtig zu erinnern, daß in der Nachkriegszeit gegenüber der Zuwanderung dieser vielen Millionen Menschen erhebliche Befürchtungen bestanden haben. Engpässe wurden in der Wohnraumversorgung und bei den Arbeitsplätzen vermutet; Ängste bestanden hinsichtlich des Zusammenlebens von Einheimischen und Hinzugewanderten. Befürchtet wurde weiterhin eine Rechtsradikalisierung der Vertriebenen. Es kann heute festgestellt werden, daß politische Gefährdungen und soziale Spannungen nicht in dem Maße auftraten, wie sie unterstellt worden waren. Andererseits kam es in Hinsicht auf die Wohnungsproblematik und die Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu erheblichen Reibungen zwischen Einheimischen und Flüchtlingen und Vertriebenen (Herbert, 1986: 183 f.). Es gibt sicher eine Reihe struktureller Ähnlichkeiten der Situation von Flüchtlingen und Vertriebenen der Nachkriegszeit und von ausländischen Arbeitskräften und ihren Familienangehörigen. Es gibt aber auch wesentliche Unterschiede: Bei den Flüchtlingen und Vertriebenen handelte es sich um Personen deutscher Nationalität und Sprache. Daher traten keine ausländerrechtlichen Probleme oder Sprachschwierigkeiten auf. Überfremdungsängste oder rassistische Abwehrreaktionen der Bevölkerung blieben fast vollständig aus. Ein Großteil der Vertriebenen selbst sah die Rückkehr in die ehemalige Heimat als auf längere Sicht nicht realistisch an. Dies erklärt ihre Integrationswilligkeit. Auch bei den deutschen Behörden und den Alliierten gab es das Bestreben, die Ostvertriebenen auf Dauer in Westdeutschland anzusiedeln und ihre soziale, politische und wirtschaftliche Gleichberechtigung und Integration zu fördern. Außerdem waren die Vertriebenen und Flüchtlinge eine sozial heterogene Gruppe. Ein Teil von ihnen fand Anschluß an die Mittel- und Oberschicht der westdeutschen Gesellschaft und konnte eine durchsetzungsstarke Interessensgruppe bilden. Besonders erwähnenswert ist, daß die Vertriebenen und Flüchtlinge selbstverständlich das Wahlrecht hatten und daher für die deutschen Parteien politisch ein ernst zu nehmender Faktor waren. Sie wurden sowohl in der Programmatik als auch in der politischen Praxis berücksichtigt (Herbert, 1986: 183). Es sei daran erinnert, daß unzufriedene Vertriebene und Flüchtlinge eine eigene Partei gründeten (BHE), als 1950 die Restriktionen der Alliierten wegfielen. Im Jahre 1953 hatte der BHE 27 Mitglieder im Deutschen Bundestag und konnte zwei Minister in die Bundesregierung entsenden. In den frühen 60er Jahren verlor sie ihr politisches Gewicht, weil sie die Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen in die westdeutsche Gesellschaft unterstützte (Thränhardt, 1991: 11). Als die damalige Bundesrepublik Deutschland Mitte der 50er Jahre und verstärkt nach dem Bau der Berliner Mauer 1961 mit der Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte aus dem Mittelmeerraum begann, lagen die Auseinandersetzungen und Probleme mit der Integration der Vertriebenen und Flüchtlinge schon länger zurück. Herbert weist darauf hin, daß durch die Integration der Vertriebenen und Flüchtlinge in den bundesdeutschen Arbeitsmarkt der Zwangsarbeitereinsatz zwischen 1939 und 1945 in der Öffentlichkeit als ein kriegsbedingter Sonderfall dargestellt werden konnte: "So konnte 15 Jahre nach Kriegsende die massenhafte Beschäftigung von Ausländern unter der Fiktion der Voraussetzungslosigkeit wieder aufgenommen werden, ohne daß die Einstellungen und Haltungen gegenüber den 'Fremdarbeitern' während des Krieges in den 50er Jahren eine öffentliche, kritische Bearbeitung erfahren hätten" (Herbert, 1986: 186).
1.2. Anwerbung ausländischer Arbeitnehmer seit 1955 und Nachzug ihrer Familienangehörigen
