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Günther Schultze:
Zusammenfassung


Die Eingliederung deutscher Aussiedler aus Mittel- und Osteuropa gestaltet sich zunehmend schwieriger. Für Jochen Welt ist eine Ursache hierfür die ständige Rückführung der Integrationshilfen von seiten des Bundes. Er fordert, die Einreise von Spätaussiedlern im Rahmen eines Gesamtkonzeptes zur Zuwanderung zu regeln. Wenn nur begrenzte Haushaltsmittel für Integrationsmaßnahmen zur Verfügung stehen, muß die Zahl der aufgenommenen Aussiedler angepaßt werden. Vor allem jugendlichen Aussiedlern muß in Zukunft verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Die jugendlichen Aussiedler kommen in den neunziger Jahren überwiegend aus Staaten der vormaligen Sowjetunion. Sie wuchsen mithin in postsozialistischen Gesellschaftssystemen auf, die tiefgreifende Orientierungskrisen durchlebten. Die Reform des Bildungswesens konnte aufgrund finanzieller Schwierigkeiten nicht zu Ende geführt werden. Lehrermangel und fehlende Lehr- und Lernmaterialien prägten deshalb die schulischen Erfahrungen der Aussiedlerjugendlichen. Barbara Dietz befragte bundesweit 15- bis 24jährige ausgesiedelte und einheimische Jugendliche nach ihren Lebenserfahrungen und Einstellungen und Orientierungen. Die Aussiedlerjugendlichen verbinden mit „Deutsch sein" in erster Linie ihre Abstammung, subjektive Zugehörigkeitsgefühle und Familientraditionen haben hingegen hierfür nur eine geringere Bedeutung. Die Unterstützung durch die eigene Familie und durch die Gleichaltrigengruppe hat für sie eine herausragende Bedeutung. Der Freundeskreis der jungen Zuwanderer setzt sich überwiegend aus anderen Aussiedlern zusammen. Der Wunsch nach Kontakten zu einheimischen Jugendlichen ist jedoch sehr weit verbreitet. Die Mehrzahl der jugendlichen Aussiedler war an der Entscheidung zur Ausreise beteiligt und unterstützte die Pläne der Eltern. Die schulischen und beruflichen Probleme sind nicht auf fehlende Motivationen der Jugendlichen zurückzuführen. Sie messen dem schulischen Erfolg ebenso wie Einheimische eine große Bedeutung zu. Sie haben jedoch häufiger traditionelle Wertvorstellungen hinsichtlich des familiären Zusammenhalts, der Geschlechterrollen und der Kindererziehung. Auch die Autorität der Eltern ist für sie wichtiger als für Einheimische.

Der Zuzug von Spätaussiedlern hat sich in den letzten Jahren kontinuierlich verringert. Peter Fricke sieht als wesentlichen Grund hierfür die Einführung von Sprachtests seit 1996 an. 37% der Bewerber haben ihn nicht bestanden. Eine Wiederholung ist nicht möglich. Die Bundesregierung verfolgt zwei Ziele bei ihrer Aussiedlerpolitik: Sie bietet vielfältige Hilfen zur Förderung der deutschen Minderheit in den Nachfolgestaaten der UdSSR und dem sonstigen Osteuropa an. Zahlreiche Begegnungsstätten werden unterstützt und Angebote zum Kennenlernen der deutschen Kultur gefördert. Nach Schätzungen leben noch 3 bis 3,5 Millionen Angehörige der deutschen Minderheit in Osteuropa. Man geht davon aus, daß in Zukunft aufgrund der Sprachtests die Sprachkenntnisse der nach Deutschland kommenden Aussiedler besser als in der Vergangenheit sein werden. Die Bundesregierung hält aber auch am Ziel fest, Aussiedlern die Einreise nach Deutschland zu ermöglichen. Das Wohnortzuweisungsgesetz hat zu einer gleichmäßigeren Verteilung der Spätaussiedler auf alle Bundesländer geführt. Dies soll auch die Akzeptanz in der einheimischen Bevölkerung fördern. Besonderer Wert wird auf die Integration der jugendlichen Spätaussiedler gelegt. Aus dem sogenannten Garantiefonds wird ihre sprachliche, schulische und soziale Eingliederung finanziert. Die Förderungen im Hochschulbereich werden von der Otto Benneke Stiftung e.V. durchgeführt. Daneben existieren ca. 300 Jugendgemeinschaftswerke, deren Aufgabe vor allem darin besteht, jugendliche Spätaussiedler in geeignete schulische und berufliche Maßnahmen zu vermitteln und bei auftretenden Problemen helfend einzugreifen.

