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Jochen Welt:
Perspektiven der Aussiedlerpolitik


Die Integration der Menschen, die hauptsächlich aus Kasachstan und Rußland zu uns kommen, stellt gerade auch die Kommunen in der BRD vor immer neue Aufgaben. Galt bis vor einigen Jahren diese Zuwanderungsgruppe als leicht integrierbar, stellen wir inzwischen fest, daß aufgrund der sich ändernden Struktur der Zuwanderer und der ständigen Rückführung der Integrationshilfen von seiten des Bundes die Eingliederung immer schwieriger wird. Wir stellen dies nicht nur in den Großstädten und Ballungsgebieten fest, sondern auch in ländlichen Regionen, in denen konzentriert Deutschstämmige zureisen. Das vor einigen Wochen wiederum verlängerte Wohnraumzuweisungsgesetz schafft hier eine gewisse Entspannung in der Planung, die Probleme für die Menschen bleiben aber.

Nicht nur die individuellen Zuwendungen sind gekürzt worden, auch die Rahmenbedingungen in der BRD sind seit einigen Jahren dramatisch schwieriger geworden. Ich verweise dabei auf die Probleme der Arbeitslosigkeit, der Engpässe in der Bereitstellung bezahlbaren Wohnraums und der Integration in Schulen. So stellen wir inzwischen fest, daß gerade bei den jugendlichen Zuwanderern die Skepsis über unsere Gesellschaft wächst und somit die fehlenden Rahmenbedingungen zur Isolation führen. Gewalttätige Eskalationen vor Ort, Perspektivlosigkeit in der eigenen schulischen und beruflichen Zukunft sowie fehlende Kontakte mit der ansässigen Wohnbevölkerung führen immer wieder dazu, daß junge Menschen resigniert aufgeben und in die Länder zurückkehren, aus denen sie stammen. So belief sich die Zahl derjenigen Deutschstämmigen, die nach Kasachstan zurückkehren wollen, nach Angaben der kasachischen Botschaft im Jahr 1997 auf einige Dutzend Personen, mit steigender Tendenz für das Jahr 1998.

Wir beobachten diese Entwicklung mit großer Sorge. Gerade wir Sozialdemokraten haben uns immer dafür eingesetzt, daß Menschen, die in der BRD einreisen und dort ihren festen Aufenthalt nehmen, nicht nur ausreichend integriert, sondern auch freundlich aufgenommen werden. Wir versuchen seit einigen Jahren im Rahmen eines Gesamtkonzeptes zur Zuwanderung, dies nicht nur für Spätaussiedler zu erreichen, sondern für alle Gruppen von Zuwanderern, die legal in die BRD einreisen.

Die Gruppe der Spätaussiedler nimmt bei diesen Zuwanderern eine ganz besondere Rolle ein. Auf der einen Seite handelt es sich nach unserem Grundgesetz und dem geltenden Staatsangehörigkeitsrecht um Deutsche, die nicht mit anderen Zuwanderern staatsrechtlich zusammen gesehen werden dürfen. Auf der anderen Seite sind diese Menschen ihr Leben lang geprägt worden durch andere Kulturen und andere Sprachen und teilweise, gerade aus der Erlebnisgeneration in Rußland, durch Krieg, Unterdrückung und Verfolgung zusätzlich bedroht worden.

Ich muß eingestehen, daß der Kontakt mit diesen Menschen für uns Sozialdemokraten über viele Jahre hinweg schwierig war. Dies lag u.a. auch daran, daß eine feste Einbindung der Interessenverbände an die CDU und CSU einen Dialog erschwert hat. Seit einigen Jahren ist allerdings festzustellen, daß durch fortschrittliche und junge Kräfte sowohl bei dem Bund der Vertriebenen und anderen Verbänden als auch bei der Vertretung der Rußlanddeutschen Veränderungen stattfinden.

Es ist wichtig, daß wir die neu entstandenen Kontakte und Verständigungsmöglichkeiten pflegen und im Dialog bleiben.

Viele Deutschstämmige sind bitter enttäuscht von den Versprechungen der Koalition aus CDU/CSU und FDP. War die Fiktion einer Wolga-Republik Anfang bis Mitte der neunziger Jahre noch ein Traum für viele Menschen in Rußland, so zeigt sich heute die nüchterne Wahrheit. Die Versprechungen des Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen, die mehr oder minder sinnvolle Projektförderung des Bundesministeriums des Innern bis in die neunziger Jahre hinein, die Querelen um den Verein für das Deutschtum im Ausland sowie anhaltende Kritik des Bundesrechnungshofes an der Förderpraxis in den deutschen Siedlungsgebieten speziell in Rußland und die als ungerecht empfundene Verteilungspraxis vor Ort haben dazu geführt, daß viele Menschen sich von der CDU nicht mehr vertreten fühlen und versuchen, mit anderen Parteien in Kontakt zu treten.

In vielen Gesprächen mit Interessenverbänden und Einzelpersonen habe ich den Eindruck gewonnen, daß die Menschen verstanden haben, daß es nicht darum geht, kritiklos an alten Vorstellungen und Mythen festzuhalten, sondern daß es wichtig ist, den Realitäten ins Auge zu schauen und dafür zu sorgen, daß die Menschen eine Perspektive in ihren Herkunftsländern haben und, sofern sie nach Deutschland kommen, eine ausreichende Unterstützung erhalten. Alles andere ist Augenwischerei und führt nur zu Unsicherheit bei allen Betroffenen. Ziel der SPD ist es, in Zeiten der leeren Kassen bei der praktischen Schwierigkeit, Mittel zur Integration aufzustocken, die vorhandenen Integrationsgelder dahingehend einzusetzen, daß eine gewisse Anzahl von Personen pro Jahr menschenwürdig eingegliedert werden kann.

Hier spielt die Frage der Quotierung eine entscheidende Rolle. Es macht wenig Sinn, quasi durch die Hintertür, wie z.B. durch Sprachtests oder sonstige Reglementarien, die Zuwanderung zu steuern. Wichtiger ist, daß den Menschen deutlich gesagt wird, daß wir pro Jahr nur eine bestimmte Anzahl in Abschätzung der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel aufnehmen und sozial angemessen integrieren können. Es geht nicht darum, Menschen zu blenden, sondern es geht darum, ihnen klare Perspektiven zu eröffnen und diese für sie auch lebbar zu machen. Gerade den Jugendlichen gilt dabei unser besonderes Augenmerk. Sie haben nicht nur oft den geringsten Bezug zur Bundesrepublik, sondern sind dazu auch Leidtragende einer generell verfehlten Jugendpolitik. Sie erwarten eine Zukunftsperspektive und haben einen Anspruch auf unsere Unterstützung.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 1998

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