Die Entwicklung des Arbeitsmarktes der Bundesrepublik Deutschland von 1952 bis 1955 war durch den Rückgang der Arbeitslosenquote von 9,5 % auf 5,6 % bei gleichzeitiger Zunahme der offenen Stellen von ca. 110.000 auf 200.000 gekennzeichnet. Der wachsende Arbeitskräftebedarf veranlaßte die deutschen Betriebe, sich nach arbeitslosen oder unterbeschäftigten Arbeitnehmern außerhalb der Grenzen umzusehen. Andererseits wirkte der rasche Aufschwung der Produktion anziehend auf nicht-deutsche Staatsangehörige aus Ländern, deren wirtschaftliche Entwicklung langsamer voranschritt. Die Einzelwanderungen von Arbeitnehmern aus diesen Ländern in die Bundesrepublik Deutschland nahmen zu. Ende Juli 1955 waren bereits ca. 80.000 Ausländer in der (alten) Bundesrepublik Deutschland beschäftigt. Davon stammten etwa 10 % aus Italien. Daher wurde von italienischer Seite im Rahmen deutsch-italienischer Wirtschaftsverhandlungen der Abschluß eines Abkommens über die Anwerbung und Vermittlung von italienischen Arbeitskräften nach Deutschland angeregt. Diese Anwerbevereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der italienischen Republik wurde am 20. Dezember 1955 geschlossen (Mehrländer, 1974: 11). In den Jahren 1955 bis 1960 sank die Arbeitslosenquote der Bundesrepublik Deutschland weiter, während die Zahl der offenen Stellen stieg. Von 1955 auf 1960 verdreifachte sich die Ausländerbeschäftigung. Im Jahre 1960 lag die Zahl der offenen Stellen erstmals höher als die Zahl der Arbeitslosen. Ende Juli 1960 waren in der Bundesrepublik Deutschland ca. 280.000 ausländische Arbeitnehmer tätig, von diesen ausländischen Arbeitnehmern waren 44 % Italiener. Außerdem arbeiteten ca. 13.000 Griechen, 9.000 Spanier, 9.000 Jugoslawen und ca. 2.500 Türken in der Bundesrepublik Deutschland. Diese Entwicklung bildete den Hintergrund für den Abschluß von Anwerbevereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Spanien (1960), Griechenland (1960), der Türkei (1961) und Portugal (1964). Über die Beschäftigung tunesischer Arbeitnehmer im Bundesgebiet gibt es seit 1965 eine vertragliche Regelung. Im März 1966 ist der seit Mai 1963 mit Marokko bestehende Vertrag über die Beschäftigung von Marokkanern in der BRD geändert und ergänzt worden. Schließlich wurde im Oktober 1968 die deutsch-jugoslawische Vereinbarung über die Anwerbung von Arbeitnehmern geschlossen. Dem Abschluß der Anwerbevereinbarungen gingen in der Bundesrepublik Deutschland Beratungen zwischen Bundesregierung, Vertretern der Bundesanstalt für Arbeit, den Arbeitgebern sowie den Gewerkschaften voraus. Die Arbeitgeber rechneten mit einer baldigen Erschöpfung der inländischen Arbeitskräftereserven und waren bestrebt, eine grundsätzliche Entscheidung für die Anwerbung ausländischer Arbeitnehmer herbeizuführen. Die Gewerkschaften sahen dagegen in der Ausländerbeschäftigung die Gefahr, daß die ausländischen Arbeitnehmer als Lohndrücker verwandt werden könnten. Sie setzten daher die tarifliche und sozialrechtliche Gleichbehandlung der angeworbenen ausländischen Arbeitnehmer mit vergleichbaren deutschen Arbeitnehmern durch. Die Bundesregierungen sahen es als ihre Aufgabe an, die Wirtschaft mit Arbeitskräften zu versorgen. Der Umfang der Ausländerbeschäftigung ergab sich demgemäß aus der Entwicklung des Arbeitsmarktes. Kritisch angemerkt werden muß, daß soziale Gesichtspunkte wie z. B. Wohungsversorgung der ausländischen Arbeitnehmer, Familienzusammenführung und Schulbildung der Kinder erst relativ spät berücksichtigt worden sind (Mehrländer, 1978: 115 f). Ergänzend soll hinzugefügt werden, daß das Abkommen mit Italien unter dem Aspekt der Artikel 48 und 49 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, der Verordnung Nr. 38/64 EWG, den Richtlinien 64/240 EWG und 64/221 EWG gesehen werden muß. Dort sind die Bestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Staaten der Europäischen Gemeinschaft enthalten. Diese EWG-Regelungen fanden in der Neufassung der Anwerbevereinbarung vom 23. Februar 1965 Berücksichtigung. Aufgrund dieser Anwerbevereinbarungen, von denen nur diejenigen mit Marokko und Tunesien relativ unbedeutend geblieben sind, stieg die Zahl der