Luidger Wolterhoff unterscheidet drei Gruppen jugendlicher Aussiedler: 1. Kinder, die noch vor der Einschulung nach Deutschland kommen, haben gute Chancen, die Schulen erfolgreich zu absolvieren und den Einstieg ins Berufsleben zu schaffen; 2. Jugendliche, die nur kurze Zeit im deutschen Schulsystem verbleiben, haben größere Schwierigkeiten, den Einstieg ins Berufsleben ohne Probleme zu bewerkstelligen und 3. die Gruppe, die während ihrer Ausbildungszeit nach Deutschland einreist, mit ebenfalls erheblichen Integrationsproblemen. Unabdingbare Voraussetzung für den schulischen und beruflichen Erfolg ist eine intensive deutsche Sprachförderung. Diese muß sowohl in den angebotenen Sprachkursen als auch in den berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen erfolgen. Die letzteren haben gleichzeitig das Ziel, die jugendlichen Spätaussiedler auf den Einstieg ins Berufsleben vorzubereiten. Häufig erweist sich auch das eingeschränkte Berufsspektrum als Hindernis. Die Berufsberatung der Arbeitsämter hat die Aufgabe, die Wünsche der Ratsuchenden mit den Angeboten in Einklang zu bringen. Eine umfassende Beratung kann auch spätere Enttäuschungen und Demotivationen verhindern helfen. Häufig tendieren jugendliche Aussiedler angesichts der schweren Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt dazu, direkt eine nichtselbständige Arbeit anzunehmen. Wichtig ist es, jugendliche Aussiedler dabei zu unterstützen, Zertifikate und Abschlüsse zu erwerben, die ihnen qualifizierte Arbeitsplätze öffnen.

In der Schule ergeben sich besondere Probleme für Jugendliche, die einen Teil ihrer Schulzeit in den Herkunftsländern verbracht haben. Maria Kestermann führt aus, daß dies zu bikulturellen Orientierungen auf seiten der Aussiedlerjugendlichen geführt hat. Für das deutsche Schulsystem bedeutet dies, daß sich die pädagogischen Konzepte verstärkt interkulturellen Inhalten und Methoden zuwenden müssen. Die Herkunftssprache soll weiterhin unterrichtet werden. Die Trennung von der Heimat und altbekannten Orientierungen und Lernmustern kann zu Orientierungsproblemen und Lernschwierigkeiten in deutschen Schulen führen. Deshalb ist auch verstärkt eine Zusammenarbeit schulischer und außerschulischer Fachkräfte nötig. Ohne spezielle Förderangebote sind schlechte Schulabschlüsse oder vorzeitiger Schulabgang vorprogrammiert. Wenn Förderklassen eingerichtet werden, sollten diese multikulturell zusammengesetzt sein. Die Garantiefondsmittel für den außerschulischen Nachmittagsunterricht sollten nicht zusätzlich eingeschränkt werden. Die Öffnung der Schule zum Stadtteil und die Einbeziehung der Eltern in die soziale Arbeit ist dringend erforderlich.

Der Schlüssel zum beruflichen Erfolg liegt im Erlernen der deutschen Sprache. Oswald Pannes kritisiert die Kürzungen der finanziellen Mittel für die Sprachförderung. Besonders problematisch ist die Reduzierung des schulbegleitenden Nachhilfeunterrichtes. Unzureichender Spracherwerb erschwert den Integrationsprozeß. Wichtig ist weiterhin eine Weiterbildung für die Lehrkräfte, da diese oftmals fachlich nicht angemessen auf die Probleme von Spätaussiedlerjugendlichen vorbereitet sind. Der Gebrauch der russischen Sprache hat für die Jugendlichen vor allen Dingen in der ersten Zeit nach der Einreise eine positive soziale Funktion. Eine Weiterentwicklung in der Herkunftssprache kommt aber auch dem Lernen der deutschen Sprache zugute. Es müssen zielgruppenspezifische Angebote für sogenannte Seiteneinsteiger, für nicht mehr schulpflichtige Jugendliche und für erwachsene Spätaussiedler angeboten werden.

Eine vordringliche Aufgabe ist es, das Zusammenleben von Zuwanderern und Einheimischen in den Stadtteilen zu verbessern. Thomas Abel berichtet von Projekten, die sich eine Vernetzung der beteiligten Institutionen und unterschiedlichen Personengruppen zum Ziel gesetzt haben. Es vermehren sich die Berichte, daß vor allem die Konflikte zwischen jugendlichen Aussiedlern, Jugendlichen der zweiten und dritten Generation der „Gastarbeiterfamilien" und von einheimischen Jugendlichen zunehmen. Aussiedlerjugendliche schließen sich häufig in eigenen Gruppen zusammen, in denen Gewaltbereitschaft und Alkoholprobleme um sich greifen. Es gibt auch Untersuchungen, die eine verstärkte Kriminalitätsbelastung von jugendlichen Aussiedlern nachweisen. In Espelkamp wird deshalb versucht, eine Vernetzung der Aktivitäten unterschiedlicher Institutionen und Zielgruppen zu institutionalisieren. Unter der Leitung des Stadtdirektors soll eine Projektlenkungsgruppe eine verbindliche Arbeitsstruktur festlegen. Vertreter der verschiedenen Interessengruppen der Zuwanderer sollen einbezogen werden. In Hannover Vahrenheide wird über ein Streetwork-Projekt und einen Jugendkontaktladen versucht, den im Stadtteil lebenden Jugendlichen Hilfe bei der Bewältigung ihrer Probleme zu geben. Die Streetworker verstehen sich auch als Sprachrohr der Jugendlichen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 1998

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