ausländischen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland seit Mitte der 60er Jahre sprunghaft an. Im Jahre 1968 wurde bereits die Ein-Millionen-Grenze überschritten, die Ausländerquote betrug 5,2 %. Bis 1971 hatte sich die Zahl der ausländischen Arbeitnehmer im Vergleich zu 1968 mehr als verdoppelt und lag bei 2,2 Mio. Die Ausländerquote betrug 10,3 %. Ende September 1973 waren dann ca. 2,6 Mio. ausländische Arbeitnehmer beschäftigt. Es ist zu betonen, daß diese Zunahme der ausländischen Arbeitnehmer von einer sehr starken Zunahme der ausländischen Wohnbevölkerung begleitet war. Die Zahl der ausländischen Wohnbevölkerung lag z. B. 1968 bei 1,9 Mio., während die Zahl der ausländischen Arbeitnehmer nur ca. 1 Mio. betrug. Dieses beweist eindeutig, daß bereits damals der Familiennachzug eingesetzt hatte. Bis 1973 stieg die ausländische Wohnbevölkerung kontinuierlich an und lag bei ca. 4 Mio. (König, Schultze, Wessel, 1986: 3). Die kontinuierliche Zunahme der Ausländerbeschäftigung wurde nur infolge der Rezession 1966/67 unterbrochen. Die Arbeitgeber reagierten aufgrund der verschlechterten wirtschaftlichen Situation mit dem Abbau der Überstundentätigkeit und Entlassungen von Deutschen und Ausländern. Viele ausländische Arbeitnehmer kehrten damals in ihre Heimatländer zurück; die Neuanwerbung von Ausländern unterblieb fast völlig. In den folgenden Jahren zeichnete sich jedoch wiederum ein wirtschaftlicher Aufschwung ab, so daß die Unternehmen ihre Nachfrage nach ausländischen Arbeitnehmern erhöhten. (Mehrländer, 1978: 119). Ende November 1973 erließ die Bundesregierung durch einseitige Erklärung und ohne vorherige Konsultation der Entsendeländer den Anwerbestopp. Begründet wurde er mit der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage u. a. infolge des "Ölschocks". Der Anwerbestopp wird bis heute aufrechterhalten, was bedeutet, daß keine Ausländer mehr aus Nicht-EG-Staaten zum Zwecke der Arbeitsaufnahme in die Bundesrepublik Deutschland einreisen dürfen. Nur die Nachholung von Familienangehörigen (Ehepartner und minderjährige Kinder) ist den ausländischen Arbeitnehmern auch nach 1973 möglich. Allerdings sind in der Vergangenheit vielfältige Einschränkungen in bezug auf das Alter der Kinder (16 Jahre) sowie für die Erteilung einer Arbeitserlaubnis (Stichtagsregelung, Wartezeitregelung) für nachgeholte Ehegatten erlassen worden. Die Zahl der ausländischen Arbeitnehmer nahm von 1973 bis 1978 ab. 1978 betrug sie 1,8 Mio., die Ausländerquote lag bei 9,1 %. 1979 stieg die Ausländerbeschäftigung wiederum an und erreichte 1980 die Zwei-MillionenGrenze, wie bereits 1975. In den folgenden Jahren schwankte die Zahl der ausländischen Arbeitnehmer zwischen 1,9 Mio. und 1,8 Mio. Die Ausländerbeschäftigung verringerte sich erst ab 1984 deutlich und stabilisierte sich in den Jahren bis 1989 bei jeweils etwa 1,6 Mio. Ein Anstieg der ausländischen Arbeitnehmer setzte jedoch wiederum seit 1990 (1,8 Mio.) ein. Im März 1991 belief sich die Zahl der ausländischen Arbeitnehmer auf 1,8 Mio. Die Ausländerquote betrug damit 8,0 %; 208.000 Ausländer waren arbeitslos, die Arbeitslosenquote lag bei 10,7 %. Die Aufgliederung der ausländischen Arbeitnehmer nach Nationalitäten liegt für September 1990 vor. Es soll betont werden, daß von den ehemaligen Anwerbeländern inzwischen auch Griechenland, Spanien und Portugal Mitgliedstaaten der EG sind, wodurch ihre Staatsangehörigen die Freizügigkeitsregelungen in Anspruch nehmen können. Aus den sogenannten Drittstaaten kommen ca. 600.000 türkische sowie ca. 300.000 jugoslawische Arbeitnehmer. Dagegen arbeiteten 1990 nur noch ca. 180.000 Italiener, 106.000 Griechen, 61.000 Spanier und 43.000 Portugiesen in der Bundesrepublik Deutschland. Es ist jedoch wichtig, darauf hinzuweisen, daß diese Schwankungen der Zahl der ausländischen Arbeitnehmer im Gegensatz zu der Entwicklung der Zahl der ausländischen Wohnbevölkerung stehen. 1973 lebten ca. 4 Mio. Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland. Bis 1979 wurde dieses Niveau in etwa gehalten. 1980, 1981 und 1982 stieg die ausländische Wohnbevölkerung, um von 1983 an wiederum abzunehmen. Diese Schwankungen sind jedoch relativ gering (1985: 4,4 Mio.). Die Zahlen von 1987 bis 1989 sind an die Ergebnisse der Volkszählung angepaßt, so daß hier ein direkter Vergleich mit den vorherigen Jahresdaten nicht geboten erscheint. 1989 belief sich die ausländische Wohnbevölkerung nach diesen korrigierten Ergebnissen auf 4,8 Mio. Ende September 1990 machte die ausländische Wohnbevölkerung bereits 5,2 Mio. aus. Aus den ehemaligen Anwerbeländern stammten 1990 3,5 Mio. Ausländer. Der Anteil der Ausländer an der Gesamtbevölkerung war 8,2 %. Die größte Gruppe sind mit ca. 1,7 Mio. die Türken, die zweitgrößte mit ca. 650.000 die Jugoslawen. 1,1 Mio. Türken sind schon länger als 10 Jahre in der Bundesrepublik Deutschland ansässig, das sind 68 %. Ebenso sind ca. 500.000 Jugoslawen länger als 10 Jahre in der Bundesrepublik Deutschland, dieser Prozentsatz liegt bei 75 %. (BMA, 1992) In den genannten Zahlen sind 1,0 Mio. Ausländische Kinder im Alter bis unter 15 Jahren enthalten. Die Altersgruppe der 15 bis 18jährigen macht nochmals 273.000 Personen aus. Wichtig ist, darauf hinzuweisen, daß 44 % der ausländischen Wohnbevölkerung Frauen sind. Das zeigt, daß sich in den letzten 30 Jahren große Veränderungen ergeben haben: Waren es am Anfang der Ausländerbeschäftigung die ledigen bzw. ledig gehenden Männer, die zum Zwecke der Arbeitsaufnahme eingereist sind, so kamen bereits in den 60er und 70er Jahren ausländische Arbeitnehmerinnen in die Bundesrepublik (Schultze, 1987). Weiterhin nahm infolge des Familiennachzuges der Prozentsatz an Frauen an der ausländischen Wohnbevölkerung sehr stark zu. Inzwischen kann festgestellt werden, daß sich aus diesen veränderten Strukturdaten eindeutig eine Einwanderungssituation belegen läßt. Eine neueste Prognos-Studie über die ausländischen Arbeitnehmerinnen in Nordrhein-Westfalen hat zudem nachgewiesen, daß sich die Erwerbsquote der türkischen Frauen inzwischen derjenigen der deutschen Frauen angenähert hat und bei 30 % liegt (General Anzeiger, 23.3.1992). Ergänzend soll hinzugefügt werden, daß die Ausländergeburten von 1975 bis 1990 insgesamt 1,18 Mio. ausmachten. 1989 lag die Zahl der ausländischen Kinder, die in der Bundesrepublik Deutschland geboren worden sind, bei ca. 80.000, der Anteil der Ausländerkinder an der Gesamtzahl der Geburten betrug 11,7 %. Die Mehrzahl dieser ausländischen Kinder (52,6 %) hatte türkische Eltern (BMA, 1992). Dem deutschen Recht entsprechend sind die Kinder ausländischer Eltern, auch wenn sie in der Bundesrepublik geboren werden, Ausländer . Auf diese Problematik wird unten genauer eingegangen. Aus der Entwicklung der Zahl und Struktur der ausländischen Wohnbevölkerung geht hervor, daß die ursprüngliche Annahme aller Beteiligten -Bundesregierung, Arbeitgeber, Gewerkschaften -, daß es sich bei der Ausländerbeschäftigung nur um ein "temporäres Phänomen" handele, widerlegt worden ist. Diese Zahlen belegen eindeutig die Einwanderungssituation in der Bundesrepublik Deutschland. Zu dieser Realität stehen jedoch die Erklärungen der Bundesregierung, "daß die Bundesrepublik Deutschland kein Einwanderungsland sei", in krassem Widerspruch. Die damit verbundene Problematik wird an anderer Stelle dieses Berichts dargestellt werden.
1.3. Anstieg der Zahl der Asylbewerber - Zunahme der Fluchtursachen (1953-1991)
Die Zahl der Asylbewerber lag 1953 bis einschließlich 1968 bei insgesamt 70.425 Personen. In den folgenden Jahren bis einschließlich 1978 machte ihre Zahl ca. 116.000 aus. 1979 stieg jedoch die Zahl der Bewerber auf ca. 51.000, um 1980 bei 107.818 Personen zu liegen. 1981 war dann wieder eine Abnahme auf ca. 49.000 Personen zu bemerken. 1985 und 1986 nahmen die Zahlen der Asylbewerber wiederum zu. 1986 waren es ca. 100.000 Personen, die um Asyl in der Bundesrepublik Deutschland nachsuchten. Erst 1988 wurde die Zahl von 100.000 erneut überschritten. 1990 hatten 193.063 Personen um Asyl nachgesucht, 1991 waren es 256.112 Personen. Der Vertreter des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen in der Bundesrepublik Deutschland, Koisser, weist darauf hin, daß die Zuwanderungen von Asylbewerbern in die Bundesrepublik Deutschland nicht losgelöst von der gesamten Weltflüchtlingsproblematik betrachtet werden dürfen. Im April 1991 waren weltweit unter dem Mandat des UNHCR 17,5 Mio. Flüchtlinge. Davon befanden sich insgesamt 5,7 Mio. in Afrika, 625.000 in Asien und Ozeanien, 1,3 Mio. in Europa, 1,5 Mio. in Nordamerika, 1,2 Mio. in Lateinamerika und im karibischen Raum, und 7,2 Mio. in Südwestasien, Mittleren Osten und Nordafrika. Hinter diesen nüchternen Zahlen verbergen sich eine ganze Reihe von Fluchtursachen. Im wesentlichen können vier zentrale Ursachenkomplexe von Flucht und Vertreibung unterschieden werden: Kriege und Bürgerkriege, repressive gesellschaftliche Strukturen und Systeme totalitärer und autoritärer Natur, wirtschaftliche Probleme, Belastung und Zerstörung der natürlichen Lebensbedingungen, ökologische Katastrophen (Opitz, 1991: 9). Es muß hinzugefügt werden, daß es in den wenigsten Fällen eine einzige Ursache für Flucht gibt, sondern daß i. d. R. ein Bündel von Ursachen verantwortlich ist. "Der aktuelle Anlaß, die sogenannte auslösende Ursache, ist meist nur die zeitlich oberste Schicht in einem Gemenge fluchtrelevanter Faktoren" (Opitz, 1991: 7 f.). Seit dem 2. Weltkrieg haben mehr als 170 Kriege und Bürgerkriege stattgefunden, die größte Zahl davon in den Regionen der Dritten Welt. Damit ergibt sich die zentrale Bedeutung dieses Ursachenkomplexes. Bei diesen Konflikten können zwei Typen unterschieden werden: Zwischenstaatliche Kriege um kontroverse Grenzziehungen und innerstaatliche Konflikte. Beispiele für den ersten Typus bilden die Kriege zwischen Äthiopien und Somalia um den Ogaden oder zwischen Vietnam und Kambodscha in den 70er Jahren. Häufiger als zwischenstaatliche Kriege waren allerdings innerstaatliche Konflikte, in denen einzelne ethnische Gruppen gegen Unterdrückung und Ausbeutung aufbegehrten und um einen eigenen Staat kämpfen. Beispiele sind im Nahen Osten die Kurden und Palästinenser, in Afrika die Sahauris und die Einwohner von Eritrea und Tigre, in Asien die Kaschmiris und Sikhs, die Tamilen und die Tibeter. Neue Probleme entwickelten sich in der zweiten Hälfte der 80er Jahre in der Sowjetunion. Schon Anfang 1990 gab es dort infolge blutiger Nationalitätenkonflikte ungefähr eine halbe Million interner Flüchtlinge, insbesondere Russen, die die Randrepubliken verlassen mußten. Sowohl im baltischen Raum sowie in der Ukraine und im kaukasischen Bereich droht der Ausbruch gewalttätiger Konflikte. Opitz weist darauf hin, daß ein weiterer gefährlicher Konfliktherd dieses Typus auf dem Balkan durch das Auseinanderbrechen Jugoslawiens entstanden ist. Hier findet ein blutiger Konflikt zwischen einigen dieser Republiken, vor allem aber zwischen den ethnischen Gruppen innerhalb der einzelnen Republiken statt. Aber auch andere Staaten Südosteuropas, die sich auf den Territorien des nach dem ersten Weltkrieg aufgelösten osmanischen Reichs und der Habsburger Donaumonarchie bildeten, weisen ungelöste Nationalitätenkonflikte auf. Als weitere Fluchtursachen müssen die Menschenrechtsverletzungen gelten. Verursacher sind zumeist totalitäre und autoritäre Regime, die das Streben nach partizipatorischen und pluralistischen Strukturen, nach Gerechtigkeit und Menschenrechten ablehnen. Die Repression geht dabei ebenso häufig von zivilen Regimen, wie von Militärjunten aus (Opitz, 1990: 10 f.). In Europa kann allerdings konstatiert werden, daß die Diktaturen auf der Iberischen Halbinsel und in Griechenland schon in den 70er Jahren gestürzt worden sind. Ende der 80er Jahre erfolgte auch der Zusammenbruch fast aller sozialistischer Regime in Mittel- und Osteuropa. Es sollte nicht vergessen werden, daß die Dominanz totalitärer Systeme insbesondere in großen Ostasiens politisch noch ungebrochen ist. Auch die Demokratiebewegung in China ist niedergeschlagen worden und die Verletzung der Menschenrechte hält an. Eine neue Variante totalitärer Herrschaft zeigt sich inzwischen in einer Reihe islamischer Staaten, in denen ein religiöser Fundamentalismus vorherrscht. Opfer sind hier jene Teile der einheimischen Eliten, die gegenüber demokratischen Ideen und Lebensstilen offen sind und die damit als potentielle Gegner einer Re-Islamisierung angesehen werden. Diese Aufzählung kann nicht erschöpfend sein, es gibt leider noch eine Reihe anderer Varianten (Opitz, 1991: 12). Der Begriff "Armutsflüchtlinge" ist inzwischen in Mißkredit geraten. Er bezeichnet jedoch jene Millionen von Menschen, die auf der Flucht vor bitterster Armut und Arbeitslosigkeit ihre angestammten Regionen verlassen. Zunächst versuchen sie in den Städten des eigenen Landes, dann in Nachbarländern und anderen Regionen des "Südens" und schließlich in den Ländern des reichen "Nordens" Arbeit und Auskommen zu finden. Lange Zeit kam das Gros dieser "Armutsflüchtlinge" aus den Regionen der Dritten Welt. Seit Mitte der 80er Jahre könnte jetzt eine neue Massenwanderung von Ost nach West stattfinden. Hier werden Zahlen zwischen 2 und 25 Mio. genannt (Opitz, 1991: 13). Eine wissenschaftlich abgesicherte Prognose über die zu erwartenden Wanderungen ist nicht möglich, weil die Ursachen dieser Fluchtbewegungen höchst unterschiedlich sind. Wesentlich wird sein, ob es gelingt, vor allem in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) eine demokratische Ordnung aufzubauen, die wirtschaftliche Situation zu verbessern und die genannten Nationalitätenkonflikte zu lösen (Opitz, 1991: 13). Eine neue Kategorie von Flüchtlingen rückte zu Beginn der 80er Jahre zunehmend in das öffentliche Bewußtsein. Hier handelte es sich um sogenannte Umweltflüchtlinge, die aufgrund einer schwerwiegenden Verschlechterung der Lebens- und Umweltbedingungen gezwungen sind, ihre Wohngebiete vorübergehend oder dauerhaft zu verlassen. Ebenso wie bei den Armutsflüchtlingen werden auch bei ihnen die Motive der Flucht immer wieder in Frage gestellt und der Status eines "Flüchtlings" wird ihnen in der Regel verweigert. Neben Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Überschwemmungen ist daran zu erinnern, daß auch die vom Menschen bewußt vorgenommenen Eingriffe in die Natur (Bau von Staudämmen, Abholzung großer Waldgebiete) zu den Fluchtursachen gehören. Ein zweiter Ursachentyp sind die Umweltzerstörungen aufgrund von Unfällen (Reaktorkatastrophen) oder bewußter "ökologischer Kriegsführung" (Entzündung Hunderter Ölquellen während des Golfkrieges von seiten des Irak). Die Schädigung der globalen Umwelt durch die modernen Wirtschaftsformen (z.B. längerfristige Erwärmung der Erde durch die Erhöhung des Kohlendioxid-Gehaltes der Atmosphäre - Treibhauseffekt) stellt in Zukunft eine weitere Ursache von Flucht- und Migrationsbewegungen dar. Denn die Veränderung des Erdklimas kann zu einer Ausdehnung von Trockenzonen und andererseits zur Überflutung von dichtbesiedelten, tiefliegenden Küstengebieten führen (Opitz, 1991: 14). Diese verschiedensten Fluchtursachen sowie die als Beispiele angeführten Konflikte drücken sich in den Herkunftsländern der Asylbewerber aus. 1981 kamen von den ca. 49.000 Asylbewerbern im Gebiet der alten Bundesrepublik Deutschland 52 % aus Ländern der Dritten Welt, 20,0 % stammten aus Polen und 12,8 % aus der Türkei. 1991 betrug die Zahl der Asylbewerber ca. 256.000. Wichtig ist aber zu betonen, daß nun 53 % der Asylbewerber aus Jugoslawien, Rumänien, Bulgarien, der (alten) Sowjetunion und Polen kamen (BMI, 1992). Bereits an dieser Stelle soll erwähnt werden, daß die ca. 75.000 Jugoslawen, die 1991 wegen des Bürgerkrieges in Jugoslawien in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind und um Asyl nachgesucht haben, im Grunde nicht in das Asylverfahren gehören. Auf diese Problematik wird an anderer Stelle des Berichtes noch einmal eingegangen.
1.4. Zuzug von Übersiedlern aus der DDR seit 1961 und von Aussiedlern aus Ost- und Südosteuropa
Vom Bau der Mauer im August 1961 bis Ende 1988 fanden insgesamt rund 616.000 Menschen ihren Weg von Deutschland-Ost nach Deutschland-West. Ende der 80er Jahre dominierte die legale Ausreise von "Übersiedlern". Insbesondere 1989 nutzten tausende meist junger Menschen aus der DDR ihre Urlaubsaufenthalte im "sozialistischen Ausland", um unter Vermittlung der bundesdeutschen Botschaften in Prag und Budapest in die Bundesrepublik Deutschland zu gelangen. Unter dem Druck der Weltöffentlichkeit ließ das SED-Regime die geschlossenen Züge mit den "Botschaftsflüchtlingen" durch die DDR nach West-Deutschland rollen. Bade (1992b: 403) weist darauf hin, daß im "Jahr der europäischen Revolutionen" 1989 und im "Jahr der deutschen Einheit" 1990 die neue Ost-West-Wanderung insgesamt dramatisch angestiegen ist: Im Jahre 1989 kamen ca. 340.000 Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR, bis Juni 1990 noch einmal ca. 240.000. Als der Weg zur deutschen Einheit absehbar war, nahmen die Übersiedlerzahlen ab. Im Mai 1990 waren es nur noch ca. 20.000 und im Juni 1990 nur noch ca. 11.000 Übersiedler. Seit der Vereinigung Deutschlands handelt es sich um sogenannte interne Wanderungen, dementsprechend ist im Juni 1990 die Aufnahmestatistik für Übersiedler beendet worden. Seitdem gibt es nur noch Schätzungen. Für das Jahr 1991 schätzte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit ca. 180.000 Abwanderungen von Ost- nach WestDeutschland. Außerdem rechnet man, daß ca. 275.000 Pendler täglich oder wöchentlich im Westen Deutschlands arbeiten (Bade 1992b: 402 f.). An dieser Stelle soll deutlich darauf hingewiesen werden, daß die Aussiedler keine Ausländer, sondern nach den Bestimmungen des Grundgesetzes (Artikel 116 Abs. 1) Deutsche sind. Dabei wird auf das Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 abgestellt. Der Artikel 116 GG trifft also auf diejenigen zu, die selbst oder deren Eltern oder Großeltern im früheren Ostpreußen, Pommern, Ostbrandenburg, Schlesien und Danzig gelebt haben. Bis auf Nord-Ostpreußen, das unter sowjetischer Verwaltung stand, kamen diese Gebiete zu Polen. Ihre Bewohner waren aber deutsche Staatsangehörige; nach deutschem Recht hatten sie diese Staatsangehörigkeit durch die Annexion der ostdeutschen Gebiete nicht verloren. Wie vorne geschildert worden ist, ist der größte Teil der deutschen Bevölkerung in den letzten Kriegsmonaten vor der Roten Armee geflohen oder wurde zwischen 1945 und 1950 vertrieben. Andererseits durften viele die unter polnischer Herrschaft stehenden Gebiete nicht verlassen (Aktion Gemeinsinn, 1991/92: 31 f.). Nach dem Ende der Massenbewegungen nach dem Kriege lebten 1950 jenseits der deutschen Ostgrenzen noch rund 4 Mio Deutsche. Sie wohnten teilweise in ihren herkömmlichen Siedlungsgebieten, teilweise - wie fast alle Deutschen in der Sowjetunion seit 1941 - durch Zwangsumsiedlungen weit verstreut in fremder Umgebung. Erst Ende der 80er Jahre wurde es für einen großen Teil von ihnen durch die revolutionären Veränderungen im damaligen Ostblock möglich auszureisen. Jetzt wurden die meist seit Jahren, oft seit Jahrzehnten wiederholten Ausreiseanträge genehmigt. Schon 1987 stiegen die Aussiedlerzahlen deutlich an (ca. 80.000). 1988 kamen bereits 200.000 Aussiedler, 1989 rund 380.000 und 1990 schließlich fast 400.000 Aussiedler. Die meisten Aussiedler kamen aus Polen, aus der Sowjetunion und aus Rumänien. Erst mit großem Abstand folgten als Herkunftsländer der Aussiedler die Tschechoslowakei, Ungarn und Jugoslawien. Nach den deutschen Gesetzen sind jedoch auch Deutsche "diejenigen, die ohne die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen deutsche Volkszugehörige sind". Die deutsche Volkszugehörigkeit besitzt demnach, wer "... sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird." Derartige deutsche Volkszugehörigen gibt es in den bereits nach dem Ersten Weltkrieg an Polen abgetretenen Teilen des früheren Deutschen Reiches - Posen, Westpreußen und Oberschlesien -, außerdem in Südosteuropa, speziell in Rumänien, und in der GUS. Sie sind Nachkommen vor Jahrhunderten ausgewanderter Deutscher, wobei ihnen seinerzeit kulturelle Autonomie, oft auch Selbstverwaltung ausdrücklich zugesagt worden ist. Im Zweiten Weltkrieg jedoch wurden die Deutschen in der Sowjetunion von Stalin aus ihren Siedlungsgebieten an der Wolga, in der Ukraine und in Weißrußland nach Sibirien und in asiatische Sowjetrepubliken wie Kasachstan deportiert, in Arbeitslagern konzentriert und in den folgenden Jahrzehnten als "Faschisten" diskriminiert (Aktion Gemeinsinn, 1991/92: 34). Die Gründe für die Zuwanderung der Aussiedler aus dem Osten in die Bundesrepublik Deutschland waren vielschichtig. Wirtschaftliche Motive spielten sicherlich eine wichtige, aber meist überschätzte Rolle. Hauptgründe für die Ausreisebemühungen waren die unterschiedlich stark ausgeprägte Unterdrückung und die Einengung oder Nichtakzeptanz ethnischer, religiöser und sprachlichkultureller Minderheiten in den Staaten des Warschauer Pakts (Ausnahme war Ungarn). Die langanhaltende Unterdrückung der Sprachkultur wirkt sich jetzt insbesondere bei jüngeren Aussiedlern dahingehend aus, daß sie das Hochdeutsche als Fremdsprache erlernen müssen (Bade, 1992b: 407). Seit der Liberalisierung und Demokratisierung im Osten, dem deutsch-polnischen Vertrag von 1991 und den deutsch-russischen Absprachen der letzten Zeit, besteht eine begründete Hoffnung, daß die entsprechenden Regierungen mit den deutschen Minderheiten humaner umgehen. Und tatsächlich sind im letzten Halbjahr 1991 die Zahlen der Aussiedler im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres um 50% auf ca. 220.000 zurückgegangen (Aktion Gemeinsinn, 1991/92: 34). Wieviele Aussiedler in Zukunft kommen werden, wird von einer Reihe von Faktoren abhängig sein, wie z.B.: Wachsende Nationalitätenspannungen, die Sorge vor politischen Rückschlägen und, bezogen auf die GUS, auch die Einsicht, daß eine Rückkehr in die alten Siedlungsgebiete (z.B. an die Wolga) nicht möglich sein wird. Es ist zu vermuten, daß die Wanderungsbewegungen nach Westen zunehmen werden, wenn die Hoffnung auf eine grundlegende Besserung der Umstände verloren geht (Bade, 1992b: 408). Gemessen an den Zeitungsberichten und der öffentlichen Diskussion scheint es, daß es bis 1987 keine großen Probleme gab, die aus dem Osten eintreffenden Aussiedler zu integrieren. Bis dahin wurde der Begriff "Aussiedler" in den Schlagzeilen nicht verwendet. Erst als 1987 die Zahl der Aussiedler drastisch anstieg, scheint sich mit den dann beginnenden Problemen in Bezug auf Arbeitsplatz und Wohnung auch die Einstellung der Bevölkerung geändert zu haben. Spontane Hilfsbereitschaft scheint in Unverständnis und Ablehnung der Aussiedler umgeschlagen zu sein. Anderseits sind auch viele Gemeinden überfordert, Wohnraum, Arbeitsplätze und Sozialeinrichtungen für eine Vielzahl von Aussiedlern bereitzustellen. "Geht man also davon aus, daß fast alle drei Mio im Osten verbliebenen Deutschen in den nächsten Jahren in die Bundesrepublik aussiedeln wollen, so müssen in irgendeiner Form Reglementierungen gefunden werden, Quoten festgesetzt werden, die eine vernünftige Einwanderungs- und Integrationspolitik gewährleisten. Nur so kann verhindert werden, daß in der Bundesrepublik die sozialen Spannungen weiterhin eskalieren, nur so können die sich oft fremd fühlenden Aussiedler langfristig integriert werden" (Ferstl, Hetzel, 1990: 204). © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 1998 |